Helene Tursten – Der im Dunkeln wacht (Irene Huss 09)


Psycho-Thriller: Paranoia in Göteborg

„Kriminalinspektorin Irene Huss im Fadenkreuz eines Psychopathen! Zwei erdrosselte Frauen, in Plastikfolien verpackt. Fundort: zwei Friedhöfe rund um Göteborg. Dem Team um Kriminalinspektorin Irene Huss ist schnell klar, dass es sich um einen Serientäter handeln muss. Beide Opfer waren alleinstehend, beide waren Mitte vierzig, bei beiden fand sich ein Foto mit einer verschlüsselten Botschaft an der Wohnungstür – mit einer Chrysantheme liebevoll verziert.

Was Irene Huss nicht weiß: der Mörder hat bereits ein neues Opfer im Visier, und zwar sie …

Ich beschütze euch vor dem Bösen. Bei mir seid ihr geborgen. Ich bin der, der im Dunkeln wacht.“ (Verlagsinfo)

Die Autorin

Helene Tursten wurde 1954 in Göteborg geboren. Eine rheumatische Erkrankung zwang Helene Tursten im Alter von 39 Jahren ihren Beruf als Zahnärztin aufzugeben. Seit 1993 schreibt Tursten Kriminalromane. Sie lebt in Sunne/Värmland; ihr Ehemann ist ein ehemaliger Polizist.

Tursten erschuf die Figur der Inspektorin Irene Huss, die in Göteborg ermittelt. Die Protagonistin ist um die 40, Mutter zweier pubertierender Mädchen und ist glücklich verheiratet mit Krister. Sie ermittelt beruflich in Mordfällen und versucht gleichzeitig ihr Familienleben optimal zu regeln.

Die Irene-Huss-Reihe

1998 Den krossade tanghästen (Der Novembermörder, dt. von Christel Hildebrandt, btb, München 2000; ISBN 3-442-72554-2)
1999 Nattrond (Der zweite Mord dt. von Holger Wolandt, btb Verlag, München 2001, ISBN 3-442-72624-7)
2000 Tatuerad torso (Die Tätowierung, dt. von Holger Wolandt, btb, München 2002; ISBN 3-442-75065-2)
2000 Glasdjävulen (Tod im Pfarrhaus, dt. von Holger Wolandt, Goldmann, München 2004, ISBN 3-442-73233-6)
2002 Guldkalven (Der erste Verdacht, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt, btb, München 2005, ISBN 3-442-75135-7)
2004 Kvinnan i Hissen (Die Frau im Fahrstuhl, dt. von Holger Wolandt, btb, München 2004, ISBN 3-442-73257-3)
2005 Eldsdansen (Feuertanz, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt, btb, München 2006, ISBN 3-442-75162-4)
2006 En man med litet ansikte (Die Tote im Keller, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt; btb, München 2007; ISBN 3-442-75200-0)
2009 Det lömska nätet (Das Brandhaus, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt; btb, München 2009; ISBN 3-442-75226-4)
2010 Den som vakar i mörkret (Der im Dunkeln wacht, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt; btb, München 2010; ISBN 978-3-442-75279-9)
2012 I sykdd skuggorna (Im Schutz der Schatten, dt. von Lotta Rüegger und Holger Wolandt; btb, München 2012; ISBN 978-3-442-75348-2)

Mittwintermord (eine Irene-Huss-Erzählung, dt. von Lotta Rüegger, in: Elche im Schnee. Die schönsten Wintergeschichten aus Schweden von Mankell bis Edwardson, Piper, München 2004; ISBN 3-492-24235-9)

Filme

Bisher wurden zehn der Irene-Huss-Krimis als Teile der Reihe Irene Huss, Kripo Göteborg verfilmt. Die schwedische Schauspielerin Angela Kovács, die auch aus den neuen Wallander-Verfilmungen der ARD-Reihe bekannt ist, spielt die Hauptrolle. Weitere Filme sollen folgen. In Schweden liefen die Filme bereits zwischen August 2007 und Februar 2008; in Deutschland vom 12. Juli bis 15. August 2009 sowie vom 8. April bis 25. Mai 2012 in der ARD.

2021 wurde die Serie mit Huss – Verbrechen am Fjord mit Karin Franz Körlof als Irenes Tochter und Polizeianwärterin Katarina Huss sowie Kajsa Ernst als Irene Huss fortgesetzt.

