Cory Doctorow – Little Brother – Aufstand (Little Brother 1)

Die gehackte Xbox

Marcus Yallow alias „w1n5t0n“ (lies: Winston, die Hauptfigur in „George Orwells Roman „1984“) ist 17, smart und ein echter Computercrack. Als Terroristen die Oakland Bay Bridge in San Francisco in die Luft jagen und den darunterliegenden U-Bahn-Tunnel ebenfalls, werden er und seine Freunde verhaftet, verhört, gedemütigt – und wieder freigelassen, unter Beschattung.

Er kehrt nach sieben Tagen in eine Stadt zurück, die unter totaler Überwachung steht. Jeder Bürger – ein potentieller Terrorist. Menschenrechte – altmodischer Schnickschnack; Freiheit – nichts als ein „Sicherheitsrisiko“. Marcus und seine Freunde beginnen, sich als Gamer-Guerilla zu organisieren. Ihr Plan: Sabotage der staatlich inszenierten Überwachungsparanoia. Ihre Waffen: Grips und Zukunftstechnologien. Ihr Ziel: Sturz der Regierung. (Verlagsinfo Rowohlt)


Der Autor

Cory Doctorow ((https://de.wikipedia.org/wiki/Cory_Doctorow)) ist nach Rowohlt-Verlagsangaben Schriftsteller, Journalist und Internet-Aktivist. Er wurde 1971 in Toronto geboren und lebt heute in Großbritannien.Aber ich habe die Listen von literarischen Auszeichnungen im weiten Feld der Phantastik durchgeackert und bin mehrfach auf Doctorows Namen gestoßen. So wurde der Roman „Down and out in the Magic Kingdom“, der bei uns als „Backup“ erschien, anno 2004 von den Lesern des einflussreichen LOCUS (SF-) Magazins zum besten Debütroman gewählt.

Romane

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Little Brother – Aufstand
Little Brother – Sabotage
Little Brother – Revolution
Wie man einen Toaster überlistet
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Eastern Standard Tribe
Walkaway
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For the Win
Und andere.

Handlung

Marcus Yallow, 17-jähriger Schüler, ist ein Hacker. Sein Deckname: “ w1n5t0n“. Rektor Benson beschuldigt ihn, Prüfungsaufgaben aus dem Schulrechner geklaut und die Überwachungsmaßnahmen sabotiert zu haben. Marcus gibt sich ahnungslos und kommt davon. Diesmal noch. Auch die Gangart-Scanner, die ihn identifizieren sollen, trickst er locker aus – mit einem Steinchen im Schuh.

Marcus ist Schüler an der Chavez High School in San Francisco. Er trifft seinen Kumpel Darryl, gemeinsam freuen sie sich auf das Alternate Reality Game „Harajuku Fun Madness“ (HFM), das aus einer Schnitzeljagd mit Geocaching und Wettbewerb besteht. Zufällig lieben beide insgeheim Vanessa Pak, die auf ein Mädcheninternat geht. Aber erst einmal müssen sie der Schulüberwachung entkommen. Mit ein paar elektronischen Tricks haben sie Rektor Bensons Spitzel Walker überwunden und können in die Freiheit entkommen.

In der Stadt treffen sie Vanessa Pak und Jolu alias Jorge Luis Torres, den Vierten im Bunde. Das HFM-Spiel soll sie in den Tenderloin-Distrikt führen – eine ganz üble Gegend. Marcus rempelt gerade ein Mädchen an, das sie mit dem Handy knipst, um sie zu verpetzen, als die Erde mit der Schulter zuckt: ein Beben!? The Big One?

Der Anschlag

Marcus beobachtet staunend, wie über der Bay eine schwarze Wolke emporsteigt. Sie ist pilzförmig. Alarm dröhnt: Alle sofort die Schutzräume aufsuchen! Sie eilen in die riesige U-Bahn-Station an der Powell Street, die sich rasch füllt. Im Gerempel erhält Darryl einen Messerstich. Doch zum Glück beherrscht Vanessa Erste Hilfe. Wo ist die nächste Ambulanz?, fragt sich Marcus und eilt rauf zur Straße. Dort stoppt er ein Fahrzeug. Es gehört dem Militär, wie es scheint. Die Typen zielen auf ihn! Dann stecken sie sein Gesicht in einen Sack und fesseln ihn. Zusammen mit allen anderen landet Marcus schließlich nach Stunden in einer Zelle. Aber wer zum Teufel ist diese Truppe? Und warum trägt sie keine Abzeichen?

