Wolfgang Hohlbein – Nemesis 4: In dunkelster Nacht (Lesung)

Nemesis: Entscheidung auf dem Turm

Der exzentrische Multimillionär von Thum hat drei Männer und drei Frauen auf die Burg Crailsfelden eingeladen. Zwei von ihnen sollen sein Millionenerbe antreten. Nichts verbindet die Eingeladenen, außer dass ihre Eltern irgendwann gemeinsam mit von Thum ein Internat in Craisfelden besucht haben.

In der Nacht ihrer Ankunft kommen bereits drei von ihnen auf mysteriöse Weise ums Leben. Kein Wunder, dass die Überlebenden einander misstrauen. Ihr Gastgeber ist verschwunden, und in den dunkelsten Nachtstunden sind sie allein mit ihren Ängsten und der Gewissheit, dass in den Mauern der Burg der Tod umgeht.

Wer hat in der Küche den wehrlosen Ed Krause als Opfer Nr. 2 getötet? Und was hat es mit der seltsamen Kinderstimme auf sich, die Carl, der Hausmeister, gehört haben will? Kinder scheinen in der düsteren Vergangenheit von Burg Crailsfelden in der Eifel mehrfach eine Rolle gespielt zu haben. Und zwar nicht nur in den letzten Jahrzehnten, als das Gemäuer ein Internat unter der Leitung des verstorbenen Rektors Klaus Sänger beherbergte, sondern schon früher. Sind Marias Behauptung über Menschenversuche in der Nazizeit nicht doch etwas weit hergeholt? Außerdem ist sie seit dem Mord an Ed verschwunden. Und so richtig hatten ihr die anderen Überlebenden auch nicht getraut …

Der Autor

Wolfgang Hohlbein, geboren 1953 in Weimar, hat sich seit Anfang der achtziger Jahre einen wachsenden Leserkreis in Fantasy, Horror und Science-Fiction erobert und ist so zu einem der erfolgreichsten deutschen Autoren geworden (Auflage: 35 Millionen Bücher laut |Focus| 40/2006). Zuweilen schreibt er zusammen mit seiner Frau Heike an einem Buch. Er lebt mit ihr und einem Heer von Katzen in seinem Haus in Neuss.

Der Sprecher

Johannes Steck, geboren 1966 in Würzburg, ist Absolvent der Schauspielschule Wien. Von 1990 bis 1996 hatte er Engagements an verschiedenen Theatern. Dem breiten Publikum ist er vor allem aus dem TV bekannt. Er spielte in zahlreichen TV-Serien. Steck arbeitet zudem als Radio-, Fernseh- und Synchronsprecher. Er hat schon diverse Hörbücher gelesen.

Regie führte Lutz Schäfer, der Tonmeister war Heiko Schlachter. Die Aufnahme fand im Juli 2006 bei Kino-im-Kopf-Produktion, Augsburg, statt (toller Name!).

Das Titelbild entspricht dem der Buchausgabe beim |Ullstein|-Verlag.

Vorgeschichte

Die Erben: Frank Gorresberg (der Erzähler), Stefan, Eduard Krause
Die Erbinnen: Maria Gärtner, Judith, Ellen
Der Hausmeister: Claus Zerberus
Der Rektor: Klaus Sänger (tot)
Der Burgbesitzer: von Thum (verschwunden)

Sechs potenzielle Erben werden auf Burg Crailsfelden eingeladen, doch die Umgebung ist der Gesundheit nicht sonderlich zuträglich. Erst haben alle sechs den gleichen üblen Albtraum, dann verschwindet der Gastgeber auf rätselhafte Weise in einem Brunnenschacht. Ein erster Fluchtversuch mit einem Auto scheitert auf spektakuläre Weise: Der Wagen wird von einem herunterrauschenden Fallgatter fast zweigeteilt.

In den mittelalterlichen Säulengängen unter der Burg sind nicht nur Kerkerzellen zu besichtigen. Hinter einem Kanisterstapel entdeckt der scharfsinnige Stefan auch einen geheimen Raum. Hier finden sich nicht nur ein Dolch der Napola (einer nationalsozialistischen politischen Anstalt), sondern auch Zeitungsartikel über Nazigold. War unser braver Hausmeister hinter diesem Zeug her? Er erzählt, im Dritten Reich seien in der Burg nicht nur Nazis untergebracht gewesen, sondern auch ein Kinderheim und eine Klinik, wo Frauen uneheliche Kinder zur Welt bringen konnten.

