Göpel, Felix – Mit dem Fahrrad zur WM. Von Kreuzberg nach Korea 2002

Schuld waren eigentlich nur Göran Kropp und Felix Göpels Mutter, die ihrem Sohn zu Weihnachten das Buch des berühmten schwedischen Weltenbummlers schenkte, der mit dem Fahrrad nach Nepal aufbrach, um dort alleine den Mount Everest zu besteigen. Die Fahrrad-Expedition begeisterte den passionierten Hobbyradfahrer Felix so sehr, dass er beschloss, ein Semester lang in Indien zu studieren und den Weg dorthin mit dem Rad zu meistern. Nach zweijähriger Vorbereitungszeit starten Felix Göpel und sein langjähriger Freund aus Kindestagen Kevin Meisel am 5. August 2001 mit ihren Rädern, um getreu dem Motto „mit dem Fahrrad in die Uni“ von Berlin nach Indien zu fahren.

Schon in Meißen werden die beiden abenteuerlustigen Radfahrer durch eine Sehnenscheidenentzündung in Kevins Ferse ausgebremst und müssen noch relativ nah der Heimat die erste Zwangspause einlegen. Doch Kevins Wille ist ungebrochen, nach kurzer Verschnaufpause geht die Fahrt weiter gen Osten durch fremde Länder. Zwischendurch wird immer wieder der „Lance der Woche“ als Auszeichnung für besondere Hilfe während der Tour verteilt, höchstwahrscheinlich steht jedoch der allererste „Lance“ noch aus, der demjenigen gebührt, der im Berliner Fahrradladen Klinkert einem beliebigen Mitarbeiter die Meinung geigt.

Im verregneten Prag denken sich Felix und Kevin eine recht schicke Taktik aus, um zu einer kostenlosen Übernachtung zu gelangen, doch eine unscheinbare Cloppenburgerin scheint den beiden dann doch nicht spektakulär genug zu sein, um bei ihr die Nacht zu verbringen, so muss schnell eine neue Idee her. Die Grenzüberquerung zwischen Tschechien und Österreich artet schließlich zu einer fast hollywoodreifen Episode aus, die nur mit Hilfe der Volksbank noch ein glückliches Ende nehmen kann.

Besonders Kevin scheint auf der Tour das Pech magisch anzuziehen, so ist es immer wieder die Ferse, die ihn am Weiterfahren hindert, später gesellt sich noch ein schmerzendes Knie hinzu, in Ungarn bricht ihm ein Zahn ab, im Iran hätte ihm ein plötzlich abbremsender Peykan fast das Leben gekostet und später wird sogar ein Tumor in seiner Brust festgestellt. Kevin sorgt für die Geschichten und Felix schreibt sie auf. Aber auch Felix Göpel bleibt nicht völlig verschont; in der Türkei verleitet ihn eine verspannte Schulter zu einem Besuch im Hammam, in dem er sogar noch kränker massiert wird. So erleben die beiden jungen Männer ihre ganz eigene Tour der Leiden, verfolgt von wild gewordenen Hunden, immer wieder im krassen Gegensatz zu den Kulturen, durch die sie pedalieren, und ab dem Iran erstmals mit dem Gedanken, hinter Indien noch weiterzufahren bis Korea, wo im Jahr 2002 die Fußball-Weltmeisterschaft stattfindet.

Zwischendurch erlebt der Leser nicht nur mit, wie Felix Göpel und Kevin Meisel in der Türkei von den Anschlägen des 11. September auf das New Yorker World Trade Center erfahren und Felix um seine ältere Schwester „Friedi“ fürchten muss, sondern auch wie die beiden als Folge auf die Terroranschläge und den darauf folgenden Krieg in Afghanistan ihre Fahrpläne durch Pakistan umschmeißen müssen, um nicht „John Rambo“-gleich todesmutig durch die Gefahrenzone zu radeln. Insgesamt fast 11000 Kilometer und 10 Monate später stehen Felix und Kevin schließlich in Korea im Fußballstadion …

Reiseliteratur ist langweilig, selbst verreisen und Urlaub machen ist viel besser. Das ist in den meisten Fällen sicherlich richtig, doch die Erlebnisse der hier geschilderten Leidenstour auf dem Rad von Berlin nach Korea zur Fußball-WM fernab der Zivilisation werden wohl nur die wenigsten Urlauber selbst am eigenen Leibe erfahren können. Somit wird der Leser bei der Lektüre dieses Buches in fremde Länder entführt und erlebt eine Geschichte mit, wie sie unglaublicher kaum sein könnte. Die zehnmonatige Radtour lebt von den kleinen Episoden zwischen Kevin, Felix und den Menschen, denen sie auf ihrem Weg nach Korea begegnen. Hier prallen Gegensätze aufeinander, aber auch auf die Hilfsbereitschaft der einheimischen Bevölkerung können die beiden oft zählen. Der längste Abschnitt des Buches ist dem Iran gewidmet, in welchem Kevin und Felix schließlich auch Weihnachten und Silvester feiern.

