Mignon G. Eberhart – Während der Kranke schlief

Im einsamen Haus lauern verfeindete Verwandte auf den Tod des reichen Familienoberhaupts, bis die Anwesenden sich gegenseitig zu dezimieren beginnen. Eine Krankenschwester betätigt sich als Privatdetektivin und kommt des Rätsels Lösung dabei zu nahe … – Atmosphärisch dichter „Whodunit“ mit wirklich allen Elementen dieses Genres, deren Autorin nach vielen falschen Fährten und Rätselraten den Täter aus dem Kreis der sämtlich verdächtigen Figuren herausfiltert.

Das geschieht:

In seiner halb verfallenen Villa liegt der alte Jonas Federie nach einem Schlaganfall im Koma. Groß ist die Aufregung unter seinen Nachkommen, die sämtlich von seinem Vermögen leben. Wer wird es erben? Wo ist das Geld eigentlich? Federie misstraute seit jeher den Banken; es wird gemunkelt, er bewahre es in bar und im Haus auf.

Die Geier sammeln sich. Da sind Sohn Adolph und Schwiegertochter Isobel, Neffe Eustache und Enkeltochter March, der junge Deke Lonergan sowie der alte Elihu Dimuck, Freunde der Familie, sowie die ältliche Mittie Frisling, über deren Verbindung zu den Federies niemand Konkretes weiß. Im Hintergrund schleichen Grondal, der galgenvogelgesichtige Butler, und Kema, die durchtriebene Köchin, umher.

Neu in der Runde ist Sarah Keate, eine Krankenschwester, die den alten Jonas pflegen soll. Im dunklen, von Winterstürmen umtosten Federie-Herrensitz fühlt sie sich denkbar unbehaglich. Sichtbare und unsichtbare Bewohner streifen nachts durch die Flure. Musik erklingt in der Dunkelheit, Schritte sind dort zu hören, wo niemand sich aufhält. Alles fauler Zauber, redet Sarah sich ein. Doch eines finsteren Nachts stürzt Adolph Federie mit einer Kugel im Leib die Turmtreppe hinab. Zu seinen Füßen: ein kleiner Elefant aus Jade, der kurz darauf verschwindet.

Einer der Anwesenden muss der Mörder sein. Ermittler Lance O‘Leary, der im Auftrag der Polizei den Fall übernimmt, steht vor der schwierigen Situation, dass von den Anwesenden niemand ein Alibi vorweisen kann. Sarah Keate wird O‘Learys Auge und Ohr im Federie-Haus. Der Job ist freilich gefährlich. Die unerklärlichen Vorfälle nehmen an Zahl, Intensität und Gefährlichkeit zu. Nur knapp entgeht die neugierige Krankenschwester einem Mordanschlag. Ein anderer Hausbewohner hat nicht soviel Glück: Der Mörder bleibt aktiv, und noch immer weist keine Spur in seine – oder ihre – Richtung …

Mord ist ein dunkles Geschäft

Der erfahrene Krimifreund gleich welchen Geschlechts weiß nach der Lektüre dieses Handlungsabrisses umgehend, wohin der Hase läuft: „Whodunit“ oder „Wer hat‘s getan?“ – den reichen Erbonkel, den herrischen Großvater, die fiese Haustyrannin umgebracht? Der Kreis der Verdächtigen ist klein, der Schauplatz des bösen Geschehens überschaubar und vor allem hermetisch abgeschlossen. Von außen kann niemand hinein außer dem Detektiv, von innen niemand flüchten. Der Fall wird unerbittlich innerhalb der Kulisse gelöst. Die Fakten liegen offen und sind dem Leser zugänglich, alle Anwesenden verdächtig, faule Tricks wie Geheimgänge, exotische Gifte oder auf Mord trainierte Fledermäuse verpönt. (Letztere gab es übrigens wirklich: in „Bats Fly at Dusk“, dt. „Furien im Finstern“, 1942 von Erle Stanley Gardner geschrieben.)

Viel geschieht nicht zwischen den Morden. Meist wird geredet, ermittelt, abgestritten. Zahlreiche falsche Spuren führen durchs alte Federie-Anwesen. Letztlich muss die Verfasserin ein bisschen mogeln, um alle roten Fäden zum finalen Knoten zu schürzen. Diverse spannende Einfälle könnten sonst nachträglich nicht ‚erklärt‘ werden.

