Die italienische Stadt Venedig ist ein beliebtes Touristenziel. Das ist nicht weiter verwunderlich. Immerhin gibt es eine Menge Kunst und Kultur in der Stadt, die auf Stelzen steht. Zu viel Kunst, wenn es nach der vierzehnjährigen Bea geht. Sie kann ihrer Heimatstadt nichts abgewinnen, schon alleine deswegen nicht, weil ihre verwitwete Mutter als Beauftragte für die Kirchenkunst Venedigs viel zu wenig Zeit für ihre Tochter hat. Doch das junge Mädchen weiß sich abzulenken. Wie sich das in einer Stadt gehört, in der das Boot das Auto ersetzt, ist sie gerne auf und im Wasser. Außerdem ist sie begeisterte Naturschützerin – und Hobbydetektivin!
Mehrere historische Kunstwerke verschwinden aus den Kirchen Venedigs, werden aber jedes Mal unbeschadet zurückgebracht. Diese Ereignisse bleiben rätselhaft, die Polizei tappt im Dunkeln. Als sie Beas Mutter ins Visier nimmt, beschließen Bea und der Freund ihrer Mutter, der Bodyguard Mario, auf eigene Faust zu ermitteln. Zusammen mit der alten, aber weisen Deutschen Rachel Seligmann stellen sie fest, dass jeder der vier Diebstähle in einem anderen der sechs Stadtteile Venedigs stattgefunden hat. Ob das ein Muster ist? Die drei überlegen, wo der nächste Anschlag stattfinden könnte, und tatsächlich: Als sie an der Frari-Kirche Wache halten, schnappen sie den jungen Artisten Guiseppe.
Guiseppes Motiv ist nicht krimineller Natur. Vielmehr wird er von einem Menschen namens Scufo bedroht. Guiseppes Vater liegt nach einem Unfall im Koma und nur eine Rückenmarkspende kann ihn retten. Der zwielichtige Scufo verspricht dem jungen Artisten, seinem Vater zu helfen – wenn er seine Aufträge ausführt. Also zieht Guiseppe los und klaut Kunstwerke – bis das bunte Trio um Bea ihn erwischt. Doch Scufo misstraut dem Jungen und erscheint ebenfalls am Schauplatz. Er schießt Mario nieder und verfolgt Guiseppe. Doch der Junge kann entkommen und arbeitet von nun an mit den anderen drei zusammen, die sich so leicht nicht außer Gefecht setzen lassen. Sie bleiben an Scufo dran und merken erst allmählich, welche Dimension dieser Fall eigentlich besitzt …
Jonas Torsten Krüger, von dem „Der Racheengel von Venedig“ stammt, ist, wie er im Nachwort selbst erklärt, ein großer Fan von Venedig. Das merkt man seinem Jugendkrimi an. Er lässt eine Unmenge Wissen über die Geschichte und die Kultur Venedigs sowie die Stadt an und für sich einfließen. Jede Straße, jeden Platz kann er benennen und dank eines umfangreichen, persönlich kommentierten Glossars verliert der Leser dabei nicht den Überblick.
Dennoch geht die an und für sich spannende Geschichte an einigen Stellen in dieser Unmenge Fakten unter. Das ist schade, denn die Handlung kann sich sehen lassen. Raffiniert und authentisch erzählt sie von den Kunstdiebstählen, deren Auflösung eine Überraschung bereithält. Neben geschickter Denkarbeit kommt auch die Action nicht zu kurz. Man darf gespannt sein auf einen Wettlauf gegen die Zeit, Entführungen und rasante Bootsfahrten, welche die kurzweilige Geschichte nach vorne peitschen.
Ein weiterer guter Grund, dieses Buch zu mögen, sind die sympathischen Charaktere. Obwohl nicht die einzige Perspektive, steht die aufgeweckte Bea im Vordergrund. Sie ist gut ausgearbeitet, auch wenn sie manchmal ein wenig an einen Mädchenroman-Charakter erinnert. Schuld daran ist der beständige Schlagabtausch mit ihrer Mutter, der manchmal etwas klischeehaft wirkt. Es überwiegt allerdings das Positive. Bea verfügt über Charakterzüge und Leidenschaften und macht es jungen Mädchen einfach, sich mit ihr zu identifizieren.
Der Ton im Buch ist zumeist heiter. Manchmal lässt Krüger „das Böse“ zu Wort kommen und diese kaltblütigen, sich bedeckt haltenden Perspektiven tragen einiges zur Spannung bei. Dennoch ist „Der Racheengel von Venedig“ mehr Vergnügen als Bedrohlichkeit, denn der Autor würzt seinen Schreibstil mit einer gehörigen Portion Geist und rhetorischen Stilmitteln. Er benutzt viele ausgefeilte, aber leicht verständliche Metaphern und Bilder mit Anspruch. An solchen Stellen wird das Jugendbuch auch für Erwachsene interessant. Krügers Schreibstil muss sich nämlich beileibe nicht hinter dem einiger „erwachsener“ Kollegen verstecken.
Trotz der überwiegend positiven Kritik möchte das Buch nicht ganz zünden. Zeitweise kommt beim Leser Enthusiasmus auf, aber genauso oft leider auch nicht. Dabei macht Jonas Torsten Krüger handwerklich alles richtig und geht manchmal sogar noch darüber hinaus. Sein Schreibstil ist intelligent und witzig, die Handlung raffiniert. Dennoch langt das resultat noch nicht für die Bestnote. Schade.
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Auflage: 1. Juli 2007
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