Belitz, Bettina – Splitterherz

Ellies Laune ist absolut unterirdisch. Sie ist gerade von ihren Eltern gegen ihren Willen von Köln in die totale Prärie verpflanzt worden, ein Kuhdorf, in dem absolut nichts los ist und wo die Nachbarschaft fast ausschließlich aus Rentnern besteht. Nicht mal ihr Handy hat Empfang!

Gleich an ihrem ersten Wochenende in der neuen Umgebung muss sie sich von einem unbekannten Reiter aus einem Gewittersturm retten lassen. Allerdings ist der Kerl für einen ritterlichen Helden ganz schön ruppig. Die zweite Begegnung verläuft auch nicht gerade viel versprechend. Und doch fühlt Ellie sich von dem unnahbaren Typen angezogen. Als ihr Vater jedoch heraus findet, mit wem seine Tochter da im Begriff ist anzubandeln, schmeißt er ihn raus und verbietet Ellie jeden Kontakt, jedoch ohne ihr eine Antwort auf ihre Fragen zu geben. Wutentbrannt beschließt Ellie, die Antwort selbst herauszufinden. Und muss feststellen, dass nicht nur ihr Ritter ein Geheimnis hat …

Es dauert eine Weile, bis der Leser merkt, mit wem er es da eigentlich zu tun hat. Und das gilt weniger für den geheimnisvollen Colin, von dem Ellie so fasziniert ist, als vielmehr für Ellie selbst.

Wirkt sie zunächst noch wie eine vollpubertierende Großstadtzicke, die dumm genug ist, einen Waldspaziergang mit Stöckelsandalen zu versuchen und panische Angst vor Insekten, Spinnen und Pferden hat, so relativiert sich dieser Eindruck mit der Zeit immer mehr. Ihr Benehmen an der neuen Schule ist völlig verkrampft und spätestens beim ersten Besuch ihrer alten Freundinnen aus Köln zeigt sich, dass sie sich auch dort auf unnatürlichste Weise verrenkt hat. Je weiter sich die Geschichte entwickelt, desto mehr schält sich aus der hippen Schickimickitussi ein echter Charakter heraus. Und der ist gar nicht so übel.

Colin dagegen ist gerade wegen seines Geheimnisses ziemlich vorhersehbar geraten. Einzige Überraschung ist, dass er – dem Himmel sei Dank – kein Vampir ist! Ansonsten ist er, wie erwartet, sexy, gefährlich und einsam.

Eine weit größere Überraschung wiederum war Ellies Vater, dessen ungewöhnliche Arbeitszeiten zwar auffielen, den Leser aber kaum auf das vorbereiten, womit er letztlich konfrontiert wird, obwohl im Nachhinein betrachtet alles so wunderbar passt.

Den meisten Charakteren kann man nicht allzu viel Tiefgang bescheinigen. Abgesehen davon, dass Ellies Vater durch sein Geheimnis ein wenig aus der Reihe fällt, was sich jedoch hauptsächlich auf die Entwicklung der Handlung auswirkt und weniger auf die Figur als solche, sind Ellies Eltern vor allem besorgte Eltern. Mehr nicht, das dafür aber ziemlich gut. Colin ist zwar eindringlich und gut gezeichnet, verliert aber dadurch, dass er trotz der ausdrücklichen Distanzierung der Autorin von der derzeitigen Mode des Softievampirs doch ein wenig in genau dieses Klischee hinein gerutscht ist. Hervorragend gelungen fand ich dagegen Ellie. Ihre Entwicklung vom ängstlichen, unsicheren Mädchen hin zu einer selbstbewussten jungen Erwachsenen ist ausgesprochen gut gemacht.

Dazu trägt auch die sprachliche Gestaltung bei. Bettina Belitz schreibt durchaus junge Sprache, klingt aber niemals gekünstelt oder erzwungen jugendlich. Durch den trockenen Wortwitz, der immer wieder mal aus dem in Ich-Form erzählten Text heraus blitzt, wirkt die Hauptfigur Ellie, aus deren Sicht erzählt wird, zunehmend intelligent und sympatisch.

