John Crowley – Geschöpfe

Heterogene Gemeinschaft: Integration der Hybridwesen

Die Gentechnologie hat Schimären geschaffen, hybride Wesen aus Mensch und Tier, darunter Abkömmlinge von Löwen und Füchsen. Sie wachsen heran und bilden Minderheiten, die auf ihre Rechte als intelligente Wesen pochen. Sie werden betrogen, in Reservate abgedrängt und sogar von Rassenfanatikern abgeknallt. Diese kommen von der Union for Social Engineering (USE) und trachten danach, aus den zerfallenen USA wieder eine Union zu schmieden. Nur die Untergrundkämpfer können gegen die USE ankommen, und dafür setzen sie alle Mittel ein… (Verlagsinfo)

Der Autor

John Crowley, geboren 1942, lebt in den Hügeln des Flusses Connecticut in Massachusetts mit seiner Frau und seinen Zwillingstöchtern. Er ist der Autor der drei Zukunftsromane „In der Tiefe“ (1975), „Geschöpfe“ (1976) und „Maschinensommer“ (1976) (alle drei im gleichnamigen Sammelband bei Heyne) sowie des Fantasyromans „Little, Big“ (Das Parlament der Feen; dt. bei Heyne), der mit dem World Fantasy Award ausgezeichnet wurde.

Außerdem verfasste er die phantastischen Romane „Aegypten“ (dt. bei S. Fischer, 1994; siehe meinen Bericht), „Daemonomania“ und „Love & Sleep“. Zusammen stellt diese Trilogie den Versuch dar, die Weltgeschichte und die Geschichtsschreibung mit Hilfe der Imagination umzudeuten. 2002 erschien der Mainstream-Roman „The Translator“, dessen Übersetzung bei Golkonda erscheint. Crowley ist Preisträger des “American Academy and Institute of Arts and Letters Awards for Literature”.

Handlung

Loren Casaubon will eigentlich bloß ein paar Wanderfalken auswildern. Die Finanzierung seines kleinen Naturprojektes wird jedoch ohne Vorwarnung gestrichen. In einem Anruf beim Finanzier Dr. Small stellt sich heraus, dass die Union of Social Engineering (USE) das Institut bedroht und dieses eine Präventivmaßnahme ergriffen hat, um Schaden abzuwenden: die Streichung von Lorens Mitteln.

Aber mit der anderen Hand bietet ihm der Programmkontrolleur Dr. Small Hoffnung: Loren wäre qualifiziert, die beiden Sprösslinge von Dr. Jarrell Gregorius, des Direktors der Nördlichen Autonomie. Da die USA nach dem letzten Krieg in viele verschiedene Autonomien und Stadtstaaten zerfallen sind, stellt Gregorius so etwas wie einen Präsidenten dar. Es hätte schlimmer kommen können, findet Dr. Small. Wütend radelt Loren los.

Painter

Painter ist ein Leo, also ein Löwenmensch. Täglich sieht Caddie ihn in der Bar rumhängen, in der sie kellnert. Ihr Boss, der Barbesitzer Hutt, hat sie für zehn Jahre in seine Leibeigenschaft genommen, damit sie so ihre Schulden abarbeiten kann. Als eines Tages Painter behauptet, er habe sie gekauft, indem er ihre Restschulden beglichen habe, glaubt ihm Caddie nicht. Aber Painter nimmt sie trotzdem mit.

Sein Weg führt ihn in die Berge, wo eine erstaunlich gut ausgebaute Hütte ihnen Zuflucht und Obdach bietet. Angeblich werden sie nämlich von Jägern der USE verfolgt, sagt Painter. Inzwischen hat sich die Vollwaise Caddie ein wenig an ihn gewöhnt, und als er sie in seine starken Arme nimmt, muss sie aus unerfindlichen Gründen weinen. Nach ein, zwei Tagen in der Hütte kann sie nicht anders, als mit ihm zu schlafen. Es fühlt sich gut und richtig an.

Als ein Fuchsmensch namens Reynard in der Hütte auftaucht, um mit Painter zu reden, wird klar, dass in der Welt einiges in Bewegung geraten ist. Die beiden wollen der USE einen Streich spielen. Reynard sagt, dass ein Hybride wie Painter laut Gesetz keinen Leibeigenen besitzen dürfe. Als Painter nach Süden ins Genesis-Reservat aufbricht, schließt sich ihm Caddie trotzdem an.

Gregorius‘ Ende

Loren ist auf der Ranch von Jarrell Gregorius der Falknereilehrer von dessen Sohn Sten geworden. Die beiden verstehen sich gut, auch wenn Sten ihm zusammen mit seiner Ziehschwester Mika immerzu Streiche spielt. Als ein Fuchsmensch namens Reynard zu Besuch kommt, soll Gregorius ein Papier unterschreiben, das sich gegen die USE und die Bundesregierung richtet.

