Harald Braem – Der König von Tara

Magisches Irland an der Zeitenwende

Der „historische“ Fantasyroman beschreibt Geschehnisse an einer Zeitenwende, als sich die vorchristliche irische Gesellschaft an einem Wendepunkt befand. Die Magie schwindet, neue Ideen lösen sie ab. Und mittendrin spielt sich eine klassische Dreiecksgeschichte ab, die einer historisch verbürgten Legende entnommen ist: der Sage um die Liebe zwischen dem Helden Diarmaid und der zauberkundigen Königstochter Grainne, die aber schon dem finsteren Feldherrn Finn versprochen ist.

Der Autor

Harald Braem (Pseudonym: Wolfram vom Stein, * 23. Juli 1944 in Berlin) ist ein deutscher Designer, Schriftsteller, Kulturwissenschaftler und Farbpsychologe.

Werke

Ein blauer Falter über der Rasierklinge, Frankfurt am Main [u. a.] 1980
„Die Nacht der verzauberten Katzen“ und andere Geschichten, Frankfurt am Main [u. a.] 1982
Die Macht der Farben, München 1985
Träume in Blech und Papier, Bern [u. a.] 1985 (zusammen mit Manfred Schmidtke)
Brainfloating, München 1986
Morgana oder Die Suche nach der Vergangenheit, München 1986
Sirius grüßt den Rest der Welt, München 1987
Der Eidechsenmann, München 1988
Auf den Spuren atlantischer Völker: Die Kanarischen Inseln, München 1988 (zusammen mit Marianne Braem)
Der Löwe von Uruk, München [u. a.] 1988
Selftiming, München 1988
Zodiak, München 1988
Die Balearen, München 1989
Ein Sommer aus Beton, Würzburg 1989
Hem-On, der Ägypter, München [u. a.] 1990
Der Kojote im Vulkan, Berlin 1990
Die Sprache der Formen, München 1990
Tanausu – der letzte König der Kanaren, München [u. a.] 1991 (Neuauflage Tanausu, König der Guanchen, Santa Úrsula 2003)
Große Spinne, kleine Spinne, Kaiserslautern 1992
Das magische Dreieck, Stuttgart [u. a.] 1992
Bibliographie des deutschsprachigen Schrifttums zur internationalen Felsbildforschung, Lollschied 1994 (zusammen mit Thomas Schulte im Walde)
Der Herr des Feuers, München [u. a.] 1994
Die magische Welt der Schamanen und Höhlenmaler, Köln 1994
Der Vulkanteufel, Stuttgart [u. a.] 1994
Das Hotel zum Schwarzen Prinzen, München [u. a.] 1995
Magische Riten und Kulte, Stuttgart [u. a.] 1995
Der Wunderberg, Stuttgart [u. a.] 1996 (unter dem Namen Wolfram vom Stein)
==>Der König von Tara, Stuttgart [u. a.] 1997
Paläste, Tempel, Hieroglyphen, Bindlach 1997 (zusammen mit Christof Heil)
An den Küsten der Sehnsucht, Bettendorf 1999
Das blaue Land, Stuttgart [u. a.] 2000
Frogmusic, Plön 2001
Meine Steppe brennt, Bettendorf 2006
Auf den Spuren der Ureinwohner. Ein archäologischer Reiseführer für die Kanaren, Zech Verlag, Santa Úrsula 2008, überarbeitete Neuauflage 2018
Tod im Barranco, Teneriffa 2012
Der Libellenmann, Tübingen 2016
über 600 Einzelveröffentlichungen, u. a. in Schulbüchern
Die abenteuerlichen Reisen des Juan G., Chemnitz 2020
Die Wälder meiner Kindheit, Chemnitz 2020
Atlantis-Botschaft, Chemnitz 2020
Gilgamesch Band 1 – Der Löwe von Uruk, Chemnitz 2020
Gilgamesch Band 2 – Reise zum Licht, Chemnitz 2020 (Quelle: Wikipedia.de)

Handlung

Unheil braut sich über dem Irland des 3. Jahrhunderts nach Christus zusammen, die Zeit der Magie neigt sich ihrem Ende zu. Jegliche Zauberkraft droht auf der grünen Insel erlöschen. Vom Volk der Göttin Dana, von dem im Prolog erzählt wird und das vor tausend Jahren über die Insel herrschte, hat nur ein einziger Mann überlebt: der Harfner Ogham.

