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Edgar Allan Poe – Grube und Pendel (Gruselkabinett 111)

Inquisitionsfoltern und späte Rache: Poe im Doppelpack

Rom 1846: Der Edelmann Montrésor sieht sich seit Jahren der infamen Verspottung durch Fortunato ausgesetzt und ersinnt daher einen perfiden Plan, sich dieses Plagegeistes zu entledigen – vor allem, da die beiden, was Fortunato gar nicht mehr gegenwärtig hat, eine gemeinsame Vergangenheit haben, die bis in das Jahr 1796 zurückreicht… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörspiel ab 14 Jahren.

Der Autor
Edgar Allan Poe – Grube und Pendel (Gruselkabinett 111) weiterlesen

Blackwood, A. / Lovecraft, H.P. / Poe, E.A. / Hohler, F. / Montague, R.J. / Morell, D. / Stevenson – Wo die schwarzen Flüsse fließen

Von Scheintoten und anderen Teufeleien

In einem Kupferstich wandert eine dunkle Gestalt umher, im Keller eines abgelegenen Hauses tropft plötzlich Milch von den Wänden, in einem schottischen Dorf treibt die „Krumme Janet“ ihr Unwesen und in einem Wald verschwinden Menschen spurlos. Außerdem bekommen wir endlich eine Antwort auf die Frage: Was passiert, wenn man sich in der Stunde seines Todes hypnotisieren lässt?

Algernon Blackwood, Franz Hohler, Montague Rhodes James, H. P. Lovecraft, David Morrell, Edgar Allen Poe und Robert Louis Stevenson berichten von düsteren Geheimnissen. (Verlagsinfo)

Die Autoren

Algernon Blackwood (1869-1951)

… gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der englischen Gespensterliteratur. In Kent geboren und als Weltenbummler erfahren, begann er mit 36 Jahren Erzählungen über das Phantastische und Übernatürliche zu schreiben. Als er am 10.12.1951 mit 82 starb, hinterließ er ein Werk, das mehr als 20 Bände umfasst. (Verlagsinfo)

Franz Hohler

1943 geboren, studierte der Schweizer Germanistik und Romanistik. 1965 präsentierte er sein erstes literarisch-musikalisches Soloprogramm „pizzicato“. Seither arbeitet er als freier Schriftsteller und Kabarettist. Nebenbei ist Hohler auch als Übersetzer tätig, schreibt Kinderbücher und Theaterstücke. Auch in Film, TV und Rundfunk tritt er regelmäßig auf und hat etliche Preise erhalten. (z.T. Verlagsinfo)

M.R. James

Montague Rhodes James (1862-1936) gilt als Meister der echt britischen Gespenstergeschichten. Als verschrobener Junggeselle mit Humor, der gern reiste, sich in Gesellschaft wohlfühlte und mit Freunden ausgedehnte Touren machte, studierte er Archäologie und klassische Sprachen, war Provost des King’s College an der Uni Cambridge und anschließend bis zu seinem Tode Provost in Eton. Er verband geschickt und mit Witz echte und erfundene Quellen in seinen Geschichten miteinander. „Der Kupferstich“ ist eine seiner bekanntesten Erzählungen. (Verlagsinfo)

Howard Phillips Lovecraft (1890-1937)

… wird allgemein als Vater der modernen Horrorliteratur angesehen. Obwohl er nur etwa 55 Erzählungen schrieb, hat sein zentraler Mythos um die Großen Alten, eine außerirdische Rasse bösartiger Götter, weltweit viele Nachahmer und Fans gefunden, und zwar nicht nur auf Lovecrafts testamentarisch verfügten Wunsch hin. Lovecraft hatte ein Leben voller Rätsel. Zu Lebzeiten wurde er als Schriftsteller völlig verkannt. Erst Jahre nach seinem Tod entwickelte er sich zu einem der größten Horror-Autoren. Unzählige Schriftsteller und Filmemacher haben sich von ihm inspirieren lassen.

David Morrell

…wurde 1943 in Kitchener/Ontario (Kanada) geboren und lebt heute mit seiner Frau in Santa Fé / New Mexico. Bis 1986 unterrichtete er neben seiner Autorentätigkeit als Professor für amerikanische Literatur an der Uni von Iowa. Er wurde vor allem durch seine zahlreichen Action- und Suspense-Thriller bekannt, die bereits 15 Millionen Mal verkauft wurden. Seine wohl bekannteste Figur dürfte John Rambo sein, der durch die Kinoverfilmungen zweifelhaften Kultstatus errang. Morrells Erzählung „Puppen“ stammt aus seiner frühen Schaffensperiode. (Verlagsinfo)

Edgar Allan Poe (1809-49)

… wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas.

Robert Louis Stevenson (1850-1894)

… wurde in Edinburgh/Schottland geboren. Schon seit frühester Kindheit litt er an einer Lungenkrankheit. Er studierte Jura, widmete sich aber zunehmend der Schriftstellerei. 1876 heiratete er die Amerikanerin Mrs. Osborne und folgte ihr in ihre Heimat. Durch die beschwerliche Reise verschlechterte sich sein Gesundheitszustand. Seine Erzählung „Die Schatzinsel“ wurde in Schottland begonnen und 1882 in dem Luftkurort Davos abgeschlossen. 1886 folgte „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ mit enormem Erfolg: In nur sechs Monaten wurden 40.000 Exemplare verkauft. Finanziell nun unabhängig, bereiste der Autor die USA und die Südsee. Auf der Insel Opolu baute er sogar ein Haus. Am 3.12.1894 starb er in Apia auf West-Samoa. (Verlagsinfo)

Die Sprecher

Marianne Rogée machte ihre Gesangs- und Schauspielausbildung in Münster und lebt heute in Köln. Sie spielte auf verschiedenen Bühnen Rollen der Klassiker, der Moderne und des Boulevard. Dem TV-Zuschauer ist sie vor allem als „Isolde Pavarotti“ in der TV-Soap „Lindenstraße“ bekannt. Rogée war Gründerin, Autorin und Darstellerin im Kabarett „Die Gradmesser“, führte Regie am Theater „Sprungbrett“ und tourt mit eigenen Chanson-Programmen. Sie arbeitet seit Jahren als (Synchron-)Sprecherin für die ARD und leiht Hörbüchern und -spielen ihre Stimme. Sie hat das Buch „Katzen für Unicef“ herausgegeben. (Verlagsinfo)

Otto Mellies: Seine Karrriere begann 1947 am Staatstheater Schwerin, nach anderen Engagements holte Wolfgang Langhoff ihn 1956 ans Deutsche Theater Berlin, zu dessen Ensemble er seitdem gehört. Der Charakterdarsteller trat auch in zahlreichen Filmen auf und besticht durch seine Lesungen. (Verlagsinfo)

Volker Niederfahrenhorst spielt Theater in Köln und Zürich. Schon mit „Ein Fakir für alle Fälle“ – ausgezeichnet mit dem Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik – und den bereits erschienenen Twig-Hörbüchern brachte er den Hörern wohliges Schaudern bei. (Verlagsinfo)

Regie führte Dirk Kauffels, der auch die Texte bearbeitete. Für den guten Sound sorgte Georg Niehusmann von Sonic Yard in Düsseldorf.

Die Erzählungen und mein Eindruck von ihnen

1) H.P. Lovecraft: Die Aussage des Randolph Carter (gelesen von Volker Niederfahrenhorst)

Randolph Carter macht vor der Polizei eine Aussage, denn schließlich ist der Tod seines Freundes Harley Warren aufzuklären. Warren hatte okkulte Studien getrieben und aus Indien ein spezielles Buch erhalten, vermutlich das verfluchte „Necronomicon“. Damit begab er sich zu einem uralten, verlassenen Friedhof und öffnete eine bestimmte Gruft. Carter musste zurückbleiben, war aber durch Draht mit einem tragbaren Telefonapparat, den Warren auf seine unterirdische Expedition mitnahm, mit seinem Freund verbunden.

Nach etwa einer Viertelstunde beginnt Warren sich zu melden. Er warnt seinen Freund vor grauenerregenden Wesen, auf die er gestoßen sei: vermutlich Leichenfresser, Ghule. Carter solle schnellstens die Grabplatte über den Eingang schieben, sonst sei er selbst in höchster Gefahr. Das unterlässt Carter allerdings, will lieber seinem Freund zu Hilfe kommen, und so nimmt das Unglück seinen Lauf …

Ist alles Einbildung, was uns Carter erzählt? Ist auch die Stimme des Ungeheuers, das sich am Telefon meldet, Einbildung? Wir werden es nie erfahren, aber Carter scheint doch noch alle Tassen im Schrank zu haben. Wer die Geschichte zum ersten Mal hört, dem wird es jedenfalls kalt den Rücken hinunterlaufen. Zentral ist das Dilemma der Freundschaft: Carter will seinem Freund zu Hilfe eilen, doch dieser will Carter schützen, indem er ihn von sich und seinem Fund fernhält. Carter ist moralisch und emotional zerrissen. Das macht einen großen Teil der Wirkung der Story aus, neben der Gespanntheit des Hörers, worin denn nun der Fund eigentlich besteht. – Abträglich ist allenfalls das sprachliche Brimborium wie „miasmatische Dünste“ oder gar „geile Gräser“, die noch aus der uralten |Suhrkamp|-Übersetzung durch Michael Walter herrühren.

2) A. Blackwood: Hingang auf Widerruf (gelesen von M. Rogée)

Es ist wieder einmal der 13. Februar, und eine Mondnacht liegt über dem schwarzen Wald. Am gleichen Tag vor 50 Jahren, so erzählt der alte Physiker, verschwand in diesem Wald ein Mann spurlos auf Nimmerwiedersehen. Da, wo seine Laterne im Schnee stand, endeten seine Fußspuren abrupt, als wäre er in die Luft gerissen worden. Nur seine Hilfeschreie konnte man ringsumher hören.

Die pseudowissenschaftlichen Erklärungen des Alten überzeugen die junge Frau nicht, und sie zieht ihren Bräutigam, einen jungen Pastor, ins heimelige Haus. Doch als weitere Besucher eintreffen, kreisen dessen Gedanken immer wieder um Orte, wo sich Dimensionen überlappen. Die Besucher haben Schreie im Wald gehört: bestimmt nur ein Hase, oder? Da stellt die junge Frau auf einmal fest, dass ihr Bräutigam verschwunden ist und organisiert einen Suchtrupp.

Tatsächlich: Das Grauen im Nachtwald wiederholt sich. Am Ende der Fußspur steht die verlassene Laterne des Pastors und sie hören seine entsetzte Stimme: „Zu Hilfe! Betet für mich!“ Das tun sie dann auch, der Alte zuerst, was für einen Physiker recht bemerkenswert ist. Der Pastor bleibt drei Wochen lang verschwunden, bis eines Tages aus dem Wald ein seltsamer Mann auftaucht …

Wie so oft, liegt die Pointe in den letzten Worten der Geschichte, die hier natürlich nicht verraten werden sollen, und diese Worte deuten einen exquisiten Horror an.

3) E. A. Poe: Der wahre Sachverhalt im Falle Waldemar (1845; gelesen von Otto Mellies)

Die esoterische Modewissenschaft Mesmerismus (benannt nach einem gewissen Monsieur Mesmer) wurde auch als Magnetismus bezeichnet und erregte seinerzeit – also zwischen 1840 und 1850 – einiges Aufsehen. In der Erzählung verlängert der Ich-Erzähler, ein Hypnotiseur, damit die Existenz der Seele von Ernest Valdemar, einem Opfer der Schwindsucht, nach dem Ableben des hinfälligen Körpers. Doch es gibt noch eine ziemlich grässliche Pointe.

Der Ich-Erzähler weiß seine (inzwischen verfilmte) Geschichte von der Aufhebung des Todes wohldosiert zu vermitteln. Das Unbehagen an der ganzen unnatürlichen Sache wächst, bis ganz am Schluss, im letzten Satz, das Grauen mit voller Wucht zuschlägt: das ist die „punch-line“, die den Leser bzw. Hörer in die Magengrube trifft. Poe konnte schon immer sehr effektvoll erzählen, aber hier hat er ein Meisterstück abgeliefert. Allerdings ist es nicht allzu bekannt.

4) Franz Hohler: Das Haustier (gelesen von Otto Mellies)

Der Ich-Erzähler, weil ledig und allein, sehnt sich nach einem pelzigen Haustier und begibt sich in die Zoohandlung. Nachdem er viele Viecher abgelehnt hat, bietet ihm der verzweifelte Verkäufer etwas aus der hintersten Ecke, das er nicht identifizieren kann: ein schwarzes Fellknäuel. Ein Faultier? Unser Mann kauft es und trägt es nach Hause.

Zunächst isst es nichts, sondern trinkt nur. Es hat eine schwarze Hand mit klauenbewehrten Fingern, einen langen Schwanz und gespaltene Hufe. Eine Zwergziege? Nein, wahrscheinlich etwas Ausgestorbenes. Als am Sonntagmorgen im Radio der Gottesdienst übertragen wird, führt es sich wütend auf, als habe es Angst davor. Da sieht er, dass es zwei Hörner auf der Stirn trägt. Aha, es ist ein Teufel. Wie interessant!

Die Story wird von da an sehr ironisch, denn der Teufel ist natürlich auch psychologisch ein Teufel und beginnt, seinen Besitzer nach teuflischer Art zu tyrannisieren. Als es diesem zu viel wird, kann er sich des Teufels aber nicht entledigen, aus Angst, ausgegrenzt zu werden. Er kann weder zum Zoohändler (verkaufen), noch zum Tierarzt (einschläfern) oder zum Pfarrer (na, was wohl?) gehen. Sieht so aus, als müsse er mit seinem Teufel so gut leben, wie es eben geht …

Die metaphorische Erzählung lässt sich auf mehrere Gebiete anwenden, beispielsweise auf die Politik. Was, wenn der Teufel eine Nazi-Bewegung wäre? Könnte der einsame Spießbürger sich damit abfinden? Denn es geht ja nicht darum, ob der Teufel ihm gefällt, sondern wie es ihm gelingt, die negativen Folgen des Teufels zu ertragen und hinzunehmen. Böses entsteht also offenbar durch Untätigkeit und Unterlassen. Dies demonstriert der Autor anschaulich und unterhaltsam, nur scheinbar heiter. Sehr indirekt ruft er: „Wehret den Anfängen!“

5) R. L. Stevenson: Die Krumme Janet (gelesen von M. Rogée)

Im Jahr 1762 lebt der alte Reverend Murdoch Solis im abgelegenen schottischen Tal von Balveary und pflegt seine Gemeinde mit Bibel-Zitaten wie „Der Teufel ist ein brüllender Löwe“ zu erschüttern. Aber seine Schäfchen wissen ja über ihn Bescheid. Wie es kam, dass er heute gebrochen und einsam in dem düsteren Pfarrhaus am verrufenen Dammweg über den Fluss Dhul wohnt. Und warum das alles? Wegen jener unglückseligen Geschichte vor fünfzig Jahren …

Damals kam der Reverend jung und tatenfroh ins Dorf, wollte ein Buch schreiben, hatte selbst eine imponierende Bibliothek. Aber als er eine Haushälterin brauchte, da empfahl man ihm im Dorf Janet McClure, einen alten Besen, die nie zum Gottesdienst ging und einen Bastard als Kind hatte. Man munkelte, sie sei mit dem Teufel im Bunde. Als die Dorfweiber mit Janet die Hexenprobe* am Fluss machen wollten, da ging Solis dazwischen, ließ sie dem Teufel abschwören und nahm sie bei sich auf. Seitdem hatte sie einen krummen Hals, weshalb man sie als die Krumme Janet bezeichnete. (Warum sie den hatte, wird später ersichtlich, aber ich verrate das nicht.)

Im Sommer kam eine ungewohnte Hitzewelle, unter der das Land litt. Um etwas Abkühlung zu finden, pflegte Solis zum Friedhof am Black Hill zu wandern und sich im Schatten auszuruhen. Eines Tages sah er dort sieben rastlose Krähen, ein böses Omen. Ein schwarzer Mann saß auf einem der Gräber, offenbar kein Christenmensch, und er war „schwarz wie die Hölle“. Als Solis ihn anspricht, antwortet er nicht, sondern eilt von dannen. Solis, der ihn verfolgt, sieht noch, wie er im Pfarrhaus verschwindet, doch dort fehlt jede Spur von ihm, und die Krumme Janet weiß von nichts. Aber von da an verhält sich Janet sonderbar, und merkwürdige Geräusche erfüllen das Haus …

Diese klassische Geschichte Stevensons von der Begegnung mit dem Teufel in Menschengestalt ist äußerst wirkungsvoll aufgebaut. Bemerkenswert ist besonders, dass der Höhepunkt der Ereignisse derart lange dauert, dass er fast ein Viertel der Geschichte einnimmt. Durch die stimmliche Gestaltung der Sprecherin potenziert sich die Wirkung der Story. Gleich mehr dazu.

6) M. R. James: Der Kupferstich (gelesen von Otto Mellies)

Mr. Williams ist kunsthistorischer Kurator eines Museums in Cambridge, in dem er topographische Landkarten und Stiche verwaltet. Diese Produkte kommen u. a. von dem Hersteller J.W. Bridnell in London, der Williams regelmäßig Kataloge zur Ansicht und Auswahl zuschickt. Er solle darin Lücken aufspüren. In einem Brief weist Bridnell auf Stück Nr. 978 hin, bei dem es sich um die Ansicht eines Herrensitzes handele. Williams ist verblüfft über dessen hohen Preis von über zwei Pfund, bestellt es aber trotzdem. Sein Diener bringt ihm das Bild zunächst ins College statt ins Museum.

Es handelt sich um einen banalen Kupferstich, der sich in nichts von anderen seiner Art unterscheidet. Als Urheber wird ein „A.W.F.“ angegeben (das wird später wichtig, denn das F steht für Francis). Ein Zettel enthüllt nur die Hälfte der Ortsangabe, irgendwo in Essex oder Sussex. Der Kurator fragt Prof. Brings nach dem Ort, doch dieser verweist ihn an einen Mr. Green, der leider auf Geschäftsreise sei. Der Prof fragt seinerseits, was denn das für eine Figur auf dem Bild sei. Was denn für eine Figur, wundert sich Williams, denn bislang war das Bild völlig menschenleer. Tatsächlich ist jetzt ein eingehüllter dunkler Kopf von hinten zu sehen, unten in der Ecke, und die Figur blickt zum Herrenhaus.

Später hält ein anderer Betrachter das Bild für ganz hervorragend, was Williams schon wieder verblüfft. Kurz vor dem Zubettgehen fällt sein Blick darauf und versetzt ihn in Schrecken: Die schwarze Gestalt schleicht auf allen Vieren auf das Haus zu. Auf dem Rücken scheint sie ein weißes Kreuz auf ihrem schwarzen Umhang zu tragen. Sie hat etwas vor … Beklommen sperrt der ehrenwerte Mr. Williams das seltsame Bild weg. Als er Mr. Misbet zu seiner Meinung befragt, ist die Gestalt im Bild verschwunden. Dafür stehen ein Mond am Himmel und im Erdgeschoss ein Fenster offen. Williams vergleicht seine Notizen und ergänzt sie um das neuerliche Geschehen. Was, um Himmels willen, spielt sich in dieser Nachtszene ab? …

Die Story ist trotz ihrer Bekanntheit immer noch sehr wirkungsvoll und geht durch ihren wohldosierten Grusel unweigerlich unter die Haut. Ein Bild, das wie ein Fernseher funktioniert – klingt interessant. Aber eine „Sendung“, die sich vor fast hundert Jahren (genauer: im Jahr 1802) abgespielt hat, |live| darzustellen, das ist schon eine besondere Art von Fernseher. Und dass sich diese „Sendung“ nie wieder wiederholt, ist ein Affront des Zuschauers. Auf jeden Fall aber genial.

7) David Morrell: Puppen (gelesen von Volker Niederfahrenhorst)

Ein Mann erinnert sich an jene schreckliche Nacht, als er von der Arbeit als Kunstmaler nach Hause zurückkehrte und das Haus leer fand. Seine Frau und ihre gemeinsame Tochter Sarah müssten doch hier leben, ebenso seine 65-jährige Mutter. Wo sind sie alle? Im Keller tropft es: Regnet es in das verfallende Haus herein? Nein, hier steht der Boden vollständig unter Milch. Doch das Puppenhaus, mit dem die fünfjährige Sarah hier gespielt hat, ist verlassen.

Der Mann geht nach oben. Er findet seine Mutter aus Wunden blutend und starr an die Decke blickend vor. Wer hat das getan? Wo sind die Lieben? Er ruft die Polizei und einen Arzt herbei, dann setzt er seine Suche fort. Dies war einmal eine Milchfarm. Sie bestand einst aus zwei separaten Gebäuden: dem Wohnhaus und der Scheune, wo die Kühe untergebracht waren. Sie wurden erst verbunden, nachdem sich sein Vater, der die Tiere morgens melken wollte, draußen im wütenden Schneesturm verirrt hatte und erfroren war. Da war der Junge zehn Jahre alt. In der Scheune ist niemand, und er schließt sie ab. Er hört seine Mutter rufen.

