M. John Harrison – Licht

„Licht“ ist einer dieser Romane, deren Bewertung wohl stark davon abhängt, wie groß das Ego des Lesers ist. Wer von seinem eigenen Intellekt ausreichend überzeugt ist, hat kaum ein Problem damit, fest davon auszugehen, dass Harrison schlicht und ergreifend nicht in der Lage war, eine sinnvolle Handlung zu konstruieren und vermutet somit hinter sprunghafter Konzeptlosigkeit keine avantgardistische Genialität.
Zu dieser Gruppe bekenne ich mich nach gründlicher Lektüre des Romans, die erst von Langeweile und schließlich von gelegentlichen Frustmomenten geprägt war. Harrison erzählt nicht, sondern spielt, und das in einer penetrant unfesselnden Art und Weise. Und als sich die Handlung endlich fängt (ungefähr ab der Hälfte des 450 Seiten starken Taschenbuches), hat man als Leser die Faxen bereits gründlich dicke.

Der Inhalt ist aus oben genannten Gründen gar nicht so leicht auf den Punkt zu bringen. Im Grunde handelt es sich um eine Zeitreisegeschichte, nur ohne Zeitreise. Das klingt kompliziert, ist es aber im Prinzip nicht: Die Geschichte wird auf drei Zeitebenen erzählt.
Eine behandelt das Schicksal des Forschers Michael Kearney, der vor einer bahnbrechenden Entdeckung steht, für die sogar ein Mord gerechtfertigt erscheint, und weist starke Züge eines Wissenschafts-Thrillers auf.
Die nächste Zeitebene spielt etliche Jahrhunderte in der Zukunft und ihre Protagonistin ist Seria Maú, die man am ehesten als freischaffende Raumschiffpilotin mit kriminellen Tendenzen bezeichnen könnte – hier ist der Roman eine waschechte Space-Opera.
Ein weiterer Strang spielt in einer nicht näher definierten Zukunft zwischen den ersten beiden Zeitebenen und behandelt die Probleme von Ed Chianise, einer ebenfalls recht ambivalenten Gestalt, allerdings in einem eher cyberpunkigen Ambiente.

Kurz, man gewinnt den Eindruck, dass hier die eierlegende Wollmilchsau der SF gemästet werden sollte, die jedoch an Überfütterung stirbt. Weiterhin kommt der Plot nicht in die Gänge, weil die Verbindung zwischen den Zeitebenen erst fast zum Schluss entsteht, während es vorher aber auch gar keine Hinweise gab. Trotzdem ist die Konklusion überraschenderweise gar nicht dumm, wirkt aber in etwa so, als würde man beim Lesen eines klassischen Krimis jemanden als Mörder präsentiert bekommen, der vorher gar nicht vorkam.

Auch stilistisch ist das Ganze keine Offenbarung, und irgendwie glaube ich nicht an eine mäßige Übersetzung. Nicht, dass der Stil schlecht wäre, das nun wirklich nicht … Er ist nur erschreckend durchschnittlich und in einer Weise routiniert, die den inhaltlichen Aufbau noch unpassender erscheinen lässt. Ein wenig mehr Experimentierfreude bei etwas weniger krampfhaft konstruierter Handlungskonsistenz hätte den Roman vielleicht auf ähnlich krude Weise interessant gemacht wie die SF-Spielereien, mit denen beispielsweise Iain Banks seine Leser des Öfteren überrascht.

Apropos Iain Banks: Dieser und Stephen Baxter werden auf dem Backcover der vorliegenden Ausgabe zitiert und sind – natürlich – des Lobes voll. So ganz beeindruckt jedoch auch die Meinung von Genregrößen in diesem Fall nicht, denn erstens ist es nicht üblich, Kollegen (öffentlich) zu dissen, und wenn man mit etwas nichts anfangen kann und etwas dazu sagen muss, ist es ratsamer, es in den höchsten Tönen zu loben. Wird es ein Klassiker, hat man es vorher gewusst. Wird es ein Flop, wird sich niemand an den Roman und die Kommentare dazu erinnern.

Nun, ich denke nicht, dass es „der erste SF-Klassiker des 21. Jahrhunderts“ (Baxter) ist, bzw. dass es erforderlich sein wird, sich als SF-Autor „daran messen zu lassen“ (Banks). Es sei denn natürlich, Genre-Klassiker entstünden neuerdings rezeptartig dadurch, dass man drei für sich eher mäßige Plots durch eine wenig originelle Verknüpfung zu einem Roman zusammenköchelt. Was Soljanka zum kulinarischen Klassiker gemacht hat, funktioniert nicht zwingend auch in der SF. Und selbst wenn, muss man Soljanka nicht unbedingt mögen.

Taschenbuch: 448 Seiten
www.heyne.de

Martin Hoyer
(Diese Rezension wurde mit freundlicher Genehmigung unseres Partnermagazins X-Zine www.x-zine.de veröffentlicht.)