Craw, Bernard – Sanguis B. – Vampire erobern Köln

Thomas ist kein Held, aber als Weichei kann man ihn auch nicht bezeichnen. Er selbst sieht sich wahrscheinlich als einen jungen Mann mit Träumen, die aber ständig an der Realität scheitern. Und irgendwie kann er nie die Energie und den Mut aufbringen, diese Träume mit wirklichem Einsatz zu verfolgen. Also studiert er Alte Geschichte „ohne sichtbaren Fortschritt“ und hätte gern was mit Doro – aber auch dort kommt er nicht voran, schon weil Doro mit Wilhelm zusammen ist. Der studiert BWL, was ihn zu einem echten Langweiler, aber eben auch zu einer guten Partie macht.

Thomas wird nicht mehr viel Zeit haben, sich über solche Nichtigkeiten den Kopf zu zerbrechen. Denn schon am Anfang von Bernard Craws Roman „Sanguis B. Vampire erobern Köln“ wird er von Doro angefallen und getötet, nur um eine halbe Stunde später als Vampir wieder aufzuerstehen. Doro hat sich vor Thomas schon an ihrer besten Freundin und an Wilhelm vergriffen. Die beiden verspürten allerdings nicht den Drang, sich als Untote zu erheben, und so sind Doro und Thomas erstmal auf sich allein gestellt in dem Versuch, ihren neuen Zustand zu verstehen.

Der furchtbare Hunger nach Blut und die Aversion gegen Sonnenlicht lassen die beiden schnell erkennen, dass sie zu Vampiren geworden sind; doch das Wie und Warum bleibt ihnen verborgen. Wie zwei Neugeborene müssen sie sich in einer plötzlich veränderten Welt zurechtfinden. Sie beschließen, Doros Wohnung zu verlassen und Thomas‘ Freundin Epi um Hilfe zu bitten. Die studiert nämlich Medizin und kann vielleicht herausfinden, was es mit der Veränderung auf sich hat.

Bernard Craw macht seine Vampire jedoch äußerst aggressiv. Kommen sie einmal in die Nähe von Menschen, können sie in der Regel nicht an sich halten. Es ist ihnen unmöglich, ihren Hunger zu kontrollieren, und so ergeben sie sich schließlich dem Blutrausch. Daher sind bald nicht nur Epi und deren Bruder Christoph vampirisiert, sondern auch immer größere Teile der Kölner Bevölkerung. Ähnlich sieht es in anderen Großstädten aus: Der Vampirismus greift seuchenartig um sich und droht, bald die gesamte Menschheit auszulöschen.

Die verbleibenden Menschen brauchen eine Weile, um eine Verteidigung aufzubauen, doch auch die Vampire sind nicht untätig. Bald bilden sich in ihren Reihen erste Machtzentren, die mit Strategie und Reißzähnen die Militärschläge der Menschen abzuwehren wissen und gleichzeitig eine neue Gesellschaftsordnung aufbauen wollen. Doch das entscheidende Problem ist: So rasend, wie sich die Seuche ausbreitet, wird die Menschheit in wenigen Monaten ausgerottet sein. Und wovon sollen sich die Vampire dann ernähren?

„Sanguis B.“ ist ein Roman, der viele Geschichten erzählt und trotzdem eine geradlinige Handlung bietet, die niemals überfrachtet wirkt. Bernard Craw nähert sich dem Thema Vampirismus zunächst von der medizinischen Seite. Ähnlich wie Richard Matheson in [„Ich bin Legende“, 4639 erklärt er den Vampirismus zu einer rasch um sich greifenden Seuche, der die Menschen nichts entgegenhalten können. Die Infizierten sind Opfer, die zwangsläufig selbst zu Tätern werden. Epi wird herausfinden, dass es sich bei der Vampirseuche um ein Bakterium handelt, und sie wird erkennen, warum manche Menschen angesteckt werden und manche sterben. Schlussendlich macht sie sich sogar an die Entwicklung eines künstlichen Blutersatzstoffes, um die Menschheit vor weiteren Morden zu bewahren und den Vampiren eine Überlebenschance zu geben. Doch auch sie muss vor so manchem Mysterium kapitulieren: Warum vertragen Vampire kein Sonnenlicht? Warum fallen sie tagsüber ins Koma?