Die Mutter sagt nur stockend: „Puppen.“ Immer wieder. Er folgt dem kargen Hinweis und geht hinunter in den Keller, um Sarahs Puppenhaus in Augenschein zu nehmen. Während die Polizei in das Haus einbricht, um den Täter zu verhaften, versucht der Mann den Anblick dessen, was sich ihm im Puppenhaus bietet, zu verarbeiten. Es ist ihm bis heute nicht gelungen …

Die psychologisch und bildlich sehr intensive Erzählung gehört dem gepflegten Gruselgenre an, das aber von amerikanischen Autoren wie Ligotti und Lansdale um drastische Splattereffekte erweitert wurde. Hier werden archaische Symbolgehalte kombiniert: weiß wie Milch, rot wie Blut, Leben und Tod, aber auch Leben und Kunst (der Erzähler ist Maler). Das Haus spielt ebenso eine wichtige Rolle als Gehäuse für Leben und Tod wie auch seine Miniaturausgabe in Form des Puppenhauses. Wer der Täter ist, soll nicht verraten werden, aber viele Spekulationen sind erlaubt.

Die Sprecher

Volker Niederfahrenhorst liest die Erzählungen von Lovecraft und Morrell. Durch seine Darstellungskraft ragen sie für mich heraus aus der Auswahl. Denn dieser Sprecher versteht es wie sein Kollege David Nathan eine winzig kleine Pause vor einem wichtigen Satz, Satzteil oder Wort einzulegen, so dass das Folgende nicht nur betont wird, sondern auch noch die Spannung darauf gesteigert wird. Dass er es auch versteht, als Randolph Carter verzweifelt zu rufen und resigniert zu jammern, ist das eine, dass er es aber auch als DAS DING IN DER GRUFT fertig bringt, auf eine Weise zu flüstern, dass einem das Blut gefriert, das ist schon Meisterschaft. In der Morrell-Story unterstützt er den psychologischen Horror und die Antizipation des Grauens, das am Ende auf uns wartet, durch seinen bemerkenswerten Vortragsstil.

Marianne Rosée hat einen ähnlichen, aber eben weiblichen Ansatz für ihren Vortrag. Sie liest die Geschichten von Blackwood und Stevenson vor. Zunächst lässt sich „Hingang auf Widerruf“ ganz prosaisch an, doch sobald der junge Pastor verschwunden ist, bricht dessen junge Braut in jammerndes Wehklagen aus. An dieser Stelle hält sich die Sprecherin keineswegs vornehm zurück – wozu auch? Noch einen Grad intensiver wird ihr Vortrag bei dem Ruf: „Zu Hilfe! Betet für mich!“ Hier nimmt der Tonmeister sowohl Hall als auch ein leichtes Echo zu Hilfe. Eindringlicher geht es nicht mehr.

Ein weiterer Höhepunkt ihrer Vortragskunst ist die Schlüsselszene der Story um die Krumme Janet. Offensichtlich ist in diese Figur der Teufel gefahren und lässt sie nun allerlei unchristlichen Schabernack treiben. Doch Reverend Murdoch Solis hat diesem Mummenschanz durchaus etwas entgegenzusetzen und beschwört sie, sich hinwegzuheben – ein Blitz fährt hernieder … Wie eine gewiefte Märchenerzählerin kommt mir die Sprecherin dabei vor. Einer ihrer Kniffe besteht darin, die Sätze in einem wiederholten Crescendo daherrollen zu lassen, so dass sich der Hörer ihrer Wirkung nicht entziehen kann. Man merkt ihr ihre lange Bühnenerfahrung (s.o.) an.

Otto Mellies hat mit solchen Gefühlsausbrüchen nichts am Hut. Seine bevorzugte Manier des Ausdrucks ist die Sachlichkeit. Doch auch dahinter kann sich feine Ironie verbergen, wie in seinem Vortrag der Teufels-Story „Das Haustier“ zu hören ist. Emotion kommt bei ihm erst richtig zum Vorschein, als er das grässliche Ende des „Falles Waldemar“ zu berichten hat.

Akustische Motive

Die einzelnen Geschichten werden eingeleitet und abgetrennt von kurzen akustischen Motiven. Auf recht minimalistische Weise handelt es sich dabei um eine Kombination aus Piano-Tönen und -geräuschen, Babygeschrei und Tropfengeräusch. Alles ist unterlegt mit einem Hall, der das Geräusch auf die Ebene des Unheimlichen hebt. An einer Stelle schreit ein Baby, doch der Schrei verkehrt sich in ein bösartig Greinen und in Kombination mit Hall wird daraus ein teuflische Sache, die an Rosemarys Baby gemahnt. Das ist gelungen. Weniger gelungen ist das bloße Tropfen oder eine angerissene Saite im Piano – hier fehlt irgendwie der Aha-Effekt.

Unterm Strich

Die sechs Geschichten haben mir ausnehmend gut gefallen. Wer sich noch nicht besonders gut mit Gespenstergeschichten auskennt, bekommt hier eine recht gute Einführung abseits der Trampelpfade à la „Das Gespenst von Canterville“. Etwas Abwechslung in das Gruseleinerlei bringt die moderne Story von Franz Hohler. Besonders zur Wirkung der Geschichten tragen die Sprecher bei, von denen ich besonders Marianne Rosée und Volker Niederfahrenhorst hervorheben möchte. Das 8-seitige Booklet hält zu Autoren wie auch Sprechern umfangreiche Informationen bereit. Der Preis erscheint mir nicht zu hoch veranschlagt.

*: Apropos Hexenprobe: Das ist ein mittelalterliches Verfahren der Inquisition, um festzustellen, ob jemand (es gab auch männliche Hexen) eine Hexe ist oder nicht. Sie wurde gefesselt in einen Wasserlauf geworfen. War sie eine Hexe, so half ihr der Teufel, auf dem Wasser zu schwimmen. War sie nicht besessen, so ging sie unter und war unschuldig, wenn auch tot. Lief halt irgendwie dumm für sie. Nach dem Prinzip des Catch-22 musste die mutmaßliche Hexe in jedem Fall verlieren: Sie ertrank sofort oder starb später auf dem Scheiterhaufen oder während der Folter.

156 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3491911765

https://www.verlagsgruppe-patmos.de/verlage/patmos-verlag

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Die Sphinx (POE Folge 19)

Ein ertragreicher Ausflug in die Unterwelt

„Die Sphinx “ ist der neunzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |Lübbe Audio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Poe weiß nun, wo er den finsteren Dr. Baker finden kann. Doch dazu braucht er noch einen Schlüssel. Der einzige Weg führt durch die Katakomben der alten Kirche von Father O’Neill. Dieser ist rätselhaft wie eine Sphinx, und er hat die Antwort auf eine von Poes drängendsten Fragen.

Zur Vorlage: Die Cholera wütet in New York. Täglich sterben Hunderte. Viele Menschen sind auf das Land geflüchtet; nur dort gibt es noch Hoffnung auf Überleben. Da wird in den dichten Wäldern ein schreckliches Ungeheuer gesichtet. Woher kommt es? Worum handelt es sich? Ist das Monster eine noch größere Bedrohung für die Menschen als die Cholera?

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten achtzehn Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

Die vier neuen Folgen sind:

#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Die 1002. Erzählung
#21: Schatten

Die (am 30.3.2007) kommenden Folgen sind:

#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

Der Autor

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

Die Sprecher/Die Inszenierung

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Laurie Randolph, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dickky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

Das Booklet

Jede CD enthält ein achtseitiges, schwarz gehaltenes Booklet. Eingangs gibt es einen mittlerweile recht umfangreichen Abriss der Vorgeschichte der Episode. Kleine Biografien stellen die beiden Hauptsprecher Ulrich Pleitgen und Iris Berben vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die [DVD 1487 von „Die Grube und das Pendel“. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet.

Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch [„Edgar Allan Poe: Visionen“, 2554 das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E.A. Poes Werk wieder , das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

Vorgeschichte

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon achtzehn Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Gespräch mit einer Mumie“, der 18. Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

Handlung

Das Notizbuch, das Poe in Dr. Gumps Büro gefunden hat, enthält einen Hinweis auf den Polizisten Moloney. Der hat nun den bedauerlichen Nachteil, dass er in den Katakomben New Yorks lebend eingemauert wurde. Zudem beginnen die Cops, ernsthaft nach dem Verschwundenen zu suchen und die Gäste des Hotels, in dem Poe logiert, auszuquartieren. Er muss seinen Zimmerschlüssel aushändigen. Da er Zeuge war, wie Moloney umkam, hält er sich in dieser Angelegenheit sehr bedeckt.

Aber dass Moloney in den Katakomben umkam und Poe nun seine Taschenuhr benötigt, macht es notwendig, dass er einen alternativen Zugang sucht. Er findet ihn wenige Straßen weiter in einer verfallenen Kirche. Ein Gewitter bricht draußen los, und Poe geht rasch hinein. Jemand spielt noch die Orgel – es ist der evangelische Father O’Neill. Er begrüßt Poe, der sich als Journalist im Auftrag eines der Stadtväter ausgibt. Er wolle sich die Katakomben ansehen und winkt mit einer anständigen Belohnung für das Bemühen.

Als die beiden ein wenig Messwein trinken, entschuldigt sich O’Neill und kehrt nicht wieder. Auf der Suche nach ihm muss Poe sehr weit hinuntersteigen und landet in den Katakomben. Ein seltsames Geräusch lässt ihn innehalten. Es klingt, als ob eine Steinplatte verschoben würde. Tatsächlich ist es O’Neill, der offene Gräber wieder schließt. Betreten gesteht er, dass er zu der ebenso uralten wie unwürdigen Zunft der Grabräuber zählt. Tja, man muss eben über die Runden kommen.

Mit den nächsten Worten gesteht O’Neill, dass er von Poes Gesicht erschreckt worden sei. Er habe nämlich einmal vor einem halben Jahr das Bloomington Asyl auf Blackwell Island besucht und sollte dort bei einer Notoperation geistlichen Beistand leisten. Der Operierte, an dem ein gewisser Dr. Baker arbeitete, hatte die gleichen Augen wie Poe!

Keine Zeit, sich zu wundern und weitere Fragen zu stellen! Das Regenwasser strömt die Treppen und Gänge herab und droht die beiden Männer in den Katakomben zu ersäufen. Sie müssen um ihr Leben laufen, doch für Father O’Neill endet diese Kletterpartie beinahe tödlich. Was schade wäre, denn er hat noch eine weitere Überraschung auf Lager.

Mein Eindruck

Es ist nicht besonders offensichtlich, wieso diese Episode den Titel „Die Sphinx“ trägt. Aber um den Grund dafür zu erklären, müsste ich weitere Teile der Handlung nacherzählen, und diese Zerstörung der Spannung würde mit Sicherheit jeden Interessierten davon abhalten, das Hörspiel überhaupt anhören zu wollen.

In diesem Rest macht Poe einen Ausflug zu einer Adresse im New Yorker Stadtteil Brooklyn. Dieser liegt jenseits des East Rivers, so dass Poe die Fähre nehmen muss. Nicht nur akustisch ist damit ein anderes Ambiente verbunden. Brooklyn ist um 1845 noch recht klein und heruntergekommen, die späteren Flüchtlingsströme aus Irland und Mitteleuropa, wo die Revolution von 1848 scheitert, stehen noch aus. Aber Prostituierte und Kneipen gibt es natürlich schon, wie überall.

Poe findet sogar mehr, als er erhofft hat: Dr. Bakers Forschungsunterlagen fallen ihm in die Hände. Zusammen mit O’Neill und einem weiteren alten Bekannten, Kapitän Hardy von der gesunkenen „Independence“, liest er Bakers Tagebuch. Es ist das Dokument eines Menschen, der sich selbst bekämpft und heilen will. Dazu seziert er nicht nur Leichen, er operiert auch am Kopf von Lebenden. Eines dieser Opfer ist offenbar Poe selbst, wie ihm O’Neill verraten hat.

Das klärt aber immer noch nicht das Geheimnis um seine Identität auf. Doch wenn er Baker diese Unterlagen anbietet, dann könnte er im Austausch dafür vielleicht die alles entscheidende Frage beantwortet bekommen: Wer bin ich?

Wie man sieht, ist diese Episode voller Action, Szenenwechsel, Ausflüge und Informationen. Da bleibt es nicht aus, dass Poe ein- oder zweimal der Zufall auf recht günstige Weise in die Hände spielt. Da fragte ich mich dann doch, ob das nicht zu sehr konstruiert wirkt. Ein Tiefpunkt an Unplausibilität ist Poes Auftritt in der Savings Bank von Brooklyn. Der Bankangestellte prüft nicht einmal seine Berechtigung oder – und das würde gerade Poe schwerfallen – seine Identität.

Musik und Geräusche

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Es gibt Donnergrollen, Glockenschläge von Turmuhren (man kann die Stunde daran ablesen), jede Menge Hall in den Katakomben und auch sonst jede Menge zu hören.

Auf die Dreidimensionalität wurde stärker geachtet: Stimmen von links und rechts, in der Ferne (leiser) und im Vordergrund (lauter), ja sogar innerer Monolog (spezielle Musikuntermalung mit ausgeblendeten Geräuschen) vermitteln den Eindruck einer Welt, in der sich ein Betrachter wie im Zentrum des Geschehens fühlen könnte.

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen. Auf vielfältige Weise wird das zentrale Poe-Motiv, das aus der Titelmelodie der Serie bekannt ist, variiert. Am Schluss erklingt ein neues musikalisches Motiv, das für diese Staffel charakteristisch ist: schnell, dynamisch und vorwärts drängend, begleitet es das Geschehen, das meist in dramatischer Action besteht. Es kann aber auch die drängendste von Poes Fragen symbolisieren: Wer bin ich?

Auch in den Pausen ist Musik zu hören, aber hier hat sich die Regie eine Menge einfallen lassen: Mal spielt das Cembalo eine Fuge, mal ein Honkytonk-Piano, ein andermal summt ein Chor das Poe-Motiv. Wieder werden die Übergänge zwischen Poes Erleben und seiner Traumwelt mit gelungenen Soundeffekten angedeutet.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

Der Song

Mara Kim: A Dream within a Dream

Die Sängerin Mara Kim wurde unter anderem mit dem Hessischen Songpreis sowie bei den Berliner Festspielen ausgezeichnet. Die erste Veröffentlichung »Infinite Possibilities« erschien 2003 auf der |Frankfurt Lounge|-CD mit dem Produzententeam »Superflausch«. Die 21-jährige Künstlerin, die sich auch selbst am Klavier begleitet, schreibt ihre Texte in verschiedenen Sprachen und arbeitet an ihrem ersten Soloalbum. Ihre Stimme ist einfach ein Ereignis und muss man gehört haben.

Die elegische Ballade „A Dream within a Dream“ wird im englischen Original vorgetragen, und zwar mit so viel Intensität, dass sie bei mir einen starken Eindruck hinterließ. Natürlich wird der klassische Gesang von einem Piano und den obligaten Streichern (gutes Cello) begleitet, insofern alles wie gehabt. Im direkten Vergleich mit der Vorlage fand ich heraus, dass der Teil der Strophen besser verteilt und am Schluss etwas gekürzt wurde. Dadurch erklingt der Refrain mit der Titelzeile häufiger und eindringlicher, der Song wirkt weniger wie ein Gedicht, sondern mehr wie ein Lied. Das Ergebnis der Bearbeitung spricht für sich.

Unterm Strich

Die geänderte Strategie des Dramaturgen wirkt sich in dieser Episode voll aus: Im Vordergrund steht die äußere Entwicklung der Geschichte. Das ist einerseits befriedigend, denn so kommt es zu viel mehr Action und menschlichen Verwicklungen, doch andererseits hat dies nur noch am Rande mit den literarischen Vorlagen zu tun, auf die sich eine jede Episode beruft.

Positiv ist, dass Poe zunehmend mehr mit dem echten Edgar Allan Poe zu tun hat, über den immer mehr Leser und Hörer Bescheid wissen. So wundert es beispielsweise nicht mehr besonders, wenn Poe in eine Kneipe geht und sich volllaufen lässt oder wenn er sich mal eine Prise Opium reinzieht. Beides nahm der echte Poe bestimmt zur Genüge zu sich, denn sein Leben war überreich an Schicksalsschlägen.

Obwohl man sich als regelmäßiger Konsument dieser Serie also etwas umgewöhnen muss, bekommt man doch die gewohnte Qualität hinsichtlich filmreifer Geräusche und Musikmotive geboten, von den guten Sprechern ganz zu schweigen. Allerdings sollte der Dramaturg wieder etwas an der Verbesserung der Plausibilität der Handlung feilen, denn mir schien ein- oder zweimal, dass Fortuna persönlich zugunsten unseres Helden eingegriffen hat.

75 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 9783785731611

http://www.luebbe.de/luebbe-audio

Der Autor vergibt: (4.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

E.A. Poe & Marc Gruppe – Der Rabe (Gruselkabinett Folge 139)

Poe-Klassiker: Feindliche Seelen-Übernahme

1843 am Rhein: Auf einer Reise lernt ein Engländer in einer alten Stadt am Rhein die äußerst faszinierende Dichterin Lady Ligeia kennen und lieben. Sie arbeitet gerade an einem Werk, welchem sie den Titel „Der Rabe“ gegeben hat… (Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Hörbuch ab 14 Jahren. Die Reihe wurde mit dem HörKules ausgezeichnet.

Der Autor

E.A. Poe & Marc Gruppe – Der Rabe (Gruselkabinett Folge 139) weiterlesen

Edgar Allan Poe – Die Gestalt des Bösen (Folge 37)

Explosive Höhepunkte

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Das Geheimnis der Marie Roget“ und „Der Teufel im Glockenstuhl“ wurde die 9. Staffel innerhalb des großen POE-Epos fortgesetzt. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 36 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei Bastei-Lübbe.

USA um 1850. Der Mann ohne Gedächtnis, einst Insasse eines Irrenhauses und Opfer einer medizinischen Behandlung, weiß nun, wer er ist: Edgar Allan Poe. In seinem Grab ruht ein namenloser Landstreicher. Bei einem Aufenthalt auf dem Lande („Morella“) hat er entdeckt, dass er Eltern und Geschwister hat. Er muss sie finden, um seine Identität doch noch zu beweisen.

In Boston hat Poe drei falsche Zeugen für seine Identität als Dichter E.A. Poe gekauft, allerdings unter mehr als dubiosen Umständen. Er erreicht New York City unbeschadet, muss jedoch dort vom Gericht erfahren, dass die Gegenseite, sein Verleger und ein Journalist, ebenfalls gekaufte Zeugen aufbieten, die das Gegenteil beschwören werden. Poe verfällt auf einen teuflischen Plan, um diese Zeugen auszuschalten und so die Oberhand zu behalten…
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Edgar Allan Poe – Der Teufel im Glockenturm. (Folge 36)

Teufelspakt: Der unheilvolle Glockenschlag

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Der Teufel im Glockenturm“ wird die 9. Staffel innerhalb des großen POE-Epos fortgesetzt. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 35 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei Bastei-Lübbe.

USA um 1850. Der Mann ohne Gedächtnis, einst Insasse eines Irrenhauses und Opfer einer medizinischen Behandlung, weiß nun, wer er ist: Edgar Allan Poe. In seinem Grab ruht ein namenloser Landstreicher. Bei einem Aufenthalt auf dem Lande („Morella“) hat er entdeckt, dass er Eltern und Geschwister hat. Er muss sie finden, um seine Identität doch noch zu beweisen.

Poes und Leonies weiterer Weg führt sie nach Boston, wo Poe ja geboren wurde. Hier trifft er Dr. Templeton wieder, seine Nemesis. Im Austausch für die von Poe gestohlenen Notizen Templetons bietet dieser ihm an, Poes Identität von drei gekauften Zeugen bestätigen zu lassen…
Edgar Allan Poe – Der Teufel im Glockenturm. (Folge 36) weiterlesen

Edgar Allan Poe – Das Geheimnis der Marie Roget (Folge 35)

Köpfe werden rollen, Mühlen brennen!

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Das Geheimnis der Marie Roget“ wird die 9. Staffel innerhalb des großen POE-Epos fortgesetzt. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 34 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei Bastei-Lübbe.

USA um 1851. Der Mann ohne Gedächtnis, einst Insasse eines Irrenhauses und Opfer einer medizinischen Behandlung, weiß nun, wer er ist: Edgar Allan Poe. In seinem Grab ruht ein namenloser Landstreicher. Bei einem Aufenthalt auf dem Lande („Morella“) hat er entdeckt, dass er Eltern und Geschwister hat. Er muss sie finden, um seine Identität doch noch zu beweisen.

Eine erste Spur führt ihn nach Baltimore. Dort stößt er auf einen seltsamen Buchhändler, der etwas zu wissen scheint, aber hartnäckig schweigt. Poe findet in seiner Buchhandlung versteckt eine Landkarte, auf der auch der Wohnort seiner Schwester Rosalie eingetragen, in Terrytown, das auch als Sleepy Hollow bekannt ist…
Edgar Allan Poe – Das Geheimnis der Marie Roget (Folge 35) weiterlesen

Edgar Allan Poe – Ligeia (Folge 34)

Die Wiedergängerin: Poe auf den Spuren seiner Mutter

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Ligeia“ beginnt die 9. Staffel innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 33 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei Bastei-Lübbe.

USA um 1851. Der Mann ohne Gedächtnis, einst Insasse eines Irrenhauses und Opfer einer medizinischen Behandlung, weiß nun, wer er ist: Edgar Allan Poe. In seinem Grab ruht ein namenloser Landstreicher. Bei einem Aufenthalt auf dem Lande („Morella“) hat er entdeckt, dass er Eltern und Geschwister hat. Er muss sie finden, um seine Identität doch noch zu beweisen.

