Huff, Tanya – Blutspur (Blood Ties 2)

In „Blutzoll“, dem Auftaktroman von Tanya Huffs „Blood“-Serie, versuchte die Protagonistin Vicki Nelson gerade, sich damit abzufinden, dass ihre Augen zu schlecht sind, um noch bei der Polizei zu arbeiten. Stattdessen hatte sie sich als Privatdetektivin selbstständig gemacht. Offensichtlich lernt man in diesem Job die interessantesten Leute kennen, denn sie traf bei ihren Ermittlungen in einem Mordfall nicht nur auf einen Vampir, sondern wurde auch zum Blutopfer für einen Dämon auserkoren (eine zweifelhafte Ehre, die in der Regel tödlich endet).

Zu Beginn des zweiten Teils, „Blutspur“, ist Vickis Begegnung mit dem Dämon schon ein paar Monate her. Mittlweile scheint Vampir Henry eine feste Instanz in ihrem Leben zu sein, auch wenn er sich bisher weigert, noch einmal ihr Blut zu trinken – schließlich hatte sie erst kürzlich einen Großteil davon eingebüßt und muss sich nun erst erholen. Ihre Beziehung zu ihrem Ex-Partner Mike hat sich auch größtenteils normalisiert. Sie reden wieder miteinander, sie bekocht ihn und steckt ihn auch schon mal ins Bett, wenn er zu überarbeitet ist, um solche Kleinigkeiten selbst zu meistern.

Die Idylle wird jäh gestört, als Henry Vicki um Hilfe bittet. In der Nähe von Toronto lebt eine befreundete Familie von Werwölfen; inkognito natürlich. Trotzdem scheint jemand ihr Geheimnis erraten zu haben, denn bereits zwei der Familienmitglieder sind in Wolfsgestalt erschossen worden. Da die Familie nicht zur Polizei gehen kann, ohne ihre wahre Natur zu enthüllen, hoffen sie darauf, dass Vicki den Mörder finden kann.

Also fahren Henry und Vicki hinaus aufs Land, um sich auf der Schaffarm der Heerkens – sicherlich das perfekte Berufsbild für eine Gruppe von Werwölfen – umzusehen. Vicki braucht zunächst eine Weile, sich an das Gewusel aus Mensch und Wolf zu gewöhnen, auch weil die Werwölfe durchaus andere Moralvorstellungen vertreten als Menschen. Während Henry also gewöhnlich den Tag verschläft, sieht sich Vicki in dem kleinen Wäldchen um, aus dem die tödlichen Schüsse gekommen sein müssen. Zwar findet sie den Baum, auf den der Schütze offensichtlich geklettert ist, doch hilft ihr diese Erkenntnis kaum weiter. Denn es gibt einfach keine Verdächtigen …

Zur gleichen Zeit in Toronto nagt an Mike die Eifersucht. Streng genommen waren er und Vicki nie wirklich ein Paar, und trotzdem will er diesem Henry nicht einfach so das Feld überlassen. Irgendwas muss an dem Typen doch faul sei, findet er. Also stellt Mike heimlich Nachforschungen an und kommt bald zu einer beunruhigenden Erkenntnis, von der er findet, dass er sie Vicki möglichst sofort mitteilen muss. Und so fährt er auch zur Schaffarm, nur um mitten zwischen die Werwölfe, Henry und den Todesschützen zu geraten.

„Blutspur“ geht genauso rasant weiter, wie „Blutzoll“ aufgehört hat. Wieder präsentiert Huff ihrer Leserschaft einen übernatürlichen Kriminalfall, den es mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu lösen gilt. Und auch wenn Huff die Auflösung der Mordfälle hier etwas weiter hinauszögert, so liefert sie dem Leser doch wieder alle Indizien auf dem Silbertablett. Um das „Whodunit“ geht es nicht in erster Linie, sie führt also etwas anderes im Schilde.

In „Blutzoll“ war der Krimiplot Aufhänger für eine Kritik an der reißerischen und verantwortungslosen Berichterstattung der Massenmedien. In „Blutspur“ dagegen hat sich Huff eine neue moralische Grundsatzfrage ausgesucht, an der sie sich abarbeiten kann: den Gegensatz zwischen Recht und Gerechtigkeit. Da die Werwölfe eben kein menschliches Gericht anrufen können, ohne sich selbst bloßzustellen, nehmen sie das Recht selbst in die Hand. Die Frage, ob – und wenn ja, wann – Lynchjustiz zu akzeptieren ist, wird immer wieder im Roman gestellt. Ganz zu Anfang ist es Vicki, die sich mit dem Problem trägt, ob sie den Mörder den Werwölfen ausliefern kann (die ihn töten werden). Später ist es Mike, der die gleichen Fragen stellt, obwohl er gleichzeitig weiß, dass ihnen nicht viele Alternativen bleiben. Letztendlich wird der Gerechtigkeit genüge getan, nicht dem Recht.

