Mignon G. Eberhart – Der dunkle Garten

Im alten Haus stirbt eine ungeliebte Zeitgenossin, bevor sie einem dreisten Erbschleicher die Maske vom Gesicht reißen konnte. Eine verdächtige Frau erkennt fast zu spät, dass sie als Bauernopfer für ein geschickt eingefädeltes Komplott dienen soll … – Mit altmodischen Grusel-Effekten versehener, klassischer „Whodunit“-Krimi, in dem nicht der Ermittler, sondern die Hauptverdächtige die Hauptrolle spielt. Das übliche Katz-und-Maus-Spiel wird zum spannenden Wettlauf mit dem Mörder, bis in letzter Sekunde die Gerechtigkeit obsiegt: nostalgisches Lesevergnügen der gediegenen Art.

Das geschieht:

In ihrem alten, abseits gelegenen und düsteren Haus am Michigan-See lebt Mina Petrie. Auf den Tod krank soll sie sein, mehr oder weniger unauffällig halten sich die hoffnungsvollen Erben in ihrer Nähe auf. Charlotte Weimann, Minas boshafte Kusine und Sekretärin, quält voller Freude diese Schmarotzer, wie sie die Dauergäste des Hauses nennt: Fanny Siskinson, eine weitere Kusine, und ihr nichtsnutziger Trunkenbold von Ehemann Clarence; Steven Petrie, Minas Neffe, ein erfolgloser Maler, der von seiner Tante ausgehalten wird; Paul Duchane, Sohn einer alten Liebe Minas, angeblich ein erfolgreicher Geschäftsmann; Katie Warren, Tochter einer guten Freundin Minas und kürzlich als Anlageberaterin bankrott gegangen. Ebenfalls fast täglich im Haus: Chris Lorell, der Mina als Anwalt zur Seite steht und über dessen finanzielle Situation Unklarheit besteht.

Als Katie eines winterlichen Abends mit dem Auto heimkehrt, gerät ihr an einer unübersichtlichen Stelle des riesigen Gartens die unglückliche Charlotte unter die Räder; sie ist sofort tot. Katie macht sich große Vorwürfe, was sich in Bestürzung verwandelt, als sie erkennt, dass ihr die anderen Hausbewohner böse Absicht unterstellen. Charlotte war hauptverantwortlich für Katies geschäftlichen Ruin, und die beiden Frauen verabscheuten einander sehr. Zu Katies Pech hält auch der in diesem Fall ermittelnde Detective Crafft sie für verdächtig. Charlotte hat am Abend ihres Todes einen Brief geschrieben, der später verschwand, ohne dass sein Inhalt bekannt wurde. Hat Charlotte Katie konkret als Betrügerin und Erbschleicherin entlarvt? Musste sie deshalb sterben? Denn ihr Tod, das stellt Crafft klar, war kein Unfall, sondern Mord!

Um Katie zieht sich die Schlinge zu, es sieht schlecht aus für die junge Frau, die nur dunkel ahnt, dass sie das Opferlamm in einem Spiel werden soll, bei dem der wahre Mörder aus dem Hintergrund geschickt die Fäden zieht …

Wird hier getückt oder spukt es hier?

Ein altes, dunkles, einsames Haus, bewohnt von einer überschaubaren Gruppe verdächtiger Gestalten, ein Mord geschieht: Kein Zweifel, wir lesen einen „Whodunit“-Thriller der klassischen Art. Auch die Zeit stimmt: „Der dunkle Garten“ entstand 1933, als dieses Genre in seiner Blüte stand. Alle Elemente sind in jener unschuldigen Aufdringlichkeit vertreten, für die diese Rätselkrimis noch heute überaus beliebt sind. Angenehm realitätsfern liegt der Fokus auf dem ‚Fall‘, während die lästige Wirklichkeit endlich einmal Pause hat.