Erst nach Stunden wird er in einen mobilen Kommandostand geholt, wo er aussagen und sein Handy freischalten soll. Er denkt gar nicht daran. Die Verhörer scheinen der Heimatschutzbehörde DHS anzugehören. Sie nennen ihn einen feindlichen Kämpfer, weil er die Brücke in die Luft gesprengt habe – und Terroristen würden nun mal keinen Anwalt kriegen, klar?!

Die Hölle

Nach ein paar Tagen der Haft und der Verhöre ist Marcus soweit, dass er alles verrät, was die Verhörerin – er nennt sie „die Eiskönigin“ – von ihm wissen will. Er gibt erst das Innerste seines Handys preis, dann seine Emailpasswörter – wieviel intimer kann es denn noch werden? Und nachdem sie ihn seiner Privatsphäre beraubt hat, nimmt sie ihm auch noch seine Würde – er darf nichts von dem verraten, was hier vorgefallen ist.

Erst nach sechs Tagen sieht er seine Freunde Vanessa und JoLu wieder. Sie freuen sich unbändig, doch es kommt raus, dass man mit Marcus besonders hart umgegangen ist. Aber wo ist der Vierte im Bunde, wo ist Darryl? Keine Spur von ihm. Und erst aus der Zeitung erfahren sie, was eigentlich der Auslöser dieser hirnrissigen Aktion war: Nicht nur die Oakland Bay Bridge wurde in die Luft gejagt, sondern auch die unter der Bucht verlaufende U-Bahn-Röhre, so dass mehrere tausend Menschen umkamen.

Trautes Heim?

Nach der ersten Mahlzeit in Freizeit schwört Marcus: „Ich werde sie kriegen.“ Will heißen, er werde es dem DHS heimzahlen, ganz besonders das Verschwinden seines besten Freundes. Seine Eltern sind ebenfalls überglücklich, ihn nach einer Woche der Ungewissheit und der Sorge wiederzusehen. Seine Vater war in den sechziger Jahren ein Aktivist und kennt die Regierungsbehörden, doch seine Mutter ist Britin. Sie nennt das DHS nur „Barbaren“. Ganz genau.

In seinem Zimmer möchte Marcus natürlich als erstes in Netz, um alle seine Vertrauten wiederzufinden. Doch etwas stimmt mit dem Laptop nicht. Als er ihn aufschraubt, findet er eine Keylogger-Wanze, die alle Tastatureingaben protokolliert und an ihre Herren weiterleitet: das DHS, ist Marcus sofort klar. Er lässt sie drin, damit die Regierung keinen Verdacht schöpft und nicht gleich nochmal verhaftet. Statt dessen holt er seine Xbox-Spielekonsole (siehe Nachwort von Andrew Huang) hervor und funktioniert diese zu einem Hochsicherheitszugang ins Internet um. Zusammen mit den anderen geschützten Xboxen verfügt er nun über ein abhörsicheres Netzwerk.

Aktivist

Die Welt hat sich verändert, als er zur Schule geht: Auf Schritt und Tritt wird er überwacht. Aber in der Klasse verteilt er Paranoid-Xbox-DVDs und rasend schnell entsteht das abhörsichere Xnet. Als ihn zwei verdeckte Ermittler zum Verhör mitnehmen, weil er in der U-Bahn den RFID-Chip nicht nutzt, bringt dies ausgerechnet seine Mutter auf die Palme – „ein klarer Fall für die ACLU!“ Die ACLU ist die Bürgerrechtsbewegung. Doch ausgerechnet Dad glaubt noch an die Regierung, ist es zu fassen!

Marcus baut unter dem Decknamen MIKEY das IndieNet auf. Nach Monaten ist er die Stimme des Untergrunds, auch wenn das seiner koreanischen und daher ängstlichen Freundin Vanessa Pak nicht gefällt. Aber das DHS muss für Darryls Verschwinden büßen. Und so lernt er Ange kennen, ebenfalls eine Aktivistin. Und schließlich erreicht ihn auch die erste geheime Nachricht von Darryl: Sein bester Freund lebt!