Mit Wortwitz und spritziger Sprache erzählt Felix Göpel von all den Dingen, die zwischen Kreuzberg und Korea geschehen sind, und bringt seine Leser dadurch oftmals zum Lachen oder zumindest doch zum Schmunzeln. Die Episoden sind dabei so kurzweilig geschrieben, dass man problemlos in eine fremde Welt eintauchen und die Radtour nachlesen und fast sogar miterleben kann. Das verschneite Mistwetter vor dem eigenen Fenster bemerkt man eigentlich erst dann, wenn es im Iran so kalt wird, dass des nachts das Wasser in den Trinkflaschen gefriert. An vielen Stellen bedient sich Felix Göpel der Umgangssprache, was aber durchaus zu den wahnwitzigen Geschichten der beiden Abenteurer passt. Nicht alle Kapitel sind in handelsüblichen Kapiteln im Tagebuchstil geschrieben, einige Geschichten werden in Form von Briefen erzählt, die Felix an seine Familie gerichtet hat. Das Abenteuer an der Grenze zwischen Österreich und Tschechien reicht gar aus für ein kurzes Theaterstück in vier Akten und auch ein Chatprotokoll ist zu finden.

Besonders nett zu lesen sind die kleinen Seitenhiebe, die nur am Rande auffallen, oder auch die gelungenen und witzigen Metaphern, die die Erzählung beleben. Beim Lesen habe ich mich königlich amüsiert über die zahlreichen verrückten Geschichten, auch wenn sie in der Situation sicherlich nicht so lustig waren, wie sie beim Lesen klangen. Ich erinnere mich da an den durchgedrehten Hund, der zu einer akuten Bedrohung wird und sich von Felix’ Trinkflasche nicht recht abschütteln lassen will. Die Situationen sind dabei so lebhaft und plastisch geschildert, dass der Leser sich ein gutes Bild davon machen kann und die Szenen regelrecht vor Augen hat. Zur besseren Vorstellung tragen hier unter anderem die zahlreichen Bilder von der Tour auf den Seiten 353 bis 368 bei.

Die Reiseeindrücke sind dabei sehr subjektiv und persönlich, und der Leser darf sogar an privaten Sorgen teilhaben wie derjenigen um die Familie zu Hause und um die Schwester, die am 11. September in Manhattan arbeitet. So wachsen einem das Buch und seine beiden Helden einfach ans Herz, beim Lesen leidet man immer mit und bangt um Kevins Ferse, die ab dem Iran kaum noch mitradeln mag. Auch wenn die beiden sich dem iranischen Sicherheitsapparat gegenübersehen, als sie sich zu oft mit zwei jungen Mädchen in der Öffentlichkeit haben blicken lassen, ist der Leser hautnah dabei und fiebert mit. Am spannendsten und interessantesten wird es eigentlich immer dann, wenn Felix und Kevin eine Pause einlegen wollen, um sich auszuruhen und die Gegend zu erkunden. Hierbei finden sie sich später sogar in einem Ashram wieder, wo sie feststellen müssen, dass sie einfach nicht die Pause zwischen zwei Gedanken finden und schon gar nicht auf eineinhalb Stunden ausdehnen können.

Felix Göpel zeigt uns die östliche Welt, wie er sie auf seiner Tour der Leiden kennen gelernt hat, er schildert seine persönlichen Eindrücke und scheut sich auch nicht vor einer nur teilweise versteckten Gesellschaftskritik. In meist lustigen Worten bringt er hierbei seine eigene Meinung unter, die nicht immer mit der Meinung am jeweiligen Reiseort konform geht. Hierbei bleiben beispielsweise auch die Gepflogenheiten des Islam nicht verschont, wenn Felix in der Türkei verschleierte Frauen bei der Feldarbeit beobachtet, während die Ehemänner ihren Tag im Teehaus verbringen und ihre Frauen erst abends vom Feld an den Herd holen (S. 149).

Gerade die kleinen Erlebnisse zwischen den beiden Radfahrern und der einheimischen Bevölkerung sorgen dafür, dass der Leser einen recht guten Einblick in fremde Traditionen erhält und mehr über Land und Leute erfährt, obwohl die meisten Geschichten eine persönliche Wertung erhalten. Der Schwerpunkt des Buches liegt hierbei nicht so sehr auf den Radsporterlebnissen, auch wenn die häufig auftauchenden Platten in Tibet genauso angesprochen werden wie die schwierige Ersatzteilsuche in der Türkei, doch auch radsportdesinteressierte Leser werden bei dieser Reiseschilderung ihre helle Freude haben und müssen keine langatmigen Radbeschreibungen be fürchten. Die Probleme mit den Fahrrädern werden eher am Rande abgehandelt, Mittelpunkt des Buches sind die persönlichen Eindrücke des Autors.

„Mit dem Fahrrad zur WM“ sorgt für kurzweiliges Lesevergnügen, das seinen Leser schnell in fremde Welten entführt und ihm unbekannte Kulturen vorstellt. Seinen Reiz gewinnt das Buch durch seinen Wortwitz und die vielen amüsanten Episoden zwischen Kreuzberg und Korea. Der Leser leidet auf jeder Seite mit den beiden Radsporthelden mit, die ihre ganz eigene Tour der Leiden erleben auf ihrem Weg nach Korea, und wird hierbei exzellent unterhalten. Auch für Reiseliteraturmuffel wie mich ist dieses Buch einfach nur empfehlenswert. Man kann in die Geschichte besser eintauchen als in so manchen Krimi und so bleibt am Ende eigentlich nur zu hoffen, dass sich Kevins Ferse wieder erholt und die beiden 2010 nach Südafrika aufbrechen, um dort erneut mit dem Rad bis vor die Fußballstadien vorzufahren.

Wer nach dem Buch noch etwas mehr über Felix Göpel, Kevin Meisel und ihre gemeinsame Fahrradtour zur Fußball-Weltmeisterschaft erfahren möchte, kann sich auf ihrer Homepage http://www.mitdemfahrradindieuni.de schlauer machen und sich dort noch viele weitere Fotos ansehen.