Die Stimmung innerhalb des Buches ist jedoch, von den erwähnten kurzen Funken Humors abgesehen, eher ernst, ja düster gehalten. Sie spiegelt Ellies Ängste wider, die sich nicht allein auf ihre Pferde- und Spinnenphobie beschränken oder darauf, dass sie fürchtet, nicht akzeptiert zu werden. Ellie ist überdurchschnittlich sensibel und spürt deutlich, dass sie, ja ihre ganze Familie anders ist. Die Nachbarn meiden die Familie, und sämtliche Jungs, die Ellie je mit nach Hause gebracht hat, schienen sich vor Ellies Vater zu fürchten wie die Maus vor der Schlange. Im Haus ist es niemals wirklich hell und freundlich, da beim ersten Sonnenstrahl sämtliche Vorhänge zugezogen werden, und ihre Ferien hat Ellie bisher stets am Rande des ewigen Eises verbracht statt am Mittelmeer.

Colin bildet den Anstoß zu Ellies Suche nach der Wahrheit, und obwohl diese Wahrheit sie durchaus erschreckt, scheint sie sich zunehmend besser zu fühlen. Gleichzeitig lüftet die Autorin auch Colins Geheimnis, allerdings ist es hier eher andersherum. Je mehr der Leser über Colin erfährt, desto mehr verschiebt sich der Schatten in dessen Richtung. Plötzlich ist Colin nicht mehr allein eine Gefahr, er ist auch selbst gefährdet.

Viel mehr, als dass Ellie einige Geheimnisse lüftet, tut sich letztlich gar nicht. Der größte Teil des Buches spielt sich zwischen den Charakteren ab: Zwischen Ellie und ihren Mitschülern, neuen wie alten; zwischen Ellie und ihrem Vater; und natürlich zwischen Ellie und Colin. Dieser Teil erzählt letzten Endes, wie Ellie ihre alles beherrschenden Ängste überwindet und endlich Selbstvertrauen entwickelt. Insofern ist dieses Buch geradezu ein psychologisches Buch, gekleidet in eine Mysteryromanze, als Zugeständnis an den Zeitgeist.

Ich fand das Buch klasse. Der intelligente Kern der Geschichte hebt es – trotz der klischeegefährdeten Figur des Colin – ein gutes Stück über das Gros der sonstigen seichten Teeniesoaps hinaus, wozu auch das angenehm kitschfreie Ende beiträgt. Dabei war es niemals langweilig, nirgendwo war ein erhobener Zeigefinger zu sehen. Es erzählt einfach nur glaubwürdig und ehrlich von der Emanzipation eines Mädchens von den Erwartungen ihrer Umgebung und seiner Selbstfindung. Die Mysterieverpackung ist dabei nur die Würze in der Suppe. Beides hat die Autorin ausgesprochen gut ausbalanciert und nahtlos miteinander verwoben, sodass trotz der Gegensätze zwischen Grundthema und Ausschmückung, zwischen Realität und Phantastik, das Ganze wie aus einem Guss wirkt.

Ausdrücklich lobend erwähnen möchte ich auch das ausgezeichnete Lektorat des Verlages. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir im Laufe des Buches auch nur ein einziger Fehler begegnet wäre!

Bettina Belitz war nach einem Germanistik- und Geschichtsstudium mehrere Jahre als Journalistin tätig, ehe jemand in ihrem Blog Auszüge aus ihren Büchern entdeckte. Seither arbeitet sie als freie Autorin. Ihre Hobbies Reiten und Gärtnern haben ebenso deutliche Spuren in „Splitterherz“ hinterlassen wie ihr Lebensumfeld Westerwald.

|Gebundene Ausgabe: 630 Seiten
ISBN-13: 978-3839001059
Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 16 Jahren|

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http://www.splitterherz.com/

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