H. G. Ewers – Die verhängnisvolle Expedition (Perry-Rhodan-Planetenroman 57+58)

Eine irdische Forschungsexpedition gerät auf einem fernen Planeten in Lebensgefahr, als sich unvermutet das Tor zu einer gänzlich fremden Dimension öffnet, in der eine bösartige Kreatur lauert … – Grundsolides SF-Abenteuer des Vielschreibers Ewers, der ungeachtet seines enormen Outputs ein geschickter und ideenstarker Erzähler war: ein unterhaltsamer Roman, der auch außerdem des „Perry-Rhodan“-Universums bestehen kann.

Das geschieht:

Im Oktober des Jahres 1984 hatte eine erste Expedition Menschen das Gonom-System im Kugelsternhaufen M13 (Sternbild des Herkules) erreicht. Dabei waren die Besucher auf das „Gom“ gestoßen, ein Kollektivlebewesen, das die Summe seiner millionenfachen Inkarnationen darstellt – flache, flunderähnliche, nur des ‚zweidimensionalen‘ Denkens fähige Wesen, die erst in ihrer Gesamtheit echte Intelligenz und die Fähigkeiten der Telepathie und der Telekinese entwickeln.

Mehr als ein halbes Jahrhundert nach dieser Begegnung schickt Perry Rhodan, Administrator des Solaren Imperiums, das Forschungsschiff „Goshun“ zum Gonom-System. Unter dem Kommando von Oberst Julian Tifflor sollen Wissenschaftler die Frage klären, ob und wie das Gom womöglich aus einer anderen Galaxis den Weg in die heimische Milchstraße gefunden hat. Die überlichtschnelle Raumfahrt steckt in den Kinderschuhen, und Rhodan erhofft sich Rat vom Gom, das hier den Menschen eventuell weit voraus ist.

Gom ist ein lebensfeindlicher, öder, von gewaltigen Stürmen heimgesuchter Planet mit doppelter Erdschwerkraft, der um eine sterbende Sonne kreist. Hier ist Vorsicht geboten, welche die Wissenschaftler an Bord des Raumschiff-Beiboots „K-35“ zum Kummer der Militärs gern und oft vernachlässigen. Das eigentliche Ziel der Expedition ist ohnehin gefährdet, denn Das Gom antwortet nicht auf die Versuche der Mutanten John Marshall und Saburo Jamasaki, telepathisch Kontakt herzustellen.

Stattdessen mehren sich die Anzeichen dafür, dass es im Gegenteil die menschlichen Besucher heimlich zu beeinflussen und zu vertreiben sucht. Es handelt nicht aus eigenen Stücken, doch bis dies die Männer der „K-35“ erkennen, ist die Katastrophe da. Gom entpuppt sich als Portal in eine Welt, die deutlich mehr als vier Dimensionen aufweist. Es zu durchschreiten, ist höchst gefährlich, zumal es im Unbekannten Wesenheiten gibt, die den Menschen wenig wohlgesonnen sind …

Trivial vielleicht – unterhaltsam gewiss!

Willkommen im „Perry Rhodan“-Universum, gehasst oder ignoriert von der Kritik, aber geliebt von seinen Fans, dem einig‘ Volk von Brüdern (und wenigen Schwestern), das kein Spott und keine Ablehnung trennen kann, und das schon seit Jahrzehnten. Leider hat es in den Jahrzehnten seines Bestehens einen Umfang erreicht, der es schwierig macht, die Übersicht zu behalten. Drastischer ausgedrückt: In einem Berg mehr oder weniger tauben SF-Gesteins fällt es zunehmend schwer, die echten Juwelen zu finden.

Das gilt ganz besonders für die Sturm-und-Drang-Zeit der Endlos-Serie, in der es tatsächlich noch ordentlich zur Sache ging, Entdeckungen im Schutze entsicherter Blaster gemacht wurden und politisch korrektes Denken (oder das Rauchverbot für Helden) ein Fremdwort war. Die ketzerische Frage, was daran bei im besten Sinne trivialer Unterhaltung eigentlich so verwerflich sein soll, vollständig ignorierend, grenzte die Kritik viele Jahre einen integralen Bestandteil der deutschen Science-Fiction rigoros aus bzw. drosch auf Perry Rhodan als Standartenträger einer angeblich durch und durch faschistoiden oder doch wenigstens weltfremden, auf jeden Fall aber verdächtigen Minderheit ein.