Eine erste Spur führt ihn nach Baltimore. Dort stößt er auf einen seltsamen Buchhändler, der etwas zu wissen scheint, aber hartnäckig schweigt. Poe findet in seiner Buchhandlung versteckt eine große Sammlung von Theaterzetteln. Auf ihnen wiederholt sich immer derselbe Name: Elizabeth Poe…
Edgar Allan Poe – Ligeia (Folge 34) weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Grube und das Pendel, Die (POE #1 / 5.1/DTS)

_Hörspielerlebnis in erstklassigem Sound_

Diese DVD bietet eine technisch überarbeitete Fassung des äußerst gelungenen und stimmungsvollen Auftaktes für die Hörspielserie, in deren Verlauf der |Lübbe|-Verlag mehrere Erzählungen von Edgar Allan Poe verarbeitet – bislang acht Stück. Die Reihe wird im November dieses Jahres fortgesetzt.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan der Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne ihn sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H. P. Lovecraft, H. G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen spricht die Figur des „Fremden“, der den Namen E. A. Poe annimmt.
Joachim Kerzel, bekannt aus zahlreichen Horror-Hörspielen und -Audiobooks, spricht die Rolle des Abtes. Kerzel ist die deutsche Synchronstimme von z. B. Jean Reno, Dustin Hoffman, Harvey Keitel, Sir Anthony Hopkins oder Jack Nicholson.
Klaus Jepsen: Bruder Amontillado
Till Hagen: Dr. Templeton
Viola Morlinghaus: Schwester Berenike
Gedicht am Anfang/Lied am Schluss: Heinz Rudolf Kunze

_Handlung_

Vorgeschichte: Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert wurde und jetzt, nach zehn Wochen, entlassen wird. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Leider neigt sich sein Aufenthalt dem Ende zu: Die Anstalt soll dichtgemacht werden und er wird bald entlassen. Doch in seiner letzten Nacht erlebt der Erzähler in seiner kargen Zelle einen beängstigenden Traum …

Er erwacht in der Zelle eines Mönches, die sich im Kloster von Toledo in Spanien befindet. Am Kopf hat er eine schwere Wunde davongetragen, die eine freundliche Nonne namens Schwester Berenike mit Kräutern behandelt. Hat er diese Wunde im Krieg davongetragen, der sich Toledo in Form napoleonischer Truppen nähert? Man schreibt das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts, und die Situation Toledos ist alles andere als sicher.

Wie sich herausstellt, haben ihn die Mönche niedergeschlagen, weil sie ihn für einen Spion der Franzosen hielten. Im Kloster herrscht die als grausam verrufene Inquisition der katholischen Kirche, und es herrscht eine Art Torschlusspanik. Der scheinbar freundliche Abt, der das Kloster leitet, verfügt über eine bemerkenswerte Standuhr: in das Zifferblatt sind Löcher für vier Finger eingelassen und das Pendel ist rasiermesserscharf zugeschliffen. Ein Omen? O ja, und nicht nur für Schwester Berenike, die hier eigentlich nur zu Besuch ist. Kurz zuvor sei der Bruder Botanicus gestorben, erzählt sie.

Das Kloster ist in der Tat das Gegenteil eines Kurortes: Als sich der Erzähler einmal in einem Krug Wasser von einem Auslassrohr holt, bemerkt er zu spät, dass es sich um fast pures Blut handelt. Es stammt von den in den Gewölben gefolterten Opfern der Inquisition. Als er und Berenike vor Entsetzen um Mitternacht fliehen wollen, stoßen sie auf einen Leichentransport, der gerade das Kloster verlässt: Auf dem Karren liegen zerschnittene und von Ratten angefressene Körperteile. Sekunden später werden die beiden Flüchtlinge gefangen genommen und später vom Abt verurteilt, damit das Geheimnis des Klosters gehütet wird.

Der Erzähler erwacht in einem lichtlosen Gewölbe neben einem Schacht, mit Riemen auf einen Block gebunden: neben sich Ratten, über sich ein riesiges rasiermesserscharfes Pendel, das hin und her schwingt, sich dabei aber unaufhaltsam auf den Wehrlosen herabsenkt …

_Mein Eindruck: das Hörspiel_

„Die Grube und das Pendel“ treibt den Horror auf eine bis dato unerreichte Spitze: Folter durch die Inquisition, ein mysteriöser Todesfall, Gift im Wasser, ominöse Pendeluhren und schließlich der klaustrophobische Höhepunkt unter dem Pendel selbst. Kulturell gesehen herrscht im Kloster noch finsterstes Mittelalter, bis Napoleons Truppen Freiheit, Licht und Leben bringen. Der Abt verkörpert die Willkürherrschaft der katholischen Kirche in Spanien. Es herrscht Torschlusspanik und die Entwicklung der Dinge treibt auf einen Höhepunkt zu.

Die Rahmenhandlung in Dr. Templetons Anstalt taugt durchaus dazu, die Serie zu tragen, allerdings sind die Traumreisen in Poe’sche Storywelten nur mit romantischen Mitteln zu erklären, es sei denn, der Patient Poe bekäme zur Heilung ein traumförderndes Medikament.

|Die Sprecher|

Ulrich Pleitgen und Joachim Kerzel dominieren das Hörspiel mit ihren tiefen Stimmen. Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Kerzel ist als Abt nur in zwei Szenen zu hören, wirkt aber dabei bereits zwielichtig beziehungsweise kriminell – kein Wunder, denn der Abt ist einer der letzten Vertreter der grausamen spanischen Inquisition.

Klaus Jepsen ist uns inzwischen am besten als deutsche Stimme von Bilbo Beutlin vertraut, die des „Dr. Templeton“ als die Synchronstimme von Kevin Spacey, allerdings mit betonten Bässen. Meine besondere Bewunderung möchte ich Viola Morlinghaus aussprechen: Sie spielt die sympathische Botanikerin „Schwester Berenike“ absolut lebensecht, verzweifelt und schließlich niedergeschmettert, dass man mit ihr mitfühlen muss. Allerdings fällt auf, dass ihre Figur sehr oft „Ich weiß es nicht“ sagen muss.

|Der Song|

Das Stück klingt mit H. R. Kunzes Lied über E. A. Poe, dem „Weißen Raben“, aus. Es ist quasi eine Moritat, die versucht, diesen Dichter als Warner seiner Zeitgenossen in einen soziokulturellen Kontext zu stellen. Der Fünf-Minuten-Song ist zwar textlastig wie jede Moritat, aber stimmungsvoll instrumentiert und vorgetragen: schön schräg intoniert, mit „singender Säge“ unterlegt und wohligen Schauder erzeugend.

|Die szenische Musik und Klanggestaltung|

Die Musik besteht aus moderner Klassik, vermischt mit dem Kirchenlied „Dies irae, dies illa“ („Tag des Zornes, jener Tag“, oft auch übersetzt als „Tag der Rache, Tag der Sünden“) und einem Streichquartett. Getrennt werden die einzelnen Szenen durch besondere Klangelemente wie etwa eine Glocke.

Die Klangkulisse dieses ersten Teils der Serie ist im Vergleich zu den anderen Teilen ganz besonders ausgetüftelt und äußerst wirkungsvoll. Von dezenten Kirchenglocken, Chören, menschlichen Schreien bis hin zu Wolfsgeheul, Rattengefiepe und Windrauschen reicht die Geräuschpalette.

Wer über eine ordentliche Anlage verfügt, sollte jedoch die Bässe bis zum Anschlag aufdrehen: Die Szene unter dem Pendel bietet ein paar besonders basslastige Soundeffekte – man kann das Schwingen des riesigen Pendels praktisch sehen, nicht nur hören. Der Soundstandard DTS, den diese DVD anbietet, erlaubt es, diese Bässe noch stärker zu betonen. Unüberhörbar bedrohlich klingt das Pendel aber bereits mit „normalem“ Dolby-Digital-5.1-Sound.

Inszenierung und Sprecher sind von erster Güteklasse – schade, dass Kerzel nur in dieser Folge der Poe-Serie mit von der Partie ist. Die Musik und Klanggestaltung unterstützen die hervorragenden Sprecher mit wirkungsvoller Klangdarstellung. Kunzes Song am Schluss wirkt für mich etwas aufgesetzt, aber sei’s drum.

_Die DVD_

Technische Infos

Laufzeit: ca. 59 Min.
FSK: keine Altersbeschränkung
Bildformate: 16:9 anamorph
Tonformate: DD 5.1, DTS, PCM Stereo
Sprachen: Deutsch
Untertitel: keine

Extras:

– Booklet mit informativen Texten und Fotos von Simon Marsden
– Interview mit Sprecher Ulrich Pleitgen
– Vom Skript zum Hörspiel: illustrierende Demonstration in Bildern
– Komplette Novelle „Die Grube und das Pendel“

_Mein Eindruck: die DVD_

Wie bereits oben erwähnt, liefert die DVD eine sagenhafte Soundqualität, und zwar in drei Klangstandards: PCM Stereo für einfache Anlagen, DD 5.1 und DTS für hochwertigere Geräte. Nicht jeder DVD-Player verfügt über einen DTS-Dekoder. Ein Großteil der Datenmenge auf der DVD dürfte alleine auf diese Toninformationen zurückzuführen sein.

An den wenigen Bildern in der digitalen Video-Diaschau kann es nämlich nicht liegen. Vorüberziehende Gewitterwolken, eine strömender Bach, ein unheimlicher Wald – all dies ist weder sonderlich aufwändig noch besonders aufregend. Denn dafür sind die Bilder nicht gedacht. Sie haben häufig die gleiche ästhetische Qualität wie Simon Marsdens Fotos: Sie laden zur Betrachtung, wenn nicht sogar Versenkung ein, lenken aber nicht vom Hörspiel ab.

Das Interview mit Ulrich fand ich einigermaßen erhellend. Er spricht u. a. darüber, was er an Poe so interessant findet und wie er seine Rolle in „Grube und Pendel“ gestaltet hat. Seine Aussagen sind kurz, aber knackig. Er hat den Durchblick.

Der Beitrag „Vom Skript zum Hörspiel“ ist eine Demonstration dessen, was man sich schon denken kann. Irgendwo muss der jeweilige Sprecher ja seine Anweisungen her haben. Sie stehen im Skript, das einem Drehbuch doch verblüffend ähnlich sieht. Dazu hört man das Ergebnis: den gesprochenen Text. Und wenn Geräusche gefordert sind, erklingen eben Geräusche – wie sie zusammengesetzt sind, liegt im kreativen Ermessen des Toningenieurs. Im Fall von „Grube und Pendel“ haben wir den Glücksfall, dass es eine riesige Palette passender Geräusche gibt.

Wer die ursprüngliche Novelle Poes, von der das Hörspiel erheblich abweicht, nachlesen möchte, kann dies anhand des entsprechenden Beitrags auf der DVD tun. Ich habe es nicht getan, denn die Schrift war mir zu klein. Eine Zoom-Funktion wäre hier hilfreich.

|Das Booklet|

Stefan Bauer, Cheflektor beim Bastei-Lübbe Verlag, hat im März 2004 die Einleitung geschrieben. Sie ist immerhin zweieinhalb Seiten lang. In seinem Kurzessay versucht er zu erklären, warum und was uns an Edgar Allan Poe so fasziniert – und warum es das 150 Jahre nach seinem Tod immer noch tut. Offenbar hat er an Ängsten des modernen Menschen gerührt, die immer noch existieren: das Ausgesetztsein, die Fremdheit, das Ausgeliefertsein an eine fremde unsichtbare Macht, die Illusionen von Tod und Leben usw.

Dabei macht Bauer klar, dass Poe selbst ein Fremder in seiner Kultur war: statt amerikanischen Unternehmergeistes spielte er den bizarren Warner, der an morbide Gelüste appellierte. Doch genau dies übte auf Schriftsteller wie Charles Baudelaire („Die Blumen des Bösen“) und Maupassant („Der Horla“) einen ungeheuren Einfluss aus, und sie selbst wiederum hatten ihre Kopisten und Epigonen. Poes Pionierarbeit wird auch von Ulrich Pleitgen und Heinz Rudolf Kunze in je einem Zitat gewürdigt.

Kunzes Song „Der weiße Rabe“ ist im Booklet endlich auch vollständig abgedruckt. Die Zeilen haben durchaus einen gewissen Charme und passen zum Sujet. Der Text stammt zwar von Kunze, die Musik allerdings von Leo Schmidthals.

Die Seiten 8 und 9 sind den Fotos von Simon Marsden gewidmet. Der britische Fotograf outet sich als Fan von Poe, dem er eine ganze Veröffentlichung gewidmet hat: „Visions of Poe“. Er arbeitet hauptsächlich mit Infrarotfilmen und besonderen Drucktechniken. „Ich glaube, dass eine andere Dimension, eine ‚geistige Welt‘, neben unserer so genannten echten Welt existiert, und dass wir manchmal, wenn die Umstände stimmen, in diese Welt hineinblicken können und Teil werden mit dieser übernatürlichen Gegebenheit. [seltsames Deutsch, oder?] – Die mystischen Aspekte meiner Fotografien reflektieren die ehemalige Ordnung und versuchen das Ewige zu offenbaren.“

Die beiden vorletzten Seiten bringen Werbung für die Hörspielreihe und den Erzählband. Die letzte Seite führt sämtliche Mitwirkenden an diesem Hörspiel und der künstlerischen DVD-Herstellung auf – eine praktische Übersicht. Die Frontseite des Umschlags zeigt ein charakteristisches Zitat aus der Erzählung in Englisch und Deutsch: |“Ich war krank, todkrank von langer Qual. Und als sie mich losbanden und ich mich hinsetzen durfte, fühlte ich, wie mir die Sinne schwanden.“|

_Unterm Strich_

Es muss ja nicht unbedingt die DVD sein; es reicht dem, der nur das Hörspiel kennen und genießen will, die CD völlig aus. Doch die DVD liefert einiges an Bonusmaterial, von dem die Dokumentationen und das Booklet nur der offensichtlichste – und nicht der geringste – Teil sind. Der größte Vorteil besteht vielmehr in der verbesserten Akustik, die wirklich dem State of the Art entspricht. Ich halte die Darbietung in DTS einer normalen CD-Wiedergabe für haushoch überlegen, worin mir sicher nicht jeder beipflichten wird. Wahrscheinlich werde ich jetzt für einen Soundfetischisten gehalten, aber sei’s drum: Warum sollte ein Verlag gleich drei Klangspuren auf eine DVD packen? Es muss wohl etwas dran sein an diesem Aspekt.

Und obendrein ist die DVD für ein Hörspiel ein Novum: Man kann – noch – lange suchen, bis man eine ähnliche Produktion findet. Wenn sich die DVD zu diesem vertretbaren Preis durchsetzt, könnten wir künftig mit mehr solchen Produktionen rechnen. Dann müssten wir nicht mehr Discjockey spielen, wenn wir ein Hörbuch mit sechs oder zehn CDs anhören wollen. Dann reicht eine Doppel-DVD.

Freunden von Poe und dem gepflegten Horror sei diese DVD daher ans Herz gelegt. Sie mag ihre Ecken und Kanten haben, ist aber weit gehaltvoller und hochwertiger als das Hörspiel auf CD.

|Originaltitel: The Pit and the pendulum
Laufzeit ca. 59 Minuten|

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Landors Landhaus (POE #27)

_Vertreibung aus dem Paradies_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ begann die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 26 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Poe und Leonie mieten Landors Landhaus in den nördlichen Wäldern von New York. Doch sie kommen dort nicht zur Ruhe: Über dem Landhaus liegt ein Fluch. Und Leonies Vergangenheit ist dunkler, als Poe ahnt. (Verlagsinfo)

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 26 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

Das Taschenbuch ist unter dem Titel [„Lebendig begraben“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 bei |Bastei Lübbe| erschienen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Landor: Peter Schiff
Clerk: Oliver Brod
Priester: Johannes Hubert
Büchereiangestellte: Natalie Spinell

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 26 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe / Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nachdem ihre Abreise nach England gescheitert ist, suchen Poe und Leonie erstmal ein Zuhause, wo sie zueinanderfinden und heiraten können. Das nächste Landhaus, das sie auftreiben können, gehört einem Herrn Landor und liegt drei Stunden Fußweg außerhalb von New York City. Zunächst fährt er sie zu seinem eigenen Haus, um etwas zu holen, dann bringt er sie zum Landhaus. Sie kommen an einem seltsamen Gedenkstein in Form eines Herzens vorbei. Der Stein soll an ein junges Liebespaar aus dieser Gegend erinnern, das vor zehn Jahren verschwand, und werde „Das steinerne Herz“ genannt, erzählt Landor.

Das Landhäuschen liegt in einem schönen Tal, das sich jenseits eines dichten Waldes öffnet. Das Häuschen benötigt ein wenig Instandsetzung, aber Poe stellt schnell seine handwerklichen Fähigkeiten unter Beweis. Eine häusliche Atmosphäre kehrt nach Landors Abschied ein. Dennoch scheint etwas nicht zu stimmen. Leonie hört unerklärliche Geräusche, und in den Kaminsims ist das gleiche Zeichen wie in den Gedenkstein eingeritzt. Welcher Zusammenhang mag hier bestehen?

Als sie von einem langen Fußweg in die Stadt und zum Pfarrer einer kleinen Kapelle zurückkehren, fließt der Bach direkt durch ihr Häuschen! Die Tür ist offen – wer hat sie geöffnet? Sie rackern, um den Bach abzulenken und das Haus wieder bewohnbar zu machen. Erschöpft fallen sie ins Bett. Als Poe am nächsten Tag Landor davon erzählt, faselt dieser etwas von einem Fluch, der auf diesem Haus liege, und rät ihnen, schleunigst abzureisen. Poe beschwört ihn, Leonie nichts davon zu erzählen.

Sie ist aufs Konsulat in die Stadt gegangen, um sich Identitätspapiere auf den Namen „Leonie Sander“ ausstellen zu lassen, damit sie Poe heiraten kann. Dass sie Sander heißt, weiß er ja schon aus ihrer Zeit in New Orleans. Er besucht unterdessen die Ortsbücherei und leiht ein Buch über lokale Legenden aus. Einst habe hier im Tal eine alte Hexe gelebt, heißt es da. Doch ein Kaufmann und seine Geliebte hatten Streit mit ihr, woraufhin sie verbrannt werden sollte. Doch sterbend verfluchte sie ihn und alle seine Nachkommen. Der Kaufmann ließ an der Stelle des alten Hexenhäuschens sein Lusthäuschen errichten, doch eines Tages starb er bei einem Brand in der Scheune.

Na, das sind ja lustige Geschichten, denkt Poe noch. Da schlägt neben dem Haus der Blitz in einen großen Baum, der sofort Feuer fängt. Dieses Haus scheint wirklich verflucht zu sein: Erst Wasser, dann Feuer. Was kommt als nächstes? Hinter einem Riss in der Kellermauer stößt Poe mit Leonie auf das grausige Geheimnis dieses Hauses …

_Mein Eindruck_

Diese Episode ist eine der seltenen POE-Folgen, deren Handlung völlig auf dem Lande stattfindet. Meist liegt der Schauplatz ja in der Stadt, sei es New York oder New Orleans, oder auf und an der See. Zwar beginnt diesmal alles in einer Idylle auf dem Lande, doch auch hier endet alles in purem Horror.

Bemerkenswert komplex ist die vielsträngige Handlung, so dass die verschiedenen Schichten einander beeinflussen. Zunächst sieht es so aus, als würden beide erfolgreich aufs Land fliehen können, doch schon bald gehen mit Leonie rätselhafte psychische Veränderungen vor sich. Die Hochzeitsvorbereitungen gelingen zwar pragmatisch, und das Leitmotiv der Paare, symbolisiert durch „Das steinerne Herz“, wird hoffnungsvoll weitergeführt.

Doch etwas hat sich gegen das Glück der Verlobten verschworen. Zunächst scheint es nur die Natur zu sein: der Bach, der über die Ufer trifft, der Blitz, der den Baum in Brand gesetzt. Doch je mehr Poe über die Vorgeschichte dieses Ortes erfährt, desto mehr gelangt er zur Überzeugung, dass ein Fluch nicht nur auf diesem Haus, sondern auch auf seiner Verbindung mit Leonie liegt.

Als auch noch Landor den düsteren Hintergrund bestätigt und das Grauen im Keller erklärt, ist es mit der Ruhe auf dem Lande endgültig vorbei. Die Heirat mit Poe scheint keine Perspektive mehr zu sein. Leonie verschwindet spurlos, und Poe ist auf sich selbst angewiesen. Dies hat schlimme Folgen für ihn, wie die übernächste Folge zeigt.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Mr. Poe

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in fast jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In dieser Episode schwankt Pleitgens Ausdruck zwischen hoffnungsvoller Aufbruchstimmung und niedergeschmetterter Grübelei – und allen Nuancen, die dazwischen liegen. Das ist eine herausragende Darstellerleistung.

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. In der neuen Staffel tritt sie nicht mehr so energisch auf, sondern erscheint uns als zwielichtige, will heißen: mehrdimensionale Figur, die es zu ergründen gilt. Die weitere Folgen legen ihre verborgenen Schichten offen und warten mit Überraschungen auf. Leonie hat uns (und Poe) beileibe nicht alles über sich erzählt.

