Cory Doctorow – Upload

Das Internet bevölkern vor allem Menschen aller Länder auf der Suche nach Kommunikation mit Gleichgesinnten. Oder auf Konfrontationskurs in der Anonymität des Netzes, versteckt hinter ihren Konsolen. In »Upload« bilden sich auf diesem Wege Gemeinschaften heraus, so genannte Stämme, deren Zustand sich nach der Zeitzone (und damit der Zeit der größten Aktivität des Stammes) der meisten Angehörigen definiert. Dadurch kommt der Schlaf-Wachrhythmus der nicht in diesen Zeitzonen lebenden Stammesangehörigen gehörig durcheinander, da sie sich in ihrem wirklichen Leben nach den Gewohnheiten ihres Umfeldes richten müssen und womöglich ihre Schlafzeit zur Kommunikation mit dem Stamm auf der anderen Seite der Erde nutzen.

Art ist ein »Agent« seines Stammes. Er ist in London für eine Kommunikationsfirma tätig, nutzt aber seine Position, um gute Ideen an seinen Stamm weiterzuleiten und gleichzeitig in der Firma schlechte oder bremsende Ideen an den Mann zu bringen. Art ist ein genialer Kopf, und so stößt er eines Tages auf eine geniale Lösung des Musikdownloadproblems in PKW. Sein Kollege und Stammesgenosse hintergeht ihn und macht sich mit dieser Idee selbstständig, dazu entschärft er Art auf die beste Weise: Er lässt ihn einweisen.

So findet Art Ruhe in der Anstalt, Zeit zum Überlegen, und er erkennt die Zusammenhänge und seine Möglichkeiten …

Schon Doctorows Erstling »Backup« war ein Roman, wie er kreativer und unterhaltsamer kaum sein kann. Und dabei bedient sich Doctorow am heutigen Stand der Informationsgesellschaft und den Möglichkeiten des Internets und interpoliert glaubwürdig eine nahe Zukunft. War in »Backup« noch das Hochladen von Bewusstseinsinhalten und Seelen utopisches Wunschdenken, so greift »Upload« aktuelle Entwicklungen (wie das Filesharing) sehr realitätsnah auf.

Der Charakter des Art, Protagonist und Ich-Erzähler des Romans, begreift sein Schicksal voller Selbstironie und gibt Doctorow damit die Berechtigung für eine locker-humorvolle und sarkastische Stilistik. Über Art greift der Autor einige aktuelle Schattenzonen in der internet-ischen Rechtssituation an – ein Thema, dem eigentlich jeder Nutzer begegnen sollte und hinter dem sich vor allem Lizenzstreitigkeiten und Copyright-Bestimmungen verbergen.

Der Verlag schreibt über den Autor, er lebe im Internet. Damit ist Doctorow wohl einer der fortschrittlichsten Architekten der Zukunft und befindet sich offenbar selber in der Problematik der »Stämme«, die er in diesem Roman thematisiert. Es sind die Grundprobleme der aktiven Internetgeneration, mit denen er sich beschäftigt. Also zukunftsträchtige Themen, mit deren fiktiven Lösungsansätzen er vielleicht den Grundstein für spätere Entwicklungstendenzen legt. Richtig bearbeitet, ist dies sicherlich das erfolgversprechendste Gebiet für orakelige Offenbarungen.

Das Ganze ist verpackt in erfrischend schlanken Erzählungen ohne hunderte Seiten umfassende Beschreibungen. Sie lesen sich flüssig schnell und übertragen Merkmale der Kurzgeschichte auf den Roman; zum Beispiel durch die Entwicklung des Verständnis für komplexe Hintergründe aus dem Kontext und dem Anker in unserer Zeit lässt das Buch sich leicht auf ausschweifende Erklärungen verzichten.

Entscheidet man sich in der Buchhandlung vor dem Bücherregal mit ziegelsteindicken Schinken für diesen unzeitgemäß dünnen Roman auffallend futuristischer |Heyne|-Aufmachung, wird man positiv von hoher Qualität, hohem Unterhaltungswert und erzählerischer Dichte überrascht.

Doctorow ist ein neuer Autor in der Science-Fiction-Landschaft, den es sich lohnt zu beachten, da er neben Charles Stross einer der kreativsten und innovativsten Schriftsteller ist, die sich mit einer vorstellbaren Entwicklung unserer Informations- und Kommunikationszivilisation beschäftigen. Das Leben im Internet – heute schon Realität für viele Söhne und Töchter darunter leidender Mütter.

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