Drake, Ernest / Steer, Dugald A. – Expedition in die geheime Welt der Drachen

_Heimelig: Ein Abend mit den Drachenforschern_

Der Buchhändler Roger Warwick bekommt Besuch von dem Studenten Howard Greenstreak, der auf der Suche nach einem verschollenen Buch über Drachen von Sir Ernest Drake ist. Warwick besitzt tatsächlich ein Exemplar, kann sich aber unmöglich davon trennen. Doch er kann Howard helfen: Er nimmt ihn zu Besuch zu Sir Ernest Drake höchstpersönlich mit! Und so erleben die beiden allerhand Abenteuer und lernen Erstaunliches über die sagenumwobenen Lebewesen.

|Der Hörverlag| empfiehlt dieses Hörspiel ab 10 Jahren.

_Der Autor_

Dr. Ernest Drake lebte angeblich in St. Leonard’s Forest, England, Er veröffentlichte nach seinen zahlreichen Expeditionen, die ihn u. a. 1882 nach Schottland und 1887 nach Ostafrika führten, ein Buch über Drachologie. Es trägt den Titel „Expedition in die geheime Welt der Drachen“. Es wurde 1896 in einer Auflage von nur 100 Stück gedruckt. Nachdem im 21. Jahrhundert ein Exemplar davon in einem Londoner Antiquariat wieder aufgetaucht ist, machte dankenswerterweise Dugald A. Steer, B. A., die Aufzeichnungen des Forschers einem breiten Publikum zugänglich.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Zu den Sprechern gehören Stefan Kaminski (Greenstreak, Abramelin), Robert Missler (Warwick), Christine Pappert (Elodie und Chin Chan Hsi). Ben Hecker leiht dem legendären Drachenforscher Dr. Ernest Drake seine Stimme und entführt den Hörer in die geheimnisvolle Welt der Drachologen.

Stefan Kaminski wurde 1974 in Dresden geboren. Sein Schauspielstudium absolvierte er an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ in Berlin. Seit 1996 ist er beim SFB/ORB als freier Schauspieler, Sprecher und Autor tätig. Am Deutschen Theater in Berlin spielte er zunächst als Gast, seit Januar 2003 gehört er fest zum Ensemble. Im |Hörverlag| ist er vor allem als Stimme von „Marvi Hämmer“ bekannt.

Hörspielbearbeiter, Regisseur und Macher ist Volker Präkelt, von dem auch die Rahmenhandlung stammt. Er produziert die mehrfach ausgezeichnete TV-Reihe „Marvi Hämmer präsentiert National Geographic World“. Zudem ist er Regisseur und Autor der Marvi -Hämmer-Reihe des |Hörverlags|.

Die Musik steuerten Volker Präkelt, Frank Tschöke und am Cello Antje Harders bei. Die Tonaufnahme erfolgte durch Martin Langer, der Tonmeister war Svenno Nakielski.

_Handlung_

Kalter Februarwind bläst durch den Londoner Stadtteil Notting Hill. Hier hat Roger Warwick sein Buchantiquariat: „Warwicks wundersamer Buchladen“. Ein junger Mann tritt ein, der etwas für sein Studium sucht. Er nennt sich Howard Greenstreak. Und er weiß genau, was er sucht: Ernest Drakes „Dr. Drakes Drachologie“. Der freundliche Buchhändler zeigt es ihm, sein einziges Exemplar. Ein Brief gehört dazu: Der Autor beschreibt den Auftrag von Drachologen. Er bestehe nicht im Töten, sondern im Erforschen und Beschützen der geheimnisvollen Kreaturen. Er als Drachenmeister wolle zudem sein Wissen gerne an einen Würdigen weitergeben.