Doch das Ganze ist ein schlau eingefädelter Coup, um Gregorius, der wenig später getötet wird, als Märtyrer der Nördlichen Autonomie hinzustellen und die USE zu diffamieren, die ihn ermordet habe. Einem Anschluss der N.A. an die Union ist somit ebenso ein Riegel vorgeschoben wie dem wachsenden Einfluss der USE.

Das Genesis-Reservat

Die Pyramide ist so hoch wie ein Berg; rund 800 Meter ragt er über die flache Ebene des Genesis-Reservats, und in seinem 800 Meter breiten Sockel leben rund hunderttausend Menschen autark über und unter der Erde. Bewohner des Penthauses genießen den Komfort der Vorkriegszeit, Bewohner wie die einheimische Bree und der ehemalige Flüchtling Meric.

Doch Berichte von der Sichtung eines Löwenmenschen-Rudels beunruhigen die Direktorin Emma Roth. Die Leos haben angeblich einen Rothirsch gerissen. Ihre Unruhe und Besorgnis breiten sich unter den Naturschützern des „Berges“ aus: Darf man die Existenz solcher Raubwesen zulassen? Als eine Delegation von Agenten der Bundesregierung zusammen mit einem USE-Mitglied bei Emma Roth ihre – bewaffneten – Dienste anbietet, geht es vordergründig darum, einen „Painter“ genannten Entführer einer Leibeigenen und Mörder eines Beamten zu stellen. In Wahrheit steht die naturschützende Gesinnung der Berg-Bevölkerung auf dem Prüfstand.

Unterdessen ist Meric bereits zu dem Rudel aufgebrochen. Als er es aus der Ferne beobachten will, hört er ein Geräusch hinter sich. Ein junger Leo beobachtet seinerseits ihn – mit einem Gewehr in den Händen…

Mein Eindruck

Loren ist der zentrale Beobachter der meisten Teile dieses Romans, quasi einer der Chronisten. Das ist eine recht angemessene Rolle, denn er ist ja in erster Linie Vogelbeobachter. Am Anfang kümmert er sich um Falken, im Mittelteil betreut er Falken und das Geschwisterpaar Sten und Mika Gregorius, am Schluss wieder Vögel, diesmal Kanada-Gänse. Somit ist Loren kein Akteur wie der füchsische Reynard, wie Sten oder Mika, auch nicht wie Meric oder Caddie. Das macht ihn zwar zum guten Chronisten, aber andererseits sieht er sich ständig ethischen Konflikten ausgesetzt. Das sind Konflikte, mit denen sich auch der Leser beschäftigen sollte.

Parteiergreifung

Sten und Mika entscheiden sich zu Lorens Bestürzung und gegen seinen heftigen Widerstand, den im Versteck lebenden Leos beizustehen und ihnen Proviant zu liefern. Durch diesen Akt stellen sie sich gegen die USE und erwecken bei dieser den Eindruck, die Gregorius-Regierung fortzusetzen. Doch sie haben nicht mit den Winkelzügen Reynards gerechnet, der alle Beteiligten wie Schachfiguren in seinen undurchsichtigen Plänen benutzt. Erst am Ende des siebten Kapitels („Ende der Jagd“) wird offensichtlich, auf wessen Seite er steht und wem er helfen will. Er hat die USE ausgetrickst.

Politischer Roman

Man sieht also, dass dies kein Abenteuer- oder Spionageroman ist, und von Action kann nur in wenigen Szenen die Rede sein. Liebe spielt eine Rolle, wenn die Leonine Caddie ihren Emotionen zu dem Leo Painter freien Lauf lässt, doch in allererster Linie ist dies ein politischer Roman. Die Frontlinien verlaufen durch eine Gesellschaft, die sich vor allem für oder gegen Hybridwesen entscheiden muss. So wie sich heute die Welt für oder gegen Migranten und Flüchtlinge entscheiden muss. Soll man sie akzeptieren und integrieren oder lieber ausgrenzen und vernichten?

Heterogene Gemeinschaft

Die Antwort liefert der Ausgang des Romans selbst. Am Ausgangspunkt der Erzählung, dem Turm als Sitz von Lorens Wanderfalken, trifft sich die Gemeinschaft der Hauptfiguren – mit Ausnahme von Meric – wieder. Sie haben sich gegen die USE behauptet und stützen nun einander: Leos und Menschen und, ja, tatsächlich: auch Reynard in einer geklonten Ausgabe. Dies ist die Keimzelle einer integrierten, harmonische Gemeinschaft. Doch schon erhebt sich die Frage, wer ihr König sein soll – Sten Gregorius, der Mensch, oder Painter, der Leo? An diesem Punkt kommt der schlaue Fuchs ins Spiel, wie immer.

Die Übersetzung

S. 13: „…Leiden konnte[n] Lorens Freude … nicht trüben…“. Das N fehlt.

S. 83: „wie sie sich ganz ihren Geb]i]eten ergeben konnte.“ Das I ist überflüssig.

S. 85: „patronisierende Naturfilme“. Gemeint ist „herablassend“.

S. 88: „Zu einer Horde“, korrigierte Meric. Dieser Ausdruck ist für ein RUDEL Löwen unzutreffend.

S. 109: Der gleiche Satz wird zweimal gedruckt, was ziemlich verwirrend ist. „Östlich des Lagers fiel der Boden ab zu einem rauchenden, sumpfigen Bachlauf.“ Wie ein Bach zugleich sumpfig sein und rauschen kann, entzieht sich meinem Verständnis. Warum man einen Satz doppelt druckt, ebenfalls.