Über Irene Huss

Die Hauptakteurin der meisten Werke von Helene Tursten ist Irene Huss, die zwei Jahre vor Geburt ihrer Zwillinge Europameisterin im Jiu Jitsu geworden ist. Sie ist eine der seltenen Frauen mit dem schwarzen Gürtel des 3. Dan. Deswegen trainiert sie meist mit Männern, aber auch, weil zurzeit nicht viele Frauen diesen Sport betreiben. Zusammen mit ihrem Mann Krister, einem Koch im Glady’s Corner (einem der gefragtesten Restaurants Göteborgs, das auch schon mit einem Stern versehen wurde), ihren Töchtern und dem alten Hund Sammie wohnen sie in einem Reihenhaus.

Im weiteren chronologischen Verlauf der Bände werden die Töchter erwachsen und verlassen das Haus. Sammie ist inzwischen in die Ewigen Jagdgründe eingegangen, um dort weiße Pudeldamen zu jagen, an seine Stelle tritt in „Der im Dunkeln wacht“ der Dackel Egon. In diesem Band entschließen sich Irene und Krister, in eine Stadtwohnung zu ziehen.

Handlung

Zwei erdrosselte Frauen, in Plastikfolien verpackt. Fundort: zwei Friedhöfe rund um Göteborg. Dem Team um Kriminalinspektorin Irene Huss ist schnell klar, dass es sich um einen Serientäter handeln muss. Beide Opfer waren alleinstehend, beide waren Mitte vierzig, bei beiden fand sich ein Foto mit einer verschlüsselten Botschaft an der Wohnungstür – mit einer Chrysantheme liebevoll verziert. Das Foto zeigt die jeweilige Frau mit einem Begleitern, sei er männlich oder weiblich. Merkwürdig: Das zweite Opfer, Elisabeth Lindberg, eine gestresste Krankenschwester, war niemandem liiert. Den Code unter ihrem Polaroid-Foto kann keiner entziffern, eine Kombination aus Zahlen und einer Abkürzung.

Eine Warnung

Als Irene an diesem Abend nach Hause zurückkehrt, weiß sie, dass sich Krister verspäten wird: Er muss einen Kollegen vertreten. Dann könnte sie sich schon mal um die Post kümmern, denkt sie. Doch als sie in den Briefkasten greift, sie in etwas Feuchtes, Klebriges und – wie sie entsetzt sieht – Rotes: Blut! Sie schreit auf und spült das zeug schnellstmöglich ab. Als sie in den Briefkasten schaut, starrt ihr ein grünes Auge entgegen. Es ist eine tote Katze…

Der Stalker

Nach dieser deutlichen Warnung nimmt Irene die tote Katze mit aufs Präsidium. Ihre Kommissarin Efva Thylqvist ist alles andere als begeistert. Außerdem bekommt sie Druck von oben wegen der fehlenden Resultate. Selber schuld, denkt Irene, warum hat die Kommissarin bloß zwei Leute – nämlich sie und Hannu – auf eine Mordserie angesetzt? Und der Macho-Kollege Jonny macht die junge Kollegin Sara zur Schnecke, weil sie nicht nur einen, sondern gleich zwei brillante Einfälle auf einmal hat: Erstens muss der Mörder ein Stalker sein. Er hat die weiblichen Opfer observiert, fotografiert, abgepasst, ermordet und abtransportiert, anschließend in Plastik verpackt und nachts auf einem Friedhof abgelegt. Das erfordert eine Menge Planung. Aber ein Stalker ist bislang niemanden aufgefallen.

Der Code

Als wäre das nicht schon genug Genialität auf einmal, schiebt Sara noch eine Idee hinterher: Der Zahlencode auf Elisabeth Lindbergs Foto beschreibt eine Bibelstelle. Statt „Mas“ muss es allerdings „Mos“ heißen, für ein bestimmtes der fünf Bücher Mose. In dieser Bibelstelle bezeichnet sich Gott als eifernder (oder eifersüchtiger) Gott, der die Sünden der Väter und Mütter bis ins dritte und vierte Glied der Nachkommenschaft bestrafen werde. Die Kommissarin ist angewidert. Glücklicherweise Irene nicht, und zusammen mit ihren Anhängern prüft sie diese Spur: Keine verdächtigen Eltern, Gottseidank!

