Dean R. Koontz – Nackte Angst / Phantom

Das Programm des area-Verlags bietet Klassiker, aber auch neuere Publikationen des Horrorgenres zu verführerischen Preisen an. Da darf natürlich ein illustrer Name wie Dean R. Koontz in der langen Liste der Autoren nicht fehlen. Abgesehen von der Tatsache, dass er einer der bekanntesten modernen Autoren des Genres ist und viele seiner Romane für TV und Kino adaptiert worden sind, war er auch der erste Präsident der |Horror Writers Association|, die den jährlichen |Bram Stoker Award| ausschreibt, der bereits an so bekannte Namen wie Stephen King, Peter Straub oder Nancy A. Collins ging. Der |area|-Verlag hat nun zwei Koontz-Romane im Doppelpack herausgegeben: den eher traditionellen Serienmörder-Thriller „Nackte Angst“ und den Gruselschmöker „Phantom“.

Wer in „Nackte Angst“ gepflegten Horror erwartet, wird zunächst enttäuscht werden. Man hat es hier mit einem Frühwerk des Autors zu tun, in dem Koontz eher auf atemlose Spannung denn auf wohligen Schauer setzt. Ein Serienmörder treibt in New York sein Unwesen und schlachtet mehrere Frauen brutal nieder. Die Polizei steht vor einem Rätsel, gibt es doch zwischen den Frauen keine Verbindung. Die letzte Hoffnung ist nun der Hellseher Graham Harris, dessen Visionen jedoch so vage sind, dass sie die Ermittlungen zunächst kaum vorantreiben. Der Serienmörder fühlt sich dennoch von Harris bedroht und plant, ihn und seine Freundin in Harris’ Büro zu ermorden. Dieses Büro befindet sich in einem typischen New Yorker Hochhaus und der Großteil der Handlung beschreibt die Verfolgungsjagd durch Fahrstuhlschächte und Treppenhäuser.

Der Plot an sich bietet kaum Neues und auch die Auflösung der Morde ist weder überraschend noch der Schwerpunkt der Handlung. Stattdessen läuft Koontz zu Hochform auf, wenn es um die Verfolgung im Hochhaus geht. Zusammen mit Harris und seiner Freundin Connie bricht dem Leser der Schweiß aus, wenn der Mörder immer näher kommt und die beiden sich mit einer Bergsteigerausrüstung an der Außenwand des Gebäudes hinablassen. Diese Szenen sind sicherlich die stärksten des kompakten Romans (er hat nur knapp 300 Seiten) und werden dem Leser am längsten im Gedächtnis bleiben.

Doch leider verlässt Koontz von Zeit zu Zeit das Metier, auf dem er brillieren kann. Die Szenen, in denen er versucht, die Liebesbeziehung zwischen Harris und Connie darzustellen, wirken hölzern und unmotiviert. Seine Beschreibung ihrer Gefühle ist hier genauso wenig überzeugend wie später in „Phantom“. Auch dort wird eine Liebesbeziehung scheinbar nur eingebaut, um die Erwartungen der Leser zu erfüllen und die Handlung an allen Fronten abzurunden.

Dabei sind Koontz‘ Frauenfiguren (Connie in „Nackte Angst“ und Jenny in „Phantom“) trotz ihrer unoriginellen Namen durchaus starke Persönlichkeiten, die innerhalb der Handlung aktive Rollen übernehmen und nicht nur als Sidekicks oder Betthaserl fungieren. Es wird schnell klar, dass Harris dem Mörder ohne Connies starken Willen kaum entkommen wäre. Und trotzdem scheint Koontz in Liebesdingen nur Floskeln wiederzugeben, die den Leser entweder langweilen oder aufregen.

Glücklicherweise sind diese Stellen rar gesät, als wüsste Koontz, dass er hier nicht überzeugen kann. „Nackte Angst“ liest sich damit flüssig und bietet eine spannungsgeladene Lektüre für kalte Herbstabende.

„Phantom“ natürlich kann den Vorgänger noch toppen. Die Ärztin Jenny und ihre kleine Schwester Lisa stellen bei der Heimkehr nach Snowfield fest, dass die ganze Stadt ausgelöscht wurde. Es finden sich zwar Leichen, doch die meisten Bewohner scheinen vermisst zu sein. Jenny und Lisa durchsuchen einige Häuser und finden seltsame Spuren: Alle Menschen scheinen schnell und zum selben Zeitpunkt gestorben zu sein. Die Todesursache ist nicht festzustellen und die Leichen verströmen keinen Verwesungsgeruch. Es gelingt Jenny, die Polizei in der nächsten größeren Stadt zu informieren, die ein paar Männer schickt und die Stadt abriegelt. Doch auch die Polizisten stehen vor einem Rätsel. Bald jedoch wird klar, dass sich in Snowfield ein uraltes Wesen niedergelassen hat, das schon seit Jahrmillionen sein Unwesen treibt und durch scheinbar nichts zu töten ist.

„Phantom“ kann den Leser von der ersten Seite an in seinen Bann ziehen, wenn Jenny und Lisa durch die ausgestorbene Stadt fahren und sich sofort bewusst sind, dass hier etwas Seltsames vor sich geht. Schon diese Exposition macht den Leser sensibel für die Umgebung in Snowfield: Es herrscht absolute Ruhe, keine Vögel zwitschern, kein Hund bellt und keine Autos fahren die Straße entlang. Jenny und Lisa sind die einzigen lebenden Menschen. Wie Jenny schrickt man automatisch auf, wenn plötzlich die Kirchenglocken läuten oder in einer einsamen Seitenstraße Geräusche zu hören sind. Koontz kann hier alle an ihn gestellten Erwartungen vollauf erfüllen. „Phantom“ liest sich wie eine Tour de Force von einer Szene des Schreckens zur nächsten. Das Phantom selbst, der „alte Feind“, stellt einen würdigen Gegner und beunruhigenden Feind dar und die Situation scheint anfangs so aussichtslos, dass Koontz 500 Seiten lang schwer zu tun hat, das Phantom doch noch glaubwürdig um die Ecke zu bringen. Denn zunächst wird nach dem „Zehn-kleine-Negerlein-Prinzip“ ein Großteil der Personage möglichst Aufsehen erregend hingeschlachtet. Als Leser hat man also kaum Verschnaufpausen, wenn Koontz sich in blutigen Orgien und actionreichen Szenen austobt.

An „Phantom“ gibt es nichts auszusetzen. Koontz knüpft seine Story gekonnt zusammen und lässt am Schluss keine offenen Enden übrig. Das macht den Roman rund, unterhaltsam und vor allem: gruselig! In Kombination mit „Nackte Angst“ hat |area| hier zwei in Thema und Ton sehr unterschiedliche Romane herausgebracht, was den Band sehr interessant macht. Zum Schmökern und Fürchten unbedingt zu empfehlen!

Gebundene Ausgabe: 800 Seiten