Haas, Marc Alexander – Dunkelheit der Tage, Die

|“Viele hatten sich anfangs ein organisches Dunkel vorgestellt, eine pulsende Bauchhöhle der Metropole, eine tropfende, schleimabsondernde Peristaltik, die nach Licht und Zellen griff, die sich von Ausscheidungen nährte und nie gesehene blasse Kreaturen gebar, um eine erdabgewandte Seite zu bevölkern. Nässe und Moder hatten sie erwartet, rätselhafte Geschöpfe, transparente Schädellose, die in schwarzen Pfützen wimmelten, Altäre der Nacht metertief unter der Stadt.“|

Marc Alexander Haas‘ Roman „Die Dunkelheit der Tage“ erzählt die Geschichte einer Stadt und seiner eigentlich so alltäglichen Bewohner. Wir begegnen Maria, die sich nach der Trennung von Eric zu ihrer Freundin Greta in deren Kneipe flüchtet und die bei einem kleinen Zwischenfall im Supermarkt nicht nur den Obdachlosen Elias kennen lernt, sondern auch Henri, in den sie sich verliebt. Henri ist nach einem Brand arbeitslos und nimmt daher gezwungenermaßen einen Aushilfsjob auf dem Schrottplatz an. Er ist zu stolz, um auf das Angebot seines Freundes Tito zurückzugreifen, für ihn zu arbeiten. Maria und Henri nähern sich einander ganz allmählich an, und im Laufe des beschriebenen Jahres erleben wir Höhen, aber auch einige Tiefen ihrer Beziehung mit.

In der Geschichte treffen wir auf Greta, die in Scheidung von Paul lebt, der ihr zunächst noch hinterherläuft, dann aber bald eine neue Freundin hat. Greta ist die Einzige, die an Vincent herankommt. Er ist vielleicht der geheimnisvollste Charakter in der „Dunkelheit der Tage“, denn er taucht nur ganz sporadisch auf, eigentlich ist er stets auf der Suche nach dem tätowierten Mörder seiner geliebten Freundin Lara. Vincent ist ein undurchsichtiger Charakter, an den wir nicht herankommen, da auch seine Bekannten ihn nicht durchschauen können. Dennoch geht von ihm eine Faszination aus, der sich niemand entziehen kann.

Wir lernen Elias kennen, der in einer kleinen Baracke haust, aber immer wieder zugegen ist, wenn sich kleine Dinge ereignen; so passiert ihm im Supermarkt ein kleines Missgeschick, welches nur Henri durch sein beherztes Eingreifen ausbügeln kann. Elias möchte keine Hilfe seiner Freunde und Bekannten annehmen und feiert daher sogar Weihnachten und Silvester bei eisiger Kälte im Freien, aber immer wieder zeigt er seine Hilfsbereitschaft, er assistiert bei einer Geburt und hilft einer gehässigen Frau nach einem Sturz in ihren Rollstuhl hinein.

Dies sind nicht die einzigen Charaktere, die uns vorgestellt werden. Auf weniger als 400 Seiten stellt Marc Alexander Haas uns eine Vielzahl von verschiedenen Menschen vor und erzählt Teile ihrer Lebensgeschichte. So erfahren wir viele ihrer Eigenarten, Episoden aus ihrer Vergangenheit, aber wir erleben auch ihr aktuelles Leben mit. Im Laufe des Jahres in dieser dunkel gezeichneten Stadt werden Menschen begraben, aber wir schauen auch bei einer Geburt zu. Während die Jahreszeiten wechseln, findet also auch ein kleiner Wechsel der Generationen statt. Die Beziehung zwischen Maria und Eric ist vorbei, doch gibt es nach dem Kennenlernen zwischen Maria und Henri neue Hoffnung. So trostlos, wie Marc Haas uns die unbekannte Stadt präsentiert, baut er auch immer wieder kleine Oasen der Zuversicht ein, die die Geschichte leichter verdaulich machen, auch wenn wir sowohl Armut und Obdachlosigkeit als auch Arbeitslosigkeit und Beziehungskrisen miterleben müssen.