Doch diese letzte Mohikaner scheint nicht nur ein ausgezeichneter Harfenspieler, Sänger und Geschichtenerzähler zu sein. Das jedenfalls findet Kennog, der vierzehnjährige Junge, den Ogham als seinen Gehilfen in einem Dorf zu sich nimmt. Ogham sieht Geisteswesen wie etwa einen Dämonen-Eber oder eine wunderschöne Fee namens Sheela na Gig. Und in seiner Nähe finden sich merkwürdige Kräfte zusammen.

Cormac Mac Art

Zur Zeit herrscht Cormac Mac Art als König in Tara, der alten Königsburg nordwestlich von Dublin. Doch Cormacs Herrschaft ist nicht unumstritten, denn Rebellen aus Lagin fordern ihn durch Plünderungen heraus. Ihr Anführer Magogh entwickelt sich zu einer ernstzunehmenden Gefahr für Cormac.

Um den Zerfall des Königreichs auszuhalten, beschließt Ogham, nach den magischen Relikten der ruhmreichen Vergangenheit seines Volkes zu suches, der Tuatha de Danaan, dem verschwundenen Volk der Adlergöttin Dana. Kennog ist erstaunt, als die Fahrt zunächst in ein Land geht, von dem nur noch in Märchen erzählt wird: nach Tirnanogh, dem Land der Ewigen Jugend. Doch diese Insel gibt es wirklich, wie er erstaunt sieht. Sie ragt mitten aus dem westlichen Meer, und nur ein verrückter Fährmann kann einen dorthin bringen. Dort hat Ogham eine Vision.

Oghams Suche

Ogham sucht den legendären Kessel, der den Kriegern unüberwindliche Stärke einflößt, die Kette, deren Glanz alle Feinde blendet und sechs weitere Gegenstände der Macht. Sie sollen dem König magische Kräfte verleihen. Doch einen hat er bereits gefunden: Kennog trägt eine Pfeilspitze um den Hals, die einst Bres, einem der neuen Könige der Tuatha De Danaan, gehörte. Getaucht in Holundersaft beschleunigt sie die Gedanken.

Nur Ogham kennt noch die Orte, an denen die anderen acht magischen Objekte verwahrt sind. Und seine weiteren Reisen durch Erinn dienen der Suche nach ihnen. Doch Kennog hatte im Traum ebenfalls eine Vision. Wie vor neunhundert Jahren prophezeit (siehe den Prolog, mehr dazu unten), sollen dereinst ein Mann aus dem Norden und eine Frau aus dem Süden einander finden und so den Fluch von den verzauberten Schwanenkindern des Lir nehmen. Kennog selbst ist der Mann aus dem Norden und seine Traumgefährtin die Frau aus dem Süden…

Der Aufbau des Buches

Das Buch hat sechs Teile. Neben Pro- und Epilog sind die vier Mittelteile wichtig. Sie sind den vier höchsten Feiertagen der alten Kelten des Westens gewidmet. Da ist zunächst Beltaine, das Fest der hellen Feuer am 1. Mai. Die Nacht davor ist heute noch als Walpurgisnacht bekannt.

Danach folgt am 1. August das „Hochzeitsfest des (Gottes) Lug“: Lughnasad. An Allerheiligen berühren sich die Menschen- und die Anderswelt – der Feiertag heißt Samhain. Die Nacht davor ist heute noch als Halloween (= All hallows‘ eve) bekannt. Schließlich folgt am 1. Februar das Fest Imbolc, das „Anlegen der Lämmer“. Der Kreislauf des Jahres kann von Neuem beginnen.

