Rohrbeck, Oliver (Hg.) / Bierce, Ambrose / Maupassant, Guy de / Poe, Edgar Allan – Drei Geschichten

_Drei Grusellesungen: „Ich bin nicht wahnsinnig!“_

Oliver Rohrbeck, Jens Wawrczeck und Andreas Fröhlich sind drei der Sprecher von den ‚Drei Fragezeichen‘. Auf dieser CD warten sie mit drei gruseligen Geschichten auf. Für jeden der vorgetragenen Texte von Ambrose Bierce, Guy de Maupassant und Edgar Allan Poe haben unterschiedliche Musiker und Sounddesigner in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Sprecher eigene Kompositionen und Geräusche entwickelt, so dass der Hörer in drei völlig verschiedene, schaurige Soundwelten eintaucht.

_Die Autoren_

|1) Ambrose Bierce|

Der amerikanische Schriftsteller Ambrose Bierce lebte von 1842 bis ca. 1914. Nach dem Bürgerkrieg wurde er Journalist in San Francisco und stieg im Hearst-Pressekonzern bald zum national einflussreichen Hauptstadt-Korrespondenten zunächst in London (GB), dann im Washington DC auf. Als Siebzigjähriger unternahm Bierce eine Reise nach Mexiko, mitten in die Mexikanische Revolution, wo sich seine Spur im Gefolge des Revolutionärs Pancho Villa um die Jahreswende 1913/14 verlor. Sein letzter erhaltener Brief lässt vermuten, dass er eine standrechtliche Erschießung für wahrscheinlich hielt. Er wurde mit dem „Wörterbuch des Teufels“ sowie mit der Erzählung „Incident at Owl Creek“ bekannt, in der er die Zeitdarstellung für damalige Verhältnisse sehr unkonventionell handhabt.

Als exzellenter Kenner der politischen Üblichkeiten hatte er eine denkbar schlechte Meinung von seinem Berufsstand des Journalisten und wurde zu einem pointiert geistreichen Zyniker und Beobachter, den man noch heute mit Vergnügen liest. Heute sind vor allem seine mustergültigen Kurzgeschichten gängige Schulbuchlektüre. Bei nicht historisch interessierten Lesern ist er berühmt für seine zynisch-witzigen Definitionen aus „The Devil’s Dictionary“, die zwischen 1881 und 1906 entstanden. Diese sind am ehesten vergleichbar mit Lichtenbergs berühmten Sudelbüchern oder mit Oscar Wilde. (Wikipedia)

|2) Guy de Maupassant|

Guy de Maupassant lebte von 1850 bis 1893. „Der aus lothringischem Adel stammende, in der Normandie ausgewachsene Maupassant war nach Jurastudium und Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 im Marine-, dann im Unterrichtsministerium tätig. Nach dem Erfolg der Novelle ‚Boule de suif‘ (1880, dt. ‚Fettklößchen‘, 1900) widmete er sich ganz der Schriftstellerei.

Die Bandbreite seiner fast 300 Novellen reicht von traditionellen schwankhaften Dreiecksgeschichten über die seit der Romantik beliebten Schauernovellen und phantastischen Erzählungen, meist tragisch endende Liebesgeschichten bis hin zu sozialkritischen Novellen. Er veröffentlichte sechs Romane, von denen ‚Bel Ami‘ (1885) verfilmt wurde. In seinem Stilwillen und seiner Freiraum lassenden Erzählhaltung kommt Maupassant seinem literarischen Ziehvater Gustave Flaubert nahe, mit dem er auch die pessimistische Weltsicht teilt.“ (zitiert nach: Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, S. 1945/46)

|3) Edgar Allan Poe|

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital. (Das Rätsel um seinen Tod wurde jüngst von Matthew Pearl [(„The Dante Club“) 1776 zu einem spannenden Roman verarbeitet.)

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas.

_Die Sprecher_

|Oliver Rohrbeck|, geboren am 21.03.1965 in Berlin, begann seine Karriere als Kinder-Hörspielsprecher mit „Fünf Freunde“ und „Die drei ???“, ist jetzt aber auch Regisseur. Er bleibt wohl ewig mit dem Satz „Ich will Feuermann werden“ aus „Grisu, der kleine Drache“ verbunden. Er ist die deutsche Stimmbandvertretung von Ben Stiller, Ewen Bremner und Michael Rapaport.

|Jens Wawrczeck| (* 12. Juli 1963 in Nyköbing, Dänemark) ist Schauspieler und Regisseur und wurde vor allem als Peter Shaw in der erfolgreichen Hörspiel-Serie von Hitchcocks „Die drei Fragezeichen“ bekannt. Wawrczeck wollte schon als Kind Schauspieler werden und nutzte die Gelegenheit, als der Norddeutsche Rundfunk Sprecher für den Schulfunk suchte. Wawrczeck war damals elf Jahre alt und nach dem Vorsprechen wurde er sofort engagiert. In der darauffolgenden Zeit war er Sprecher in Astrid Lindgrens „Brüder Löwenherz“, war Mowgli im „Dschungelbuch“ und nahm auch an vielen anderen Produktionen teil.

