Terry Goodkind – Der Schatten des Magiers (Das Schwert der Wahrheit 2)

„Wizard’s First Rule“, der erste Roman im Zyklus „Das Schwert der Wahrheit“ ist ein furioser Auftakt, der den Leser ausgezeichnet unterhält und mit einigen althergebrachten Vorurteilen gegen Fantasy aufräumt. Starke Frauen, hilflose Zauberer, weibliche Drachen. Kurzum: Hier gibt es einige Augenöffner – und eine packende Handlung.

Der Autor

Mit seinem vielbändigen Zyklus um „Das Schwert der Wahrheit“, den er 1994 begann, hat sich der 1948 geborene Amerikaner Terry Goodkind in die erste Reihe der meistverdienenden Fantasyautoren geschrieben.

Aus der Masse der High-Fantasy-Bücher heben sich seine Romane wie „Wizard’s First Rule“ oder „Stone of Tears“ durch eine nüchterne, wenn nicht sogar düstere moralische Vielschichtigkeit und durch Momente von Erfindungsreichtum – meist hinsichtlich unangenehmer Überraschungen – heraus. Der Zyklus umfasst bereits ein Dutzend Romane und höret nimmer auf, wie es scheint.

Band 1: Das erste Gesetz der Magie (Wizard’s First Rule 1)

Band 2: Der Schatten des Magiers (Wizard’s First Rule 2)

Band 3: Die Schwestern des Lichts (Stone of Tears 1)

Band 4: Der Palast des Propheten (Stone of Tears 2)

Band 5: Die Günstlinge der Unterwelt (Blood of the Fold 1)

Band 6: Die Dämonen des Gestern (Blood of the Fold 2)

Band 7: Die Nächte des roten Mondes (Temple of Winds 1)

Band 8: Der Tempel der vier Winde (Temple of Winds 2)

Band 9: Die Burg der Zauberer (Soul of Fire 1

Band 10: Die Seele des Feuers (Soul of Fire 2)

Band 11: Schwester der Finsternis (Faith of the Fallen 1)

Band 12: Der Palast des Kaisers (Faith of the Fallen 2)

Band 13: Die Säulen der Schöpfung (The Pillars of Creation)

Das Verhängnis der Schuld – Die Vorgeschichte von „Das Schwert der Wahrheit“

Band 14: Das Reich des dunklen Herrschers (Naked Empire; dt. im August 2004 bei |Limes|)

Weitere Infos unter http://www.terrygoodkind.com.

Allgemeines

Im ersten Band des Zyklus‘, „Wizard’s First Rule“ (1994), gerät der Serienheld Richard Cypher, ein bis dahin unscheinbarer Provinzjüngling, in den Sog größerer Ereignisse, als sein Ziehvater ermordet und er selbst von menschlichen und nichtmenschlichen Agenten verfolgt wird, die der dunkle Herrscher Darken Rahl gegen ihn ausgesandt hat. Im Verlauf seiner Quest, um diesen Gefahren zu begegnen, erlebt Richard sowohl größtes Leid als auch größte Liebe: Er verliebt sich in die wunderschöne Lady Kahlan.

Im zweiten Band, „Stone of Tears“, muss Richard die magischen Konsequenzen, die sich aus seinem Sieg über Darken Rahl ergeben haben, wieder ausbügeln, doch zeigt sich, dass dafür ein hoher Preis zu bezahlen ist. Das Universum, in dem die Romane um das „Schwert der Wahrheit“ spielen, basiert nämlich auf verschiedenen Balancen aus polaren Gegengewichten: Leben und Tod, Gut und Böse, Schöpfer (Gott) und Hüter (der Widersacher), Schwestern des Lichts und Schwestern der Finsternis. Diese manichäische Welt ist auch die Grundlage für die späteren Romane, wenn auch mit Variationen.

Handlung

Der junge Waldführer Richard Cypher hat sein Leben bislang friedlich in Westland gelebt, als eines Tages sein Vater meuchlings ermordet wird. Sein Freund und Lehrer, der alte Zauberer Zedd, rät ihm weiter. Durch das magische „Schwert der Wahrheit“, das Richard mit Zorn stärkt, macht er seinen Schüler zu einem „Sucher“, der über eine spezielle Art von Magie verfügt.