Im Gegensatz zu Matheson entscheidet sich Craw allerdings dafür, aus der Innenansicht der Vampire zu erzählen, was den Plot ungemein reizvoll macht. Der Blutdurst zwingt die Vampire zu unmenschlichen Morden, und doch verlieren sie nur zum Teil (oder gar nicht) ihre menschlichen Skrupel und Moralvorstellungen. Was macht das mit einem Menschen, wenn er plötzlich schuldlos zu einem Mörder wird / werden muss? Wie schafft man es, nach einer solchen Katastrophe seine eigene und die umgebende Welt neu zu ordnen? Das sind Fragen, die Thomas und seine Freunde immer wieder beschäftigen. Eine grundlegende Antwort können sie jedoch nicht finden, und schließlich überrollen die Ereignisse jegliche Moraldiskussion und es geht für beide Seiten nur noch ums nackte Überleben. So kommt es dann auch, dass sich ein Vampir irgendwann die Frage stellt: Was würde Jesus machen, wenn er Vampir wäre? Die Frage bleibt unbeantwortet, setzt sich aber im Gedächtnis des Lesers fest. Im Kontext des Romans ist es die ultimative Frage, wie Schuld, Moral und persönliche Verantwortung im Angesicht so drastisch veränderter Lebensbedingungen zu verteilen sind, die immer wieder auf die ein oder andere Art auftaucht und an der die Charaktere jedes Mal aufs Neue scheitern.

Craw ist ein sehr wandelbarer Erzähler mit genauer Beobachtungsgabe und viel Wissen über sein Thema. Sein Köln ist greifbar und realistisch und seine Personage lebendig und vielschichtig. Jeder seiner Charaktere ist beispielhaft für ein Handlungsmodell angesichts der Katastrophe, und so hätte es leicht passieren können, dass die Protagonisten kaum mehr sind als Schablonen oder hölzerne Spielfiguren auf Craws Schachbrett. Glücklicherweise tappt der Autor nicht in diese Falle; stattdessen schafft er es, den Leser über vierhundert Seiten bei Laune zu halten. Soll er nun Mitleid mit den Infizierten haben? Sie haben sich ihr Schicksal nicht ausgesucht. Doch andererseits: Müsste es nicht eine andere Möglichkeit geben, als Kinder nachts aus ihren Betten zu reißen, um sie in einem Blutbad leerzutrinken? Craw gibt diese Frage an den Leser weiter und fordert ihn auf, eine gültige Antwort zu finden.

Für alle Fans des Genres wurden zahlreiche Anspielungen und Querverweise in die Handlung eingebaut. Craw bedient sich bei bekannten Vampirmythen und tradierten literarischen Vorstellungen. Nur ein Beispiel dafür ist die Vampirin Camilla (warum eigentlich nicht [Carmilla?), 993 die beschlossen hat, dass man als Vampir in blumiger Sprache Verantwortung für seine „höhere Geburt“ übernehmen muss. Ganz klar eine Anspielung auf all die romantischen Vampire, die im Kielwasser von Anne Rice den Buchmarkt überrollt haben.

Bernard Craw hat einen wirklich klugen Vampirroman geschrieben, ohne diese Tatsache auf jeder Seite plakativ zur Schau zu stellen. Ja, „Sanguis B.“ lädt durchaus zu weiterem Nachdenken ein und macht es sich zur Aufgabe, das Prinzip Vampirismus ständig auf die ein oder andere Art und Weise zu hinterfragen. Doch darüber vergisst Craw auch nicht, seinen Lesern eine Handlung zu bieten. Es geht zur Sache in dem Roman – Action, Folter, Flammenwerfer, zerrissene Körper und herumliegende Leichen gibt es in rauen Mengen. Craw ist sich nicht zu schade, auch jene Leser zu bedienen, die auf etwas härtere Kost stehen. Und so kann „Sanguis B.“ vieles auf einmal und alles davon gut. Beeindruckend!

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