Wawrczeck hat in vielen verschiedenen Hörspielen mitgewirkt. Seit 1979 ist er Peter Shaw in über 120 Folgen der Erfolgs-Serie „Die Drei ???“, so wie seit 2006 Peter Crenshaw in der Nachfolgeserie „Die Dr3i“. Er spricht ferner den Charakter Spence Olchin in der Serie „King of Queens“. (Wikipedia) Jens Wawrczeck ist seit 1989 als Synchronbuchautor und Dialogregisseur in Hamburg, Berlin und München tätig. Er führte 2002 bei dem Hörbuch „Die Darwin Awards – für die skurrilsten Arten, zu Tode zu kommen“ von Wendy Northcutt (|Hoffmann und Campe| Hörbücher, mit Dirk Bach und Hella von Sinnen) Regie sowie 2006 bei „Zwölf Jahre – Hitler und sein Reich“ – eine Audiodokumentation zum Nationalsozialismus von Guido Knopp.

|Andreas Fröhlich| wurde 1965 in Berlin geboren und mit 7 Jahren im Kinderchor des SFB als Synchronsprecher entdeckt (einen seiner frühen Einsätze hat er in „Die Herren Dracula“). Von Anfang bis Mitte der 70er sammelte er erste Hörspielerfahrungen und übernahm 1979 den Part des „Bob Andrews“ in der Serie „Die drei Fragezeichen“. Es folgten Arbeiten als Schauspieler für Film und Fernsehen sowie diverse Auftritte auf der Theaterbühne.

Fröhlich ist leidenschaftlicher „Hörspieler“, arbeitet als Drehbuch- und Dialogautor sowie als Synchronregisseur (Jacksons „Herr der Ringe“, Petersens „Troja“). Als Synchronsprecher leiht er seine Stimme u. a. John Cusack, Edward Norton und Ethan Hawke. In der deutschen Fassung von Jacksons „Herr der Ringe“ sprach er die (schizophrene!) Rolle des Gollum. (Verlagsinfo)

_1) Handlung von „Der Totenwächter“ von Ambrose Bierce_

In San Francisco um das Jahr 1900 schließen die drei Ärzte Halverson, Mancher und Harper (der noch Medizinstudent ist) eine Wette ab. Sie haben schon kräftig gebechert, als Dr. Halverson behauptet, dass es eine Angst gebe, die kein Mensch überwinden könne, nämlich die Angst vor Toten. Mit einer einzigen Ausnahme: Mr. Jarette. Harper und Mancher halten dagegen, und Mancher erklärt sich bereit, die Leiche zu spielen. Topp! Die Wette gilt.

Es ist neun Uhr abends im italienisch geprägten Stadtteil North Beach. Als ein Mann in einen Raum tritt, in dem eine Leiche auf dem Küchentisch aufgebahrt liegt. Der Man sagt kein Wort, als er die Tür verriegelt und die Fenster prüft: Sie sind vergittert. Er ist etwa 30 Jahre alt, hat ein schmales, entschlossen wirkendes Gesicht, setzt sich, um zu lesen. Die Nacht ist noch lang. Er ist der Totenwächter. Nachdem er die weiterhin reglos daliegende Leiche angesehen hat, bläst er die Kerze aus. Sofort wird es im Zimmer stockdunkel. Nach einer Weile beginnt es in seinem Kopf zu dröhnen und eine Beklemmung stellt sich in seiner Brust ein …

Halverson und Harper fahren am nächsten Morgen zum Ort, an dem ihre Wette sich entscheiden soll. Haben sie gewonnen oder verloren? Wie verwundert sie jedoch schauen, als sie eine Menschenmenge vor dem besagten Haus vorfinden, und Polizisten regeln den Publikumsandrang. Der junge Harper beginnt das Schlimmste zu befürchten: Was, wenn beide verrückt oder gar tot sind? Da stürmt ein Mann mit schneeweißem Haar heraus, einem wilden Blick, der keine Rücksicht nimmt und jeden beiseite stößt. Harper ruft ihn an: „Jarette!“ Doch der Mann hört nicht und stürmt die Straße hinunter.