Frank, der Erzähler, fragt Maria Gärtner wegen der von ihm im Rektorzimmer gefundenen Fotos, denn sie stammt aus dem Dorf Crailsfelden. Nun, sagt sie, eines steht fest: Die sonderbaren Runen auf den Fahnen dieser Pfadfinder sind keine Hakenkreuze. Es sind die Runen, die für den Lebensborn reserviert waren. Der „Lebensborn“ war eine reichsweite Organisation, in der SS-Angehörige und andere „rassische Eliteangehörige“ mit ausgewählten Frauen Kinder zeugen konnten, um die arische Rasse zu verbessern und ihren Fortbestand zu sichern. Eine Zuchtanstalt. Aber eigentlich kann das nicht sein, denn das Auto, vor dem die Pfadfinder auf dem Foto stehen, wurde erst ab 1953 gebaut …

Als Stefan, der Hüne, sich über die Burgmauer abseilen will, wird er von gierigen Fledermäusen attackiert. Doch nicht an den Bissen stirbt Stefan, sondern an dem Nazi-Dolch, der in ihm steckt. Nach einem weiteren Ausflug in die Katakomben der Nazi-Forschungslabore kehren die Überlebenden in die Küche zurück, nur um dort Ed Krause mit durchschnittener Kehle vorzufinden …

Handlung

Nach einigem ergebnislosen Rätselraten, wer für den blutigen Mord an Eduard Krause verantwortlich sein könnte, raffen sich die drei überlebenden Erben wieder auf, um zusammen mit Carl, dem Hausmeister, die Wunden zu behandeln. Und wo ist überhaupt Maria Gärtner abgeblieben? In drei Stunden sollte die Sonne aufgehen.

Die Chirurgin Ellen vernäht Judiths Oberarmwunde fachgerecht, dann geht sie in die Dusche, die zuvor von Frank und Judith benutzt worden ist. Während Ellen weg ist, denunziert Carl sowohl sie als auch Judith. Das löst in Frank, der sowieso einen Hass auf Carl schiebt, einen Angriff aus, den nur Judith in letzter Sekunde abwenden kann. Frank würde Carl am liebsten umbringen. Als Ellen wieder zurückkehrt, ist sie so aufreizend gekleidet, dass sich Judith und Frank provoziert fühlen. Ellen verachtet die hausbackene Judith.

Nachdem man allgemein erkannt hat, dass es keinen Ausweg aus dieser Burg gibt und eine Handyverbindung wegen Funkloch nicht zustande kommt, fragen sich alle, wo Maria ist. In ihrem verwüsteten Zimmer ist nur ihr Koffer. Als Carl ihn umdreht und auch die Geheimfächer durchsucht, gibt es ein paar Überraschungen: Maria ist Journalistin, die das Naziprojekt „Lebensborn e. V.“ erforscht: Menschenzucht, Bordelle für SS-Offiziere, aus ganz Europa verschleppte Frauen, arischer Nachwuchs usw. In Brandenburg, so besagen Marias Unterlagen, wurden 1940 Kinder vergast und seziert. Und was war dieses ominöse „Projekt Prometheus“?

Carl weist dies alles weit von sich. So ein Ort sei Burg Crailsfelden in der schönen Eifel nie gewesen! Und es war strategisch so unwichtig, dass die Amis Anfang 1945 hier einfach durchgerollt seien. Die Burg sei ein einfaches Mütterheim gewesen, nichts weiter. Aber warum schloss dann Rektor Sänger 1986 sein Internat, als er bereits siebzig war? Eine seiner Internatsschülerinnen brachte sich um. (An dieser Stelle bekommen Frank und Judith wieder Kopfschmerzen.) Im Koffer finden sich auch Patronen für eine Pistole vom Kaliber .38: Maria Gärtner, die sie alle für eine graue Maus und harmlose Bibliothekarin hielten, ist bewaffnet!

Dieser Fund löst einen Stress aus, der wiederum in dem labilen Frank einen Schub schizophrener Dissoziation auslöst. Nicht nur begibt sich sein Geist wieder auf Zeitreise in die Vergangenheit. Nein, diesmal zieht sich sein Ego in einen kleinen Winkel seines Bewusstseins zurück und schaut zu, wie eine andere Ebene seines Wesens, die ihm bislang unbekannt war, das Kommando übernimmt.

Im Traum sieht er sich nun als Kind im Körper eines Erwachsenen. Wieder steht er auf den Zinnen des Zentralturms Miriam gegenüber. Aber da sind nun auch Maria, mit einer Pistole, sowie Ellen und die anderen Erben. In der folgenden Auseinandersetzung erklingen das Lied „Lili Marleen“ und ein Schrei, der in der Tiefe verhallt …

Mein Eindruck

In dieser Episode scheint Sex eine große Rolle zu spielen. Doch während sich Frank und Judith durch ihr Liebesspiel nur enger aneinander binden, versucht Ellen durch ihr sexy Outfit unter den übrig gebliebenen drei Gefährten Zwietracht zu säen, indem sie sexuelle Übergriffe provoziert. (Man sollte berücksichtigen, dass keiner aus der Zwangslage in der Burg entkommen und ihr aus dem Weg gehen kann.)