Sagen und Legenden, der Prolog

Die Sagen und Legenden, die Ogham erzählt, sind vom Feinsten, das man sich in der irokeltischen Literatur nur vorstellen kann. Ich konnte keine qualitativen Unterschiede zu echten Überlieferungen feststellen. Wahrscheinlich verhält es sich sogar so, dass der Autor sie in entlegenen Sagen und Überlieferungen gefunden hat. Andernfalls hat er sie hervorragend erfunden.

Die Geschichte aus dem Prolog ist hingegen weltberühmt. Sie erzählt vom traurigen Schicksal der vier Kinder des Königs Lir, die von einer bösen Stiefmutter namens Aife in vier schneeweiße Singschwäne verwandelt wurden. Der Fluch, den Aife über sie verhängte, solle erst nach dreimal dreihundert Jahren aufgehoben werden. Doch der Fluch, den König Lir über Aife verhängt, ist noch weitaus schrecklicher. Er verwandelt sie für die nächsten tausend Jahre in ein wütendes Sturmwesen, das rast- und ruhelos über die Erde wehen muss. Ogham und Kennog bekommen den nimmermüden Zorn Aifes öfter zu spüren, als ihnen lieb ist.

Mein Eindruck

Das Buch liest sich recht schön und flott. Im zweiten teil, nach etwa 220 Seiten entwickelt die Geschichte auch ein gewisses Tempo. Doch zeigt sich dann, dass es dem Autor nicht gelungen ist, zwei völlig verschiedene Stoffe miteinander zu verschmelzen.

Die oben genannte Geschichte gibt den Stoff für ein schönes, poetisches Jugendbuch her, dessen Handlung auf eine romantische Lösung zustrebt. Die kommt zwar zustande, doch nur über einen riesigen, gewagten Umweg. Dieser besteht im Einbau einer historisch verbürgten, etwa 1000 Jahre alten Legende, die im 12. bis 15. Jahrhundert weiterentwickelt wurde: Die Legende vom Recken Diarmiad und der Königstochter Grainne, die eigentlich Finn, dem alten und boshaften Heerführer des Königs versprochen ist. Dieses Epos wiederum entpuppt sich als knallharter und mitunter äußerst blutiger und sexuell offenherziger Erwachsenen-Thriller, dem es an Finessen nicht mangelt: Intrigen, böse und gute Hexen, Rachefeldzüge, ein Geistereber – alles, was das Herz begehrt, ist hier zu finden.

Allerdings verwandelt sich das Jugendbuch in ein tragisches Heldenepos, das, da es in Irland spielt, mit Mord und Totschlag endet. Seltsamerweise gibt es jedoch kaum Berührungspunkte zwischen Kennogs Geschichte über Ogham und der Diarmaid-Legende. Weder Kennog noch Ogham konfrontieren die zentralen Gestalten des Diarmaid-Epos, lediglich Kennog nennt Diarmaid seinen Freund, denn dieser will ebenfalls Oghams Schüler werden.

Das einzige Verbindungsglied zwischen den beiden Erzählsträngen bilden Träume und Gesichte. Kennog gelingt mit Hilfe des Pfeilspitzen-Talismans eine umfassende Vision von drei der wichtigsten alten Relikte. Doch die Vision ist nicht einfach zu entschlüsseln. Wie sich zeigt, enthüllt sie das unglückliche Schicksal Diarmaids und Grainnes, denen der verschmähte Finn unbarmherzig nachsetzt. Dessen Starrsinn wird dem Königreich schweren Schaden zufügen.

Immerhin entsteht aus diesem Handlungsverlauf auch etwas Gutes: Kennogs Vision von der unfehlbaren Lanzen des Königs Lug führt zur Erfindung der Schrift durch Ogham, dessen Alphabet noch heute weltberühmt ist. (Leider fehlt eine Schilderung, warum das Alphabet ausgerechnet die Form von Kerben über einen zentralen Mittelstrich hat. Man muss sich den Rest denken.)