Als Arzt kann sich Halverson entschlossen einen Weg ins Innere des Hauses bahnen, das ebenfalls mit Menschen vollgepackt ist. Er gelang in das „Leichenzimmer“, und da liegt tatsächlich eine Leiche: Das Gesicht ist kaum zu erkennen: gelb, mit verdrehten Augen und Schaum auf den Lippen. Soll das etwa ihr Kollege Mancher sein? Der Gerichtsarzt sagt, dieser Mann sei erst seit zwei Stunden tot. Sofort lässt der Polizist das Zimmer räumen, und Halverson und Harper haben keine Gelegenheit, die für sie wichtigste Frage zu klären: Wer war der Mann, der die Treppe hinabgestürzt ist? Jarette oder Mancher?

Sie werden ihn in sieben Jahren wiedersehen …

_Mein Eindruck_

Die Pointe der Geschichte soll hier nicht verraten werden, aber so viel ist klar: Tote und Lebende sollten keinesfalls in einem Raum miteinander die Nacht verbringen. Ganz besonders dann nicht, wenn es stockfinster ist. Die Story ist nicht nur gruselig, sondern auch bis zum Schluss spannend, denn da der Entflohene offenbar wahnsinnig geworden ist, bleibt für uns stets im Ungewissen, ob er sich nun als Jarette betrachtet oder als Mancher. Macht es überhaupt einen Unterschied? Nur für die zwei Doktoren, die die Wette abgeschlossen hatten.

_Der Sprecher und der Sound_

Oliver Rohrbeck verfügt zwar nicht gerade über die tiefste und sonorste Stimme, aber dieses Manko macht er durch eine Geschmeidigkeit in der Lautstärke wieder wett. Vom Flüstern bis zum Brüllen setzt er alle Mittel ein, die einem Sprecher zur Verfügung stehen. Besonders das suggestive Flüstern ist sehr wirkungsvoll.

Im Rahmen der |Lauscherlounge| realisieren die drei Sprecher ihr jeweils eigenes Geräusch- und Musikkonzept. Die Hintergrundmusik ist bei dieser Geschichte melancholisch, unheimlich und sehr zurückhaltend. Nicht so die Geräusche! Man könnte meinen, der Sprecher säße in einem Saal auf einem Podium, und ständig kämen irgendwelche Techniker hereingetrampelt: Schritte, Klirren von Metall, sogar ein Poltern von etwas Umgestoßenem. Diese Geräuschkulisse ist nicht chaotisch, sondern sehr bedacht genau zu der jeweiligen Stelle im Text passend eingesetzt.

_2) Handlung von „Die Nacht“ von Guy de Maupassant_

Eigentlich hat der Ich-Erzähler, ein typischer Pariser Flaneur, immer nur die Nacht geliebt. Denn Paris ist eine Lichterstadt, die erst beim Verschwinden des Tagesgestirns richtig schön zur Geltung kommt. Daher betet er die Nacht inbrünstig an wie eine Geliebte, wird erst dann richtig beweglich, fast wie eines der Tiere im Bois de Boulogne. Bis eines Nachts alles anders wird.

In jenen nokturnen Stunden um zwei Uhr verlöschen die Lichter der Straßenlaternen für immer, und zunehmende Stille kehrt ein auf den Avenuen und Boulevards der Innenstadt. Ein wachsendes Gefühl der Beklommenheit ergreift unseren Flaneur, doch auch die Gemüsekarren, die zu Les Halles fahren, vermögen seine Schwermut nicht zu lindern. Keine Polizisten, kaum Menschen, allenfalls eine einsame Frau, die um Beistand fleht – er hastet vorüber. Er brüllt in die leere Straße: nichts. Er klingelt an einem schönen Haus: keine Antwort, auch nicht beim wiederholten Male. Die Stunden verrinnen wie in einer Sanduhr.

Als auch sein Taschenchronometer, dessen Ticken ihn bislang getröstet hat, den Dienst versagt, ahnt er das Schlimmste: Dass sich über die Seine-Metropole das Leichentuch des Todes gelegt hat. Mit ihm als einzigem Überlebenden. Um wirklich sicher zu sein, dass die wachsende Kälte nicht auch den Fluss heimgesucht hat, steigt er vom Quai zum Ufer hinab, tastet sich in der völligen Dunkelheit auf den Sand vor, dann stößt er auf Schlamm und schließlich: auf Wasser. Ja, die alte Seine fließt noch. Kalt zwar, doch nicht eiserstarrt.