Doch Darryl aus seinem Gefängnis zu holen, würde den Untergang der DHS bedeuten. Und Marcus ahnt nicht, welche heimtückischen Mittel die Regierung einzusetzen bereit ist…

Mein Eindruck

Wer unter dem Vorwand der Terrorabwehr die Verfassung außer Kraft setzt, kann sogar in einer Demokratie ganz leicht eine faschistische Diktatur errichten. Der Widerstand ist diesmal vor allem im Internet organisiert. Aber kann das überhaupt funktionieren? Schließlich kontrolliert die National Security Agency (Edward Snowdens Arbeitgeber NSA) doch sämtlichen Datenverkehr, oder?

Die Geschichte des Marcus Yallow alias MIKEY zeigt jedoch, dass es Schlupflöcher gibt. Mit einer Software, die ausgerechnet aus Deutschland kommt, nämlich Paranoid-Xbox, gelingt es Marcus, sein Trusted Web einzurichten und zu verbreiten. Natürlich ist er ständigen Angriffen ausgesetzt. Er muss sich ausgeklügelte Sicherheitsverfahren mit Einmalschlüsseln usw. einfallen lassen, um wirklich auf Nummer sicher gehen zu können.

Vertrauen

Doch wie es nunmal mit den Menschen so ist, reicht die beste Schutztechnik nicht aus, wenn sich Menschen untereinander nicht vertrauen können. Hier liegt das wahre Verdienst des Autors. Statt sich ellenlang über die Performance von Abwehrtechniken zu verbreiten, kommt es schließlich doch letzten Endes darauf an, ob der Eine dem Anderen vertrauen kann. Stimmt es, was die Bibel sagt (in einem der Apostelbriefe, glaube ich): „Die Wahrheit wird euch frei machen“?

Bangen

Die Geschichte bleibt immer ganz nah dran an den Figuren, und nur dadurch wirken sie auch glaubwürdig. So lässt sich nachvollziehen, wie Marcus‘ Vertrauen in Ange wächst, sie zu seiner großen Liebe wird – aber kann er ihr wirklich trauen, bangen wir mit. Okay, sie ist seine emotionale Stütze, wenn er das Xnet anführt und eine hammermäßige Wahrheit nach der anderen gegen die DHS abfeuert. Sie verfasst mit ihm sogar Pressemitteilungen und gibt mit ihm virtuelle Pressekonferenzen. Kann das wirklich alles Täuschung sein? Hoffentlich nicht!

Spaß und Schönheit

Man sieht also, dass selbst im Mittelteil, der für viele Autoren zum schwächsten Teil eines Buches gerät, eine erhebliche Spannung aufrechterhalten wird. Aber viele Szenen sorgen auch für Spaß. So etwa das abgefahrene Protestkonzert der Speedwhores und Trudi Doo, das die DHS schließlich mit Soldaten unterbindet. Oder die Pseudo-Reality Games mit Vampiren und allem, die schließlich per Gasangriff gestoppt werden. Es gibt auch wirklich schöne Momente, und die finden nicht alle im Bett von Ange statt, sondern draußen am Meer. Die Welt könnte so schön sein, wenn wir nur keine Angst mehr haben müssten.

Spannungsbögen

Der erste Spannungsbogen besteht in dem Rätsel, das das Verschwinden von Marcus‘ Freund Darryl umgibt. Dieser Spannungsbogen ist auch der letzte, der aufgelöst wird. Dadurch besitzt das Buch einen Zusammenhalt, den man in vielen Geschichten, die so lang sind, vergeblich sucht. Wir wissen immer, dass das Buch nicht enden kann, ohne diese offene Frage beantwortet bekommen zu haben.

Und im Finale, als es für Marcus und Ange mal wieder ganz finster aussieht, kommt die Hilfe diesmal nicht mehr nur aus ihm selbst, sondern aus dem, was Marcus geschaffen hat, von den Trägern der Wahrheit, von der Bürgerrechtsbewegung ACLU und von den noch nicht von der DHS korrumpierten Sicherheitsbehörden wie der Autobahnpolizei. Wer hätte das gedacht?

ANHÄNGE

Dies ist meines Wissens die erste Ausgabe, die sämtliche Anhänge enthält, also Vor- und Nachworte sowie die Bibliografie.