Auf der Suche nach den Mördern lernt Richard die schöne Kahlan kennen, die nach Westland gekommen ist, weil ihre Heimat Midland von dem mächtigen Magier Darken Rahl bedroht wird, der vom östlichen D’Hara aus die restliche Welt mit Krieg überzieht. Auch Kahlan scheint über eine besondere Art von Magie zu verfügen, aber es ist zunächst nicht deutlich, über welche.

Darken Rahl braucht drei magische Kästchen, erfährt Richard, um Allmacht zu erlangen. Zwei davon befinden sich bereits in seinem Besitz. Im Land der Schlammmenschen, die im südlichen Midland leben, erfahren Richard und Kahlan von der zwielichtigen Hexe Shota, wo sich das dritte Kästchen befindet. Die böse Königin Milena hat es in ihrer Juwelenkammer, und aufgrund eines Bündnisses soll es Darken Rahl demnächst ausgehändigt werden.

Milenas Zauberer Giller jedoch hat die Gefahr erkannt, die der Menschheit durch Rahl droht, sobald dieser über absolute Macht verfügt. Mit Hilfe des kleinen Mädchens Rachel schmiedet er einen mutigen Plan, um das dritte „Kästchen der Ordnung“ in Sicherheit zu bringen. Diese Episode ist sehr spannend und bewegend.

Bei der Hexe Shota, die Kahlan gefangen genommen hatte, hat Richard etwas Schreckliches über Kahlan erfahren: Shota prophezeite, dass sie und Zedd ihn töten würden. Doch Kahlan hatte geschworen, den „Sucher“ um jeden Preis zu schützen. Als einzigen Ausweg aus diesem Dilemma wählt sie für sich selbst den Selbstmord, doch den versucht Richard mit allen Mitteln zu verhindern. Er braucht Kahlan als Führerin zu Rahls „Palast des Volkes“, der weit im Osten liegt.

Ständig verfolgen Monster und andere schleichende Kreaturen Richard, Kahlan und Zedd, der zwischendurch auftaucht, um sie zu überfallen und ihren Plan zu vereiteln, Darken Rahl das dritte Kästchen abzujagen. Doch sie haben nicht damit gerechnet, dass sich in ihrer Mitte ein Verräter befindet. Und schließlich scheint für Richards Unternehmen Feierabend zu sein, als er in die Gefangenschaft des Schwarzen Magiers gerät und von einer Mord-Sith über die Bedeutung des Wortes „Schmerz“ vollständig aufgeklärt wird.

Mein Eindruck

Wie um Himmels willen soll man nur über einen halben Roman urteilen können? Alles, was man darüber sagen würde, wäre ja nur zur Hälfte zutreffend und würde durch die andere Hälfte sofort wieder relativiert werden. Es gibt aber zwei Möglichkeiten, diesem halben Roman zu Leibe zu rücken: Indem man sich auf das sehr Allgemeine und das sehr Spezifische beschränkt. Aus dem Konkreten lassen sich hoffentlich Schlüsse auf das Allgemeine ziehen.

Easy Reading

Zunächst einmal ist der Roman sehr leicht zu lesen, denn die Formulierungen sind sehr flüssig geschrieben und oft in kurze Sätze gepackt. Das erweist sich als sehr hilfreich, die doch recht komplizierten Verhältnisse und Vorgänge zu erfassen. Warum eine schwierige Sache noch schwieriger machen? Anders als bei Tolkien besteht der Roman fast ausschließlich aus Szenen, die in der Mehrzahl emotional sehr intensiv sind. Weitschweifige Erklärungen, wie Tolkien sie (besonders in „Die Gefährten“) liebt, gibt es in dieser Romanhälfte nur eine, nämlich dann, als Zedd erklärt, wie es dazu kam, dass die Zauberer einst den weiblichen Orden der Konfessoren schufen, zu denen Kahlan als Chefin gehört.