Landor

Peter Schiff spricht zwar nur eine Nebenfigur, doch sein Landor ist von einer beeindruckenden Nuancenvielfalt. Erst erscheint Landor als eine normale Art von Landedelmann, doch je mehr sich die Natur von ihrer ungastlichen Seite zeigt, desto mehr erscheint seine Figur im Zwielicht, denn schließlich ist er der König dieses Landes. Die Wahrheit über seine Rolle trifft den Hörer ziemlich unvermutet, daher umso heftiger. Peter Schiff weiß alle diese Wandlungen dieser Figur überzeugend darzustellen – eine beachtliche Leistung.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulisse ist entsprechend realistisch und detailliert gestaltet. Ländliche Geräusche wie eine rollende Kutsche, ein schnaubendes und wieherndes Pferd sowie die allgegenwärtigen Vögel – ein sehr beliebtes Motiv der Serie – gesellen sich diesmal zu unheimlichen Wetterphänomenen wie Blitz, Donner und Regen. Je ungastlicher die Natur sich gebärdet, umso feindseliger führt sich auch die Tierwelt auf: Wespen summen und Ratten fiepen. Den Schlusschor bilden unheilvolle Nachtvögel, die schon immer als Omen des nahen Todes galten, sowie Krähen, die Aasvögel des Todes. Höchste Zeit für die unwillkommenen Menschlein, von diesem ungastlichen Ort abzuhauen.

|Musik|

Die Musik untermalt, quasi als eine Widerspiegelung, die emotionale Verfassung der jeweiligen Hauptfigur. In aller Regel ist dies die von Poe selbst, aber es gibt auch andere Erzählperspektive, so etwa die von Dr. Baker und die von Leonie. Immer wieder ist das leitmotivische Poe-Thema zu hören, das in allen möglichen Instrumentierungen erklingt, mal als Streichquartett im langsamen Tempo, dann wieder durch Hörner umgesetzt.

Diesmal erklingt der aus früheren Folgen bekannte Chor „Dies irae, dies illa“, der das Verhängnis, das über Poe hängt, beschwört. Hier waren offenbar versierte Komponisten und Arrangeure am Werk – ebenso Hagitte und Bertling vom Studio |STIL|.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD „Visionen“ zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Hagitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellen Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD [„Visionen“ 2554 hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

Poe und Leonie hätten es wie Adam und Eva haben können, doch das Land ist nicht mehr wie im Garten Eden, sondern selbst mit einem Fluch belegt. Dass es sich um den Fluch einer Hexe handeln soll, mutet dem Hörer schon etwas ungewöhnlich an, denn Hexen werden mit europäischen Märchen assoziiert. Aber es gab ja auch Hexenprozesse im Salem des 17. Jahrhunderts, und warum sollte der Hexenglaube sich nicht auch bis nach New York City verbreitet haben? Das Motiv des Hexenfluches ist schon ziemlich alt, und hier wird es mit dem Thema des Fluches, der auf Poe lastet, verknüpft. Folgerichtig kommt es zur Vertreibung aus diesem verdorbenen Paradies.

Ich fand diesen Plot ziemlich schlau ausgedacht und wurde Ohrenzeuge, wie ausgetüftelt die Szenen gestaltet wurden. Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird mit „Der Mann in der Menge“ fortgesetzt.

|Basierend auf: Landor’s Cottage, ca. 1848
58 Minuten auf 1 CD|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Flaschenpost, Die (Poe #26)

_Ein neuer Aufbruch: Hoffnung und Scheitern_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Flaschenpost“ beginnt die 7. Staffel und der Auftakt zur zweiten Geschichte innerhalb des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte finden man in den vorangegangenen 25 Folgen sowie in dem Roman „Lebendig begraben“, erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Eines Tages findet er eine Flaschenpost, und plötzlich legen sich die Schatten der Vergangenheit auf seinen Weg. (Verlagsinfo)

Mit der Erzählung „M.S. found in a bottle“ (M.S. = Manuscript) errang Poe anno 1833 den |Fiction Prize| der Zeitung „Baltimore Saturday Visitor“ und so seinen ersten größeren Erfolg auf der literarischen Bühne.

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten 25 Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora
#13: Schweigen
#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz
#18: Gespräch mit einer Mumie
#19: Die Sphinx
#20: Scheherazades 1002. Erzählung (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: Schatten (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: Berenice
#23: König Pest
#24: Der Fall Valdemar
#25: Metzengerstein

#26: Die Flaschenpost
#27: Landors Landhaus
#28: Der Mann in der Menge
#29: Der Kopf des Teufels

Das Taschenbuch ist unter dem Titel [„Lebendig begraben“]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 bei Bastei-Lübbe erschienen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

_Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Direktor: Friedhelm Ptok
Griswold: Friedrich G. Beckhaus
Carolan: William O’Connor
Wirt: Charles Rettinghaus (dt. Stimme von Jean-Claude van Damme u. a.)
Diplomat: Arne Toost
Kapitän: Rainer Wut

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dickky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

|Das Titelbild|

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt eine Burg auf einer vorgelagerten Insel, mit einem großen Felsen im Vordergrund. Die Insel könnte St. Michael’s Mount an der englischen Südküste sein, das Gegenstück zum Mont St. Michel in der Normandie.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Aldous Huxleys „doors of perception“.

|Das Booklet|

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Kleine Biografien stellen die beiden Hauptsprecher Ulrich Pleitgen und Iris Berben vor. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs. Danach folgt eine Seite, die sämtliche Credits auflistet. Die vorletzte Seite wirbt für das Hörbuch [„Edgar Allan Poe: Visionen“, 2554 das ich empfehlen kann. Die letzte Seite gibt das Zitat aus E.A. Poes Werk wieder, das am Anfang einer jeden Episode – jeweils abgewandelt – zu hören ist.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 25 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe / Pleitgen sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Nach den schrecklichen Vorgängen auf dem Friedhof, bei denen Dr. Baker alias Templeton von Poe besiegt wurde, ist Poe unsicher, wer er wirklich ist. Wenn in seinem Grab in Baltimore, wie Baker behauptet, nur ein namenloser Landstreicher liegt, muss er der echte Poe sein. Er freut sich bereits darauf, endlich wieder schreiben und publizieren zu können, als ihm ein neuerlicher Besuch in der Irrenanstalt auf Blackwell’s Island vor New York City deutlich vor Augen führt, dass auch dies nur ein Wunschtraum ist. Nicht nur, dass Dr. Baker noch lebt und dort als namenloser Insasse eingesperrt ist, nein, der neue Direktor kennt Poe persönlich – und Poe ist mit Sicherheit nicht jener Schriftsteller. Folglich darf Poe nie mehr auftreten, will er nicht eingesperrt werden.

Im Versuch, ein neues Leben an der Seite Leonie Gorons aufzubauen, macht er ihr einen Heiratsantrag. Anzeichen dafür, dass sie etwas vor ihm verbirgt, übersieht er wie üblich. In England wartet eine Erbschaft auf Leonie. Schon am nächsten Tag geht ein Segler. Als sie an Bord gehen, begrüßt der Kapitän gerade einen Mann namens Carolan, der angibt, krank zu sein und in seiner englischen Heimat sterben zu wollen.

Einen Tag später ist Carolan zusammengebrochen, und das Schiff muss in Sandy Hook anlegen. Ein Arzt verhängt Quarantäne, was die Weiterfahrt unmöglich erscheinen lässt. Eine Flaschenpost, die Leonie auffischt, inspiriert Poe zu weiterem Schreiben – über einen Schiffbrüchigen, der auf ein Kriegsschiff gerät, auf dem sich niemand befindet: ein Geisterschiff …

Unheimliche Dinge gehen an Bord des unter Quarantäne stehenden Seglers vor sich. Schon zwei Matrosen sind gestorben, und als Leonie und Poe beschließen, sich vorsichtshalber zu verdrücken, hören sie einen weiteren Schrei des Todes. In der Strandkneipe „Zum toten Matrosen“ finden die beiden Obdach und lernen den Journalisten Griswold kennen. Als Poe ihm hoffnungsfroh sein neues Manuskript zu lesen gibt, reagiert dieser jedoch auf unangenehme Weise anders als erwartet. Er nennt Poe wütend einen Scharlatan und Nichtskönner, der nur den Stil des echten Poe nachäffe, der, wie jeder wisse, auf einer Reise verschwunden sei …

_Mein Eindruck_

Nach den ersten 25 Folgen schienen alle offenen Fragen beantwortet zu sein. Doch nun stellt sich heraus, dass dem keineswegs so ist. Erstens ist das Geheimnis Leonies zu lüften, die es ja mehr oder weniger in die Vereinigten Staaten verschlagen hat. Und zweitens ist Poes Identität zwar (halbwegs) geklärt, aber ironischerweise nicht umsetzbar. Alle Welt hält den namenlosen Landstreicher, der 1849 anstelle Poes in Baltimore begraben wurde, für den echten Poe. Jeder, der für sich nun reklamiert, Poe zu sein, muss automatisch als Hochstapler angesehen werden. Das wird dem echten Poe an Leonies Seite nur zu bald klar. Identität kann eine zweischneidige Sache sein, wie ihm in seinen philosophischen Grübeleien am Strand von Sandy Hook klar wird.

In dieser Episode scheint nicht viel zu passieren, doch das kann nur einem Menschen so vorkommen, der nicht kreativ ist. In Poe selbst passiert nämlich sehr viel. Inspiriert von dem „Manuskript in der Flasche“- so heißt der Titel einer von Poes frühesten Erzählungen (s. o.) – kann Poe endlich wieder schreiben. Das wäre schon mal für ihn und Leonie eine gute Voraussetzung, um mit der Schriftstellerei in England seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Doch auch dieser Plan wird zerschlagen, als Griswold ihn des Plagiats bezichtigt.

Dieser Griswold war in Wahrheit nicht Journalist, sondern Reverend und einer von Poes schlimmsten Widersachern. Ausgerechnet diesen Mann setzte der echte Poe zu seinem Nachlassverwalter ein und machte so den Bock zum Gärtner. Ob beispielsweise die berühmte Erzählung „Das Fass Amontillado“ wirklich so von Poe geschrieben wurde, darf stark bezweifelt werden, denn es gibt nur jene Fassung, die Griswold im Nachlass gefunden haben will und publizierte.

Zurück zum Hörspiel. Nach einer heftigen psychosomatischen Reaktion ist Poe wieder so weit hergestellt, dass er Leonie wiedererkennt. Sie sagt ihm, sie könnten noch nicht nach England und müssten beweisen, dass Poe wirklich er selbst sei. Das scheint eine unmögliche Aufgabe zu sein. Und der Einzige, der ihnen dabei helfen kann, ist derjenige, der Poe angeblich unter die Erde gebracht hat: Dr. Baker alias Templeton, mal wieder.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Mr. Poe

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in fast jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In dieser Episode schwankt Pleitgens Ausdruck zwischen hoffnungsvoller Aufbruchstimmung und niedergeschmetterter Grübelei – und allen Nuancen, die dazwischen liegen. Das ist eine herausragende Darstellerleistung.

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. In der neuen Staffel tritt sie nicht mehr so energisch auf, sondern erscheint uns als zwielichtige, will heißen: mehrdimensionale Figur, die es zu ergründen gilt. Die weiteren Folgen legen ihre verborgenen Schichten offen und warten mit Überraschungen auf. Leonie hat uns (und Poe) beileibe nicht alles über sich erzählt.

|Musik und Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Wie so häufig, halten sich die Outdoor-Geräusche mit denen in Wohnräumen die Waage. Wiederholt sind Vögel zu hören – seltsamerweise eine Feldlerche, wenn weit und breit weder Acker noch Wiese zu finden sind. Aber auch Pferde und Kutschen, Glocken, Türen und Riegel sind immer wieder zu vernehmen, am Strand natürlich die Brandung.

|Musik|

Die Musik untermalt, quasi als eine Widerspiegelung, die emotionale Verfassung der jeweiligen Hauptfigur. In aller Regel ist dies die von Poe selbst, aber es gibt auch andere Erzählperspektiven, so etwa die von Dr. Baker und die von Leonie. Immer wieder ist das leitmotivische Poe-Thema zu hören, das in allen möglichen Instrumentierungen erklingt, mal als Streichquartett im langsamen Tempo, dann wieder durch Hörner umgesetzt. Einmal imitiert die Musik sogar die totale Verwirrung, in die Poe durch die abweisende Reaktion Griswold gestürzt worden ist, und die Musik ist selbst ganz durcheinander, atonal und arhythmisch. Hier waren offenbar versierte Komponisten und Arrangeure am Werk, ebenso Hagitte und Bertling vom Studio |STIL|.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

|Der Song|

Der britische Schauspieler Christopher Lee singt „Elenore“, das schon auf der CD „Visionen“ zu finden ist. Hier liegt der EAP-Mix vor. Die Musik stammt wieder von Hagitte & Bertling, der deutsche Text von Marc Sieper. Sopran singen Rosemarie Arzt und Ricarda Lindner. Es spielt das Berliner Filmorchester unter der Leitung von Christian Hagitte.

Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellsten Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.

Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich seine Aufnahme auf der CD „Visionen“ hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Die vorliegende Fassung wurde neu gemischt, um zur Instrumentierung des Hörspiels zu passen.

_Unterm Strich_

Diese Episode ist die Geschichte einer gescheiterten Hoffnung – und als solche nicht sonderlich aufmunternd. Aber welches von Poes Erlebnissen wäre dies auch schon? Wenigstens gibt es keine besonders gruseligen Vorkommnisse. Ein wenig enttäuscht war ich von der sehr kurzen Abfertigung, die der titelgebenden Geschichte widerfährt: Die Geschichte des Schiffbrüchigen, der auf einem Geisterschiff landet, ist reizvoll, erinnert jedoch vielleicht ein wenig zu sehr an die von Arthur Gordon Pym, Poes bekanntes Romanfragment. Das hätte vielleicht zu weit geführt – und womöglich eine neue Poe-&-Pym-Reihe erforderlich gemacht (ein durchaus reizvoller Gedanke).

Die akustische Umsetzung ist wieder mal vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reiz- und stimmungsvoll zu gestalten. Bis auf die Feldlerche an der Küste ist ihnen dies auch passend gelungen. Ein Highlight ist für mich zweifellos Christopher Lees Song, auch wenn dieser eher Musical-Freunde ansprechen dürfte.

Die Reihe wird mit „Landors Landhaus“ fortgesetzt.

|Basierend auf: M.S. found in a bottle, 1833
74 Minuten auf 1 CD|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de

Edgar Allan Poe – Morella (Folge 33)

_Psycho 2.0: Wie erschießt man einen Geist?_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Feeninsel“ beginnt die achte Staffel des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 32 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Nach seiner Flucht aus dem Irrenasyl von Blackwell’s Island hat er seine Beinahegattin Leonie wiedergetroffen und versucht, seine Identität durch seinen Verleger Graham bestätigen zu lassen – nur um in eine perfide Falle zu tappen.

Nun sucht Poe mit Leonie seine Spuren in dem kleinen Weiler Fordham in den nördlichen Wäldern, wo Poe einmal gewohnt hat. Das weiß er aus einer Kurzbiografie in einem von Poes Büchern, die Graham gedruckt hatte. Doch in Fordham will niemand etwas mit dem Namen „Poe“ zu tun haben …

Die |Edgar Allan Poe|-Serie von |STIL| bei |Lübbe Audio|:

#1: [Die Grube und das Pendel 1487
#2: [Die schwarze Katze 755
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872
#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: [Das ovale Portrait 1913
#11: [Der entwendete Brief 1927
#12: [Eleonora 1931
#13: [Schweigen 3094
#14: [Die längliche Kiste 2510
#15: [Du hast’s getan 2518
#16: [Das Fass Amontillado 2563
#17: [Das verräterische Herz 2573
#18: [Gespräch mit einer Mumie 3178
#19: [Die Sphinx 3188
#20: [Scheherazades 1002. Erzählung 3202 (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: [Schatten 3206 (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: [Berenice 4394
#23: [König Pest 4408
#24: [Der Fall Valdemar 4420
#25: [Metzengerstein 4471
#26: [Die Flaschenpost 4946
#27: [Landors Landhaus 4966
#28: [Der Mann in der Menge 5000
#29: [Der Kopf des Teufels 5089

Achte Staffel (11/2008):

#30: [Feeninsel 5540
#31: [Teer und Federn 5569
#32: [William Wilson 5578
#33: Morella

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

Mehr von und über Edgar Allan Poe auf |Buchwurm.info|:

[„Faszination des Grauens 554“]
[„Edgar Allan Poes Meistererzähler“ 4832 (Hörbuch)
[„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11, Hörspiel)
[„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ 2396 (Hörbuch)
[„Der Streit mit der Mumie“ 1886 (Hörbuch)
[„Die Brille“ 1885 (Hörbuch)
[„Mythos & Wahrheit: Edgar Allan Poe. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ 2933
[„Visionen“ 2554

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie unter anderem mit dem |Bambi| und mit der |Goldenen Kamera| ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Edgar Allan Poe: Ulrich Pleitgen
Leonie Goron: Iris Berben
Rick Ellis: Tilo Schmitz (Ving Rhames, Michael Clarke Duncan)
Morella: Sabine Arnhold (Lola Glaudini, Melinda Clarke)
Alte Frau: Hannelore Minkus (Kathryn Joosten, Frances Sternhagen)
Und andere.

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 32 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

Nach schrecklichen Erlebnissen und Träumen beschließt Poe, seine Verwandten zu suchen. Und es gibt auch einen Hinweis, den er der Kurzbiografie im Buch fand, das er in der Gruft las: Poe lebte eine Zeitlang in dem Dörfchen Fordham, das in den nördlichen Wäldern liegt – einer verrufenen Gegend, wie Poe inzwischen wohl bewusst ist. Er will sich auf Ricks Rat hin als Poes Biograph tarnen. Man weiß ja nie, wie die Leute dort auf den Namen „Poe“ reagieren.

Endlich stößt auch Leonie wieder zu ihm! Sie hat ihn bei Rick, ihrem gemeinsamen alten Unterschlupf, gefunden. Die Postkutsche setzt sie beide in Fordham ab, doch keiner will dort Unterkunft gewähren, sobald der Name „Poe“ fällt. Nach einem Hinweis gehen sie zu dem abgelegenen Haus, wo Poe mit einer Familie gewohnt haben soll. Neben dem Haus erblickt Poe eine Hütte und fragt dort eine alte Frau nach Informationen, doch auch sie sagt nichts.

Obwohl das Haus verlassen und verfallen aussieht, bleibt Poe und Leonie nichts anderes übrig, als dort zu übernachten. Die Dusche fällt Poe sofort auf: Sie ist ungewöhnlich modern eingerichtet und im Gegensatz zum Rest des Hauses blitzblank. An einer der Wände steht das Wort MORELLA. Was mag es wohl bedeuten? In der Nacht hat Poe den ersten von mehreren Träumen, in denen eine junge Frau zu ihm spricht. Wer ist sie? Hat sie hier mit dem Dichter gelebt?

Es gibt Anzeichen, dass in der Nacht jemand im Haus war. Aber die Suche muss weitergehen: Sie suchen alle Zimmer ab, sogar das Arbeitszimmer, wo sich ein verfallenes Bücherregal findet, doch keine Bücher. Nur ein verstecktes altes Foto, eine Daguerreotypie: Sie zeigt eine alte Frau, die den Betrachter freudlos anschaut. Keine Daten geben Aufschluss über das Entstehungsdatum. Im nächsten Traum kommt die junge Frau wieder zu ihm: Er solle lernen, die Frau zu achten, die er einst verschmähte.

Leonie wird das Haus allmählich ganz schön unheimlich. Da auch der Keller keine Hinweise liefert, beschließen sie, ihre Sachen zu packen und die nächste Postkutsche zu nehmen, die einmal am Tag Fordham passiert. Doch etwas hält Poe noch an diesem Ort: Er ist sicher, das Rätsel lösen zu können. Sie bleiben noch eine Nacht, und wieder erscheint ihm die Frau im Traum. Eine Totenglocke läutet, heute wird sie begraben: „Du wirst finden, was du einst verlorst“, sagt eine Stimme zu ihm. Die Zukunft liege in seiner Vergangenheit …

Als Poe erwacht, ist Leonie nicht in ihrem Bett. Als er sie im Erdgeschoss sucht, folgt er dem Geräusch des Rauschens von Wasser. Sie muss in der Dusche sein. Eine bizarre Szene bietet sich ihm: Leonie steht mit einem Messer in der erhobenen Hand vor einer nackten jungen Frau, die in der Dusche steht. Ist dies die nächtliche Besucherin?

_Mein Eindruck_

Wenn sich jemand an die berühmte Duschszene aus Hitchcocks Thriller „Psycho“ (1960) erinnert fühlt, so lag dies sicherlich in der Absicht der Macher dieses Hörspiels. Das erhobene Messer, die Dusche, das ominöse Rauschen des Wassers, das wehrlose weibliche Opfer – es ist alles angerichtet, um einen schön blutigen Mord zu zelebrieren. Doch so weit soll es (leider) nicht kommen, denn Poe ist keineswegs umnachtet, wie er vielleicht gemeint hat, sondern durchaus noch im Diesseits. Doch wer ist die junge Frau in der Dusche?

Schon in den Hörspielen zu „Eleonora“ und „Berenice“ wurden mit Poes Erzählungen über junge, schöne Frauen bekannt gemacht, die früh starben (ein sehr romantisches und poetisches Motiv), aber von jenseits des Todes ihren unheilvollen Einfluss auf ihren einstigen Geliebten ausüben. Poe hat den Tod junger Frauen, wie oben aus seiner Biografie ersichtlich wird, selbst erlebt und mehrfach in seinen Erzählungen verarbeitet. „Morella“ ist die Nr. 3, doch die beste ist Nr. 4 „Ligeia“. Auf dieses Hörspiel warte ich bereits sehr gespannt.