Der junge Mann fühlt sich sofort angesprochen und will das Buch haben. Doch Warwick lehnt ab: Es sei unverkäuflich. Denn er sei Mitglied der Geheimgesellschaft der Drachologen. Da wird der Student regelrecht verzweifelt, denn er benötige das Buch, um eine Wette gegen einen Kommilitonen zu gewinnen und ebenso die Hand einer schönen jungen Dame – sie heißt Elisabeth. Er muss beweisen, dass er eine Elle Drachenhaut mitbringen kann, und zwar von einem Knucker: einem Höhlendrachen. Roger Warwick lässt sich erweichen. Der Student könne Drake am 16. Februar 1904 gerne in seinem Landhaus kennen lernen. Denn dann wird das chinesische Neujahr gefeiert. Und was beginnt am 16. Februar? Es ist bekanntlich das Jahr des Drachen!

Mit dem Zug fahren die beiden nach Wales, doch auf einer hohen Talbrücke heißt es plötzlich: „Aussteigen!“ Ein Erdrutsch blockiere die Strecke, sagt der Schaffner. Greenstreak erweist sich als nicht ganz schwindelfrei, doch Warwick führt ihn in Sicherheit. Fachmännisch erkennt er die Spuren der Tätigkeit eines Knuckers: Der Erdrutsch wurde von einem Drachen verursacht. Ein Werbeschild beweist: Es ist nicht mehr weit bis zu Dr. Drakes Landhaus.

Als sie ein seltsames Horn hören und einen gereimten Ruf, merken sie, dass es sich um einen Drachenmeister handeln muss: um Dr. Drake himself. Er lockt gerade Drachen an. Freundlich heißt er seine zwei Besucher willkommen und fährt sie mit seinem Automobil tuckernd nach Hause. Die Drachenforscherkollegen aus China und Kasachstan seien bereits eingetroffen.

Der kasachische Drachenbändiger Abramilin (nicht mit Borat verwandt oder verschwägert) ist mit seinem europäischen Flugdrachen Thorfax gelandet, welcher nun natürlichen Hunger verspüre. Mit Dr. Drakes Erlaubnis bekommt Thorfax sowohl Wildschweinbraten als auch Kopfsalat. Drachen stehen drauf. Von der Chinesin Chin-Chan Hsi ist hingegen wenig zu sehen. Der Grund ist einfach: Sie hat Hong-Weis Unsichtbarkeitszauber gewirkt, der nun etwa vier Stunden anhält. Als Einziges ist ihre hübsche Hand zu sehen. Sie verrät, wie Drachen in Wirklichkeit Feuer speien können und widerlegt damit die abenteuerlichsten Theorien.

Drake stellt zu guter Letzt Elodie, seine hübsche, aber recht schüchterne Nichte vor. Ihre Sprache sei die Musik, und prompt trägt sie ein schönes Drachenlied vor, zu dem ihr Onkel sie auf dem Cembalo begleitet. Nachdem Drake Greenstreak verraten hat, wie er an eine Stück Knucker-Haut kommen könnte, übt der Student fleißig die Zähmungsformel, die ein wahrer Zungenbrecher ist.

Am nächsten Morgen fährt Drake ihn und Warwick zur Schlucht, wo der Knucker namens Draco seine Höhle hat. Drake sagt, Greenstreak habe das Zeug zum Drachenmeister. Schön, aber wird er dieses Abenteuer überleben? Was, wenn der Drache Feuer speit? Der hypernervöse Student versucht sich krampfhaft auf seine Zähmungsformel zu besinnen, aber da kommt auch schon die schuppige Schnauze des Drachen aus der Höhle …

_Mein Eindruck_

Es ist, als würde man eine Zeitreise in die gute alte Zeit der Viktorianer unternehmen – oder zumindest einen Film aus dieser Zeit hören. Die Bilder muss man sich natürlich dazudenken. Aber das ist ja gerade der Reiz eines Hörspiels: Es weckt die eigene Vorstellungskraft, um das Gehörte mit Bildern zu verbinden. Wer die Enthüllungen über Drachen und Drachenforscher nachlesen möchte, schlage das schön gestaltete Booklet (siehe unten) auf.

