Joseph Ratzinger – Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen

Der umstrittene Präfekt der „Kongregation für die Glaubenslehre“ im Vatikan (früher „Heilige Inquisition“ genannt), Kardinal Ratzinger, legt ein Buch über das Verhältnis des Christentums zu anderen Religionen vor, welches überraschend hohes Niveau aufweist und zur Beschäftigung damit geradezu ruft. Und obwohl die katholische Kirche in den letzten Jahren in der Öffentlichkeit durch ambivalentes Hin und Her zwischen Fortschritt und Rückschritt allen Kopfzerbrechen bereitet und das kaum noch einzuordnen ist, hatte gerade Ratzinger noch im letzten Jahr durch das „Opus Jesus“ die Unvereinbarkeit der katholischen Kirche mit allen anderen christlichen Kirchen dargelegt und viele Hoffnungen auf Fortschritt begraben.

Nun folgt allerdings dieses Buch, welches erneut Fragen aufwirft. Bei aller Treue zur Einzigartigkeit Jesu Christi nähert sich Ratzinger anderen Religionen und Philosophien wieder an – und das als Experte, wie der Leser schnell feststellen darf. Ein genialer Eiertanz wird da betrieben, um zwar die Einzigartigkeit der Kirche zum Heil weiterhin aufrechtzuerhalten, aber auch allen anderen dies dennoch zuzugestehen. In vielen Punkten wirkt dies richtig ketzerisch und das von Seiten der Inquisition(!).

In der Kritik an der Geschichte des Christentums ist er ungewöhnlich scharf. Er anerkennt, dass die Kirche im Gegensatz zu anderen Religionen keine bedeutenden Persönlichkeiten hervorbringen konnte, dass die Anfänge des Christentums im Gegensatz zu den hochgebildeten Geistessystemen z.B. der Griechen ein Schock für jeden Intellektuellen darstellen mussten (Barbarei gegenüber der eigenen Kulturhöhe), dass die Missionierungen ein schwerwiegender Fehler waren und die Kreuzzüge Verbrechen darstellten, die man nicht länger unter christlichem Mantel beschönigen darf. Er merkt selber, dass der Anspruch einer Religion auf Wahrheit eine arrogante Anmaßung darstellt. „Die Vernunft wird ohne den Glauben nicht heil, aber der Glaube wird ohne die Vernunft nicht menschlich“, weswegen er sich vehement für einen neuen dialogischen Umgang von Glaube und Philosophie bemüht. Er verschleiert auch in keiner Weise, dass sich das Christentum in einer tiefen Krise befindet, denn wenn wie heutzutage dies nicht mehr mit den elementaren Gewissheiten der Weltsicht in Einklang zu bringen ist, ist die Auflösung nur konsequent. Seine Hoffnung liegt darin, dass das Christentum eigentlich kein System aufweise, sondern für jeden Christen das Experiment des Mitgehens ist und sich damit ständig wandeln kann. Er versucht, den Keim zu legen für ein neues Christentum, welches das Gewohnte hinter sich lässt.

Seine Hoffnung liegt in einer elitären Avantgarde und Priesterkaste, die das Kultische wieder mehr in den Vordergrund stellt. Der Inhalt soll wieder im Tiefsten darin bestehen, dass Liebe und Vernunft als die eigentlichen Grundpfeiler des Wirklichen in eines münden: Die wahre Vernunft ist die Liebe, und die Liebe ist die wahre Vernunft. In ihrer Einheit sind sie der wahre Grund und das Ziel alles Wirklichen. Dabei stellt er sogar die Enzyklika (den obersten gültigen Methodenkanon) in Frage und hält den grundlegenden Streit darüber für angebracht. Dies ginge sogar konform mit den Ansichten des Papstes, der selber dieses Unterfangen aber nicht angehen wolle, sondern als Aufgabe der kirchlichen Philosophen sehe.

Es gibt also viele Religionen zum Heil, wenn auch unterschieden werden muss zwischen reinen und degenerierten und kranken Religionsformen. Das alte Christentum mit seiner Geschichte gehört für ihn da jedoch ebenfalls zu den erkrankten Formen. Heil ist für ihn, wenn der Spruch des Herzens vernehmbar ist. Deswegen habe es zu allen Zeiten auch „heilige Heiden“ gegeben.

Im Buch setzt er sich fundiert vor allem mit den alten und zeitgenössischen Philosophen wie auch den asiatischen Religionen auseinander. Besonders mit dem Ägyptologen Jan Assmann geht er recht sympathisch um, der die Einführung der mosaischen Unterscheidung als größtes Übel betrachtet, mit der die Sünde in die Welt gekommen sei. In Assmanns Thesen sieht er die wesentlichen Inhalte der gegenwärtig immer stärker werdenden Krise des Christentums sehr genau formuliert und ist der Ansicht, dass jedes Mühen um Verstehen und Erneuerung des Christentums sich genau diesen Anfragen wird stellen müssen.

Er kann noch keine zulängliche Antwort darauf geben, aber er bemüht sich, die Richtung anzudeuten, wohin sich solche Gespräche werden wenden müssen. Trotz seiner Sympathie für Assmanns Gedanken glaubt er nicht, dass eine Rückkehr nach Ägypten, einer „Erlösung“ des Christentums und seiner Sündenlehre, der Königsweg zu Gott sein wird. Er setzt auf das Experimentieren: das Einstehen mit dem Leben. Die Heiligen, die das Experiment bestehen werden, werden nach Lösungen Ausschau halten und Formen und Techniken mystischem Einsseins finden und lehren.
Auch der Dialog mit den asiatischen Religionen muss fortgesetzt werden, denn diese zeigen, dass Religion auch ohne Wahrheitsanspruch bestehen und halten kann. Am verblüffendsten für mich ist die Tatsache, dass – obwohl sonst immer üblich gewesen und gerade von der Inquisition zu erwarten – von keinerlei Verführung des Teufels in anderen Glaubensformen gesprochen wird oder auch nur die Existenz des Bösen überhaupt in seinen Gedanken noch vorkommt.

„Was ist eigentlich wahr?“ ist die Frage des Buches und der Leser grübelt einmal mehr darüber „Was will eigentlich Ratzinger?“ Versucht er, Andersgläubigen nun auf einmal das Christentum schmackhaft zu machen oder bereitet er eine große revolutionäre Veränderung innerhalb der Kirche vor?
Jedenfalls lohnt es sich, mit solchen genialen Denkern den Dialog zu führen, auch wenn sie zur Führung der Kirche zu zählen sind.

Gebundene Ausgabe: 220 Seiten

Berthold Röth für das Magazin www.aha-zeitschrift.de
entnommen der Ausgabe 6/2003, Dez./Jan.
(lektoriell editiert)