Morella tritt in dem Hörspiel erst nur im Traum auf, als wäre sie ein Geist. Die Traumauftritte wechseln sich mit dem relativ drögen Tagesgeschehen ab und bilden eine Sequenz, die offenbar einem Höhepunkt zustrebt. Wird Morella, die Traumfigur, persönlich auftreten? Das ist die spannende Frage, die sich der Hörer stellt. Und wenn ja, wird sich dann ihr Einfluss fördernd oder verderblich auf Mr. Poe, den Besuchten, auswirken?

Genau an diesem Punkt stellte sich mir die Frage, wie ein solches Geistwesen sowohl real als auch eine Traumfigur sein kann. Die Nagelprobe erfolgt dann wenig später, als ein Schuss fällt und es einen Toten gibt. Ist die Traumfigur für eine Pistolenkugel überhaupt erreichbar, fragte ich mich. Aber wenn es das Mädchen Morella wirklich gäbe, in welcher Beziehung stünde sie dann zu dem Dichter Poe, als dessen Reinkarnation ihr der Mann, der sich Poe nennt, erscheinen muss?

Diese Geheimnisse sollen nicht verraten werden, um die Spannung nicht zu verderben.

In dieser Episode stößt Poe auf zwei Spuren seiner Familie. Die eine führt zu seiner Mutter nach Boston, die andere zu seiner Schwester nach Baltimore. Von beiden Damen ist in den Poe-Biografien, die ich gelesen habe, sehr wenig die Rede, ganz einfach deshalb, weil sie schon früh aus seinem Leben verschwinden. Umso neugieriger macht mich nun ihr unvermitteltes Auftreten. Als nächstes ist „Das Geheimnis der Marie Rogêt“ zu lüften.

_Die Inszenierung_

|Sprecher & Figuren|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen. Diese Träume, so erkennt er schließlich, sind Erinnerungen an seine eigenen Erzählungen. Aber trifft dies auch auf Morella zu?

Leonie Goron erschien uns in den ersten Staffeln als patente und zupackende Helferin und Gefährtin des manchmal recht hilflosen Poe. Doch nach dem scheinbaren Tod Dr. Templetons ändert sich ihr Erscheinungsbild. Sie hat ja zuvor schon Andeutungen gemacht, dass sie vor gewissen Ereignissen in England geflohen sei, um bei ihrer Kusine in den Vereinigten Staaten Hilfe und Obdach zu finden.

Doch offensichtlich ist ihr ihr Mann, den sie als einen verurteilten Mörder verließ, in die Neue Welt gefolgt und hat sie bereits einmal gefangen genommen. Der Schluss liegt nahe, dass es sich bei ihrem Mann, der bislang noch keinen Namen bekommen hat, um Dr. Templeton alias Baker handelt, Poes Peiniger. Das würde der Geschichte eine weitere Ebene an tragischer Ironie hinzufügen. Kein Wunder, dass Templeton sowohl seine Aufzeichnungen von Poe als auch seine entflohene Frau zurückhaben will.

Nun erscheint Leonie als gehetzte Frau auf der Flucht vor der Vergangenheit – so ziemlich das Gegenteil zu Poe. Denn Poe sucht in der Vergangenheit sein Heil, die in seiner Identifizierung als der echte Edgar Allan Poe bestehen soll, um ihm eine Zukunft zu ermöglichen. Ob dieser Glücksfall und Erfolg wirklich eintritt, ist noch abzuwarten.

Die Figur der Morella wird leider überhaupt nicht ausgebaut, sondern lebt nur in der Erinnerung der alten Frau fort, die nahe Poes Ex-Haus wohnt. Diese Alte ist Morellas Mutter und spielt eine verhängnisvolle Rolle, erweist sich aber auch als Informationsquelle.

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Aber sie werden nur ganz gezielt dort eingesetzt, wo sie einen Sinn ergeben. Die Geräusche im Haus sind entsprechend reduziert: Stühle, Betten, Gerümpel, Schritte.Von draußen sind Regen und Wind zu hören, ab und zu auch mal ein Vogelruf (diesmal kein Wolfsgeheul).

Diese untere Schicht von Geräuschen wird von der Musik ergänzt, die eine emotionale Schicht einzieht. Darüber erst erklingen die Stimmen der Sprechen: Dialoge, aber auch Rufe und sogar Schreie. Durch diese Klang-Architektur stören sich die akustischen Ebenen nicht gegenseitig, sind leichter aufzunehmen und abzumischen. Das Ergebnis ist ein klares Klangbild, das den Zuhörer nicht von den Informationen, die es ihm liefert, ablenkt.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der jeweiligen Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Leonie hat nicht ihr eigenes musikalisches Leitmotiv, doch allenthalben stößt sie auf die Spuren Poes, der musikalisch mit seinem Leitmotiv sowie mit dem Chor „Dies illa, dies irae“ zitiert wird. Da diese Handlung jedoch auf eine Duschszene à la „Psycho“ sowie einen Schuss im Dunkeln hinausläuft, lässt die Musik die bekannten kreischenden Psycho-Geigen von Bernard Hermann erklingen.

Aber die Musik kann auch Poes Jubel über das Wiedersehen mit Leonie illustrieren, sowie die unheimliche Stimmung in Poes altem Haus, in dem Poe mit Leonie zusammen wie Ehepartner leben. Erst nach dem Schuss tritt wieder die düstere Stimmung vieler Poe-Folgen auf, und zwar mit der dramatischen Stimmung einer Tragödie. Erst durch die Geräusche des Aufbruchs zu neuen Zielen wird dieser Tiefpunkt überwunden. Und der Schluss-Song entführt den Zuhörer wieder in andere Gefilde.

Ein Streichquartett und Musiker des Filmorchesters Berlin wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht. An der Musik gibt es absolut nicht auszusetzen. Für die jüngere Generation mag sie aber zu klassisch orientiert sein.

|Der Song|

Jede Folge der Serie wird mit einem Song abgeschlossen, und in jeder Staffel gibt es einen neuen Song. Diese Staffel enthält den Song „You see“ von der deutschen Gruppe |Elane|. Die Stilrichtung entspricht einem weiterentwickelten Celtic Folk Rock, wie er von der Gruppe |Clannad| in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurde. Auch bei |Elane| wird englische mit gälischer Sprache kombiniert.

Die Musik verbindet Romantik und sehnsuchtsvolle Mystik, was einerseits durch die Instrumentierung, zum anderen durch den mehrstimmigen Frauengesang betont wird. Zu den Instrumenten, die für Folk Rock obligatorisch sind, gehören die akustische Gitarre, die Harfe und die Flöte. Dass Drums, E-Gitarre und E-Bass eine elektrisch verstärkte Rhythmusgruppe bilden, wurde schon von |Clannad| als Standard etabliert. Besonders interessant bei |Elane| ist die Mehrstimmigkeit.

Ich konnte zwei tiefe Frauenstimmen ausmachen und eine hohe Frauenstimme, also Alt und Sopran. Die Überlagerungen machen die Harmonien zu einer kniffligen Angelegenheit der gegenseitigen Abstimmung, sonst können leicht Disharmonien oder gar Rhythmusstörungen entstehen. Soweit ich hören könnte, gelingt die Polyharmonie jedoch durchweg einwandfrei – Applaus.

Ob der Celtic Folk Rock dem Thema „Feeninsel“ Rechnung trägt, sei dahingestellt. Aber es gibt jedenfalls schlimmere Abschluss-Songs, und „You see“ klingt sehr erträglich.

_Unterm Strich_

Diese Folge habe ich mit hohen Erwartungen antizipiert, doch die Ausführung hat mich enttäuscht. Statt zahlreicher Hinweise auf Poes Familie liefert die Handlung nur Flops und stark verzögerte Belohnungen, während man dem Eheleben der Beinahe-Poes folgt und das Haus auf den Kopf stellt.

Die Daramaturgie verfolgt ein anderes Ziel als vordergründige Action, nämlich einen psychologisch herbeigeführten, dramatischen Höhepunkt. Dass sich dieser erst aus Poes innerem Erleben ergeben kann, dürfte einleuchten. Geschickt balanciert Morellas Erscheinen im Traum in der Ungewissheit, ob es sich wirklich um einen Traum, eine Erinnerung oder gar um die Einflüsterung einer realen Figur handelt.

Umso verblüffender dann die Duschszene aus „Psycho“. Da hat man doch ein wenig stark aufgetragen, wenn auch der melodramatische Effekt sehr willkommen ist. Der Eindruck, dass sich die Entwicklung zuspitzt, wird schon von der übernächsten Szene bestätigt, als ein Schuss mit verhängnisvollen Folgen fällt.

|Das Hörspiel|

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Aber die Episode langweilt in den ersten zwei Dritteln durch ihre Taktik verzögerter Belohnungen: Die Hinweissuche ergibt fast nichts. Kein Wunder, sagt man sich hinterher, denn die wirklich wichtigen Hinweise finden sich erst im direkten Kontakt mit der Vergangenheit. Das letzte Drittel überrascht dann mit umso mehr Action, die nun jedoch unausgewogen und überstürzt wirkt, als sei sie drangeklebt worden. Wenigstens hat Poe nun zwei weitere Ziele, die er anpeilen kann.

|68 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3689-0|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.elane-music.de

Edgar Allan Poe / diverse Interpreten – Visionen

Huldigung an Edgar, mit Überraschungen

Dieses wunderschön aufgemachte Hörbuch bietet auf zwei CDs eine Menge Werke, die von Edgar Allan Poe stammen oder zumindest von ihm inspiriert sind. Auf der ersten CD werden seine Gedichte vorgetragen, auf der zweiten Scheibe erklingen eine Menge interessante und völlig unterschiedliche Musikkompositionen. Ein umfangreiches Booklet liefert jede Menge Informationen, nur eine nicht: Wie lang ist das Hörbuch?

Edgar Allan Poe / diverse Interpreten – Visionen weiterlesen

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – verräterische Herz, Das (POE #17)

_Das pochende Herz unter dem Boden der Stadt_

„Das verräterische Herz“ ist der siebzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Serie von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

In New Orleans ist Poe den Machenschaften Doktor Templetons alias Francis Baker entkommen und nach New York geflohen. Dort mietet er sich in einem alten Hotel im sechsten Bezirk ein. Poe, ohne Kontakt zu den anderen Gästen, wird wieder von Visionen heimgesucht. Was er nicht weiß: Im Volksmund heißt die Gegend „der blutige alte Bezirk“. Über ihm logiert ein Mann mit einem unheimlichen Auge. Poe fühlt sich von Tag zu Tag mehr davon beobachtet. Schließlich steigen Mordgedanken in ihm auf …

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten sechzehn Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Georg Schaale als George Appo und eine Reihe weiterer Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Das verräterische Herz“ ein Motiv, das wieder – wie schon bei „Sturz in den Mahlstrom“ – der Natur an der Küste entnommen ist. Ein schroffer Fels erhebt sich aus dem Gras, doch er ist sonderbar ringförmig: In seiner Mitte gähnt eine Finsternis, der man sich nur ungern nähern möchte. Andererseits ist so ein Geheimnis immer verlockend …

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Folge: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Pleitgen und Berben werden näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon fünfzehn hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

Am Anfang rekapituliert Poe sehr knapp die unmittelbare Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Das Fass Amontillado“, der 16. Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

In seinem schäbigen Hotel, dem Washington House am Broadway, bemerkt Poe beim Frühstück einen alten Mann, der ihm bekannt vorkommt. Doch der Kellner verweigert die Auskunft über dessen Identität, und bevor es sich Poe versieht, ist der Alte verschwunden. Bei seinem Treffen mit seinem Freund George Appo, einem Bettler und Dieb, erzählt Poe ihm von allen den Ereignissen, die ihm zuvor widerfahren sind. Er müsse unbedingt Leonie wiederfinden, seine Gefährtin aus New Orleans. Appo weiß Rat: Er brauche nur der Spur von Dr. Baker zu folgen, denn da Leonie mit diesem noch ein Hühnchen zu rupfen hat, ist sie ihm mit Sicherheit bereits auf den Fersen. Das leuchtet Poe ein.

Doch wie findet man einen Leichenhändler und skrupellosen Experimentator am besten in einer Riesenstadt wie New York? Wieder weiß Appo Rat. Leichenhandel ist ein blühendes Geschäft. Er selbst habe sich zwar nie daran beteiligt, wisse aber, dass Ärzte Leichen ständig für ihre Forschung benötigen. Zwecks eiliger Beschaffung kann man da schon ein bisschen nachhelfen. Und wer wüsste darüber besser Bescheid als der Einbalsamierer, der sie beide auf der unglückseligen „Independence“ begleitet hat? Waltman, so hieß er doch, oder?

Um Waltman zu finden, brauchen sie Captain Hardy. Im Hafenviertel stoßen sie per Zufall auf ihn und retten ihm bei der Gelegenheit auch gleich das Leben. Er berichtet, Waltman sei im Washington House abgestiegen und arbeite im New York Hospital. Poe wird es nun endlich klar: Es ist sein alter Tischnachbar!

In der Tat hat Waltman eine interessante Räuberpistole zu erzählen. Poe pocht das Herz bis zum Hals, als er gesteht, er suche Kontakt zum lokalen Leichenhandel. Ah, well, Leichen werden den medizinischen Forschern in drei Formen besorgt: a) als legale Präparate von Organen usw.; b) als originale Körper, die auf natürlichem Wege verstarben; und c) als „Lebendmaterial“ … Waltman beschaffte nur tote Körper, beteuert er. Ärzte wie Dr. Baker würde Poe im Keller des Hospitals finden, in der Pathologie. Ach ja: Die beste Besuchszeit für diesen Zweck sei Miternacht …

Schlag Mitternacht trifft Poe zu seinem makabren Vorhaben im Keller des riesigen Hospitals ein. Ein Hund heult. Dr. Gump lässt ihn ein, dem sich Poe als ein Mann vorstellt, der ein paar Leichen anzubieten habe. Gump hat sofort Interesse, wird aber durch einen Besucher abgelenkt. Auf Gumps Seziertisch liegt ein Hund mit offenem Schädel … In Gumps Büro hängt ein sonderbares Porträt an der Wand. Es zeigt einen ägyptischen Pharao. Poe erinnert sich an den unglücklichen Jimmy Farrell (vgl. Episode 16), dessen letztes Wort „Pharao“ gelautet hat. Ist damit Dr. Baker gemeint?

Der Besucher hat ein bewussloses Mädchen gebracht. Poe erkennt es wieder: Es wohnt in Jimmy Farrells Nachbarhaus und hat Poe geholfen, Farrell zu finden. Als es erwacht und ihn erblickt, beginnt es zu schreien, muss es ihn doch für Farrells Mörder halten. Poe macht schleunigst die Fliege, auch wenn er nichts herausgebracht hat.

|Der Traum|

In dieser Nacht findet er kaum Schlaf, und wieder sucht ihn ein Albtraum heim. Er sieht das Auge des alten Waltman vor sich, doch diesmal blickt es nicht freundlich, sondern spöttisch und grauenerregend: ein Geierauge. Die Frau in seinem Traum spricht mit Leonies Stimme und mahnt ihren Mann zu Geduld und Ruhe. Poe erzählt ihr von dem alten Mann im Nachbarhaus, dem mit den Rosen im Garten. Warum wohnt er ganz allein? Sie weiß nur, dass der Alte ein Glasauge hat und auf dem anderen wohl schon den Grauen Star hat. Poe weiß: Es ist wie verschleiert, so als überlege dieser Teufel, was er mit Poe anstellen solle.

In dieser Nacht fasst Poe den Entschluss, den alten Mann zu töten, koste es, was es wolle.

_Mein Eindruck_

Die Begegnungen mit Appo, Captain Hardy und Waltman dienen nur dazu, den Besuch in der Pathologie des Hospitals vorzubereiten. Dieses gruselige und verstörende Erlebnis löst wieder einen Horrorschub in Poe aus, der auch prompt einen seiner sattsam bekannten Albträume bekommt. Allerdings sind weder das eine noch das andere besonders neu. Die makabren Experimente, die man in der Pathologie anstellt, kennen wir bereits aus Dr. Bakers Kellern in seiner Villa bei New Orleans. Dies wurde in „Das ovale Porträt“ (Episode 10) erzählt.

Und das Motiv, dass ein paranoider Verbrecher sich am Schluss selbst verrät, um sich der strafenden Gerechtigkeit auszuliefern und zu zeigen, dass er Recht hat, genossen wir bereits in „Die schwarze Katze“ (Episode 2) mit zweifelhaftem Vergnügen. Nicht, dass an der damaligen oder jetzigen Darstellung etwas auszusetzen wäre. Aber die Wiederholung nimmt dem aktuellen Motiv etwas von seinem Reiz. Dass das Element des unheimlichen Auges eines Beobachters sowohl in Poe Erlebnissen als auch in seinem Traum auftaucht, erscheint folgerichtig, wenn man berücksichtigt, dass seine Träume oftmals real (auch unbewusst) Erlebtes verarbeiten.

Das zentrale Motiv ist neben dem Auge das pochende Herz. In der Tat nimmt dieser Klang sowohl in Poes Erleben und Träumen wie auch in der akustischen Darstellung eine dominante Stellung ein. Die Sache hat jedoch einen Haken: Das Herzpochen gibt es lediglich in Poes Einbildung. Um den Hörer in dieses Reich der Phantasmen zu befördern, muss daher der Herzschlag entsprechend gruselig und bezwingend dargestellt sein, ohne aufdringlich zu wirken.

Ich konnte zufrieden feststellen, das es den Machern gelungen ist, dieses entscheidend wichtige Element, ohne das der Traum über „Das verräterische Herz“ nicht funktioniert, mit beeindruckender Raffinesse darzustellen. Der ermordete alte Mann mag ja tot sein, doch wir hören – mit Poe – immer noch das Schlagen seines Herzens. Bis zum Stillstand. Der Mörder ist erleichtert. Doch sein Wahnsinn, der ihn zu seiner Untat verleitet hat, bricht mit voller Wucht hervor, als er das Herz des Toten erneut schlagen hört – unter den Brettern des Bodens, unter denen er die Leiche versteckt hat …

Klar, dass Poe aus diesem Albtraum schleunigst erwacht, wenn auch schweißgebadet. Er fasst den Entschluss, dem düsteren Hospital einen erneuten Besuch abzustatten, um Dr. Baker aufzustöbern. Vielleicht hat der ja noch eine Leiche im Keller.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Mr. Poe |

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Im ersten Teil des „Eleonora“-Traumes schwelgt sein Poe in verliebter Seligkeit, und das kann man deutlich hören. Umso gequälter klingt Poe in der zweiten Traumhälfte, als ihn die tote Geliebte in seinen Albträumen heimsucht. Dieser Stimmungswandel leitet die Trennung von Leonie ein und macht diesen abrupten Schritt ein wenig nachvollziehbarer. In den Episoden 16 und 17 jedoch ist Poe überzeugt, dass es ein Fehler war, Leonie zu verlassen. Seine Träume in diesen Episoden belegen dies überdeutlich.

|Miss Leonie Goron |

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In Episode 15 „Du hast’s getan“ steht sie selbst ihren Mann als Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe.

In der Traumhandlung von „Das verräterische Herz“ hat sie eine wenig dankbare Aufgabe. Die von ihr gespielte Hausfrau ist so unbedarft und ein ahnungsloses Heimchen am Herd, dass man ihr nicht allzu viel Geistesgegenwart zutraut. Es wirkt daher umso ironischer, dass es diese Frau ist, die die Polizei ruft und damit das Verhängnis ihres Gatten einleitet.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Über das zentrale Geräusch des Herzklopfens habe ich alles Nötige bereits angemerkt.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der zwei Hauptfiguren und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa im „Verräterherz-Traum“. Wieder werden die Übergänge zwischen Poes Erleben und seiner Traumwelt mit gelungenen Soundeffekten angedeutet.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen. Vielleicht gibt es darin ja etwas zu entdecken. Die Band wird sich wohl etwas dabei gedacht haben, nicht wahr?

_Unterm Strich_

Innerhalb der vierten Staffel bildet diese vier Episode einen gewissen Höhepunkt, wenn man auf Action und viele Hinweise auf die Lösung von Poes Identitätsrätsel Wert legt. Innerhalb der Episode stellen die Hafenschlägerei und der Albtraum wiederum eigene Höhepunkte in der Kategorie Action und Grusel dar. Schaudern erzeugt aber auch das Gerede über den Leichenhandel, der in New York City – ebenso wie in Edinburgh – um 1840/50 erhebliche Ausmaße angenommen haben muss und natürlich jede Menge unheimliche Aspekte aufweist. Ich bin sicher, dass diese „Aspekte“ in kommenden Episoden weidlich, ähem, ausgeschlachtet werden.

|Basierend auf: The tell-tale heart, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD|
Mehr Infos auf www.poe-hoerspiele.de.

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Fass Amontillado, Das (POE #16)

_Fortunato macht ein Fass auf_

„Das Fass Amontillado“ ist der sechzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von LübbeAudio, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Poe ist Doktor Templeton alias Francis Baker entkommen und nach New York geflohen. Dort mietet er sich in einem alten Hotel im sechsten Bezirk ein. Poe, ohne Kontakt zu den anderen Gästen, wird wieder von Visionen heimgesucht. Was er nicht weiß: Im Volksmund heißt die Gegend „der blutige alte Bezirk“. Und das Hotel hat seltsame unterirdische Gänge.

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Till Hagen wurde 1949 in Berlin geboren und erhielt seine Schauspielausbildung an der Max-Reinhardt-Schule. Zeitgleich drehte er seinen ersten Kinofilm, „7 Tage Frist“. Es folgten Engagements an den Stadttheatern Dortmund und Bielefeld. Später studierte er Deutsch und Theaterpädagogik. Als Sprecher beim Deutsche-Welle-Fernsehen und im Hörfunk wurde er genauso bekannt wie als Synchronstimme u.a. von Kevin Spacey und Jonathan Pryce.