S. 124: „EEC“ => EEG.

S. 124: „um Hunde[n] auch in Menschen ihre Meute sehen zu lassen.“ Das N ist überflüssig.

S. 127: „wohin [d]er sonst laufen sollte…“ Das D ist überflüssig.

S. 138: „Der Tunnel lag nicht weit von der Konservenfabrik entfernt, in de[m] die Meute… gesucht hatte.“ Statt „dem“ muss es „der“ heißen.

S. 146: „vom nematorischen Wurm“: Gemeint ist wohl ein Nematodenwurm.

S. 158: „Gelas[s]enheit“. Das zweite S fehlt.

S. 158: „Solitüde“: ein ungebräuchlicher Ausdruck für Abgeschiedenheit.

S. 191: „Darüber erhob [die] das nadelspitze Monument…“ Statt „die“ sollte es „sich“ heißen.

S. 213: „sein Sehvermögen, myonisch und farbenblind“: Statt „myonisch“ muss es „myopisch“ heißen, also „kurzsichtig“.

Die Illustrationen

Die Zeichnungen stammen von „J. Nilsson“ und sind spärlich auf die einzelnen Kapitel verteilt. Viel interessanter ist das provokative Titelbild, das ein gewisser „George Smith“ beitrug. Zu sehen ist ein Fremdwesen, das seine Zähne drohend bleckt. Bemerkenswert ist die Stichwaffe, die es in einer roten Scheide an seinem Oberkörper trägt. Die Waffe – deren Heft von einem Totenkopf gekrönt wird – und die reich verzierte Scheide verraten eine hohe, wenn auch reichlich kriegerische Intelligenz des Wesens.

Ich musste sofort an Kur denken, einen jener Alien-Krieger, die in John Normans Gor-Romanen immer wieder auftauchen. Die Goreaner begegnen solchen Alien-Kriegern mit äußerster Vorsicht, ganz gleich, ob man mit solchen Wesen verhandeln oder Geschäfte machen möchte.

Unterm Strich

In diesem politischen Roman geht es in erster Linie um die Integration verschiedener Arten. Wie könnte es auch anders sein, wenn hier hybridwesen aus Mensch und Löwe, Mensch und Fuchs auftreten? Doch wie Loren Casaubon und Sten Gregorius aus ihren Beobachtungen wissen, muss jede Art gemäß ihren eigenen Gesetzmäßigkeiten und Eigenarten behandelt und respektiert werden. Das ist bei den Kanada-Gänsen und Wanderfalken nicht anders als bei den Leos und den Menschen.

Painter lernt beispielsweise, den inneren Menschen in sich zu achten und zu nutzen: denken statt instinktiv handeln, Mann! Er wird nicht nur von Caddie geliebt, sondern auch von einem Hybridhund namens Sweets, der Kilometer entfernt seine Duftspur aufgenommen hat. Diese Wesen, so lernt die menschliche Umgebung, sind es wert, dass man sie schützt und bei sich aufnimmt. Das einzige Manko: Wo es Geschöpfe gibt, muss es auch Schöpfer geben. Diese Gentechniker tauchen leider nie auf. Nur ein USE-Agent denkt an einer Stelle: „Frankenstein“. Da liegt er allerdings falsch.

Ein Großteil der Handlung ist zwar dem politischen Kampf gegen die USE auf diplomatischer Ebene gewidmet. Doch dieser Kampf artet nur in einer Szene „Ende der Jagd“) in Gewalt aus, und diese hat einen soziopolitischen Zweck. Der Autor hat also genau nachgelesen, was Lenin und ähnliche Genossen über den Klassenkampf geschrieben haben, etwa was die Manipulation des Bewusstseins und der Wahrnehmung der Masse anbelangt.

Dies ist kein Abenteuer- oder Kriminalroman, aber dennoch voller Spannung. Diese beruht darauf, dass die Anteilnahme an der INNEN-Welt der Figuren den Leser für sie einnimmt. Seine Anteilnahme an ihrem Schicksal ist unerlässlich für die Wirkung, die der Roman entfalten kann. Ich machte leider den Fehler, nach Gregorius‘ Tod eine längere Pause in der Lektüre einzulegen. Das war der Empathie abträglich, und es dauerte lange, bis ich mich wieder in den mehrsträngigen Ablauf der Handlung einfühlen konnte. Mein Rat daher: den Roman möglichst an einem Stück lesen, selbst wenn die Schriftart noch so winzig erscheinen mag und es noch so viele Druckfehler gibt!

Taschenbuch: 223 Seiten
Originaltitel: Beasts, 1976
Aus dem Englischen von Hans Maeter
ISBN-13: 9783453306042

www.heyne.de

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