Für Kinder ist es vielleicht nicht so wichtig, aber mich hat an der Geschichte der Mangel an Handlung gestört. Die einzige „Story“ besteht darin, dass ein Student ein Stück Drachenhaut besorgen will, um eine Wette zu gewinnen. Alles andere ist streng genommen Brimborium. Sicher, es ist für den wackeren Drachenforscher Greenstreak von Vorteil, wenn er dieses Wagestück auch überlebt und zu diesem Zweck auch Unterricht in Drachenangelegenheit erhält.

Aber wenn sich Howard auch noch in die hübsche Nichte von Ernest Drake verliebt hätte, wäre das der Geschichte sicher nicht schlecht bekommen. Und sicherlich hätte die junge Dame dann wesentlich mehr Anteilnahme am Schicksal des angehenden Drachologen gezeigt. Doch sollte Howard wirklich Drakes Nachfolger werden, so besteht noch Hoffnung für die beiden. Dieser Aspekt verlangt nach einer Fortsetzung der Geschichte.

So aber ist das Hörspiel vor allem eine Sammlung von Kuriositäten, von denen die bemerkenswerteste sicherlich das Ei eines asiatischen Lung ist, das im Drake-Haus ausgebrütet wird. Mit viel Humor werden einige strittige Fragen geklärt wie jene, warum Drachen gerne Kopfsalat fressen – und Wildschwein.

_Das Booklet_

Allein schon das Äußere des stabilen Booklets ist beeindruckend: In den dunkelroten Kartoneinband sind nicht nur metallisch wirkende Ecken eingelassen, sondern auch eine Art Siegel in der Mitte der Frontseite. Um das Siegel wickelt sich ein eingravierter Drache, dessen Gravurlinien rötlich schillern. Des Drachen Klaue greift nach einer Kugel, die mit einem verschlungenen Muster gefüllt ist, wie es die alten Kelten zu zeichnen pflegten.

In dieser Hülle findet der Leser bzw. Hörer in Ringheftung (!) zwölf Seiten, die ihn mit den wichtigsten Informationen versorgen. Dazu gehören die Kapitelüberschriften, Infos über den fiktiven Autor und die real existenten Mitarbeiter an diesem Projekt. Erst ab Seite sechs geht es mit den Drachen los: Was ist Drachologie? Darauf folgen die „goldenen Regeln der Drachologie“, darunter jene, die wirklich beherzigenswert ist ist: „Unfallvermeidung ist der erste Schritt zu einer erfolgreichen Karriere.“ Könnte eigentlich nicht nur für Drachologen gelten.

Noch einen Tick interessanter sind die zwei Seiten Drachenkunde, die folgen: Der Asiatische Lung gesellt sich hier zum Europäischen Drachen, der als einziger Vertreter über enorme Schwingen verfügt. In puncto Flügel kann der Knucker nicht mithalten: Sie würden in seinem Höhlendomizil alias „Knuckerlock“ nur stören.

Dass man Drachen beikommt, ist durch die Anwendung der niedergeschriebenen „Zaubersprüche und –formeln“ zu schaffen. „Dr. Dees Drachenruf“, „Abramelins Zähmungsformel“ und „Der Hong-Wie-Unsichtbarkeitsspruch“ dürften den gebildeten Drachologen mit jedem Lindwurm fertig werden lassen. Da in der Handlung mehrere Rätsel zu hören sind, kann man ihren Text auch im Booklet nachlesen.

Und wer sich nun fragt, wo denn nun die CD im Booklet versteckt sein soll, dem sei verraten, dass auf der Innenseite des vorderen Bookletumschlags eine Tasche eingeklebt ist, die sich wie ein Briefumschlag öffnen und schließen lässt. Darauf steht ein Text, der auf den Ursprung des Buches hinweist.