Außerdem wirken Georg Schaale als George Appo und eine Reihe weiterer Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Das Fass Amontillado“ einen Festungsturm, in dessen heller Fassade ein Rundbogenfenster wie ein Auge klafft. Die Seiten des Turms sind von Efeu und anderen Schlingpflanzen umrankt, so dass das Gemäuer offensichtlich schon lange vernachlässigt worden ist. Es ist insgesamt ein sehr romantisches Motiv, passend zu jener Rachegeschichte um das „Fass Amontillado“, in welcher der leichtlebige Fortunato auf schmähliche Weise sein Leben in einem solchen Gemäuer lassen muss.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Serie: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Pleitgen, Berben und Hagen werden näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon vierzehn Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

|“By the four winds that blow
I’ll have revenge upon Fortunato …“|

Nach dem Schiffbruch der „Independence“, der in „Die längliche Kiste“ erzählt wurde, sind der Mann namens Poe und sein Freund, der Bettler und Dieb George Appo, wohlbehalten in New York City angekommen. Hier kennt sich Appo aus: Er hat als Dieb vor dem Hotel Astor und bei der nahen Kunstakademie gearbeitet. Von ihm könnte Poe ein paar Tricks lernen. Nachdem Appo einen Polizisten gesichtet hat, macht er sich aus dem Staub, aber nicht ohne einen Treffpunkt zu vereinbaren und einen Hoteltipp zu geben.

Letzterer entpuppt sich als das „Washington House“. Das heruntergekommene Hotel steht an der Ecke Broadway und 6. Bezirk, den Appo als Vorhof zur Hölle beschreibt. Dass da etwas dran ist, merkt Poe bald. In der Stadt sucht er den Kunstmaler Jimmy Farrell, der für Dr. Baker alias Templeton ein Porträt von Poe angefertigt hat. Also muss er auch Poes wahre Identität kennen, oder?

An der Kunstakademie verweist ihn der Pförtner an die St. Philipps African Church, die mitten im 6. Bezirk steht. Es dauert nicht lange, und die ärmlichen Bewohner der Gegend haben Poe als willkommene Beute ausgemacht. Vor dem Überfall kann er sich gerade noch im Gemüseladen in der Anthony Street in Sicherheit bringen. Dies ist der mit Appo ausgemachte Treffpunkt. Doch Appo ist nicht da, nur dessen Bekannte Rosanna, die Ladenbesitzerin – und Schnapsbrennerin. Nach zwei Stunden dieses Zeugs ist Poe reif für die Klapse. Er torkelt über den Hinterhof, um der auf ihn lauernden Menge zu entgehen.

Im nächsten Haus warnt ihn ein Mädchen vor Räubern, die manche Leute einfach im Keller verschwinden lassen. Sie weist ihm den Weg zu Jimmy Farrells Wohnung. Da Farrell inzwischen ein Spieler und Trinker geworden ist, erhofft sich Poe nichts von dem Mann außer Informationen. Doch nicht einmal die bekommt er, denn Farrell liegt im Sterben. Er hat eine blutende Kopfwunde. Sein letztes Wort, bevor er den Löffel abgibt, ist ein mysteriöses „Pharao“.

Ein Schrei schreckt den geschockten Poe aus seiner Erstarrung auf. Es ist das Mädchen. Sie hält ihn für Farrells Mörder! Er muss sofort abhauen. Im Hotel fällt er in einen Zustand der Erschöpfung. Da bemerkt er auf seiner Hand und an der Decke rote Flecken. Blut?! Doch er kann nicht hinauf, denn auf der Treppe bemerkt er den Polizisten Maloney, der ihm schon mehrmals begegnet ist und ihn nun wegen des Mordes an Farrell sucht.

Doch der Keller, in den er flieht, entpuppt sich als düsteres Labyrinth aus Gängen. Als er sich ausruht, bemerkt er, wie zwei Männer, die wie Räuber aussehen, einen Sack oder Ähnliches anschleppen. Es ist der betäubte Polizist Maloney. Sie fesseln ihn und mauern ihn bei lebendigem Leibe ein.

Poe gelingt es nicht, die Mauer einzudrücken und Maloney zu befreien. In dessen letzten Worten sind jedoch wertvolle Hinweise enthalten. Im Newarker Leichenhandel begegnete dieser einem gewissen Dr. Templeton. Eines Tages verschleppte er für ihn einen Mann (der Poe gewesen sein könnte) in eine Irrenanstalt im Stadtteil South Orange. Und vor wenigen Tagen traf er Templeton wieder und sollte einen Maler erledigen: Jimmy Farrell. Ende der Durchsage.

Poe fährt der Schreck in die Glieder. Templeton bzw. Dr. Baker ist bereits in der Stadt! Nachdem er bereits in New Orleans sämtliche Zeugen seiner illegalen und perversen Forschungsarbeiten an Menschen – Leonie kann davon ein Lied singen – beseitigt an, beginnt er nun, die Zeugen seiner Vergangenheit in New York beiseite zu schaffen. Und dreimal darf man raten, was passiert, wenn er auf Poes Spur stoßen sollte.

In der folgenden Nacht hat Poe einen grässlichen Albtraum, in dem es um ein Fass Amontillado und einen Gegener namens Fortunato geht. Fortunato wird lebend in einer Gruft eingemauert …

_Mein Eindruck_

Diese Episode bringt die Geschichte um die Identität von Mr. Poe eine gehörige Strecke weiter. Er stößt auf den dringend gesuchten Jimmy Farrell, allerdings unter weniger als günstigen Umständen. Und anhand von dessen letztem Wort („Pharao“) und dem Geständnis des Polizisten Malone führt eine neue Spur zu Dr. Baker. Diese wird in der nächsten Episode aufgenommen: „Das verräterische Herz“. Diese Ermittlungen scheinen zunächst von dem Hauch des Grauens überschattet zu sein, das wir von Mr. Poes Abenteuern gewohnt sind, doch es gibt einen Höhepunkt …

Mag zwar Leonie Goron nicht von der Partie sein, so ist Iris Berben doch in einer anderen Rolle präsent. Es gibt am Schluss wieder mal einen der bereits bekannten Träume Poes, und darin tritt sie als „Signora“ auf. Dieser Traum schildert die sattsam bekannte Poe-Story über das „Fass Amontillado“, so dass ich wohl kein weiteres Wort darüber zu verlieren brauche. Zunächst wirkt diese Binnenhandlung wie ein Fremdkörper, der mit dem Rest nichts zu tun hat, doch das stellt sich als Irrtum heraus.

Der Traum ist von dem Tod des Polizisten Maloney inspiriert und hat die Konsequenz, dass sich Poe sehnlichst die Anwesenheit von Leonie Goron herbeiwünscht. Er sieht ein, dass es ein Fehler war, sie so sang- und klanglos in New Orleans sitzen zu lassen – wo mag sie sich jetzt wohl herumtreiben? (Eifrige Hörer wissen Bescheid: Sie ist Dr. Baker auf der Spur und daher auf dem Weg nach New York City. Dies wird in „Du hast’s getan“ erzählt.)

|Machen wir ein Fass auf!|

Die Binnenhandlung um Fortunato ist ein dramaturgischer Hochgenuss. Als Poe-Kenner wissen wir zwar, was dem guten Mann bevorsteht, als er mit Montresor und der Signora in die zum Weinkelller umfunktionierte Familiengruft hinabsteigt. Doch die Häme und Rachsucht, mit der Montresor und die Signora den nichts ahnenden Fortunato behandeln, zeigt die beiden Sprecher Pleitgen und Berben in einer ihrer besten Leistungen. Sie spielen zwar nun beide Schurken, aber sei’s drum: Bekanntlich haben die Schurken im Theater die besten Sätze. Man kann förmlich den boshaften Spaß spüren, den ihnen diese Sätze bereitet haben müssen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

|Mr. Poe alias „Montresor“|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. In der Binnenhandlung tritt er als rachsüchtiger Montresor auf.

|Miss Leonie Goron alias „Signora“|

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In der Binnenhandlung tritt sie als Signora (Montresor vermutlich) auf.

|Dr. Baker alias Templeton alias Fortunato|

Hagen spricht den teuflischen Experimentator Dr. Baker alias Templeton. In der Binnenhandlung tritt er als unglückseliger Fortunato auf.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet.

In dieser Episode treten sie nicht so in den Vordergrund wie im Seestück „Die längliche Kiste“, sondern bilden eine unauffällige Geräuschkulisse. Das gilt nicht für das ziemlich deutliche Herzklopfen, das Poe nach der Flucht von Farrells Domizil spürt. (Es wird in der Episode „Das verräterische Herz“ ziemlich dominant.)

|Die Musik|

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres jeweils gerade relevanten Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa in dem Amontillado-Traum oder beim Entdecken von Jimmy Farrells Leiche. Besonders interessant sind stets die Übergänge. Bevor der Traum beginnt, dröhnt beispielsweise eine große Kirchenorgel, und die Rückkehr aus dem Traum wird von einem Wuuusch-artigen Soundeffekt symbolisiert. Glockenläuten deutet den nächsten Stimmungsumschwung an. Manchmal erinnert Poe an eine Marionette, so schnell reagiert er auf äußere Reize.

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu erschaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen. Vielleicht gibt es darin ja etwas zu entdecken. Die Band wird sich wohl etwas dabei gedacht haben, nicht wahr?

_Unterm Strich_

An Mr. Poe ist bekanntlich kein Dupin oder Holmes verloren gegangen, und so gestalten sich seine Ermittlungen im Elendsviertel des 6. Bezirks alles andere als geordnet oder zielstrebig. Was er findet, ist dazu angetan, seinen Seelenfrieden zu untergraben, und so wundert es nicht, dass ihn wieder mal einer seiner morbiden Träume heimsucht – eben die bekannte Poe-Story. Sie bildet in ihrem hämischen Sarkasmus einen starken Kontrast zu der übrigen Erzählung und ist daher in ihrem dubiosen Humor umso erfrischender.

|Die Spur der Leichendiebe|

Der weitere Weg Poes ist nun für den kenntnisreichen Poe-Leser und Hörer vorgezeichnet. Die Spur führt einerseits zu Leonie Goron, andererseits aber auch in den höchst zwielichtigen Leichenhandel. Dass dieser Handel nicht frei erfunden, sondern eine historische Tatsache ist, kann jeder Autor, der je in Edinburgh gelebt hat und sein Pulver wert ist, bestätigen (und Anne Rice hat darüber einen ganzen Roman geschrieben). Ja, glaubt man Ian Rankin in „So soll er sterben“, so machen sich schottische Studenten noch heute einen Jux daraus, geeignete Exemplare zu klauen und unters nichts ahnende Volk zu bringen …

Leichen – das führt zu einer ganzen Menge von Poe-Erzählungen, von denen beispielsweise „Die Fakten im Fall Valdemar“ nur die bekannteste ist. Wie dürfen uns auf einige Untote gefasst machen.

|Basierend auf: The cask of amontillado, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD|
http://www.luebbe-audio.de

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – Du hast\’s getan (POE #15)

_Eine Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe greift ein_

„Du hast’s getan“ ist der fünfzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Nach der Trennung von Poe bleibt Leonie Goron ein paar Tage in der kleinen Stadt Rattleborough. Doch dort geschehen sonderbare Dinge. Schon in der ersten Nacht schreckt sie hoch: Ein blutüberströmtes Pferd galoppiert herrenlos durch die Straße, aber wo ist der Reiter? Ein junger Mann wird unter Mordanklage gestellt. Aber noch immer hat man keinen Leichnam gefunden …

Ulrich Pleitgen und Iris Berben haben auch an den ersten Hörspielen der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird vorerst ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie u. a. mit dem Bambi und mit der Goldenen Kamera ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Außerdem wirken Mathias Koeberlin als Pennyfeather, Christian Rode als Charley Goodfellow sowie andere Sprecher mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Du hast’s getan“ eine englische Häuserzeile, die aus dem späten 18. oder dem 19. Jahrhundert stammen dürfte. Ein oder zwei Autodächer sind davor zu entdecken. Bemerkenswerter ist der schneebedeckte Friedhof im Vordergrund, in dem die Häuser zu versinken scheinen. Typischerweise haben diese Grabsteine keine Beete, ragen also aus dem umgebenden Weiß wie hohle Zähne heraus – und das auch noch schief. Ein eindeutiges „memento mori“.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Staffel: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges, schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Ulrich Pleitgen wird näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon dreizehn Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton darin spielt.

Der Vorspann rekapituliert sehr knapp die ganze Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Eleonora“, der zwölften Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Leonie ist stinkig. Sie rumpelt in der Postkutsche alleine gen New York. Dieser Schuft Poe hat sie sitzen lassen, mit einem lausigen Abschiedsbrief als Erklärung. Nun sucht sie nach dem zweiten Verräter, Doktor Baker alias Dr. Templeton, der sie in seinem Landhaus eingekerkert hatte, um medizinische Experimente an ihr vorzunehmen. Und natürlich sucht sie nach Jimmy Farrell, dem Maler jenes ovalen Porträts, das ihre verblichene Freundin (Schwester?) Lucy zeigt. Und vielleicht, nur vielleicht will sie auch Poe wiedersehen.

Ihr Weg führt sie über eine Heide zu dem einsamen Kaff, das nahe einer Kalkgrube liegt und sich den seltsamen Namen Rattleborough gegeben hat. An einer Kreuzung erteilt dem Kutscher ein freundlicher älterer Herr namens Barnabas Shuttleworthy Auskunft, wo’s langgeht. War das Scherz?, fragt sich Leonie, als sie in dem Städtchen ankommt: Es ist keine Menschenseele zu sehen! Sie muss hier mindestens zwei Tage übernachten, bis die nächste Postkutsche sie nach New York City bringt. Aber wo ist hier das Hotel?

Alle seien in der Kirche, sagt ihr ein sympathischer junger Mann, der sich schüchtern als Mr. Pennyfeather vorstellt. Zimmer gebe es nur im Saloon, falls ihr dieses Domizil nicht zu anrüchig erscheine. Barnabas Shuttleworthy ist sein reicher Onkel, stellt sich heraus, und er arbeite in dessen Krämerladen. Dabei wolle er doch viel lieber malen. Pennyfeather zeigt ihr seine Skizzen, darunter eine von jenem Baum an der Kreuzung auf der Heide, wo sie Mr. Shuttleworth sah. (Diese Skizze wird später noch wichtig.)

Leonie checkt im Saloon ein, der natürlich ebenso verlassen ist wie alles andere. Nur eine ganz in Schwarz gekleidete Alte mit einem unheimlichen schiefen Kopf begrüßt sie und zeigt ihr ihr Zimmer. Die Alte behauptet, sie sei nicht allein gekommen, aber diese Bemerkung kann sich Leonie nicht erklären, schließlich war sie die einzige Passagierin der Kutsche. Sie soll erst später die ominöse Bedeutung dieser Worte herausfinden.

Abends trinkt sie mit Pennyfeather ein Schlückchen Wein im Saloon. Er meint, er würde gerne seinen reichen, aber allzu geizigen Onkel beerben. Diese Worte werden von Mr. Charley Goodfellow übel aufgenommen, der ihn ermahnt, vorsichtiger in seinen Äußerungen zu sein. Als der junge Mann indigniert den Saloon verlässt, bedeutet dies das vorzeitige Ende von Leonies Abend.

Im Laden erzählt Pennyfeather von seiner Bekanntschaft mit einem gewissen Jimmy Farrell aus New York City. Das lässt Leonie aufhorchen, die ihren wahren Namen verschweigt. Wer weiß, was noch kommt. Der junge Mann erzählt, Farrell habe zwei Porträts angefertigt. Das eine war von Lucy, schließt Leonie, und das andere von Poe. Dieser habe in einem Asyl, einer Anstalt geschlafen, doch Farrell habe ihn mit offenen Augen malen müssen, was sicher nicht einfach war. Dieser Poe sei für irgendetwas berühmt gewesen, aber nun verschwunden. Und vor wenigen Tagen sei ein Mr. Baker bei Mr. Goodfellow gewesen, erfährt Leonie – das ist der Gesuchte.

Nach einem gemeinsamen Ausritt zum einsamen Baum und zur Kalkgrube legt sich Leonie schlafen, wohingegen Pennyfeather seine Uhr vermisst und sie suchen geht. Ein grausiger Laut schreckt Leonie auf: Ein verletztes Pferd steht vor dem Saloon. Sie geht hinaus und stellt entsetzt fest , dass dem armen Tier durch die Brust geschossen wurde. Es verendet auf der Stelle. Doch als die Zuschauer auch noch das blutverschmierte Sattelzeug bemerken, wird klar, dass hier nicht nur ein Pferd, sondern auch ein Mensch gestorben sein muss.

Pennyfeather stolpert verstaubt in den Saloon und berichtet, er habe einen Reiter mit zwei Köpfen auf der Heide gesehen, wo er seine Uhr suchte. Sofort richtet sich der Verdacht der Täterschaft gegen ihn. Er ist Shuttleworthy als Letzter begegnet, er will ihn beerben. Und als auch noch Goodfellow Pennyfeathers blutiges Klappmesser und eine leere Brieftasche präsentiert, ist der junge Mann schon so gut wie verurteilt. Ein Schnellgericht missachtet Leonies vernünftige Einwände.

Doch wie soll sie den ruckzuck zum Strang Verurteilten aus seinem Gefängnis unter der Kirche befreien und vor dem Tod bewahren? Er droht sogar, sich selbst zu töten, bevor sie ihn holen kommen. Da erinnert sich Leonie an Pennyfeathers Skizze des alten Baums. Und etwas stimmt daran nicht. Das heißt, seit kurzem nicht mehr. Sie fasst einen Plan, um den wahren Täter zu überführen.

_Mein Eindruck_

Der groteske und satirische Charakter der literarischen Vorlage kommt in dieser Verarbeitung kaum noch zum Ausdruck. Vielmehr legt die Dramaturgie Wert auf die horriblen und kriminaltechnischen Aspekte des Falls von Barnabas Shuttleworthys vorzeitigem Tod. Dass die Alte vom Saloon auch noch hellseherische Prophezeiungen über Leonie ausstößt, verleiht dem ganzen Vorgang eine mystische Aura. Man könnte die Handlung daher ohne weitere Probleme ins „finstere“ Mittelalter verlegen.

Was vielleicht angesichts der rabiaten Methoden der Rechtssprechung in Rattleborough recht passend wäre. In satirischer Absicht griff der Autor Poe hier die Lynchjustiz auf, die so heißt, weil sie von einem Mann namens Lynch in Lynchburg praktiziert wurde. Die „Gerichtsverhandlung“, die Leonie mit wachsender Konsternation verfolgt, ist eine grausige Farce. Dass Beweise und Vernunftgründe nichts gelten, sondern man vielmehr nach dem „Augenschein“ und anhand der Aussage gewisser Respektspersonen – nämlich Charley Goodfellow – urteilt, spricht dem Rechtswesen Hohn, scheint aber in gewissen hinterwäldlerischen Gemeinden Usus gewesen zu sein. (Poe war ein Zeitungsmann. Er wusste genau über die Vorgänge in den USA Bescheid und nahm sie oftmals auf die Schippe.) Es verwundert nicht, dass die Stimmung wenig später umschlägt. Poes Ton ist sarkastisch. Er zeigt auf, dass sich diese Art der „Justiz“ genauso verhängnisvoll gegen ihre „ehrenwerten Vertreter“ richten kann.

VORSICHT, SPOILER!

Nur vor diesem sonderbaren Hintergrund lässt sich erklären, dass Leonies Trick funktioniert. Wer die Story kennt, weiß zwar Bescheid, aber erst ganz am Schluss klärt uns die Ich-Erzählerin darüber auf, wie sie Mr. Goodfellow zu seinem Mordgeständnis gebracht hat. Die Szene an sich, als die Leiche Shuttleworthys sich aufrichtet, ist natürlich eines Poe würdig. Doch dass sich Goodfellow gleich durch seinen Schrecken zum Geständnis bereit findet, wirkt eher geeignet fürs Kindertheater. Wo bleiben die Vernunftgründe, die es einem Erwachsenen erlauben würden, der Szene Glauben zu schenken? Ich finde, die Dramaturgie hätte die Szene besser ausarbeiten müssen.

SPOILER ENDE

Die Antwort auf die Frage, ob Leonie den jungen Mr. Pennyfeather retten kann, werde ich nicht verraten. Bitte selbst hören! Und dann mit Leonie Goron weiter gen New York City reisen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Miss Leonie Goron

Iris Berben bietet Pleitgens melancholischem und nachdenklichem Poe einen lebhaften Widerpart mit ihrer Leonie Goron. Und wie der grüblerische Poe sogar selbst merkt, zeichnet sich Leonie durch ungewöhnlichen Scharfsinn und eine kluge Feinfühligkeit aus. Sie hat erheblichen Anteil an Poes Rettung in der Rahmenhandlung von Episode 5 („Mahlstrom“). Spätestens ab „Der Goldkäfer“ wirkt sie wie eine kluge Freundin, die durch ruhige Überlegung und kluge, verständnisvolle Fragen bald zu seiner unverzichtbaren Ratgeberin wird. In Folge 12 hat er sich allerdings von ihr getrennt und sie schlägt sich alleine durch, mit sichtlichem Erfolg.