Die Ereignisse im Petrie-Haus könnten sich ebenso gut oder sogar noch besser Anno 1833 ereignen, denn schon in der Gegenwart des Jahres 1933 musste dieser Schauplatz reichlich altmodisch wirken. Mehrfach findet Erwähnung, wie verhasst der Hausherrin die Gegenwart ist. Mina Petrie ist eine Gestalt des 19. Jahrhunderts, als reiche und ehrbare Leute in Häusern außerhalb der schmutzigen Städte residierten und in Kutschen reisten. Es gibt Strom und fließendes Wasser im Petrie-Haus, und die Kutsche wurde vom Automobil ersetzt, aber sonst ist alles beim Alten geblieben.

In einem solchen Haus muss es quasi spuken. Immer wieder gehen unheimliche Gestalten in notorisch lichtlosen und verwinkelten Räumen um, während der Wind die Vorhänge bläht: Der „Whodunit“ hat Berührungspunkte mit der Phantastik, obwohl sich die scheinbar übernatürlichen Aktivitäten im großen Finale als handfeste Schurkereien entpuppen. Bis es soweit ist, darf um der Spannung willen ordentlich im Dunkeln gemunkelt werden.

Alle sind (sehr) verdächtig!

Einer von ihnen muss es gewesen sein, der die verhasste Charlotte zum Schweigen brachte: Dies ist eine zementierte Prämisse des „Whodunit“, denn das „fair play“ gehört zum Genre. Der Leser kann und soll mitraten, was ihm (und ihr) natürlich möglichst schwer oder gar unmöglich gemacht wird. Die wenigen präzisen Hinweise auf den Übeltäter liegen unter einer Flut missverständlicher Verdachtsmomente sorgfältig begraben.

Und verdächtig sind sie alle, die sich im Hause Petrie aufhalten. Nicht einmal die Hausherrin selbst ist ausgeschlossen – eine erste Abweichung vom üblichen Muster, denn eigentlich hätte Mina Petrie das Mordopfer werden müssen: Sie ist die alte, kranke und vor allem reiche Frau, die es lohnt auf den Friedhof zu bringen. Doch es erwischt Charlotte Weimann, die wohl etwas wusste, was ein bestimmter Erbe nicht öffentlich gemacht wissen wollte, während sich Mina im Verlauf der Handlung als erstaunlich lebendig und gar nicht schwächlich (oder liebenswert) entpuppt.

Die Aufmerksamkeit konzentriert sich stattdessen auf die unglückliche Katie Warren, die Gründe hätte, Charlotte zu hassen und womöglich umzubringen, als diese sie auch noch als potenzielle Erbin schlecht machte. Katie spielt die typische Opferrolle in dieser Geschichte: Sie könnte es gewesen sein, denn Motiv und Gelegenheit lassen sich ihr unterstellen. Aus der Sicht des Lesers ist sie genau deshalb unschuldig, bloß: Können wir unserem Urteil oder gar der Verfasserin vertrauen? Will sie etwa genau diesen Eindruck erwecken? Wir wissen es nicht, und das macht den Reiz dieses Krimis aus.

Kein Freund & Helfer

Im klassischen „Whodunit“ bildet in der Regel der Ermittler die Hauptperson, hat er (oder sie, denn das Genre war nie frauenfeindlich) erst einmal die Szene betreten. Dem genialen Polizisten oder Detektiv bleibt es überlassen, Licht ins Dunkel zu bringen, was bekanntlich in der großen Finalszene gipfelt, wenn alle Verdächtigen zusammensitzen, der Ermittler rekonstruiert, was geschehen ist, und schließlich aus der Schar diejenige Person als Schurken herauspickt, auf die wir garantiert nicht als Täter/in getippt hätten.