Das Vorwort von Edward Snowden

Der ehemalige Geheimdienstagent Snowden berichtet, wie er in Hongkong seine Informationen an die Presse übergab und zwar im letzten Hotel, das er noch mit seiner Kreditkarte bezahlen konnte, bevor sie von der US-Regierung gesperrt wurde. Dort, in Hongkong, las er nicht nur das vorliegende Buch, das 2008 veröffentlicht wurde, sondern verfolgte auch, wie die freiheitsliebenden Bürger auf die Straße gingen, um zu demonstrieren. Sie waren bewaffnet mit Laserpointern und Verkehrshütchen. Letztere verwendeten sie als Schilde gegen Gummigeschosse der Polizei, und mit den Laserpointern blendeten sie die unzähligen Überwachungskameras in der Stadt, die schon bald den Kommunisten anheimfallen sollte. Er lobt diese Freiheitskämpfer ebenso wie die Cyberpunks in Kalifornien.

Zugleich bestätigt er den Erfolg der Regierungen im Echelon-Verbund, der Autokraten und der US-Konzerne. Alle zusammen hätten es geschafft, das Internet zu einem Instrument der Ausforschung, Überwachung und Repression zu machen, so dass sich heute kaum noch jemand traue, seine gesetzlich garantierte Freiheit der Meinungsäußerung zu nutzen. Wer es wagt, „Staatsgeheimnisse“ – was alles sein kann, was der Staat als solche klassifiziert – erleidet das Schicksal, das Snowden selbst erlitten hat: Exil, Bedrohung und weitgehende Stummheit. Doch Romane mit Figuren wie Marcus Yarrow machten Mut und zeigten Vorbilder, die Hoffnung wecken.

Das Nachwort von Bruce Schneier

Bruce Schneier ((www.schneier.com)) ist Sicherheitsexperte, und er weiß genau, wovon er auf diesen vier Seiten redet. Worin besteht Sicherheit, und ist sie es wert, dass ein Bürger seine Privatsphäre dafür eintauscht? Dass sich Fahrradschlösser der Marke „Kryptonite“ (vgl. SUPERMAN) mit einem simplen Kugelschreiber knacken lassen, spricht nur für diese Art von Sicherheit.

Und wenn eine Regierung oder Behörde wie das DHS (Department of Homeland Security) ihre Sicherheitskonzepte geheimhält, heißt das noch lange nicht, dass diese Konzepte nicht aufgedeckt und geknackt werden können, wie es einigen jungen Leuten in USA offenbar gelungen ist. Sicherheit ist also relativ, und wer seine Privatsphäre dafür eintauscht, ist nicht nur selber schuld, sondern auch noch echt blöd. Am Schluss ruft Schneier tatsächlich zum testen und Knacken von Sicherheitsmechanismen und -geräten auf.

Nachwort von Andrew „Bunnie“ Huang, dem Xbox-Hacker

Huang hackte 2002 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) die Xbox, nachdem er sie rechtmäßig erstanden und zu seinem Eigentum gemacht hatte. Daran war also nichts Illegales und er tat, was jeder Ingenieur auf der Welt täglich tut: Er untersuchte sie, aber nicht nur ihre elektrischen Eingeweide, sondern auch ihren Quellcode. So fand er heraus, was dieses Stück Technik alles an seine Erschaffer in Redmond zurückmeldete. Wer will, kann dies alles online und anderswo nachlesen. Wie auch immer: Die Redmonder (deren Name hier nicht genannt werden soll) waren nicht amüsiert und verklagten ihn. Die MIT-Granden stellten sich auf seine Seite. Huang war einer der ersten, der 2006 eine Vorversion von „Little Brother“ zu lesen bekam.

Er berichtet zudem, dass der Plot dieses Romans keineswegs an den Haaren herbeigezogen ist. Schon damals riegelte die Stadt Boston, Mass., das Stadtgebiet wg. Terrorismus ab und verklagte eine Organisation zu zwei Mio. USD Schadenersatz, weil diese als Werbegag ein paar blinkende Leiterplatten ausgestellt hatten. Paranoia schlug zu, die Freiheit löste sich im Handumdrehen auf. Der Überwachungsstaat à la Big Brother herrschte, so wie im Roman.

