George Alec Effinger – Zeitknick

Ironische Abenteuer in der Zeitschleife

Mittag, 17. Februar 1996.
Starttermin für den ersten Zeitreisenden der Welt: Frank Mihalik. Er soll ins Jahr 1939 zurückgeschickt werden, um dort die Weltaustellung in New York zu besuchen.
Der Versuch gelingt, aber irgend etwas geht doch schief bei diesem Experiment. Was ein Tagesausflug hätte werden sollen, wird zum Horrortrip.
Er gelangt nicht wieder in die Zukunft zurück, sondern immer wieder kommt er zum selben Zeitpunkt, in derselben Sekunde, am selben Ort im Jahre 1939 heraus: Auf der Weltausstellung.
Kann er aus sich aus eigener Kraft aus dieser Zeitschleife befreien, in die er geraten ist? Oder muß er er in alle Ewigkeit die Weltausstellung des Jahres 1939 besuchen.
Ein kosmischer Slapstick durch Raum und Zeit, voll Witz, Humor und satirischen Seitenhieben. (Verlagsinfo)

Der Autor

Seit Effinger 1972 mit „What Entropy Means to Me“ seinen ersten Science-Fiction-Roman vorstellte, ist er immer wieder aufgrund seines ironischen Witzes, seines Sinns für die Absurdität des Universums, des Blicks für Details und wegen seiner Stilparodien mit Autoren wie Borges, John Barth und Thomas Pynchon verglichen worden. „Die Wölfe der Erinnerung“ (1981) dürfte die genannten Qualitäten aufweisen, seinen Autor aber noch nicht auf das Niveau jener Autoren heben. An das Cyberpunk-Genre hängte er sich mit seiner Marîd-Trilogie an.

Der Autor George Alec Effinger wurde lange unterschätzt, und erst mit der Marid-Audran-Trilogie bekam er den verdienten Ruhm. Sie besteht aus den Büchern „When gravity fails“ (1987), „A fire in the sun“ (1989) und „The exile kiss“ (1991). Sie sind alle auf Deutsch bei Heyne erschienen.

Mit „Zeitknick“ (The Nick of Time, 1985) und dem Folgeband „The Bird of Time“ (1986) zeigte er, dass der Science-Fiction-eigene Topos der Zeitreise ein Theaterstück ist, ein Schau-Spiel.

Handlung

Frank Mihalik, ein Otto Normalbürger, nimmt in heldenhafter und heftig publizierter Manier an einem Zeitreiseexperiment teil. Er landet an einem Tag im Sommer des Jahres 1939 in New York, mitten in der gerade stattfindenden Weltausstellung. Sie ist die Verkörperung des neu gewonnenen Optimismus‘ Amerikas, das gerade die Great Depression überwunden glaubt. Noch ahnt Amerika nichts vom bevorstehenden Zweiten Weltkrieg. Alles ist eitel Sonnenschein. Doch der Zeitreisende freut sich zu früh auf Aktiengewinne: Am nächsten Morgen ist er immer noch am gleichen Tag in der Zeit gefangen. Er versucht, nicht zu verzweifeln.

Leider hat der Zeitreisende kein Geld dabei, also verdient er sich sein Essensgeld mit dem Weissagen von Taten und Worten derjenigen Leute, die er tags zuvor traf. Sie hingegen haben natürlich keine Erinnerung an einen gleichen vorhergehenden Tag und sind stets verblüfft und bereit zu zahlen. Der Zeitreisende verzweifelt erst, als sich die Zeitschleife endlos zu wiederholen scheint – die Attraktionen der Weltausstellung erscheinen ihm nun fade und verlogen. Erst als seine geliebte Freundin in seiner Zeit auftaucht, ergibt sich Dynamik und Hoffnung. Sie kehren in ihre Ursprungszeit zurück.

Fast. Denn es fallen ihnen etliche Details auf, die nicht mit dem Original übereinstimmen. So wird zum Beispiel die Welt inzwischen von der Agentur regiert, jener Agentur, die den Zeitreisenden losgeschickt hatte. Und die Regierung ist die des Großen Bruders von Orwells Gnaden…

Die beiden können fliehen, doch landen sie immer wieder in ähnlichen Varianten des Originals – die Selbstreferenz ist hier bis zum Absurden getrieben. Selbst ein Lieblingskonstrukt der Quantenphysiker taucht nun auf: Hilberts Hotel – es verkörpert das Prinzip der „Reise nach Jerusalem“ auf Objekt- und Partikelebene, nachzulesen auch in Rudy Ruckers Roman „Weißes Licht“. In dieser Art von Hotel wird es schnell ganz schön eng…

Mein Eindruck

Keine Sorge: Es gibt ein Happy-End. Doch leider wurde die Fortsetzung „The Bird of Time“ nicht einer deutschen Übersetzung für würdig oder lukrativ genug befunden. „Zeitknick“ ist ein „selbstreferentieller Tanz aus Motiv und Charakter“, wie die „Encyclopedia of Science Fiction“ (1992) schreibt. Das hört sich sehr nach postmoderner Dekonstruktion an und ist es auch. Entgegen aller Erwartung ist der Roman zwar unterhaltsam, aber leider nicht allzu lustig. „Replay“ (dt. „Das zweite Spiel“) von Grimwood ist wesentlich unterhaltsamer und anrührender geschrieben, denn dieser Roman umfasst auch eine bewegende Liebesgeschichte.

Hinweise

Zum Originaltitel: „The nick of time“ bedeutet eigentlich „in letzter Sekunde“. Doch mit „Old Nick“ wird auch gerne neckisch der Teufel bezeichnet. Diese Doppelbedeutung geht in der Übersetzung leider verloren.

Von Effinger, einem der intelligentesten SF-Autoren, stammt auch der Roman „Die Wölfe der Erinnerung“ (1981; Heyne Nr. 06/4329), dem man einen Blick gönnen sollte: eine surreale Odyssee durch die eigenen Erinnerungen, in denen der Held immer tiefer versinkt – mit tragischem Ausgang.

Hardcover: 287 Seiten
Originaltitel: The Nick of Time, 1985
Aus dem Englischen von Isabella Bruckmaier
ISBN-13: 9783453043053

www.heyne.de

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