„Die Dunkelheit der Tage“ ist die Biografie einer Stadt samt einem Teil seiner Bewohner, viele völlig unterschiedliche Charaktere verfolgen wir und lernen dabei auf der einen Seite den armen Elias kennen, der für sein Überleben betteln gehen muss, aber wir treffen auch Tito, der von seinem vielen Geld Häuser kauft, die er einfach nur verfallen lassen möchte. Der Roman ist ein Wechselspiel aus Zuversicht und Verzweiflung. Nehmen wir beispielsweise Maria und Henri, die sich kennen lernen, als es Maria nach der Trennung von Eric nicht gut geht. An dieser Stelle muss Henri seine Arbeitslosigkeit verkraften, während es für Maria neue Hoffnung auf dem Arbeitsmarkt gibt, da Gretas Exmann ihr eine Ausstellung in Aussicht stellt. Aber kaum hat dieser eine neue Freundin, löst sich diese Hoffnung in Luft auf. Doch Henri kann helfen, denn er weiß sofort, dass Tito Maria helfen kann. Schon geht es mit den beiden bergauf, doch dann muss Henri den Aushilfsjob auf dem Schrottplatz annehmen und erfahren, dass sein neuer Arbeitgeber dubiose Geschäfte tätigt. Wir erleben alleine an diesem Teil der Geschichte ein ständiges Auf und Ab kennen.

Marc Alexander Haas gelingt der Aufbau einer dichten Atmosphäre und die authentische Zeichnung unterschiedlicher Charaktere. Allerdings fordert er viel von seinen Lesern, er überfrachtet seine Erzählweise völlig, sodass wir einen langen Atem brauchen, um uns durch das Dickicht an Adjektiven, Schachtelsätzen und Metaphern zu kämpfen. Viele Kunstworte werden eingefügt, um eine Sprache zu schaffen, die vielleicht in den Kontext passen mag, die ich aber nicht wie andere Rezensenten als musikalisch bezeichnen möchte, sondern als schwafelig und ermüdend. Auch ist die Geschichte völlig zerpflückt durch den ständigen Wechsel der Schauplätze. Kaum begleiten wir eine Figur auf einem Teil ihres Weges, springen wir schon zu einer anderen Person und erleben mit dieser eine Episode. Dieser ständige Wechsel ohne jeglichen roten Faden führt zu Verwirrung und dazu, dass wir Haas‘ Gedankengängen nicht so recht folgen können.

Meiner Meinung nach hätte der Autor sich auf die Zeichnung einiger weniger Charaktere konzentrieren sollen, dann wären sie uns vielleicht näher gebracht worden, aber Haas versucht die Vorstellung zahlreicher Personen auf wenig Raum und unterbricht seine Erzählung oftmals durch Einschübe, die uns inhaltlich nicht voranbringen, sondern in schier unerträglich schwülstiger Art und Weise eine Szenerie beschreiben wollen:

|“Schilf raschelt spröde; blasse, sehnsuchtsvolle Geschöpfe schälen sich aus der Finsternis, während drüben, im Dunkel des anderen Ufers, der Angler kauert. Geduldig bringt er seine Rute aus, schält das Gebein, aus dem er seine Haken schnitzt. Er zieht harlekineske Fische aus dem stillen Gewässer, und neben ihm hockt friedfertig der Tod. Verirrte Gestalten in der formlosen Dämmerung, vertraut und unvorstellbar fern zugleich, wie Karrenspuren aus der Bronzezeit. Ein Nachen liegt für den Wanderer bereit, er schwoit vor einer pulsenden Höhle, einem Gebirge aus Rauchquarz, von einer rätselhaften Lichtsystole durchblutet.“|

Wer sich von derart überladener Sprache nicht abschrecken lässt, sondern sie womöglich als Kunst bezeichnet, und wer die Geschichte einer Stadt und seiner Figuren kennen lernen möchte, der mag sich mit der „Dunkelheit der Tage“ anfreunden können, ich persönlich bin mit der Erzählung nicht warm geworden. Zu zerpflückt erschien mir der Text, zu schwafelig die Sprache und auch das Schicksal der Charaktere berührte mich nicht. Das vorliegende Buch ist kein Unterhaltungsroman, sondern ein schwer verdauliches Stück Literatur, das seine Leser herausfordert und viel Aufmerksamkeit und Durchhaltevermögen benötigt. Leider wird man nicht durch eine interessante Geschichte belohnt, sondern nur durch kleine Episoden verschiedener Charaktere, mit denen man sich nur halbwegs anfreunden kann.