Die Umarmung

Eine Zeugin meldet sich. Tove Josefsson ist freie Journalistin und erst kürzlich aus London zurückgekehrt. Sie ist offensichtlich Pazifistin und Indienfahrerin. Der Mord schockt sie tief. Ihre Nachbarin Lindberg kennt sie nur vom Sehen auf der Treppe, aber sie habe ihr Auto auf dem nahen Supermarkt gesehen. Im strömenden Regen waren die Konturen schwer einzuschätzen, aber es sah so aus, als wäre Elisabeth von einem Mann von hinten umarmt worden. Dieser trug eine Baseballkappe und Arbeitskleidung mit Leuchtstreifen. Elisabeths Wagen ist bereits mit ihren Einkäufen auf dem Parkplatz des Supermarkts gefunden worden und wird auf Spuren untersucht. Das Überwachungsvideo aus dem Supermarkt zeigt Elisabeth abends zwischen 19:00 und 20:00 Uhr, aber keinen Stalker.

Das erste Opfer

Sara wirft Irene eine Akt auf den Schreibtisch: „Es gab im März ein erstes Opfer unseres Mörders. Sie hat überlebt.“ Irene ist elektrisiert, zusammen mit Sara fährt zu dieser Maria Carlsson, um sie zu befragen. Maria überlebte den Überfall, bei dem sie erdrosselt werden sollte, nur deshalb, weil ein Nachbar den Angreifer störte und ihn vertrieb. Sie hat eine deutliche Narbe am Hals davongetragen. Sie hat weder Foto noch Blume erhalten, aber im Laufe des Gesprächs erwähnt sie einen Mann, der in ihrem kleinen Garten gestanden habe, um und sie und ihre Geliebte zu beobachten. Womöglich machte er sogar Fotos von ihnen beiden beim Liebesspiel. Den Namen ihrer noch verheirateten Freundin gibt Maria nicht preis.

Die Schlinge

Krister ist im Restaurant die Brieftasche mit der Kreditkarte und diversen Adressen aus dem Spind gestohlen worden. Er ist wütend und frustriert, besonders als ein Lieferservice für die geraubten 9000 Kredit-Kronen ein Riesenpaket mit Sexspielzeug abliefert. Darüber können Krister und Irene noch lachen, doch der Spaß hört auf, als Tochter Jenny aus Amsterdam anruft und sich über die Sperrung ihres Mobiltelefons beschwert. Die Nummer hatte der Täter offenbar aus der gestohlenen Brieftasche. Irene warnt sofort ihre zweite Tochter Katarina. Dort ist alles in Butter. Doch am nächsten Tag versagen an Katarinas Fahrrad beide Bremsen…

Daniel Börjesson, ein gelegentlicher Friedhofsgärtner, entspricht genau der Beschreibung des gesuchten Täters. Er stinkt fast wie beschrieben, seine Wohnung ist ein Saustall, und er benutzt übermäßig viel Spülmittel der Marke „Yes“. Aber all diese Indizien reichen nicht aus, ihn in U-Haft zu nehmen. Und Börjesson hat ein Alibi für die zeit des Anschlags, der auf Irene und Krister wird: Ein Pflanzenkübel wird durch ihr Küchenfenster geworfen. Die Glassplitter verletzen Irene und besonders Krister. Nachdem eine Drohbotschaft weitere Taten angekündigt hat, müssen sie in ein Hotel ziehen. Die Schlinge zieht sich immer weiter zu, und die sensible Irene erleidet eine Panikattacke nach der anderen…

Mein Eindruck

Dieser neunte Fall mit Kommissarin Irene Huss war eine durchgehende Enttäuschung. Die Handlung unterscheidet sich beispielsweise ganz erheblich von der Action in „Die Tote im Keller“, wo Irene Huss die blauen Bohnen um die Nase pfeifen. Vielmehr wird hier eine Stimmung der Paranoia aufgebaut, hervorgerufen durch eine Art Belagerung: Der „Paketmörder“ fotografiert seine weiblichen Opfer zunächst, bevor er sie erdrosselt, verpackt und auf dem Friedhof ablegt. Diese Belagerung und der Steinwurf durchs Fenster veranlassen das Ehepaar Huss zu einem Ortswechsel. In der neuen Wohnung sind sie erst mal mit Renovieren beschäftigt.