Die Leiden der Konfessoren

Dieser Erklärung geht eine sehr bewegende, um nicht zu sagen herzzerreißende konkrete Szene voraus, in der Kahlan beizubringen versucht, was es heißt, eine Konfessorin zu sein. Solch eine Frau verfügt über die alleinige Macht, die Unschuld eines Verurteilten zu bestätigen, wenn dieser ein Geständnis – eine Konfession – ablegen möchte. Sie lässt ihre Macht den Beichtenden überwältigen, wodurch jedoch dessen früheres Ich ausgelöscht und durch ein dienendes, unterwürfiges Ich ersetzt wird. Kurz gesagt: Eine Konfessorin führt eine ziemlich brutale Unterwerfung durch.

Der Haken bei der Geschichte: Würde sich Kahlan ihrem lieben Richard völlig hingeben, so würde ihre Konfessorenmagie ihn in ein unterwürfiges Schoßhündchen verwandeln. Diese Erkenntnis ist schmerzhaft für beide, denn sie kann daher Richard nur als ihren Freund haben und niemals ein Kind von ihm empfangen. Bedeutende Aspekte der Weiblichkeit sind ihr also verwehrt. Und er darf sie nur, äh, sehr vorsichtig lieben.

Die Lehren des Schmerzes

Das ändert sich jedoch mit jener intensiven Episode im Palast des Volkes, als die Mord-Sith Denna ihn die Bedeutung des Schmerzes lehrt. Denna wurde selbst von klein auf an Schmerz und Gefühllosigkeit gewöhnt – sie musste Vater und Mutter töten. Ihr einziger Lebensinhalt besteht darin, dem Vater Rahl zu dienen und seine Untertanen und Feinde zu unterwerfen. Mit einem magischen Instrument, dem „Strafer“, fügt sie sehr direkt und brutal Schmerzen zu. Schmerzen, die schließlich auch unseren armen Richard in die Knie zwingen und dazu bringen, sich ihr zu unterwerfen.

Das ist aber gar nicht so schlimm, wie man meinen sollte, denn der Sucher findet in sich selbst erstaunt eine Kraft, die er zunächst vorsichtig kennen lernen und dann einsetzen muss: Diese Kraft besteht in Mitgefühl (compassion), Mitleid und Liebe. Wenn er diese Kraft heraufbeschwört, verfärbt sich die Klinge seines Schwertes der Wahrheit weiß. War ihm zuvor durch den Zorn die Macht des Hasses zugeflossen, um die Gegner zu töten, so steht ihm nun die Kraft der Liebe zur Verfügung. Denna hatte ihn bei der Hassanwendung mit ihrer Magie in die Falle gelockt: Jedes Mal, wenn er die Zornesmacht des Schwertes beschwor, fügte er sich selbst lähmende Schmerzen zu. Umso erstaunter ist ihre Reaktion, als die Liebe ihm die Kraft verleiht, ihrer Macht und den Schmerzen des Strafers zu widerstehen. Schließlich erfleht sie den erlösenden Tod von seiner Hand, denn es ergeht ihr wie Kahlan: Sie kann nie volle Weiblichkeit erlangen, denn alles, was sie liebt, muss sie auf Vaters Rahls Geheiß zerstören.

Diese über hundert Seiten währende Sadomaso-Episode ist meines Wissens bislang einzigartig in der Mainstream-Fantasy (allerdings kenne ich [„Kushiel’s Dart“ 205 noch nicht, und es gibt ja noch den Grenzbereich zwischen Fantasy und S&M-Erotica). Die Episode in Novellenstärke ist keineswegs in erotischen Termini erzählt, obwohl natürlich die Beziehung zwischen Richard und seiner „Herrin Denna“ nicht anders als von höchster emotionaler Intensität sein kann. Sie wird jedem Leser in Erinnerung bleiben.

Zweischneidige Prophezeiungen

Zu den anderen bemerkenswerten Szenen gehören der Besuch bei der Zauberin Shota, als Richard voll Entsetzen mit ansehen muss, wie Kahlan von Giftschlangen eingehüllt ist. Bei dieser Gelegenheit äußert Shota eine Prophezeiung, die verhängnisvolle Folgen hätte, wenn Richard sich nicht auf das „Erste Gesetz der Magie“ besänne: Die Menschen sind dumm und wollen lieber glauben, was ihnen passt, als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Glücklicherweise gilt diese ewige Weisheit auch für Zauberer jeder Art – für Zedd ebenso wie für den abgeklärten Darken Rahl.