Nur schwer konnte solcher ideologisch getränkter Ballast besonders der späten 1960er und 70er Jahre über Bord geworfen werden. Vom Bannstrahl endlich befreit, gibt es in der Rhodan-Welt viele interessante (Wieder-) Entdeckungen zu machen. Große SF vom Kaliber eines Theodore Sturgeon oder Iain Banks ist nicht zu erwarten, aber ein Hauch von Robert A. Heinlein oder wenigstens Larry Niven ist allemal zu finden. (Alle diese Namen habe ich willkürlich herausgegriffen; sie sind mit keinerlei Wertung verbunden!).

Gut eingebettet im ‚historischen‘ Umfeld

„Die verhängnisvolle Expedition“ ist ein solches Kleinod. Eine ganze Anzahl günstiger Voraussetzungen ließen einen grundsoliden SF-Roman mit einigem Tiefgang entstehen: 1964 zeichnete sich der durchschlagende Erfolg der „Perry- Rhodan“-Heftserie bereits ab. Daher beschloss der Moewig-Verlag, die Leser-Kuh auch von der anderen Seite zu melken: Perry Rhodan & Co erlebten ihre Abenteuer nun auch im Taschenbuch-Format. Nun konnten Geschichten erzählt werden, die in den Heften dem Diktat des Exposés zum Opfer fallen mussten.

Gerade in den frühen Jahren der „Planetenromane“, wie die Taschenbuch-Reihe zunächst genannt wurde, orientierten sich die Autoren gern an Ereignissen und Personen aus den Heften. Auch „Die verhängnisvolle Expedition“ greift eine Episode auf, die Kurt Mahr (alias Klaus Mahn) zwei Jahre zuvor im Zyklus um die „Dritte Macht“ unter dem Titel „Gom antwortet nicht“ (PR 47) geschildert hatte.

Mit H. G. Ewers stieß ein Autor zum „Perry-Rhodan“-Team, der noch frisch und unverbraucht war und sich des Themas mit deutlich erkennbarem Elan annahm. Mehr noch: „Die verhängnisvolle Expedition“ ist ein Roman, mit dem sich H. G. Ewers mit Leichtigkeit neben William Voltz (der zu dieser Zeit und noch lange der einzige PR-Autor war, der außerhalb der Serie wenigstens zur Kenntnis genommen wurde) behaupten kann.

Der Spaß eines gut gestrickten Garns

Dieses Urteil gründet sich auf eine schnörkellose, aber gut entwickelte Handlung, die zunächst einmal ‘nur’ eine spannende Geschichte transportieren soll. Das Ergebnis erinnert an klassische Science-Fiction-B-Movies wie „Alarm im Weltall“ („Forbidden Planet“, 1956), deren Zukunft heute längst Vergangenheit geworden ist und die trotzdem immer noch vorzüglich unterhalten, weil sie einfach gut erzählt werden. Nostalgie vergoldet heute den Genuss, wenn sich Ewers‘ wagemutigen Entdecker mit ultramodernen Raumschiffen ins All trauen, die eher hochfrisierten U-Booten gleichen.

Sorgfalt lässt auch die Figurenzeichnung erkennen. Da ist nicht viel vom „Jawoll, Sir!“-Kadavergehorsam zu spüren, der Perry Rhodans tausendjähriges Reich angeblich erfüllte. Leicht kultisch wird’s nur im Finale, als der „Chef“ persönlich auftritt, aber solche Anwandlungen sollte Ewers bald und von allen PR-Autoren am besten in den Griff bekommen. Spätestens in den 1970er Jahren gefiel er sich darin, militärische Strukturen und Hierarchien geradezu lustvoll zu karikieren und zu zerstören.

Schon 1964 lassen sich Belege dafür finden, dass Ewers zu jenen ganz wenigen Autoren des PR-Teams gehört, die wissen, was echter Humor ist: „Stets war es ein Wettlauf mit der X-Zeit. Niemand hatte bis jetzt ergründen können, warum das so war, aber es schien bereits Tradition zu sein, sich erst im letzten Augenblick in Sicherheit zu bringen“ beschreibt er beispielsweise ironisch das besonders in Film und Fernsehen immer gern gezeigte Schauspiel eines künstlich dramatisierten Raumschiff-Blitzstarts; solche Stellen scheinen die zeitgenössischen Kritiker geflissentlich überlesen zu haben, da sie nur schwer in ihr Feindbild einzupassen waren.