Mr. Pennyfeather

Der Schauspieler Mathias Koeberlin ist ja seit seinem Auftritt in „Das Jesus-Video“ kein Unbekannter mehr. Auch was Hörbücher angeht, tauchte sein Name schon mehrmals auf. Erstmals tritt er nun in der POE-Serie auf – und hinterlässt einen sehr guten Eindruck. Er spielt den schüchternen Jüngling mit einer zögerlichen, stockenden Stimme, die nur dann in eine flüssige Redeweise übergeht, wenn der Alkohol etwas nachhilft.

Andere Sprecher

Ich sollte noch Christian Rode als Goodfellow erwähnen. Häufig ist seine feste, tiefe Synchronsprecherstimme in Sherlock-Holmes-Hörspielen zu hören. Und auch Alexandra Lange soll nicht verschwiegen werden, die die Alte im Saloon spricht, sozusagen als Kassandra. Ihre heisere, etwas kurzatmige Sprechweise passt genau zu dieser ominösen Matrone.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet.

Da die Episode hauptsächlich auf dem Lande spielt, gehören zu den entsprechenden Geräuschen wiehernde und trappelnde Pferde, bellende Hunde, Kirchenglocken, Donnergrollen und eine Postkutsche. Kaum ist Leonie jedoch im Saloon, verstärkt ein Halleffekt ihre Stimme und Schritte. Diese relativ heimeligen Sounds werden jedoch von der Musik konterkariert.

Die Musik hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres jeweiligen Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung zahlreichen Szenen, so etwa die im Saloon. Doch als Leonie das erste Mal einen Fuß in dieses Etablissement setzt, ist es menschenleer – dennoch ertönt ein Honkytonk-Piano, wie man es schon in tausend Western gesehen und gehört hat. Nur ist es diesmal völlig verstimmt. Es klingt schaurig tief und obendrein wird das Poe-Thema angestimmt. Die Musik unterläuft die ansonsten normalen Geräusche. Merke: Etwas ist faul im Dorfe Rattleborough …

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Dazu gehören auch ein gesummter Choral und ein unheilvolles Requiem „Dies irae, dies illa“. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen.

_Unterm Strich_

Die wackere Leonie Goron betätigt sich hier als Detektivin und Ein-Frau-Polizeitruppe, denn so etwas wie ein legitimes Justizwesen gibt es in dem Provinzkaff nicht, in dem sie Zwischenstation macht. Wie Poes anderer berühmter Detektiv Auguste Dupin sammelt sie Fakten und Hinweise – allerdings wirkungslos. Also muss sie zu einem faulen Zauber Zuflucht nehmen, der aber endlich die gewünschte Wirkung zeitigt. Die Bürger dieses Kaffs sind tatsächlich dem Aberglauben zugänglicher als der Vernunft. Die satirische Absicht dahinter ist unübersehbar.

In dieser solide umgesetzten Episode erleben wir auch das Seriendebüt von Mathias Koeberlin und hoffen, künftig noch viel mehr von ihm hören zu dürfen. Iris Berben wird bereits in den nächsten beiden Episoden auftreten, zunächst als „Signora“ in „Das Fass Amontillado“, später als Leonie Goron in „Das verräterische Herz“.

|Basierend auf: Thou art the man!, ca. 1845
67 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos auf http://www.poe-hoerspiele.de.|

Poe, Edgar Allan / Hala, Melchior / Sieper, Marc / Hank, Dickky / Weigelt, Thomas – längliche Kiste, Die (POE #14)

_Bewegtes Seestück mit Leiche_

„Die längliche Kiste“ ist der vierzehnte Teil der Edgar-Allan-Poe-Reihe von |LübbeAudio|, die unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Rolf Hoppe, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör bringt.

Poe freundet sich mit dem Maler Wyatt an, den er am Hafen von New Orleans trifft. Sie buchen eine gemeinsame Schiffspassage nach New York. Doch kurz bevor die Passage beginnt, wird Wyatts Frau schwer krank und Wyatt selbst benimmt sich äußerst merkwürdig. Was verbirgt sich in der länglichen Kiste in seiner Kabine? Und wer treibt nachts sein Unwesen im Speisesaal des Schiffs?

Ulrich Pleitgen hat auch an den anderen Hörbüchern der Serie mitgewirkt:

#1: Die Grube und das Pendel
#2: Die schwarze Katze
#3: Der Untergang des Hauses Usher
#4: Die Maske des roten Todes
#5: Sturz in den Mahlstrom
#6: Der Goldkäfer
#7: Die Morde in der Rue Morgue
#8: Lebendig begraben
#9: Hopp-Frosch
#10: Das ovale Portrait
#11: Der entwendete Brief
#12: Eleonora

Die vier neuen Folgen der POE-Reihe sind:

(Nr. 13 wird ausgelassen.)

#14: Die längliche Kiste
#15: Du hast’s getan
#16: Das Fass Amontillado
#17: Das verräterische Herz

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan aus Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert.

_Die Sprecher_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon mehrere Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren

Außerdem wirken Rolf Hoppe als Cornelius Wyatt, Cathlen Gawlich als Mrs. Wyatt, Jürgen Wolters als Kapitän Hardy, Gerald Schaale als George Appo, Mathis Schrader als Lowden und Michael Pan als Clerk mit. Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Penny Shepherd, die Ansage erledigt André Sander.

_Das Titelbild_

Das monochrome Titelbild, das Simon Marsden (www.simonmarsden.co.uk) geschossen und mit einer speziellen Technik entwickelt hat, zeigt bei „Die längliche Kiste“ ein riesiges Portal, in dem man noch die Türhälften erkennen kann. Es ist völlig überwuchert. Der Blick dringt in einen hellen Wald, der wie ein Dschungel anmutet. Alles in allem wieder ein meisterliche Arbeit des Fotografen.

Das Motiv der Rückseite ist immer noch das gleiche wie in der ersten Staffel: das von leuchtendem Nebel umwaberte ausgebrannte Gemäuer einer alten Abtei, deren leere Fenster den Betrachter ominös anstarren. Die Innenseite der CD-Box zeigt einen spitzbogigen Mauerdurchgang in einem wilden, überwucherten Garten. Der Durchgang könnte die Passage zu neuen, gruseligen Erfahrungen symbolisieren, im Sinne von Huxleys „doors of perception“.

_Das Booklet_

Jede CD enthält ein achtseitiges, schwarz gehaltenes Booklet. Neben dem Eingangszitat auf Deutsch und Englisch werden hier auch der gesamte Stab und die Sprecherbesetzung der Rollen aufgeführt. Ulrich Pleitgen wird näher vorgestellt.

Eingangs gibt es einen kleinen Abriss der Vorgeschichte. Die Rückseite der CD fasst die Handlung zusammen und listet die wichtigsten Mitwirkenden auf. Die mittlere Doppelseite zeigt alle bislang veröffentlichten CDs und die DVD von „Die Grube und das Pendel“. Die vorletzte Seite weist auf die Band „We Smugglers“ hin, die den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert hat.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon zwölf Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton darin spielt.

Der Vorspann rekapituliert sehr knapp die ganze Vorgeschichte bis hin zum Inhalt von „Eleonora“, der zwölften Folge der Serie. Das erleichtert den Einstieg in die Serie ein wenig, aber nur minimal.

_Handlung_

Poe hat in der Episode „Das ovale Porträt“ herausgefunden, dass ein New Yorker Maler namens Jimmy Farrell ihn ebenso wie eine junge Frau namens Lucy porträtiert hat. Um herauszufinden, was Farrell über Poes wahre Identität weiß, muss Poe nach New York. Er hat schon einen Fahrschein für die Postkutsche bezahlt, als er im Hafen von Mobile, Alabama, den freundlichen Maler Cornelius Wyatt kennen lernt, der ihn überredet, mit ihm und seiner Frau per Schiff nach New York City zu segeln. Poe ist von dem Künstler sehr angetan und lässt sich überreden. Zugleich gibt er ihm Geld, um ein paar Muscheln für seine Frau zu kaufen. Wyatt scheint ihn zu kennen, kann sich aber nicht erinnern, woher.

Am nächsten Tag ist Wyatt jedoch niedergeschlagen, weil seine Frau von den Muscheln, die verdorben waren, krank geworden ist. Dennoch will er mit der „Independence“ des Kapitän Hardy segeln. Es ist das gleiche Schiff, fällt Poe auf, auf dem er Leonie Goron kennen lernte. Er bucht eine Kabine, um es ruhig zu haben. Als das Schiff einläuft, begrüßt ihn Hardy freundlich und zeigt ihm seine Kabine und den daneben liegenden Speisesaal. Wyatt ist nicht zu sprechen, und das macht Poe recht besorgt um seinen Bekannten. Ihn überkommen unruhige Gedanken, doch ein Umsteigen auf die Kutsche kommt nicht mehr in Frage: Sie ist ausgebucht.

Kurz vor dem Ablegen des Schiffes gehen Wyatt und eine verschleierte Frau an Bord. Das dürfte wohl seine Gattin sein, doch Poe wundert sich. Während Wyatts Gesicht hager und eingefallen aussieht, strahlt seine Gattin, die doch sehr krank war, vor Gesundheit. Tatsächlich ist sie sogar die Fröhlichkeit in Person! Das kommt Poe geradezu pietätlos vor. Auf einem Wagen wird eine zwei Meter lange Kiste antransportiert und in Wyatts Kabine verfrachtet. Nur dessen Name steht darauf, das Tannenholz ist noch frisch. Nächstes Kommando: Leinen los!

Nach einem heiteren Start mit einer noch heiteren Mrs. Wyatt schlägt die Stimmung jedoch um: Käptn Hardy wittert Sturm. Poe kann nicht mehr schlafen und hält sich sogar mit Kaffee wach. Irgendetwas geht in den Kabinen und dem nahen Speisesaal vor sich. Ständig hört er Geräusche und wispernde Stimmen. Einmal huscht Mrs Wyatt von einer separaten Kabine (!) in Mr. Wyatts Domizil – dort befindet sich die ominöse Kiste. Und Wyatt selbst sieht allmählich aus wie der leibhaftige Tod. Proviant verschwindet und ein Messer, das der Koch vermisst. Offenbar gibt es einen blinden Passagier an Bord – das würde einige der Rätsel erklären.

Aber nicht alle …

Als der Sturm das Schiff zum Sinken bringt und alle in die Boote müssen, kommen einige der Geheimnisse der „Independence“ ans Tageslicht. Mit fatalen Folgen.

_Mein Eindruck_

Diese Episode hält sich erstaunlich genau an die bekannte literarische Vorlage. Nur dass diesmal natürlich der Augenzeuge unser bekannter Unbekannter ist, der sich aus einer Laune heraus den Namen „Edgar Allan Poe“ zugelegt hat. Sein Rätsel bleibt bestehen. Und weiterhin wird aus dem relativ anonymen Passagier, der die fatale Kiste an Bord bringt, ein guter Bekannter, an dessen traurigem Schicksal „Poe“ großen Anteil nimmt.

Die für die Serie charakteristischen Momente der Spannung und des Grauens beschränken sich auf die mysteriösen Vorgänge unter Deck. Kein Albatross fällt unheilverkündend vom Himmel, keine Leiche wandelt gespenstisch an Deck – obwohl einmal fast so aussieht. Vielmehr ist es die klaustrophobische Enge in seiner Kabine, die Poe zusetzt und seinen labilen Geisteszustand ins Wanken geraten lässt. Leicht hätte die Dramaturgie eine Vision einbauen können, doch sie bleibt aus, hätte sie doch den begrenzten Umfang des Stückes gesprengt.

VORSICHT, SPOILER!

Wie so häufig bei Poe entsteht das eigentliche Grauen daraus, dass es einen grotesken Widerspruch zwischen der quicklebendigen angeblichen Mrs. Wyatt und ihrem sichtlich dahinsiechenden Gatten gibt. Als sich diese Rolle als Lug und Trug entpuppt, öffnet sich dahinter ein noch größeres Grauen. Die in der titelgebenden Kiste liegende echte Mrs. Wyatt ist zwar mausetot, scheint aber ihrem – noch – lebenden Gatten auf ghoulische Weise den Lebenssaft auszusaugen. Dass beide ihr Ende gemeinsam in der tiefen blauen See finden sollen, erscheint nur folgerichtig.

SPOILER ENDE

Doch genau wie die nächste Episode bringt dieser Zwischenfall auf der Reise nach New York City die Story nicht weiter und verändert auch die Hauptfigur in keiner Weise. Die Episode „Du hast’s getan“ sieht Leonie Goron in einem Provinzkaff einen Mordfall aufklären. Aber sie stößt ebenfalls auf die Spur von Doktor Baker alias Templeton und die des Malers Jimmy Farrell. Diesen müssen sie und Poe gleichermaßen dringend suchen, sobald sie in der Metropole anlangen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Pleitgen spielt die Hauptfigur E. A. Poe, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Im ersten Teil des „Eleonora“-Traumes schwelgte sein Poe in verliebter Seligkeit. Umso gequälter klang Poe in der zweiten Traumhälfte, als ihn die tote Geliebte in seinen Albträumen heimsucht. Dieser Stimmungswandel leitete die Trennung von Leonie ein und machte sie ein wenig nachvollziehbarer. Deshalb ist Poe in diese Episode allein, und Pleitgen muss ohne Berben an seiner Seite auskommen.

_Musik und Geräusche_

Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt. Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Wir hören das Schreien der Möwen ebenso wie das unablässige Knarzen von Tauen und Dielen an Bord der „Independence“.

Die Musik erhält daher eine umso wichtigere Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Diese untermalende Aufgabe dient diesmal mehr der Gestaltung ganzer Szenen, so etwa während der Sturms und der mysteriösen Vorgänge unter Deck. Diesmal ist mir insbesondere die verstärkte Rolle der Bässe aufgefallen. Sie werden nicht etwa elektrisch erzeugt, wie von einer Gitarre, sondern von einem Klavier. Doch wurden die tiefen Töne derart durch die Echokammern und Verzerrer gejagt, dass daraus ein erschütterndes Grollen herauskam, das das Gehör des Publikums auf einer unterschwelligen Ebene beeinflusst und unwillkürlich Furcht erzeugt. Raffiniert!

Ein Streichquartett, Musiker des Filmorchesters Berlin sowie die Potsdamer Kantorei an der Erlöserkirche wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht.

_Der Song_

Die Band „We Smugglers“ hat, wie erwähnt, den Titelsong „On the verge to go – Edgar Allan Poe Edit“ beigesteuert. Ihr Konzertplakat weist sie als vier recht schräg aussehende Herrschaften aus, die nichtsdestotrotz ihre Instrumente zu beherrschen scheinen. Was wir in der Länge von rund 3:30 Minuten zu hören bekommen, würde ich als balladesken Slow-Metal-Rock bezeichnen. Die Tonart ist recht ausgefallen: Cis-Dur.

Deutlich dominiert die E-Gitarre, die sich wie die von Jimmy Page anhört, als er sein berühmtes Stück „Kashmir“ für die MTV-Acoustic-Session neu arrangierte. Für mich klingt das gut und melodisch, aber kraftvoll. Der Klangteppich wird von einer deutlich zu vernehmenden Basslinie und unauffälligen Drums und Cymbals unterstützt. Der Gesang ließe sich noch verbessern, und die Lyrics könnte man auch mal abzudrucken beginnen.

_Unterm Strich_

Diese Episode bringt die Handlung zwar nicht weiter, aber den Helden wenigstens von A nach B, um nach dem Schlüssel zu seiner wahren Identität zu suchen. Unterwegs erlebt er eines von Poes weniger grausigen Abenteuern, ein Seestück sozusagen, das mehr von der Atmosphäre getragen wird als von Rationalität oder gar Action.

Doch die akustische Umsetzung ist den Machern so überzeugend gelungen, dass ich mich bei dem Wunsch ertappe, sie würden dereinst mal „Die Abenteuer des Arthur Gordon Pym aus Nantucket“ orchestral zu Gehör bringen, inklusive abschließendem „tekeli-li“. Von diesem Punkt aus ließe sich sich die Geschichte entweder als Lovecrafts „Berge des Wahnsinns“ weiterführen oder als Jules Vernes „Die Eissphinx“. Beides sind herausragende Werke des phantastischen Genres. Eine weiterer Anknüpfungspunkt besteht in Michael Marraks „Imagon“. Hier könnten endlich mal deutsche Autoren Berücksichtigung finden.

|Basierend auf: The oblong box, ca. 1845
57 Minuten auf 1 CD
Mehr Infos auf http://www.poe-hoerspiele.de |

Poe, Edgar Allan – Edgar Allan Poes Meistererzähler

_Gute Sprecher für eine repräsentative Poe-Auswahl_

Zehn Meistererzählungen von Edgar Allan Poe, dargebracht von Meistererzählern wie Pinkas Braun, Martin Held, Wolfgang Kieling, Hannes Messemer, Richard Münch, Hans Paetsch, Heinz Reincke, Werner Rundshagen und Klaus Stieringer. Die Vorträge dieser Sprecher stammen aus der Zeit zwischen 1958 und 1983, als die Rundfunklesung noch eine geschätzte Kunst war. (gekürzte Verlagsinfo) Viele dieser Sprecher sind bzw. waren professionelle Schauspieler und wissen Poes bekannteste Erzählungen wirkungsvoll vorzutragen.

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49), das Kind verachteter Schauspieler, wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia auf. Während der Vater ihn nie akzeptierte, liebt Edgar seine Ziehmutter, die sich seiner annahm, umso mehr. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich 1827 von seinem strengen Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die allesamt finanzielle Misserfolge waren. 1828 starb mit Mrs. Allan seine wichtigste Bezugsperson, und er zog zu seiner Tante „Muddy“ Clemm in Baltimore.

Von der Offiziersakademie in West Point wurde er am 28. Januar 1831 verwiesen, sein Bruder William stirbt im August. 1833 gewann er 50 Dollar für seine Story „MS. Found in a Bottle“, die einen Kaufmann auf ihn aufmerksam machte, der ihn förderte. Dadurch konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern. Allerdings schuf er sich durch seine scharfen Literaturkritiken zahlreiche Feinde.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, nachdem am 20. Januar 1845 sein Gedicht „The Raven“ auf größte Begeisterung gestoßen war, und das sowohl bei den Lesern als auch bei der Kritik. Er wurde Vortragsreisender und Partner bei einer Zeitschrift, die allerdings bankrott ging.

Dem Erfolg folgte bald ein ungewöhnlich starker Absturz, nachdem seine Frau Virginia, die Tochter seiner Tante (1822-1847, verheiratete Poe ab 1836, krank ab 1842), an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel mit der 45-jährigen Dichterin Sarah Helen Whitman – am 3. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden. Er starb an „Hirnfieber“ am 7. Oktober im Washington College Hospital. (Das Rätsel um seinen Tod wurde unter anderem von Matthew Pearl in [„Die Stunde des Raben“ 3552 zu einem Roman verarbeitet.)

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.

Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H. P. Lovecraft, H. G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlands maßgeblich verändert – in nur 17 Jahren des Publizierens.

_Die Erzählungen und Sprecher_

_1) Das Faß Amontillado_ (13:34 Minuten, gelesen von Werner Rundshagen)

Warum mauert Montresor seinen Freund Fortunato im Weinkeller des Familiengutes ein? „By the last breath of the four winds that blow / I’ll have revenge upon Fortunato …“ heißt es in Alan Parsons Song. „Nemo me impune lacessit“ lautet das Motto der Familie Montresor: „Niemand beleidige/verletze mich ungestraft“. Na, und der überhebliche Fortunato hat seine Strafe sicherlich verdient.

|Mein Eindruck|

Poe erzählt seine Rachestory sehr anschaulich, als habe er sie für einen Film schreiben wollen. Allerdings stammt der letzte verfügbare Wortlaut gar nicht von ihm, sondern von seinem schlimmsten Feind, der seinen Nachlass verwalten durfte …

|Der Sprecher|

Werner Rundshagen trägt mit einer kräftigen Stimme sehr deutlich und nuanciert vor. Wenn der betrunkene Fortunato mal spricht, lallt Rundshagen allerdings nicht, deutet nur eine „schwere Zunge“ an. Einmal lacht Fortunato leise in sich hinein, das klingt dann angesichts seiner Lage schon unheimlich. Leider spricht Rundshagen den Namen „Amontillado“ nicht wie es sich gehört spanisch aus, sondern deutsch, also mit einem L statt einem J.

_2) Das ovale Portrait_ (10:00 Minuten, gelesen von Wolfgang Kieling)

Der müde und fiebrige Wanderer hat Zuflucht in einem italienischen Bergschloss gefunden und ruht sich nun im Schlafzimmer aus. Es ist mit einer berühmten Gemäldesammlung ausgestattet, zu der er sogar einen Führer lesen kann. Als er den Kandelaber verschiebt, um das Buch besser lesen zu können, fällt das Licht auf ein kleines Bild in einer Nische: ein ovales Porträt einer jungen Frau. Es ist erstaunlich lebensecht.

Der Führer erzählt dazu die grauenerregende Geschichte seiner Entstehung … Die junge Frau liebte den Maler des Bildes so leidenschaftlich, dass sie bereit war, für ihn wochenlang Modell zu sitzen. Doch je länger der Maler pinselte, um das Bild so lebensecht wie möglich zu gestalten, desto blasser und kränklicher wurde dessen Vorlage. Und während die Bewunderer des Malers von der Qualität des Bildes schwärmten, merkten weder sie noch der Maler, wie schlecht es dem Modell ging. Kaum war der letzte Pinselstrich getan, starb sie!

|Mein Eindruck|

Die kurze aber anschaulich erzählte Geschichte behandelt den metaphysischen Zusammenhang zwischen Kunst und Liebe bzw. Leben. Die Rivalin der jungen Frau ist die Kunst, wie sie selbst weiß, und doch opfert sie sich dieser, um der Liebe zu ihrem Maler willen. Jeder Künstler bringt der Muse Opfer, um ihr dienen zu können, und allzu oft besteht das Opfer in Liebe, manchmal sogar in Leben. Vielleicht ist dies nicht nur ein romantisches Motiv.

|Der Sprecher|

Wolfgang Kieling ist mir als hervorragender Schauspieler bekannt. Seine Stimme ist tief und volltönend, er intoniert die Sätze deutlich und erzeugt gehörige Spannung. Wunderbar.