„Während der Kranke schlief“ gehört zu jener „Whodunit“-Spielart, die ihre Nähe zur „gotischen“ Phantastik nicht leugnen kann. Das Federie-Haus ist ein Spukschloss: riesig, verwinkelt, düster. Seit Jahrzehnten hat sich hier nur durch Verfall etwas verändert. Es gibt weder Elektrizität noch fließendes Wasser. Staub und Schatten, in denen allerlei Unerfreuliches nistet und lauert, drücken innen auf die Stimmung, während es draußen unaufhörlich stürmt, regnet und nebelt.

Die Stimmung macht‘s

Gruselspannend wirken auch Sarah Keates Suchexpeditionen durch das Haus. Im Schein einer flackernden Lampe – die stets im kritischen Moment den Geist aufgibt – durchstreift sie verlassene Zimmerfluchten und riesige Dachböden voller Schutt und Spinnen. Überall hängen staubige Vorhänge, hinter denen man sich vorzüglich verbergen kann, was die Anwesenden weidlich ausnutzen.

Denn letztlich stellen sich die Rätsel von Haus Federie als sehr diesseitig heraus. Vollprofi Mignon G. Eberhart mischt zwei Unterhaltungsgenres, die in den späten 1920er und 30er Jahren nicht nur in der Unterhaltungsliteratur außerordentlich beliebt waren. Zu den einschlägigen Kinoerfolgen dieser Jahre gehören „The Cat and the Canary, 1927, oder „The Old Dark House“, 1932; diese Filme spiegeln perfekt wider, was Eberhart in Worte fasste.

Aus heutiger Sicht mag das Ergebnis altmodisch erscheinen, aber es ist genau diese aus der Mode gekommene Form der Unterhaltung, die das Prädikat „nostalgisch“ trägt. Die Lektüre von „Während der Kranke schlief“ bereitet auch heute Vergnügen, aber es ist ein ‚anderes‘ Vergnügen als 1930: Was damals den Zeitgenossen selbstverständlich war, wirkt auf die Leser von Heute fremd oder befremdlich – und attraktiv! Die absolute Ferne der Federie-Rätsel von den Problemen der globalisierten Gegenwart erhöht den Spaß an einer Geschichte, die zum angenehm unbeschwerten Selbstzweck geworden ist.

Suchen, finden & in Gefahr geraten

Eine Krankenschwester als private Ermittlerin (angeblich) wider Willen ist eine kluge Wahl, denn Sarah Keate gehört damit einem Personenkreis an, für den die Anwesenheit in fremden Häusern alltäglich ist. Keate pflegt Menschen, die es sich leisten können. Sie steht deshalb über den normalen Hausdienern und kann sich auch unter den Reichen & Schönen bewegen. Auch wenn oder gerade weil sie von diesen manchmal nicht zur Kenntnis genommen wird, sieht und hört Sarah Keate alles. Zwar fällt sie hier und da in Ohnmacht, aber das ist ein Zugeständnis, das Mignon G. Eberhart dem zeitgenössischen Frauenbild schuldete. Sie muss und kann nicht aus ihrer Haut:. Eine Frau mit Köpfchen, die berufstätig und selbstbewusst ist, konnte den Lesern um 1930 nur vorsichtig nahe gebracht werden.

Deshalb ermittelt Sarah Keate auch nicht allein. Lance O‘Leary und damit ein Mann greift schon früh ins Geschehen ein und sagt ihr, was zu tun oder zu unterlassen ist. Allerdings verlangt O‘Leary zu keinem Zeitpunkt von Sarah, sie solle mit der Schnüffelei aufhören. Stattdessen setzt er sie sogar als Ermittlungshelferin ein und tut gut daran. O‘Leary hört zu, wenn Sarah Keate ihm Vorschläge macht oder Theorien entwickelt. Hier und da schimmert deutlich durch, dass er sie und ihren Rat schätzt.

Sogar persönliches Interesse meint man ihm anzumerken, aber Sarah Keate ist eine bodenständige Jungfer, die auf ihr Alter und ihre zu große Nase hinweist und Erfüllung in ihrer Tätigkeit als Schwester findet. Die heimliche Lust am Detektivspiel muss dennoch oder gerade deshalb stark ausgeprägt sein. Zwar betont Keate zum Schluss, sie habe aufgrund ihrer schrecklichen Erlebnisse im Federie-Haus keine ambulanten Schwesterndienste mehr übernommen. Tatsächlich hat sie in den folgenden Jahren noch manchen Mord mit aufgeklärt.

Die Geier warten schon

Die Federies und ihre Gäste bilden die übliche Menagerie höchst verdächtiger Typen. Dreck am Stecken haben sie alle, ihr schlechtes Gewissen steht ihnen in die Gesichter geschrieben. Genretypisch schält sich aus dem lumpigen Haufen eine schöne Frau in Not heraus, die es zu retten und zu verheiraten gilt. Eberhart ist diesem Klischee indes nicht so verfallen wie viele Schriftsteller-Kollegen und -Kolleginnen: March Federie ist beileibe keine sympathische Figur, sondern reiht sich auf ihre Weise in die üble Sippe ein. (Ein Verlobter wird ihr freilich doch zugeteilt.)