Der offensichtliche Verdächtige Börjesson bekommt jedoch Konkurrenz von einer Stalkerin. Angelika stammt aus Irenes Vergangenheit und könnte sich nun auf einen Rachefeldzug verlegt haben. Auch Kommissarin Evfa Thylkvist wird tätlich angegriffen. Ist dies nur eine falsche Fährte, die die Autorin gelegt hat, fragt sich der Krimikenner. Es gibt weitere potentielle Opfer, und bei einem der Souvenirs, die zur Ankündigung gehören, findet Irene ein sehr pikantes Foto: Es zeigt den Polizeipräsidenten Schließlich stößt Irene bei der erneuten Befragung der Nachbarn von Börjesson auf eine Spur: „Garage? Welche Garage?“ denn was den Cops bislang gefehlt hat, war das Fahrzeug des Täters, das er ja brauchte, um die Leichen zum Friedhof zu fahren. Die Garage ist der Schlüssel zum Rätsel.

Doch nun weiß Irene zuviel. Sie gerät ins Visier des Täters und weiß es. Ein Showdown findet im 300 km entfernten Värmland statt, wo ihr zunächst fast ein wandernder Elch zum Verhängnis wird. Die schwedische Wildnis ist eben nicht zu unterschätzen. Ebenso wenig wie die Sümpfe, die es hier allenthalben gibt und die schon einem deutschen Touristenpärchen zum Verhängnis geworden sind: Es verschwand in den grundlosen Tiefen des Sumpfes. Nun wartet der Sumpf auf einen weiteren Besucher…

Die Übersetzung

S. 27: „mitei[n]ander”: Das N fehlt.

S. 231: „Er war sieben Jahr[e] älter als Signe gewesen.“ Das E fehlt.

S. 232: “Ich habe nie mit jemanden (!) über meinen Verdacht gesprochen.“ Statt „jemanden“ muss es „jemandem“ heißen, denn „mit“ verlangt den Dativ.

S. 276: “Die Polizei hatte kein[e] Spur…“: Das E fehlt.

Unterm Strich

Ich habe mehr als eine Woche für diesen relativ langweiligen und spannungsarmen Roman benötigt. Zwar werden hier mehrere Kriminalfälle geschildert, in denen auch Angriffe stattfinden, doch fast ebenso viel Raum nimmt das Privatleben der Ermittlerin ein. Dass eine Stalkerin hinter ihr her sein soll, deren Weblog ausführlich zitiert wird, wirkt auf den Leser wenig glaubwürdig, sondern eher wie eine Ablenkung. Auf jeden Fall empfiehlt es sich, bei der Lektüre eine Menge Empathie einzubringen, um die Tiefe dieser Bedrohungen nachzuempfinden und für plausibel zu halten. Das fiel mir schwer. Hierfür hätte die Autorin mit ihrer Geschichte mehr tun müssen, finde ich. Schließlich wird sie ja letzten Endes von den Käufern ihrer Bücher dafür bezahlt.

Doch viele Ablenkungen wirken sich negativ auf die Aufklärung des ersten Verdachts aus: Könnte nicht doch der unheimlich stille Börjesson der Täter sein, auch wenn ihm rein gar nichts nachzuweisen ist? Erst eine weitere Befragung und Kommissar Zufall führen Irene auf die richtige Spur. Mehr darf hier nicht verraten werden. Dem Leser ist nur zu empfehlen, bis zum Schluss durchzuhalten, denn der Showdown lohnt sich.

Irene Huss begeht selbst mehrere Verbrechen. Das ist wohl etwas ungewohnt an einer Kommissarin, selbst wenn sich auch ihr Zunftkollege Harry Bosch einige dicke Dinger geleistet hat. Sie lässt erst kompromittieren Fotos verschwinden, am Schluss unterlässt sie zudem benötigte Hilfeleistung macht sich strafbar. Aber da niemand zugegen ist, kann ihr das egal sein. Nur das unsichtbare Publikum muss ein moralisches Urteil über sie fällen.

Offene Frage

Ist das im Sumpf ertrunkene deutsche Urlauberpärchen ein Klischee oder eine Reverenz an die große deutschsprachige Leserschaft, fragte ich mich. Hoffentlich das letztere.

Taschenbuch: 319 Seiten.
O-Titel: Den som vakar i mörkret, 2010.
Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt.
ISBN 9783442752799

https://www.penguin.de/Verlag/btb/2000.rhd

Der Autor vergibt: (3.5/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)