Ganz fremde Dimensionen

Aber Ewers weiß sich noch ganz anderen Herausforderungen zu stellen. Er schreckt nicht vor echtem Techno-Bubble à la „Star Trek“ zurück und konfrontiert seine Leser mit einem Modell, das die überlichtschnelle Raumfahrt des „Perry- Rhodan“-Universums mit der Relativitätstheorie Albert Einsteins in Einklang bringt – vom physikalischen Standpunkt reiner Humbug aber akkurat entwickelt und in seinem fiktiven Rahmen überaus ‚logisch‘.

In völlige Verblüffung stürzt den PR-kundigen Leser indes Ewers‘ scheinbarer Vorgriff auf das „Zwiebelschalen-Modell“, wie es William Voltz und nach ihm Kurt Mahr entwickelten – allerdings zehn Jahre später! Um 1975 und mit der Entwicklung eines eigenständigen, immens detailreich gezeichneten und eigenen Gesetzen und Regeln gehorchenden Kosmos‘ wurde „Perry Rhodan“ ‚erwachsen‘. Das Konzept höherer und höchster Wesenheiten, die weit oberhalb jenes Ereignis- und Gedankenhorizonts, die der menschliche Geist normalerweise zu erfassen vermag, die Fäden ziehen und ganze Galaxien als Schachbretter betrachten, wird in „Die verhängnisvolle Expedition“ quasi vorweggenommen. Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei, William Voltz oder H. G. Ewers (oder Olaf Stapleton)? Es ist vermutlich nur eine akademische Frage, aber eine interessante, und sie lässt tief blicken, was die unvermuteten Qualitäten dieses Romans und seines oft unterschätzten Verfassers angeht.

Anmerkung:

H. G. Ewers drückt sich um eine präzise Datierung. Aus dem Text geht aber hervor, dass die zweite Gom-Expedition einige Zeit nach der Ausschaltung des arkonidischen Robotregenten im April 2044 stattfindet.

Autor

H. G. Ewers wurde am Neujahrstag 1930 in Weißenfels an der Saale, Sachsen-Anhalt, als Horst Gehrmann geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg absolvierte er eine kaufmännische Lehre, wechselte dann in die Schulverwaltung, holte das Abitur nach, begann er Medizin in Halle zu studieren und wurde Lehrer in den Fächern Deutsch, Biologie, Physik und Astronomie.

Bevor sich 1962 die Mauer zwischen BRD und DDR endgültig schloss, flüchtete Gehrmann nach Westdeutschland. Hier begann er, der bereits in seiner Lehrzeit diverse Zeitungsartikel geschrieben hatte, Heftromane des Genres Science Fiction zu verfassen; als H. G. Ewers debütierte er 1963 mit dem „Terra“-Band 294 („Revolte auf Chibbu“). Schon im folgenden Jahr veröffentlichte er einen „Perry-Rhodan“-Planetenroman ( „Die verhängnisvolle Expedition“) und wurde kurz darauf Teil des Autorenteams der gleichnamige Heftserie. Bis 1994 schrieb er 249 Romanhefte und war sowohl in der Schwesterserie „Atlan“ als auch in weiteren Serien des Moewig/Pabel-Verlags als Autor und/oder Redakteur aktiv.

Nach seinem Ausstieg knüpfte Gehrmann an sein Medizinstudium an und besuchte eine Heilpraktiker-Schule in der Schweiz. Als Autor wurde er nur noch sporadisch tätig. Horst Gehrmann starb am 19. September 2013 im Alter von 83 Jahren. Noch im Vorjahr hatte er eine Perry-Rhodan-Kurzgeschichte veröffentlicht.

Taschenbuch: 368 Seiten [Doppelband mit: H. G. Ewers – „Phantom-Station“]
Cover: Arndt Drechsler
www.zaubermond.de

eBook: 1930 KB
ISBN-13: 978-3-8453-4969-5
www.zaubermond.de

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