Das andere positive Ergebnis besteht in der romantischen Liebesbeziehung zwischen Diarmaid und Grainne, die einerseits zu einer Verschmelzung von Körper und Geist führt, zum anderen alle gesellschaftlichen Bindungen überwindet – also eine frühe Version von Romeo und Julia. Davor wurden Beziehungen zwischen Mann und Frau eher auf wirtschaftlicher Ebene arrangiert, meist von den jeweiligen Eltern.

Ein Sprachproblem

Die kaum vollzogene Kombination der zwei Handlungsebenen führt mitunter zu der grotesken Erscheinung, dass ein episches Geschehen um Finn und Diarmaid mitunter in einer Sprache wiedergegeben wird, die man nicht in einem psychologischen Zusammenhang findet, sondern nur in sehr formelhaften epischen Texten, wie etwa dem „Nibelungenlied“. Die Dialoge sind steif, abgehackt und strotzen vor Pathos. Da schimmert eindeutig Braems Quelle in unbearbeiteten Zustand durch (die aber nirgendwo genannt wird).

Kein Glossar

Ein weiterer Wermutstropfen: Es fehlt ein Glossar. Das ist aber nicht so schlimm, wie es klingt, denn die zahlreichen irischen Begriffe werden im Text erklärt. Lediglich die Aussprache aller Namen usw. muss man sich selbst zusammenreimen. Oder nachschlagen, beispielsweise in Helmut W. Peschs Jugendbuch „Die Kinder von Erin“, das 2003 ebenfalls bei Bastei-Lübbe erschien und ein sehr hiflreiches Glossar mitsamt Aussprachehilfe enthält.

Das Titelbild

Die Titelillustration zeigt den hellglänzenden Umschlag eines Buches aus purem Gold. In das Gold sind rote, grüne und blaue Edelsteine eingelassen. Das Mittelstück zeigt ein bärtiges Männergesicht – der titelgebende König? In seinen Fäusten winden sich Drachen – ein Zeichen seiner Macht. Darunter ist eine Kampfszene zu sehen: Ein Krieger steht grässlichen Fabelwesen gegenüber, die ihn angreifen. Auch die Rückseite des Umschlags zeigt einen solchen mythischen Kampf.

Unterm Strich

„Der König von Tara“ führt den Fantasyfreund in eine Zeit vor der Ankunft des Christentums, als die irische Gesellschaft noch ganz andere Strukturen und Gebräuche aufwies als danach. Die gestalt des Dichters, Musikers und Schamanen Ogham verweist in eine Zeit, als Feen und Götter unter den Menschen wandelten, wenn auch nur noch an verborgenen Orten.

Die Sprache hatte andere Funktionen, die sich mit der hier geschilderten Erfindung der Schrift erheblich wandelte. Interessant auch, dass die Druiden – zu denen Ogham keineswegs zählt – beträchtliche Vorbehalte gegen die Weitergabe von Wissen in Schriftform hatten und sich dagegen stemmten. In Tara fand zum höchsten Feiertag Lugnasad regelmäßig ein Sängerwettstreit statt. Und im Augenblick seiner Ermordung kann so ein Sänger durchaus einen verhängnisvollen Fluch verhängen. Den „Höhepunkt“ der Handlung bildet nämlich Taras Untergang. Die Szene erinnert an Nazi-Gräuel während des 2. Weltkriegs.

Ich habe den Roman gerne gelesen, schon weil ich ein Fan von Irland, Fantasy und den Kelten bin. Aber die Umsetzung der beiden grundverschiedenen Handlungsstränge hat mehrmals zu Stirnrunzeln geführt. Dies ist beileibe kein harmloses Jugendbuch, sondern es wartet mit erschreckenden und sexuellen Szenen auf, die ich erst Menschen ab etwa 16 Jahren zumuten würde. Aber es enthält einige der schönsten Gedichtzeilen, die man sich überhaupt vorstellen kann.

Taschenbuch: 463 Seiten
ISBN-13: XYXYXYXYXYXYXYXYX

www.luebbe.de

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