Hunger, Müdigkeit, Kälte, Stille – sie haben sich verschworen, ihn nicht mehr loszulassen. Er hat keine Kraft mehr, die Treppe zum Quai emporzusteigen …

_Mein Eindruck und der Sound_

Obwohl eigentlich nichts passiert, ist dies eine beeindruckende Erzählung, die wieder einmal Maupassants Meisterschaft als Schriftsteller belegt. Was als ein Loblied auf die Stadt der Liebe und der Lichter beginnt, enthüllt unvermittelt für den Nachtschwärmer eine dunkle Unterseite. Wo Wärme war, herrscht nun Kälte. Wo Menschentrauben gingen, erstrecken sich nun noch gähnend leere Boulevard und Gärten. Ja, selbst die Häuser scheinen wie entleert, als habe eine Seuche ihre Bewohner dahingerafft. Der Autor entfaltet eine Vision des Weltuntergangs aus vielen kleinen Indizien, zahlreichen Empfindungen des Beobachters. Eine wachsende Beklemmung bemächtigt sich auch des Zuhörers, und als das Ende des Erzählers kommt, erscheint es konsequent: der Kältetod des Universums, die ultimative Entropie.

Geräusche sind mir keine in Erinnerung geblieben, allenfalls eine schlagende Turmuhr oder tickende Taschenuhr. Die Musik ist völlig in die Stimmung integriert und verstärkt sie – eine optimale Verbindung.

_Der Sprecher_

Jens Wawrzecks Stimme ist im Vergleich zu anderen recht leise. Aber das kommt dem Text, der von leisen Tönen und atmosphärischen Beschreibungen lebt, sehr entgegen. Hinzukommt eine Musik, die nach einem schwungvollen Intro mit Harfe, Flöte, Violoncello, Kontrabass und Bandoneon zu dezenten Tönen übergeht, die niemals den Vortrag des Sprechers stören. Auf diese Weise wird die Schilderung des unheimlichen Wandels der Stadt suggestiv und bezwingend. Wer sich nicht mit Empathie darauf einlässt, wird jedoch absolut nichts von der Erzählung mitnehmen.

_3) Handlung von „Das verräterische Herz“ von Edgar Allan Poe_

„Ich bin nicht wahnsinnig“, versichert uns der wahnsinnige Ich-Erzähler. Er mag nervös sein, ja, und verfüge über einen übersteigert empfindlichen Gehörsinn, herrje, aber er sei ab-so-lut vernünftig. Na, aber sicher doch.

Irgendwann sei ihm der Gedanke, er weiß nicht warum, in den Sinn gekommen, den alten Mann in der Nachbarwohnung zu töten. Nicht das Gold oder anderer Reichtum, den der Alte aufgehäuft hatte, haben es unserem Erzähler angetan. Nein, es war das eine Auge des Alten, dieses blassblaue Auge, das ihn wie das eines Geiers angestarrt habe, dass ihm das Blut in den Adern gerann. Eines war ihm klar: Der Alte muss sterben.

Doch wie schlau er es anfing! Sieben Nächte lang schlich er sich Nacht für Nacht zu dessen Wohnung, öffnete behutsam die knarrende Tür Millimeter um Millimeter, bis er nach einer Stunde oder so hineinschlüpfen und die Laterne einen winzigen Schlitz weit öffnen konnte. Doch stets war das Geierauge geschlossen. Bis zur achten Nacht. Da starrte es ihn direkt an …

Doch erst nach dem Mord geht der Horror richtig los.

_Mein Eindruck_

Die Erzählung ist so bekannt – nicht zuletzt durch Alan Parsons Vertonung -, dass ich es mir ersparen kann, alles zu erzählen. Was den Hörer immer wieder fesselt, ist der krasse Gegensatz zwischen der Beteuerung des Mörders, er sei keinesfalls wahnsinnig und seinem durchaus durchgeknallten Tun. Wer würde schon stundenlang an der Tür verharren und warten, dass sich der Atem des Opfers wieder beruhigt? Den feinen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen scheinen sein übersteigert feines Gehör und die visuelle Wahrnehmung auszumachen. Die Sinne spielen der so hoch gelobten Vernunft einen Streich, überwältigen die Schranken des rationalen Verhaltens im Nu und führen geradewegs in die Hölle des Wahnsinns.