Alles in allem ist dieses ausgezeichnete Booklet ein dicker Pluspunkt dieses Hörspiels für Zehnjährige, die scharf auf Drachen sind.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Die Sprecher, die Geräusche und die Musik machen dem jungen Hörer die oben genannte Zeitreise wirklich leicht. Die Musik ist klassisch instrumentiert, mit Cello, Cembalo und Geigen. Die Geräusche könnten aus einem Film stammen und wirken durchgehend realistisch, von der Pfeife der Dampflok bis zum Horn des Drachenmeisters, vom Feuerwerk bis zum Rattern eines alten Automotors. Insgesamt ist die Atmosphäre bei Dr. Drake, als würde man Bilbo Beutlin in seiner Wohnhöhle besuchen. In der Tat ist die Stimmung recht tolkienesk und Hobbit-artig, komplett mit Trinksprüchen, Rätseln und Liedern. Das Auenland liegt bestimmt gleich um die Ecke.

Deshalb gibt es auch Szenen, die das Hörspiel zum Musical machen. Eines der Lieder wird von Drakes Nichte Elodie gesungen und handelt natürlich – na, von was wohl? – von Drachen. Weil das Lied nicht im Booklet abgedruckt ist, sollte man die Ohren spitzen, um die Worte zu verstehen. Am Schluss wird es wiederholt, um so einen schönen Ausklang zu bilden.

Wer sich die obige Liste der Rollen und Sprecher durchschaut, wird feststellen, dass zwei Sprecher je zwei Rollen gestalten. Christine Pappert spricht sowohl den Part von Elodie (der winzig ist) als auch den der Chinesin Chin Chan Hsi, deren Part wesentlich umfangreicher ist. Ben Hecker ist die Autoritätsperson Ernest Drake in Person, und an einer Stelle ist er sogar durch einen Filter verzerrt zu hören (als sein Telegramm von Warwick vorgelesen wird). Stefan Kaminski ist als Allroundtalent bekannt, und so verwundert es nicht, dass er zwei so gegensätzliche Figuren wie Howard Greenstreak und den Kasachen Abramelin darstellen kann.

Abramelin ist vom Gimli-Typ: tiefe grollende Stimme, mit gutturaler Ausdrucksweise, aber sehr leutselig und immer für leibliche Genüsse aufgeschlossen. Warwick, gesprochen von Robert Missler, steht ihm in dieser Beziehung in nichts nach, doch der Drache hat sich schon den Wildschweinbraten geschnappt, so dass er in die Röhre guckt. Die Nöte der Drachologen sind manchmal einfach, aber einschneidend.

Die Drachen sollen nicht vergessen werden. Thorfax und Draco, der Knucker, knurren und fauchen recht bedrohlich – nun ja, singende Drachen wären einfach lächerlich, nicht wahr?

_Unterm Strich_

Wer sich für eine gute Stunde mal ins Phantasiereich der Drachenforscher und ihres Forschungsgegenstands entführen lassen möchte, erhält mit diesem Hörspiel das ideale Zeitreisevehikel. Das Kino für die Ohren entführt in eine tolkieneske Welt, wo Bilbo Beutlin seine Besucher bewirten könnte. Es ist aber ein waschechter Drachenmeister, und deshalb nimmt die Versammlung der Drachologen zum chinesischen Neujahrsfest einen ganz anderen Verlauf als Bilbos berühmte Geburtstagsfeier.

Die Produktion ist stilecht und dürfte Kindern Spaß machen, aber ein Mangel an Handlung lässt sich Erwachsenen wohl schnell langweilig erscheinen. Das Booklet spricht ebenfalls mehr Kinder an, beeindruckt aber durch eine schöne Ausstattung. Kurzum: ein ideales Weihnachtsgeschenk – aber nicht mehr für 14-Jährige. Die brauchen anderes Futter für die Phantasie.

|Original erschienen 2003, bei Templar Publishing
Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Panzacchi
76 Minuten auf 1 CD|
http://www.hoerverlag.de

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