Im zweiten Teil der Episode führt der Autor den parallel geführten Handlungsstrang um die geheimnisvolle Miriam zu Ende. In dieser Traumhandlung erkennt Franks verändertes Ich, dass alle wie an Marionettenfäden hängen und dementsprechend agieren. Sigmund Freud hätte an solchen Szenen sicher seine helle Freude.

Ohne mehr verraten zu wollen: Wieder einmal gilt das Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip, das vorschreibt, dass ein weiterer Erbberechtigter das Zeitliche segnet. Die Art und Weise, wie dies herbeigeführt wird, ist völlig zusammenhanglos und hätte sich ebenso gut auf andere Weise zutragen können. Zunehmend wirken die Szenenwechsel völlig unmotiviert und lassen sich nur mit Franks Dissoziation erklären, die keinen Zusammenhang in Wahrnehmung und Erleben zulässt.

Dass dies alles nur mäßig spannend ist, braucht wohl kaum extra betont zu werden. Das Kaleidoskop an Eindrücken, die dem Zufallsprinzip gehorchen, mutet eher wie ein Panoptikum an, das mit immer neuen Sensationen aufzuwarten hat. Sexszenen wechseln auf diese Weise mit Kampf ab, dieser wiederum mit einem geistigen Zusammenbruch, worauf wieder eine Traumsequenz folgt und so weiter ad infinitum.

Zeitreise: stets etwas knifflig

Immerhin gelingt dem Autor etwas, woran sich schon viele Autoren die Zähne ausgebissen haben: eine psychologische Begründung für die Zeitreise. Da das menschliche Gehirn bekanntlich die beste Zeitmaschine ist, die uns zur Verfügung steht (versetzen uns Träume nicht jede Nacht in die Vergangenheit?), liegt es nahe, das Bewusstsein so zu beeinflussen, dass es sich in eine andere Zeit versetzt fühlt. Diese Anderzeit wird subjektiv dann als Realität erfahren. So geschieht es – ganz geplant – in Jack Finneys fabelhaftem Roma „Das andere Ufer der Zeit“, und in „Nemesis 4“ erfolgt dies im Zuge eines geistigen Zusammenbruchs eher passiv und erleidend.

Der Sprecher

Dem Sprecher gelingt es, die durch die Klischees vorgegebenen Figuren einigermaßen zum Leben zu erwecken. Allerdings gehen ihm langsam, aber sicher die Rollen aus, die es noch zu interpretieren gibt: Stefan und Ed sind bereit abserviert, und in Episode 3 und 4 taucht Maria gar nicht mehr auf. Frank selbst, der Ich-Erzähler, erklingt mit einer ganz normalen männlichen Stimme – allerdings viel zu selten. Judith ist die schutzbedürftige junge Frau, kann aber durchaus auch zu einer Waffe greifen. Ellen, die kaltschnäuzige Ärztin, ist ihr genaues Gegenteil: eine kühle Managerin, aber zunehmend hart am Abgrund der Hysterie.

Einige gute Szenen liefert die Interpretation von Carls Wandlung. Der Hausmeister und Wirt und Althippie, der sonst immer etwas schleppend spricht, windet sich unter der Folter, die Frank ihm androht, fleht und bettelt zum Steinerweichen. Doch als Frank wegen seines Zusammenbruchs ausfällt, ist kein ernst zu nehmender Gegner mehr übrig und Carl kann endlich das Kommando übernehmen. Am Ende hat er Marias Pistole Kaliber .38 in der Hand und sagt, wo’s langgeht.

Das Hörbuch verfügt weder über Geräusche noch über Musik, aber dafür ist es recht preisgünstig.


Unterm Strich

Sechs kleine Negerlein – drei gingen drauf dabei, nun sind es nur noch drei. Erben will sowohl gelernt als auch verdient sein. Doch was die sechs Erben auf der Burg durchmachen müssen, ist weit mehr als das übliche Spießrutenlaufen beim Nachlassverwalter. Hier wird mehr als Geld und Vermögen vererbt. Hier werden auch Altlasten weitergegeben: Erinnerungen, Konditionierungen, wohl auch Erbgut. Eine Versuchsanordnung, die einem bislang noch im Dunkeln liegenden Zweck dient.

Der Sprecher tut sein Bestes, die klischeehaften Figuren mit Leben zu erfüllen. Er unterstützt die Spannung und die Mystik ebenso wie den ironischen Humor, der hie und da durchblitzt. Die Wandlung, die mit Carl vor sich geht, ist noch die beste Leistung, die der Sprecher hinsichtlich seiner stimmlichen Flexibilität abliefern muss. Fortsetzung folgt – hoffentlich zu einem ebenso günstigen Preis.

141 Minuten auf 2 CDs
Buchausgabe: Nemesis 4, 2004

www.hoerbucHHamburg.de“