Kameron Hurley – Der Sterne Zahl

Am äußeren Rand des Universums tobt seit Jahrhunderten ein verheerender galaktischer Krieg, in dem hunderte von Weltschiffen zum Einsatz kommen. Um diesen epochenalten Konflikt endlich zu beenden, muss ein verzweifelter Plan gelingen: Anat, die Anführerin des Weltschiffs Katazyrna und der furchterregendsten Schlachtentruppe im Grenzbereich, sehnt sich nach Frieden. Dafür bietet sie ihrer Rivalin die Hand ihrer Tochter Jayd an, die ihr ganzes Leben davon geträumt hat, die Armeen ihrer Mutter zum Sieg zu führen. Doch dank einer einzigartigen Fähigkeit, ist sie das ideale Druckmittel. Daher willigt sie schließlich ein, den Rest ihres Lebens mit der größten Feindin ihrer Familie zu verbringen.
Nun liegt es an Jayds Schwester Zan, die den Krieg verabscheut, die verstoßenen Kämpferinnen zum Sieg zu führen und Jayd zu retten. Doch der Plan läuft ganz und gar nicht wie ursprünglich gedacht …
Eine epische und aufregende Geschichte über tragische Liebe, Rache und Krieg von einer der derzeit am meisten gefeierten Autorinnen des Genres.
(Verlagsinfo)

Kameron Hurley ist die Autorin von Romanen wie Soldaten im Licht und Der Sterne Zahl und der Essay-Sammlung The Geek Feminist Revolution sowie der preisgekrönten God’s War-Trilogie und der Worldbreaker Saga. Hurley wurde bereits mit dem Hugo Award, dem Locus Award, dem Kitschy Award und dem Sydney J. Bounds Award für die beste Newcomerin ausgezeichnet. Sie war außerdem Finalistin für den Arthur C. Clarke Award, den Nebula Award und den Gemmell Morningstar Award. Ihre Kurzgeschichten erschienen im Popular Science Magazine, Lightspeed und in zahlreichen Anthologien.
(Verlagsinfo)

Eine Modeerscheinung ist, dass Romane ohne Bezug zu Diversity oder Gendering kaum noch Chancen haben, Literaturpreise zu gewinnen. Damit sollte „Der Sterne Zahl“ kein Problem haben. Im Nachwort lässt sich die Autorin knapp über ihre Befürchtungen aus, eine Space Opera zu veröffentlichen, „an den Mann zu bringen“, wie das Sprichwort so sagt, die völlig ohne Männer auskommt. Umso beachtenswerter, als dass das präsentierte Setting ein Generationenproblem ist, ein unendlicher Zyklus von Leben und Sterben, ein ewiger Krieg innerhalb einer „Legion“ an Weltenschiffen, die eine künstliche Sonne umkreisen.

Ein außergewöhnliches Setting scheint es im ersten Moment nicht zu sein, auch die Beschreibung aus dem Klappentext verspricht eher Standardkost. Doch die ersten Sätze vermitteln bereits, wie ganz anders gelagert die Erzählung ist. Nichts dreht sich um die Legion als solche, weder ihre Funktion noch ihre Herkunft werden angerissen. Ein Problem wird aufgeworfen, auf das nicht näher eingegangen werden kann, solange sich die Protagonistin nicht erinnert. Einfacher Kunstgriff, so scheint es, doch erhält auch dies am Ende des Buches seine inhaltliche Berechtigung.

Ein näherer Blick auf den Handlungverlauf: Es ist ein Zyklus, ein wiederkehrender Versuch zweier Frauen, das Schicksal der Legion oder wenigstens eines Teils zu verändern, aus dem ewigen Krieg auszubrechen, Veränderung zu erzwingen. Sie täuschen sich und ihre Umwelt in äußerstem Maße, vernichten Leben und Gefährten, Familien und Freunde wie Feinde, um ein Szenario, das sie sich als Ausgangs- und Wendepunkt überlegt haben, eintreten zu lassen und ab diesem Punkt in etwas Neues überzugehen. Doch worauf alles abzielt und wie es zu dieser gemeinsamen, jedoch auch oft gegensätzlichen Aktion kam, bleibt bis zum Schluss im Vergessen der Protagonistin verborgen – und völlige Klarheit erhalten wir auch dann nicht, denn es spielt im Gesamtbild keine ausschlaggebende Rolle. Es geht um die Entwicklung der Welten. Um die Offenbarung der Absurdität dieser Auseinandersetzungen. Dabei ist das Detail dieser Welt an Absurdität und Groteske nicht zu überbieten.