Geburt einer Nemesis

Eine wahrhaft erhabene – im Sinne von schrecklich schön – Szene ergibt sich kurz vor dem Showdown, als Kahlan von Rahls Schergen erfährt , dass Richard getötet worden sei. Ein Schauder überkommt mich, wenn ich an den Moment zurückdenke, als Kahlan ihre eigene Konfessorenmagie mit der Magie der Unterwelt vereinigt, indem sie dreimal einen gewaltigen Schrei ausstößt, der die Welt erschüttert. Sie wird zu einer Rachegöttin antiken Zuschnitts (Erinnye, Nemesis, you name it). Da sie aber selbst nicht gegen das Erste Gesetz der Magie gefeit ist, sind die Folgen dieses Handelns ziemlich verheerend – für Richard.

Spaß muss sein!

Das alles klingt reichlich dramatisch. Das ist es ja auch, und mit einiger Berechtigung, doch es gibt auch einige Momente auflockernder Ironie und Komik. Das wichtigste Beispiel dafür ist Richards Begegnung mit der roten Drachendame mit dem bezaubernden Namen Scarlet (= scharlachrot). Anstatt sie wie jeder zünftige Drachentöter mit seinem Schwert in die ewigen Jagdgründe zu schicken, macht er mit ihr einen saucoolen Deal: Er darf auf ihr reiten, um nach seinen verlorenen Gefährten zu suchen, und er hilft ihr dabei, ihr Ei zurückzugewinnen, das ihr Darken Rahl weggenommen hat. Gelingt ihm dies nicht, darf sie ihn ganz legitim auffressen.

Zum Glück klappt das alles doch recht gut, ohne dass es sich als notwendig erweist, Richard zu verspeisen – denn sonst wäre der Zyklus ja schon nach einem Buch zu Ende, und das kann ja nicht sein!

Schwächen

Ein paar seltsame Ungereimtheiten haben mich dann aber doch ein wenig geärgert, besonders im letzten Viertel des Buches (von „Roman“ darf ich ja im Falle der deutschen Aufteilung nicht reden). Goodkind macht es sich nämlich mehrmals ziemlich einfach, indem er den Zauberer erstens mit einem Gedächtnis wie ein Sieb ausstattet und ihn obendrein als so dämlich zeigt, dass er nicht einmal einen Feindzauber oder Lähmzauber erkennt, wenn er auf ihn trifft. Als Folge dieser Blödheit ist Zedd immer dann außer Gefecht gesetzt, wenn seine Kräfte am nötigsten gebraucht würden. An einer Stelle ist eklatant klar, als sich Zedd weigert, darüber nachzudenken, ob man ihn und Kahlan verraten hat – und wenn ja, wer der Verräter ist. Hier lenkt der Autor die Intelligenz des Lesers doch zu offensichtlich.

Im Übrigen lügt auch der Klappentext: Richard selbst findet keineswegs heraus, wer sein wahrer Vater ist. Das tun nur Rahl und Zedd in trautem Zaubererplausch. Er selbst ist zu diesem Zeitpunkt schon von der Bühne abgegangen. Wäre ja vielleicht auch sonst zu peinlich gewesen.

Unterm Strich

Die Lektüre des – vollständigen! – ersten Romans von „Das Schwert der Wahrheit“ lohnt sich durchaus, ja, das Gesamtbuch gehört für mich zum festen Kanon der modernen Fantasy. Über die späteren Bücher erlaube ich mir kein Urteil, aber „Säulen der Schöpfung“ beispielsweise (siehe oben) war eher enttäuschend in seiner Routiniertheit. Gegen dieses laue Lüftchen nimmt sich der erste Band wie ein Sturm mit Donner und Hagelschlag aus.

Taschenbuch: 502 Seiten
Originaltitel: Wizard’s First Rule, Kap. 30-49, 1994
Aus dem US-Englischen übersetzt von Caspar Holz