Aber Detective Crafft ist in dieser Hinsicht eine Überraschung. Er wirkt unsympathisch, scheint voreingenommen und vernagelt, fixiert auf die arme Katie als Mörderin, für die es dadurch – ein Kunstgriff der Verfasserin – noch übler aussieht: „Der dunkle Garten“ bedient auch die (weiblichen) Fans der „Frau-in-Gefahr“-Fraktion, für die heute die berüchtigten „Lady-Thriller“ (ein Fach der „chick-lit“-Schublade) fabriziert werden, in denen der Suche der Heldin nach Mr. Right mindestens so viel Raum wie dem kriminellen oder kriminalistischen Geschehen eingeräumt wird. „Der dunkle Garten“ bleibt in dieser Beziehung erfreulich zurückhaltend.

Das perfekte Verbrechen macht sich selbstständig

Besagter Crafft tut übrigens nichts als seine Pflicht; er hat keine Geistesblitze, sondern sichtet Indizien und prüft Alibis; eine mühsame Tätigkeit, die für weiteren Druck auf die Verdächtigen sorgt, die sich natürlich fragen, ob der Schwarze Peter letztlich an sie geht, sollte Crafft den wahren Mörder nicht erwischen. Eberhart schildert erstaunlich komplex ein Komplott, das dem Täter unter den Händen zerfällt: Ein zunächst perfekt scheinendes Verbrechen weist so viele lose Enden auf, dass der Versuch, diese zu kappen, den Mörder schließlich ins offene Licht zwingt, wo der erfahrene Crafft auf ihn gewartet hat. Die Auflösung ist ebenso logisch wie krude und erfüllt damit eine weitere Bedingung für einen erfolgreichen Rätselkrimi.

So lässt sich dieser Roman trotz seines Alters und seiner Anachronismen auch im 21. Jahrhundert gut lesen. Das Altmodische hat sich ins Nostalgische verwandelt. Außerdem wurde die Übersetzung von „Der dunkle Garten“ einem Könner anvertraut, der sein Handwerk verstand und einen Tonfall fand, der die Zeitlosigkeit dieses Krimis heute noch unterstreicht.

Autorin

Mignon Good wurde am 6. Juli 1899 in Lincoln, Nebraska, geboren. Zu schreiben begann sie während ihres Studiums an der Nebraska Wesleyan University (1917-1920). Ab 1923 arbeitete sie als freie Journalistin. Zunächst nicht auf ein Genre festgelegt, versuchte sie es nach einigen für die Schublade bzw. den Papierkorb verfassten Geschichten und Theaterstücken mit einem Kriminalroman.

„The Patient in Room 18“ (dt. „Der Patient in Zimmer 18“) wurde 1929 Mignon G. Eberharts – sie hatte 1923 Allan C. Eberhart geheiratet – Romandebüt. Dies war bereits der erste Band ihrer erfolgreichen Krimis um Sarah Keate, eine altjüngferliche, energische Krankenschwester, deren Beruf sie regelmäßig dorthin verschlägt, wo ein Verbrechen verübt wird, das sie an der Seite des Ermittlers Lance O‘Leary aufklärt. In 59 (!) Jahren schrieb Eberhart mit uhrwerkgleicher Regelmäßigkeit 59 in der Regel gut geplottete und gern gelesene Romane sowie unzählige Kurzgeschichten, von denen mehrere für Kino und Fernsehen adaptiert wurden.

1971 wurde Eberhard von den „Mystery Writers of America“ mit einem „Grand Master Award“, 1993 mit dem „Malice Domestic Award“ für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Sie stand den „Mystery Writers“ außerdem 1977 als Präsidentin vor. 1988 verabschiedete sich Mignon G. Eberhart mit „Three Days for Emeralds“ von ihrem Publikum. Am 8. Oktober 1996 ist sie im wahrlich gesegneten Alter von 97 Jahren gestorben.

Taschenbuch: 223 Seiten
Originaltitel: The Dark Garden (New York : Doubleday Crime Club 1933) bzw. Death in the Fog (London : Falcon 1934)
Übersetzung: Georg Goyert
http://www.randomhouse.de/goldmann

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