Cory Doctorow – Wie man einen Toaster überlistet

Nach vielen Jahren in Flüchtlingsheimen und Notunterkünften kann Salima endlich in ein Hochhausapartment umziehen. Das Gebäude ist zwar neu, aber damit fangen die Probleme erst an: Der intelligente Toaster gibt auf einmal den Geist auf und nimmt nur noch das Brot der Toastermarke an. Dann fällt der Kühlschrank aus. Als Salima feststellt, dass selbst der Fahrstuhl die ärmeren Mieter benachteiligt, fasst sie einen Entschluss. Es muss doch einen Weg geben, sich in die Haushaltsgeräte zu hacken und sie wieder frei verfügbar zu machen! Gesagt, getan …

(Verlagsinfo)

Mit Cory Doctorow gibt es einen Autor von höchst klarer Sicht auf das, was die Zukunft von Alexa und Co. bedeuten könnte. Diese Novelle, eine Geschichte von großem Unterhaltungswert und angenehmer Knappheit, zeigt den Lesenden anhand eines der typischen Einsatzgebiete smarter Haushaltshilfen, in welche Abhängigkeit dieser Weg führt. Von der Möglichkeit der allgegenwärtigen Kontrolle, hier nur zwischen den Zeilen angedeutet, ganz zu schweigen …

Salima ist ein Flüchtling. Ihr Glück, dass sie über einen Hang zu den richtigen Bekanntschaften zur richtigen Zeit und einen klaren, fokussierten Geist verfügt – sie kämpft sich durch den Einwanderungsdschungel der amerikanischen Schikanierung, schafft es endlich, eine eigene Einzimmerwohnung in einem Sozialwohnungsappartment zu ergattern und muss dann feststellen, dass die so wohlwollend zur Verfügung gestellten Apparaturen nur mit lizenziertem Zubehör der lizenzierten Firmen arbeiten. Dies wird ihr um so deutlicher bewusst, als die Firmen plötzlich insolvent gehen und keine Kommunikation zu ihren Geräten mehr aufrecht erhalten.

In dem 50-stöckigen Gebäude gibt es inzwischen aber findige Kinder und Jugendliche, die sich unter Salimas Anleitung und der Informationsfülle des Darknet daran machen, die Geräte zu hacken und gefügig zu machen – eine Tätigkeit, deren Erfolg die Beteiligten wie einen Rausch erleben: Die Dinge, die zu ihrer Kontrolle angeschafft wurden, nun ihrerseits kontrollieren zu können. Gefährlich wird es, als die Firma einen Neustart hinlegt und Methoden entwickelt, die gehackten Geräte aufzuspüren. Was ist die Verletzung des Copyright wert? Fünf Jahre Haft und 500.000 $, oder, um es kinderfreundlich zu sagen: „Noch fünfmal singen …“

Cory Doctorow beschäftigt sich in seinen Geschichten mit den Chancen und Gefahren der Technisierung unserer Umwelt, der Allgegenwart des Internet und der Möglichkeiten zu Beeinflussung und Überwachung. Waren seine anfangs übersetzten Texte wie Upload noch eher humoristisch, folgten mit den Jugendromanen Little Brother und For the Win deutlich düstere, dystopische und eindringliche Warnungen. 2018 wurde sein Roman Walkaway übersetzt, der ausführlich die Dinge beim Namen nennt. Mit dem vorliegenden Band entkoppelt der Heyne-Verlag eine Novelle aus Doctorows Sammlung Radicalized, der vier Novellen umfasst und im Original 5,99 € kostet. Für diese sehr schön gemachte, im Pappband gebundene Auskopplung des Heyne-Verlags bezahlen wir gerne 12 Euro, geht sie doch einer Eigenart unserer Kultur dicht auf die Spur, die man gar nicht genug im Blick behalten kann. Denn wie zitiert der Verlag den allseits bekannten Edward Snowden auf dem Umschlag:

„Cory Doctorow erinnert uns daran, dass die Zukunft, für die wir uns entscheiden, auch die ist, in der wir leben werden.“