Weltenschiffe, die nicht beherrscht werden können, weil niemand ihre Funktion mehr versteht, wäre in einem Generationenraumschiffsetting ein etablierter Standard. Hurley geht hier viel weiter, überzieht die Schiffe mit organischer Substanz, vereinnahmt jedes Leben, jeden Menschen im ewigen Werden und Vergehen innerhalb der Legion, bezieht Tische und Wände mit Menschenhaut und recycelt Menschen und jedes Objekt in dieser Welt, schleimig, blutig, brutal.

So bleibt es der Gelassenheit und „willing suspension of disbelief“ der Leser vorbehalten, sich auf diese Welt einzulassen. Hinnehmen, dass Menschen, die nicht mehr gebraucht werden, recycelt werden. Hinnehmen, dass die weltengroßen Raumschiffe organische, wohl menschliche Gewebe umhüllt und auskleidet, mit riesenhaften Arterien, Blut, Fleisch. Dass die Frauen zum Erhalt der Schiffe beitragen, indem sie als lebende Ersatzteilfabriken spezifische organische Teile „gebären“, indem sie nach Bedarf des Schiffes schwanger werden und Zahnräder oder Abwehrmechanismen austragen.

Wenn dies gelingt, liest sich die Geschichte als Charakterentwicklung der Protagonistinnen, die einen gemeinsamen Plan verfolgen, wobei eine die andere möglicherweise beeinflusst und betrügt – diese Beziehungen bauen sich auf und kumulieren im Finale, das dann recht plötzlich hereinbricht. Hier zerfällt dann das Geflecht der mächtigen Kontrahentinnen, wird es vereinfacht und beschleunigt damit den Ablauf der letzten, fokussierenden Ereignisse. Und schlussendlich ist es dann doch die Menschlichkeit, die den Ausschlag gibt.

Ein Blick zurück auf die Tatsache, dass diese Geschichte ohne Männer auskommt: Da dies von Hurley hervorgehoben wird, kommt diese Besprechung auch nicht umhin, es zu bemerken. Tatsächlich wird nicht thematisiert, wie es zur Schwangerschaft der Frauen kommt, egal, ob es sich um das Gebären von Menschen oder von Ersatzteilen handelt. Anscheinend ist es speziellen Gebärmüttern vorbehalten, spezielle „Organe“ zu gebären. Klone? Man spricht gelegentlich von der Ähnlichkeit der Menschen jedes Schiffes untereinander … Und doch gewährt Hurley dem Männlichen einen Fokus in diesem Entwurf, nämlich den Herrschaftstitel, die Bezeichnung der Alleinherrschenden, die sich vom Namen des jeweiligen Schiffes ableitet und mit „Lord“ tituliert wird. Das einzige Zugeständnis an das Männliche ist somit das Faktum des Unterdrückers.

Ansonsten spielt das Geschlecht der Figuren keine Rolle. Es fällt im Vergleich mit ursprünglichen Space Operas auf, die stets einen eklatanten Mangel an weiblichen Figuren insgesamt und im speziellen an intelligenten weiblichen Figuren litten. Hier wird gegensätzlich das weibliche Geschlecht verallgemeinert – und für die Handlungen selbst erscheint es austauschbar. Das Setting mit der unlösbaren Verankerung des Weiblichen als Produzent aller Dinge ist das Detail, an dem diese Geschichte aus männlicher Sicht auf diese Art nicht funktionieren könnte.

Insgesamt greift Hurley hier mit vollen Händen aus der Experimentierkiste der Literatur, nichts lässt gewohnte Pfade erkennen. Es ist eine machtvolle Demonstration, wie sich ausgetretene Pfade in allen Bereichen verlassen lassen – und was an Extremen die derzeitige Mode zu erreichen vermag.
Bei all dem liest sich das Buch sehr schnell und spannend, vorausgesetzt, es gelingt das hohe Maß an benötigter Akzeptanz dem Unbekannten gegenüber.

Paperback
Deutsche Erstausgabe
aus dem Englischen von Helga Parmiter
Originaltitel:
The Stars are Legion
Erscheinungstermin: 28.10.2021
400 Seiten
ISBN: 978-3833241048

Das Buch beim Verlag

Der Autor vergibt: (4/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)