Überhaupt stellen die Frauen die interessanteren Handlungsträger dar. Zwar kommt es mehrfach zu Anfällen weiblicher Hysterie, die das schöne Geschlecht bekanntlich in der Krise überfällt, aber diese Ausfälle gründen sich eher auf tief empfundene Erbitterung und mühsam kontrollierten Groll, die sich so ein Ventil verschaffen, und gelten nicht als „Reset“-Funktion des leicht zu überlastenden weiblichen Hirns.

Die männlichen Figuren wirken demgegenüber klischeehafter: der Taugenichts als Sohn, der blasierte Enkel, der vertrocknete Geschäftsmann, der hohlköpfige Galan, der schleichfüßige Butler. In diesen Rollen gehören sie freilich zum typischen Inventar des „Whodunit“, sodass man geneigt ist ihre Eindimensionalität nicht nur zu verzeihen, sondern sie sogar erwartet. Sie runden diesen sichtlich alten aber nicht altersschwachen Kriminalroman würdig ab.

Der Film zum Buch

„While the Patient Slept“ wurde bereits 1935 verfilmt. In Hollywood entstand unter der Regie des Routiniers Jay Enright (1896-1965) und nach einem Drehbuch von Robert N. Lee (1890-1964) ein typisches B-Movie: knapp über eine Stunde lang, billig produziert und mit Schauspielern der zweiten Garde besetzt, gedacht als Vorfilm für die zeitgenössischen Kino-Doppelvorstellungen, aber durchaus professionell umgesetzt und auch heute noch unterhaltsam. Schwester Sarah Keate wurde von Aline MacMahon (1899-1991) gemimt, die in den 1930er und 40er Jahren ihre Filmnische als Darstellerin von Müttern und Matronen gefunden hatte. Den Lance O‘Leary gab Fließband-Schauspieler Guy Kibbee (1882-1956), der in den nur siebzehn Jahren seiner Kinolaufbahn in 113 Filmen spielte.

Autorin

Mignon Good wurde am 6. Juli 1899 in Lincoln, Nebraska, geboren. Zu schreiben begann sie während ihres Studiums an der Nebraska Wesleyan University. Ab 1923 arbeitete sie als freie Journalistin. Zunächst nicht auf ein Genre festgelegt, reichte sie nach einigen für die Schublade bzw. den Papierkorb verfassten Geschichten und Theaterstücken das Manuskript eines Kriminalromans ein. Sehr richtig ging Good von der Voraussetzung aus, dass sie in diesem beliebten Genre am besten Fuß fassen könnte, obwohl sie stets versicherte, ein Thriller sei mindestens ebenso schwer zu schreiben wie ‚richtige‘ Literatur (worin man ihr nur zustimmen kann).

„The Patient in Room 18“ (dt. „Der Patient in Zimmer 18“) wurde 1929 Mignon G. Eberharts – sie hatte 1923 Allan C. Eberhart geheiratet – Romandebüt. Dies war bereits der erste Band ihrer erfolgreichen Krimi-Serie um Sarah Keate, eine altjüngferliche, energische Krankenschwester, deren Beruf sie an Orte verschlägt, wo Verbrechen verübt werden, an deren Aufklärung sie an der Seite des Ermittlers Lance O‘Leary tatkräftig mitarbeitet. In 59 (!) Jahren schrieb Eberhart mit uhrwerkgleicher Regelmäßigkeit 59 in der Regel gut geplottete und gern gelesene Romane sowie unzählige Kurzgeschichten, von denen mehrere für Kino und Fernsehen adaptiert wurden.

1971 wurde Eberhard von den „Mystery Writers of America“ mit einem „Grand Master Award“, 1993 mit dem „Malice Domestic Award“ für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie stand den „Mystery Writers“ außerdem 1977 als Präsidentin vor. 1988 verabschiedete sich Mignon G. Eberhart mit „Three Days for Emeralds“ von ihrem Publikum. Am 8. Oktober 1996 ist sie im wahrlich gesegneten Alter von 97 Jahren gestorben.

Taschenbuch: 221 Seiten
Originaltitel: While the Patient Slept (New York : Doubleday, Doran & Co./Doubleday Crime Club 1930)
Übersetzung: Friedrich Freiherr von Bothmer
http://www.randomhouse.de/goldmann

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