Nun aber zum Text: Schon auf den ersten Seiten zeigt Doctorow eine absurde Situation, die umso komischer wirkt, als dass sie nicht allzu fern tatsächlich Realität sein könnte. Die junge Frau versucht sich ein Frühstückstoast zu toasten, doch die smarte Firmware erkennt das Produkt, nämlich die Brotscheibe, nicht als autorisiert an und lässt sich nicht aktivieren. An sich schon unfassbar genug, doch damit hätte Selima gerechnet, wenn es sich um ein nicht-lizenziertes Brot handeln würde. So erfährt sie also von der Insolvenz der Betreiberfirma ihres Toasters. Sie kommt zu spät zur Arbeit, weil sie ein Toast essen will und zu dem Zweck im Darknet eine Hackanleitung sucht und findet. Und so beginnt ihr Glück, dass sie wie folgt beschreibt:

„Es war jetzt ein ganz neuer Toaster. Ein Toaster, der Befehle annahm, statt sie zu erteilen. Ein Toaster, der ihr genug Spielraum gab, um sich selbst umzubringen. Sie konnte einen Akku oder eine Haarspraydose grillen, oder was auch immer sie sonst wollte. Vor allem aber unautorisiertes Brot.“

Im Folgenden entfaltet sich eine Geschichte, die aufgrund ihrer angenehmen Kürze (ich hoffe, die Verlagslandschaft Deutschlands ergreift die Chance und veröffentlicht mehr Novellen) dieses Thema der Abhängigkeit von großen Firmen energisch aufgreift und sich genau darauf konzentriert. Es gibt keine Nebenhandlung, keine ausschweifenden Beschreibungen. Hier zeigt sich ein wichtiges Merkmal guter Schriftsteller, und Cory Doctorow schafft es souverän, mit dem knappen Platz ein umfassendes Bild zu entwerfen. Dass nun Dinge wie die Allgegenwart der Überwachungskameras einen Teil der Handlung in eine andere Richtung bewegt hätten, wenn Doctorow sich in romanform mit dem Thema befasst hätte, sehe ich als Zaubertrick, mit dem er uns genau auch auf diese Problematik der Privatsphäre und Kontrolle hinweist, ohne sie auszuformulieren.

Dicke Schinken von Romanen, die eine Charakterstudie sein sollen und vordergründig eine flache Geschichte erzählen, können für solcherart Bücher getrost liegen gelassen werden. Hier erhalten die Protagonisten ein Gesicht, ohne dass sich über hunderte Seiten mit ihrer Psyche herumgeschlagen werden muss. Man merkt, mich hat diese Erzählform genauso erfasst wie die Geschichte selbst. Natürlich liegt mir diese Thematik am Herzen und ich bin einmal mehr froh, dass diese Erzählung ihren Weg in unsere Sprache gefunden hat. Und auch, wer sich in der Kurzform und lässigen Erzählweise dieses Textes nicht zurecht findet, bekommt diese Thematik geboten – zuletzt nicht nur von Doctorow im letztjährigen Walkaway, sondern auch von hierzulande, in ernsthaften bis düsteren Auseinandersetzungen wie NSA von Andreas Eschbach oder Qualityland von Marc-Uwe Kling.

Insgesamt ist dies ein schön gemachtes Buch, das sich sowohl als ironische, anregende Lektüre für Zwischendurch eignet als auch als ernsthafte Auseinandersetzung mit einer wirtschaftspolitischen Entwicklung, die kritisch im Auge behalten werden sollte. So kann ich es trotz der Möglichkeit, dass die Erzählung als Teil der Sammlung, wie sie im Original veröffentlicht wurde, auch hierzulande noch auf den Markt kommen könnte, als eigenes Büchlein empfehlen. Der Preis der Ebookausgabe ist natürlich kritisch zu bewerten, aber da haben noch einige Verlage dran zu arbeiten.

Gebunden, 176 Seiten
ISBN 9783453320154
Heyne-Verlag, April 2019
Originaltitel: Unauthorized Bread, 2018
Aus dem Englischen von Jürgen Langowski
Über Cory Doctorow.

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