Die Bibliografie; vom Autor

Cory Doctorow öffnet die digitalen Tore zu seiner Bücherei und legt offen, welche Werke ihn regelrecht verändert und zu diesem Roman inspiriert haben. Dazu gehören unbedingt „1984“ von george orwell (d.i. Eric Blair), Daniel Pinkwaters Comicbook „Alan Mendelsohn, the Boy from Mars“ und Scott Westerfields Roman „Cool Hunter“ (dt. Titel bei CBT). Auch Abbie Hoffmans Biografie gehört in diese Liste, und Alan Ginsbergs Langgedicht „Das Geheul“ wird ja im Roman selbst zitiert „I saw the best minds of my generation destroyed…“. Bruce Sterlings bahnbrechende Bücher wie „The Hacker Crackdown“ (1992/93) werden erwähnt. Diese kurze Liste kommt aber erst am Schluss.

Davor listet der Autor zahlreiche grundlegende Werke zu den Themen Hacken, Freiheit, Sicherheit, Makers und mehr auf. Er hat selbst vier Jahre für die Electronic Frontier Foundation (EFF) gearbeitet und widmet dieser wichtigen Organisation eine ganze Seite, ebenso der Wikipedia. Der Übersetzer hat laut Nachbemerkung diese Angaben für deutschsprachige Leser aktualisiert und ergänzt.

All diese aufschlussreichen Aufzählungen haben nur einen Schönheitsfehler. Sie enden im Jahr 2006, spätestens 2007. Denn das Original wurde ja 2008 veröffentlicht. Dennoch liefern die Listen einen ersten hilfreichen Einstieg in die Hackerkultur und zu den Organisationen, die für die Freiheit an der elektronischen Front kämpfen, auch vor Gericht.

Unterm Strich

Cory Doctorow ist ganz klar einer der wichtigsten Internet-Aktivisten überhaupt und entscheidet über die Zukunft des inzwischen wichtigsten Kommunikationsmittel mit. Facebook und Twitter haben nicht nur den Arabischen Frühling ermöglicht, sondern können, wie die Süddeutsche Zeitung kürzlich berichtete, zum Teil sogar die große Chinesische Firewall überklettern.

Es ist daher ein wichtiges Thema, dessen sich Doctorows Jugendroman „Little Brother“ annimmt: die Freiheit des Individuums in der freien Nutzung des Internets. Nach dem verheerenden Anschlag auf San Francisco errichtet die Heimatschutzbehörde DHS einen Überwachungsstaat, der alle Züge einer Diktatur aufweist. Verwunderlich, dass es selbst dann noch Leute gibt, die dem Staat die Stange halten: „Wir sitzen alle im gleichen Rettungsboot“, lautet das Argument.

Während ich den emotionalen Gehalt des Buches bereits oben gelobt habe, so habe ich doch unerwähnt gelassen, dass die vielfältigen Möglichkeiten, über die der Überwachungsstaat „Big Brother“ verfügt, in der Mehrzahl bereits heute gegeben sind. Von daher ist „Little Brother“, der Gegenentwurf zu George Orwells „1984“, ein Gegenwartsszenario, das jederzeit Wirklichkeit werden könnte. In „Pirate Cinema“ lieferte der Autor 2014 quasi ein Update.

Die technische Möglichkeit dafür besteht ebenso wie die gesetzliche Grundlage, nämlich der U.S. Patriot Act von 2001/02, der auch im Buch zitiert wird. Durch die Verlagerung des Blickpunkt in Jugendliche erhält auch der erwachsene Leser ein relativ niedriges Einstiegsniveau, das es ihm ermöglicht, die neuen technischen Begriffe zu verstehen.

Nicht von ungefähr spielt das Buch in Kalifornien: Dort verläuft sowohl die vorderste Front, was die technologische Entwicklung angeht – im Silicon Valley – als auch die Front, was die Bürgerrechtsbewegung angeht. Nicht ohne Grund entstanden an den Berkeley Uni von San Francisco die ersten radikalen Untergrundkämpfer der USA, die „Weathermen“ (Bob Dylan sang darüber). Der Autor wirft also indirekt die Frage auf, ob die Kalifornier diese Tradition verraten oder verteidigen würden. Und alle anderen, die über eine solche Tradition verfügen, natürlich ebenfalls.

Paperback: 445 Seiten
O-Titel: Little Brother, 2008
Aus dem Englischen von Uwe-Michael Gutzschhahn, Sebastian Pirling
ISBN 9783453321670


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