Hat sich der Mörder ein besonders starkes Kraut reingepfiffen? Oder ist er auf Speed? Mitnichten. Er scheint schon vorher durch sein feines Gehör, mit dem er die Geschehnisse in der Hölle vernehmen kann, reichlich gestresst zu sein. Seine Paranoia ist erklärlich – und wird vom „Geierauge“ des alten Mannes zur Weißglut gebracht.

Wieder „vernünftig“, spielt er den Polizisten den Normalo vor, den nichts erschüttern kann. Bis wieder ein verhängnisvolles Geräusch seinen Kopf füllt, ein Dröhnen, das pocht und pocht. Wieder von Paranoia gepackt, sucht der Mörder ein letztes Mal Erlösung …

_Der Sprecher und der Sound_

Andreas Fröhlich ist einer der subtilsten und fähigsten deutschen Sprecher überhaupt. Gut in Erinnerung ist mir noch sein eindringliches Porträt des Dr. John Polidori im Hörspiel [„Der Vampyr“ 525 nach Byron/Polidori. Sein Porträt des wahnsinnigen Mörders lässt uns fast glauben, dass der Erzähler vernünftig sei, bis dann die Belege für diese „Vernunft“ eine ganz andere Sprache sprechen. In der Mitte tritt eine erleichterte Pause ein: die Stille nach dem Mord. Doch dann geht es erneut los, bis zum verhängnisvollen Ende. Fröhlichs Vortrag sinkt zu einem entsetzten Flüstern herab, bevor seine Stimme schließlich in den schrecklichen letzten Worten der Erzählung in maximaler Lautstärke „explodiert“.

Es sind vor allem die Geräusche, die den Text so realistisch gestalten, zum Beispiel eine knarrende Tür. Da dieser Realismus im Gegensatz zum Wahnsinn des Erzählers und des Dargestellten steht, muss er ergänzt werden durch übersteigerte Geräusche: das Ticken der Holzwümer in der Wand der Wohnung des Alten. Schließlich noch das Pochen, das den Mörder zum Durchdrehen bringt.

Die Musik hat es hier ziemlich schwer. Rhythmus und Melodie sind nicht gefragt. Nur nach dem Prolog („Ich bin nicht wahnsinnig.“) hören wir ein recht flottes Cembalo, das von einem Piano ergänzt wird. Danach ist es die Aufgabe der Musik, eine Stimmung auszudrücken, vielfach mit nur einem Akkord: Anspannung, Beklemmung, Furcht, schließlich Panik.

Sicher, mit einem größeren Orchester hätten sich imposantere Effekte erzielen lassen, doch es ist ja gerade der Kammerspielcharakter, der so genau zum Inhalt der Erzählung passt: Sie spielt im Grunde nur in einem einzigen, engen Zimmer: dem des Alten mit dem „Geierauge“. Es ist eine Vorwegnahme der Gummizelle, in welcher der Erzähler unweigerlich landen dürfte. Und lediglich eine kleine Erweiterung des Gefängnisses seines unter Verfolgungswahn leidenden Geistes.

_Unterm Strich_

Wenn „Der Totenwächter“ ein recht provokativer Auftakt war, so stellt „Die Nacht“ mit ihrem elegisch-beklemmden Stimmungsbild eine kleine Verschnaufpause dar. „Das verräterische Herz“, die Selbstdarstellung eines wahnsinnigen Mörders, der sich für vernünftig und schlau hält, lässt dann als Höhepunkt dieser Sammlung den maximalen Horror auf den Hörer los – mit einer umwerfenden Schlusspointe. Selbst wenn man diese Geschichte schon x-mal gelesen hat und die Vertonung von Alan Parsons kennt, wirkt sie dennoch immer noch durch ihren durchdachten und auf maximale Wirkung ausgerichteten Aufbau.

Geräusche und Musik werden von den drei Sprechern auf jeweils eigene Weise eingesetzt, und ich mag nicht immer mit dem Ergebnis einverstanden sein. Besonders bei Rohrbeck wirken die Geräusche verfremdend und lenken von der Geschichte ab. Bei den anderen Erzählungen verstärken Musik und Geräusche die Wirkung der Vortrags auf optimale Weise.

Die Hörbuchproduktion kann sich hören lassen und beschert dem Horrorsammler ein lohnendes Sammelobjekt. Doch der hohe Preis von 16 Euronen (beim Label; Ladenpreis eher höher) schreckt wohl den einen oder anderen Normalkonsumenten von Audioproduktionen erst einmal ab.

http://www.drei-geschichten.de/

lauscher news