Interessant an dem Roman ist vor allem die Beschreibung der Werwölfe. Sie werden weder romantisiert noch als blutgierige Bestien dargestellt. Stattdessen sind die Heerkens eigenbrötlerische Schafzüchter mit wenig Hang zu ordentlicher Lebensweise (offensichtlich hat wirklich niemand in dieser Familie einen Putzfimmel, denn so viele Wollmäuse wie hier gibt es sonst in keinem Buch). Wie Vicki schnell feststellt, ticken sie einfach grundsätzlich anders: So kann sie sie beispielsweise nicht davon abhalten, nachts in Fellgestalt hinauszugehen – und das, obwohl die Werwölfe verstehen, welches Risiko sie damit eingehen. Sie versuchen Vicki zu erklären, dass der Instinkt, ihr Revier abzulaufen und zu markieren, einfach stärker ist, doch das wiederum kann Vicki nicht nachvollziehen. Solche Missverständnisse gibt es häufiger und Vickis Geduld wird wiederholt auf die Probe gestellt. Letztendlich jedoch dienen diese Szenen hauptsächlich Huffs außerordentlich origineller und erfrischender Interpretation des Werwolf-Mythos.

Natürlich werden auch die drei Hauptcharaktere Vicki, Henry und Mike weiterentwickelt. Vicki und Henry tun |es| endlich, wenn auch völlig unromantisch auf einer Klappliege in einer Abstellkammer. Und Mike, der in „Blutzoll“ noch etwas blass blieb, darf sich hier, vom grünen Monster getrieben, zum rechthaberischen Macho aufspielen, nur um sich letztendlich doch wieder als ehrlicher und zuverlässiger Kerl zu erweisen. Die Rivalität zwischen Henry und Mike wird sicher auch in den folgenden Bänden der Serie eine Rolle spielen. Die beiden dabei zu beobachten, wie sie immer wieder aneinandergeraten, ist einfach zu amüsant und unterhaltsam, als dass Huff diesen Handlungsfaden so schnell wieder aufgeben wird.

Erwähnenswert ist außerdem der Handlungsort des Romans. Während in „Blutzoll“ noch Toronto eine zentrale Rolle spielte, ist es nun London – ein verschlafenes Städtchen irgendwo auf dem Land. Die Städter, allen voran Vicki und Mike, tun sich reichlich schwer damit, sich ans Landleben zu gewöhnen: Sie kämpfen mit widerspenstigen Büschen und Horden von Mücken und vermissen die Großstadt offensichtlich mit jeder Faser ihres Wesens.

Kurzum: „Blutspur“ ist ein ebenso überzeugender Pageturner wie Huffs Erstling „Blutzoll“. Vicki Nelson erweist sich einmal mehr als taffe Privatdetektivin, die nicht gut darin ist, ihre Schwächen zuzugeben, Hilfe anzunehmen oder in irgendeiner anderen Art und Weise gefühlsduselig zu werden. Außerdem zeigt sie sich äußerst anpassungsfähig: Einmal davon überzeugt, dass es Vampire gibt, hat sie nun auch mit anderen übernatürlichen Daseinsformen kein Problem. So wirft sie auch mal für einen jungen Werwolf Stöckchen, ohne dass sie daran etwas Seltsames finden könnte. Wieder ein gelungener Krimi!

|Originaltitel: Blood Trail
Deutsch von Claudia Wittemund
ISBN-13: 978-3-8025-3649-6|
http://www.Egmont-Lyx.de
http://www.bloodtiestv.com

_Tanya Huff auf |Buchwurm.info|:_

[„Blutzoll“ 5714 (aktuelle Ausgabe)
[„Blutzoll“ 123 (frühere Ausgabe)
[„Blutlinien“ 407
[„Hotel Elysium“ 1481 (Die Chroniken der Hüter I)
[„Auf Teufel komm raus“ 1995 (Die Chroniken der Hüter II)
[„Hüte sich wer kann“ 2545 (Die Chroniken der Hüter III)