_3) Das verräterische Herz_ (14:10 Minuten, gelesen von Heinz Reincke)

Der verrückte Ich-Erzähler plant detailliert den perfekten Mord an einem alten Mann, dessen eines „Geierauge“ ihm Furcht und Wut einflößt. Die Tat gelingt, doch aufgrund seines überfeinen Gehörs vermeint der (wahnsinnige) Bösewicht, das Herz des Getöteten wieder schlagen zu hören, justament als er die Polizei im Hause hat …

|Mein Eindruck|

Wahnsinn, überfeinerte Sinne und vorzeitige Beerdigung sind die Standardthemen Poes. „Das verräterische Herz“ ist kurzer, psychologischer Thriller um Schuld und Sühne. Er ist nicht nur sehr anschaulich geschildert, sondern auch zu einem grauenerregenden Finale hin konzipiert.

|Der Sprecher|

Heinz Reincke ist bzw. war ein temperamentvoller Volksschauspieler, der in unzähligen TV-Serien des NDR auftrat. Bereits 1958 entstand diese unvergessliche Aufnahme. Reincke liest sehr flott vor, gestaltet seinen Erzähler als gehässigen und wahnsinnigen, aber auch ungeheuer selbstverliebten Typen. Wenn der Mord erfolgt, wird der Vortrag beschleunigt, drängend und angstvoll – wir fiebern geradezu mit. Nach diesem ersten Höhepunkt gelangt Reincke wieder in ruhiges Fahrwasser – Erleichterung macht sich breit. Dann folgt Nervosität, schließlich wieder Panik und Wahn. Am Schluss überschlägt sich Reinckes Stimme fast, wird richtig laut, als es das Unfassbare zu äußern gilt: Das Herz des Alten schlägt wieder!

_4) Der Massenmensch_ (27:45 Minuten, gelesen von Klaus Stieringer)

Der Erzähler sitzt eines Tages in einem Café in London und teilt die Passanten in Klassen ein. Er ist offenbar ein genauer Beobachter. Da bemerkt er einen ungewöhnlichen, alten Mann, weil er aussieht wie der „Erzfeind“, der Teufel, persönlich. Er folgt ihm den ganzen Tag hindurch, wie der sich durch die Menge schiebt und nirgendwo eine Rast einlegt, um sich zu stärken oder zu ruhen. Nein, der Mann, der Dolch und Diamant unter seinem Mantel stecken hat, sucht immerzu nur die Menge. Und als sich ihm sein Verfolger in den Weg stellt, schaut er nicht auf, sondern umgeht ihn einfach.

|Mein Eindruck|

Die ungewöhnliche, völlig handlungslose Story ist die detailliert beobachtende Studie eines neuen psychologischen Typus, wie er nur in der Stadt vorkommt: der Mensch, der nur zufrieden ist, wenn er in einer Menschenansammlung anonymen Kontakt findet. Dass dieser Typ keine menschlichen Bedürfnisse an den Tag legt, macht ihn zu unheimlich. Poe schreibt ihm Schuld zu, aber woher diese rührt, bleibt unklar.

|Der Sprecher|

Klaus Stieringer ist ein beherrscht und deutlich artikulierender Sprecher. Mit Pausen vor jedem wichtigen Wort hebt er dessen Bedeutung für jeden Satz und Gedankengang hervor. So entsteht vor dem geistigen Auge des Hörers ein lebendiges Bild, das zunehmend unheimlichere Züge gewinnt …

_5) Die Maske des Roten Todes_ (14:00 Minuten, gelesen von Hannes Messemer)

Diesmal hat Fürst Prospero sich in eine burgartige Abtei vor den Verheerungen, welche die Pestilenz in seinem Land anrichtet, zurückgezogen. Trotz des Todes draußen schmeißt er eine Party, bei der sich tausend Ritter und Damen verkleiden dürfen (Maske = Maskenball), um der Schönheit in den unterschiedlich ausgestatteten Zimmers seines Refugiums zu huldigen. Als er jedoch einen unverschämt auftretenden Burschen erblickt, der es wagt, als Pestkranker aufzutreten, kennt sein Zorn keine Grenzen. Er verfolgt ihn, treibt ihn in die Enge, um ihn zur Rede zu stellen – und erlebt sein rotes Wunder …

|Mein Eindruck|

Poe hat zahlreiche Gedichte über den Tod und dessen unentrinnbare Herrschaft geschrieben, denn er war ja selbst ständig vom Tod umgeben. Auch seine junge Frau Virginia Clemm starb an der Schwindsucht. Er nannte den Tod „den Zerstörer“ und „Eroberer Wurm“. Auch in „Die Maske des Roten Todes“ ist der Tod unentrinnbar, und alles Schöne muss vergehen, insbesondere, wenn es so frivol wie von Fürst Prospero zelebriert wird.

|Der Sprecher|

Hannes Messemer trägt auf eine recht altmodische Weise vor, die inzwischen überholt ist. Man merkt nämlich, dass er den Hörer bewegen und erreichen will. Er gestaltet den Text aber sehr abwechslungsreich: mal heiter, mal ahnungsvoll, mal schnell, dann wieder langsam. Mitunter versteigt er sich zu einer Emphase, die harte Konsonanten wie K geradezu hervorschleudert. Auch der Höhepunkt ist sehr effektvoll „inszeniert“, voll Dramatik.

_6) Der wahre Sachverhalt im Falle Waldemar_ (28:10 Minuten, Pinkas Braun)

Die esoterische Modewissenschaft Mesmerismus (nach einem gewissen Monsieur Mesmer) wurde auch als Magnetismus bezeichnet und erregte seinerzeit – also zwischen 1840 und 1850 – einiges Aufsehen. Sie ähnelt der Hypnose, wird aber anders angewandt.

In der Erzählung verlängert Poe damit die Existenz der Seele von M. Waldemar, einem Opfer der Schwindsucht, nach dem Ableben des hinfälligen Körpers. Alle Schritte beim Vorgehen werden minutiös aufgezeichnet, so dass ein sehr realistischer Eindruck entsteht. Kann der Einzug des Todes in den Körper von M. Waldemar wirklich aufgehalten werden, lautet die Kardinalfrage. Doch es gibt eine ziemlich grässliche Pointe.

|Mein Eindruck|

Der Ich-Erzähler weiß seine (inzwischen verfilmte) Geschichte von der Aufhebung des Todes wohldosiert zu vermitteln. Das Unbehagen an der ganzen unnatürlichen Sache wächst, bis ganz am Schluss, im letzten Satz, das Grauen mit voller Wucht zuschlägt: das ist die „punch-line“, die den Leser bzw. Hörer in die Magengrube trifft. Poe konnte schon immer sehr effektvoll erzählen, aber hier hat er ein Meisterstück abgeliefert. Die Übersetzung des „Ulysses“-Übersetzers Hans Wollschlägers trägt zusätzlich zur starken Wirkung bei. Allerdings wimmelt es vor Fachausdrücken. Aber das ist ja bei Poe stets der Fall.

|Der Sprecher|

Pinkas Braun verfügt über eine tiefe, sonore Stimme, mit der er seine Sätze sehr deutlich, beherrscht und analytisch hervorhebend vorträgt. Seine Aussprache des Französischen ist makellos. Nur ganz am Schluss lässt er zu, dass er seinem Ekel heftig Ausdruck verleiht.

_7) Der schwarze Kater_ (28:10 Minuten, gelesen von Martin Held)

Der Erzähler ist der trunksüchtige Ehemann einer zartfühlenden und tierlieben Gattin. Sie hat als liebstes Haustier einen Kater namens Pluto, der laut schnurrt, wenn man ihn streichelt. Das tut der Ehemann jedoch nie. Im Gegenteil: Die Augen der Katze lassen ihn sich irgendwie schuldig fühlen, dass die Trunksucht, der er sich hingibt, und die Misshandlungen, die er an seiner Frau begeht, ein großes Unrecht seien. Im Vollrausch sticht er Pluto ein Auge aus, später erhängt er das wehrlose Tier. Bei einem Feuer brennt das Haus bis auf die Grundmauern nieder und das mittellose Ehepaar muss umziehen.

Um diese Gedanken der Schuld zu vertreiben, ertränkt er sie immer öfter in Alkohol. Bis er schließlich auch im Wirtshaus eine schwarze Katze bemerkt, die er mit nach Hause nimmt. Doch aus Zuneigung wird schon wieder Hass und Abscheu gegen das vermaledeite Katzenvieh. Als er auf der Kellertreppe über es stolpert, will er es töten, doch seine Frau fällt ihm in den Arm. Er schlägt ihr den Schädel ein und mauert die Tote in einem „blinden“ Kamin (der nirgendwo hinführt) im Keller ein. Die Katze jedoch ist verschwunden und er kann wieder selig schlafen, selbst nach dem Mord. Doch der Fluch der bösen Tat fordert Sühne …

|Mein Eindruck|

Die Story ist ein psychologischer Thriller um Schuld und Sühne, mit einem typischen Poe-Motiv: lebendig begraben sein. Doch das Neue an der Geschichte besteht darin, dass die Bestrafung nicht von außen erfolgt, etwa durch göttliche oder fürstliche Intervention. Vielmehr kommt dieser Impuls von innen, aus der Psyche des unbestraften Verbrechers selbst: Er muss sich selbst entlarven, um Erlösung von der Last seiner Schuld zu erlangen. Schon lange vor Freud also wird tiefer schürfende Psychologie als Triebfeder einer Story-Handlung eingesetzt.

|Der Sprecher|

Martin Held war für mich einer der sympathischsten und integersten Schauspieler seiner Generation. Seine Stimme ist angenehm mitteltief, seine Intonation mitfühlend, sein Vortrag einfühlsam. Triumph und Erleichterung wechseln sich hörbar mit Angstpsychose ab. Wie bei Reincke mündet auch sein Vortrag in den Aufschrei eines gequälten Wahnsinnigen.

_8) Hopp-Frosch_ (17:30 Minuten, Hannes Messemer)

Froschhüpfer ist ein Krüppel und Zwerg, der als Hofnarr an des Königs Hof Possen treiben muss. Er wurde mit seiner wohlgestalten Freundin Tripetta aus seiner Heimat verschleppt, die man ebenfalls mies behandelt. Eines Tages wollen der König und seine sieben fetten Minister ganz besonders einfallsreiche Kostüme für den Maskenball tragen. Hüpfer hat eine „zündende“ Idee, wie er sich für erlittene Qualen rächen kann, schlägt ihnen Orang-Utan-Verkleidung vor und kettet sie aneinander. Das wird eine „feurige“ Überraschung.

|Mein Eindruck|

Poes letzte zu seinen Lebzeiten veröffentlichte Erzählung wird häufig als Allegorie auf seine Rache an seinen Kritikern aufgefasst. Diese saßen vor allem in New York und unternahmen alles, um diesen unbequemen Mahner und Kritiker aus dem tiefen Süden zum Verstummen zu bringen. Sie erreichten ihr Ziel – fast.

|Der Sprecher|

Hannes Messemer trägt ebenfalls auf eine recht altmodische Weise vor. Sein König ist ein laut polternder Tyrann, dem jede Schlechtigkeit zuzutrauen ist und der grausam zischt, wenn er seinen Hofnarren, den Zwerg Hopp-Frosch, schikanieren will. Der Höhepunkt ist sehr effektvoll und dramatisch „inszeniert“.

_9) Berenice_ (27:50 Minuten, Hans Paetsch)

Der Träumer und die schöne Titelfigur sind Cousin und Kusine, doch während er sich schwächlich zurückhält, bewundert er an ihr das blühende Leben. Dieses Verhältnis ändert sich schlagartig, als Berenice – ähnlich wie Poes echte Frau Virginia Clemm – an Tuberkulose und Auszehrung erkrankt. Dabei verfällt sie mitunter in einen todesähnlichen Zustand der Trance.

Der Träumer wiederum ist einer Monomanie verfallen, die ihn in einen Geisteszustand verfallen lässt, in dem er sich stundenlang auf nur einen Gegenstand konzentriert. Er scheint dadurch in eine Art Geistesabwesenheit zu geraten. Trotzdem heiraten die beiden. Das Verhängnis ist unausweichlich, als ihm Berenices unglaublich weiße und lange Zähne auffallen …

|Mein Eindruck|

Vielfach ist diese unheimliche Erzählung als Vampirgeschichte interpretiert worden, denn wozu sonst sollte Berenice derart lange Zähne aufweisen? Das Thema der verbotenen Beinahe-Geschwisterliebe erinnert zudem an das unselige Geschwisterpaar Madeleine und Roderick Usher. Klar, dass daraus nichts Gutes entstehen kann.

Und dass es schließlich zu einer abscheulichen Grab- und Leichenschändung kommt, dürfte kaum noch jemanden verwundern. Allerdings ist die Schuldfrage nicht eindeutig zu klären. Hat Berenice Schuld an ihres Cousins somnambulem Zustand, so dass er unter Amnesie zu leiden beginnt? Wenn ja, dann kann er nicht für seine Untat verantwortlich gemacht werden.

|Der Sprecher|

Hans Paetsch ist die Stimme des „Märchenonkels“ schlechthin. Er unzählige Märchen aufgenommen. Hier zeigt er sich von seiner kultivierten Seite. Er spricht das Französische ebenso makellos aus wie das Latein, das der Erzähler zitiert – und das leider nicht übersetzt wird. Diese sprachlichen Hürden haben wohl dazu geführt, dass diese Erzählung nur selten abgedruckt wird. Paetsch trägt intensiv, deutlich und genau hervorhebend vor. Auch hier gibt es einen gruseligen und effektvollen Höhepunkt.

_10) Der Fall des Hauses Ascher_ (ca. 52:00 Minuten, Richard Münch)

Der Berichterstatter ist in das Haus Usher eingeladen, geradezu vorgeladen worden. Es entragt einem schwarzen Teich, der ominös schimmert und in dem ein Riss in der Fassade verschwindet. Das Gemütsleiden Roderick Ushers, des Letzten seines Geschlechtes, hat seine Sinne unglaublich verfeinert, so dass jede Sinneswahrnehmung für ihn Marter bedeutet. Daher sind alle Vorgänge zugezogen, jeder Laut ist gedämpft, und es brennt keine einzige Kerze. Erst nach einer Weile, als sich seine Augen angepasst haben, erkennt der Gast in der Düsternis Rodericks ausgemergeltes Gesicht und erschrickt. Der eigentliche erst 30 Jahre alte Mann sieht aus wie der Tod. Er sagt, er freue sich aufs Sterben wie auf eine Erlösung. Aber er warnt ihn vor dem Wahnsinn seiner Schwester Madeline.

Tatsächlich glaubt er sogar, seine verstorbene, geliebte Schwester Madeline sei noch am Leben und suche ihn jede Nacht heim. Roderick taucht nachts im Zimmer des Gastes auf und führt ihn in den Keller, um ihm etwas zu zeigen: Es sind die Katakomben des Herrensitzes. In einem riesigen Saal sieht man in Nischen in den Wänden Hunderte von Särgen liegen – Generationen von Ushers. Die Gruft liegt unterhalb der Oberfläche des Sees, der gegen ihre Mauern drückt. In zwei der Nischen stehen bereits die Särge für Madeline und Roderick bereit. Der Gast findet dies höchst makaber.

Tage vergehen. An einem Regentag teilt Roderick seinem Jugendfreund mit, dass Madeline gestorben sei. Ohne geistlichen Beistand wird die Schönheit im vorbereiteten Sarg bestattet. Hier soll sie liegen – volle vierzehn Tage lang, wie Roderick es angeordnet hat.

Was dem Gast so seltsam vorkam, enthüllt sich schon bald als wohlbegründet. Als ein Sturm heraufzieht und ein irisierendes Licht im Nebel über dem schwarzen Teich liegt, bemächtigt sich seiner eine panische Beklemmung. Durch Vorlesen eines Ritterromans versucht er, diese Stimmung zu vertreiben, doch vergeblich. Auf einmal hört er seltsame Geräusche vor der Tür, als würde Holz reißen und Metall poltern, genau wie in dem Ritterroman. Roderick starrt wie gebannt auf die Tür zu seinem Gemach, ein Klopfen ist zu hören, die Tür öffnet sich und davor steht: Lady Madeline!

|Mein Eindruck|

Geschwisterliebe, Inzucht, Lebendigbegrabensein, überfeinerte Sinne eines dekadenten Adeligen – hier feiert Poe das volle Arsenal seiner Obsessionen ab. Die Wirkung dieser Erzählung – zumal in Arno Schmidts fulminanter Übersetzung – auf den Hörer ist umwerfend, die Wirkung auf Poes Epigonen war enorm. Lovecraft versuchte immer wieder, diese Meisterschaft zu erreichen und erzählte von verruchten Ritualen in Neu-England, ging dann aber schließlich über Poe hinaus und schuf seinen eigenen Schöpfungsmythos.

|Der Sprecher|

Richard Münch trägt deutlich und genau betonend vor, sehr kontrolliert. Das ist auch nötig, um die komplizierten Schachtelsätze, die Arno Schmidt nach Poes Vorbild schuf, bewältigen zu können. Hier sind ein gutes Gedächtnis und viel Aufmerksamkeit gefordert. Es gibt nicht nur viele Fremdwörter, sondern auch befremdlich veraltete deutsche Ausdrücke. So gehen wohl auf Schmidts Konto Ausdrücke wie „Empfindnisse“, „altfränkisch“ oder „gaumig“.

In der Wiedergabe des Ritterromans passt die veraltete Ausdrucksweise, sonst aber weniger. Kurz vor dem Höhepunkt wird Münch recht leise, um Rodericks Gemurmel wiederzugeben, dann jedoch bricht der Wahn der Situation herein, als Lady Madeline ihren Bruder abholt …

_Unterm Strich_

Von diesen guten Sprechern vorgetragen, entfalten die schaurigen Erzählungen Edgar Allans Poes erst richtig ihren besonderen Reiz: das Grauen vor den zahlreichen Tabubrüchen, die hier entweder überfeinerte Hypochonder oder durchgeknallte Verrückte begehen. Schaurige Experimente wie der „Fall M. Waldemar“ oder triumphale Racheakte wie in „Hopp-Frosch“ weiten den Horizont der Ideen in der Literatur aus.

Es finden sich aber auch genaue Beobachtungen wie der „Massenmensch“, der zunächst wie ein ganz normaler Stadtbürger aussieht, aber zunehmend eine unheimliche Präsenz entfaltet, so dass man es sich zweimal überlegt, ob man abends noch auf die Straße geht. Die Rolle der Psychologie kommt auch in den Verbrechergeschichten „Der schwarze Kater“ und „Das verräterische Herz“ zum Tragen. Die Sühne für die Untat wird nun von innen angestoßen und nimmt so Freud vorweg.

Die Sprecher sind in der Regel gestandene und beliebte Schauspieler wie Heinz Reincke oder Martin Held, aber auch Sprechkünstler wie Pinkas Braun und Klaus Stieringer. Hannes Messemer, der Senior unter den Sprechern, befleißigt sich eines veralteten Stils. Mit gefühlvoller Emphase will er denjenigen Effekt des Textes, der ihm am wahrscheinlichsten scheint, auch im Hörer erzeugen, ihn also steuern. Das ist zwar löblich, wenn Messemer ein Lehrer und der Zuhörer sein Schüler wäre, aber für die anderen grenzt es doch an Oberlehrerhaftigkeit.

Wie immer bei Poe stellen die Texte hohe Ansprüche an die Allgemeinbildung. In „Berenice“ wird französisch und Latein gesprochen, ohne dass eine Übersetzung geliefert würde. Das könnte relativ frustrierend sein. Meine eigenen entsprechenden Kenntnisse sind schon längst eingerostet.

|235 Minuten auf 3 CDs
Aus dem US-Englischen übersetzt von Hans Wollschläger, Arno Schmidt und anderen|
http://schall-und-wahn.de
http://www.random-house-audio.de

Poe, Edgar Allan / Gruppe, Marc – Untergang des Hauses Usher, Der (Gruselkabinett 11)

_Gruselklassiker kinoreif inszeniert_

In der Umgebung von Baltimore 1845: Philipp Belfield reist, durch einen Brief seines Jugendfreundes Roderick alarmiert, auf den abgelegenen, inmitten von Sumpfland errichteten Stammsitz der Familie Usher. Ein drohendes Unheil scheint über dem alten Gemäuer zu schweben, denn Roderick Usher, der letzte Spross der alten Familie, ist von einer seltsamen Krankheit gezeichnet …

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_ (Verlagsinfos)

Das Hörspiel wurde inszeniert mit: Oliver Feld (u. a. dt. Stimme von Ben Affleck), Tobias Kluckert (Colin Farrell), Claudia Urbschat-Mingues (Angelina Jolie) und Kaspar Eichel (Fred Astaire).

Oliver Feld spricht „Philip Belfield“

Bereits im Alter von 14 Jahren sammelte Oliver Feld erste Synchronerfahrungen in „Kampfstern Galaktika – Das Ende einer Odyssee“. Nach seiner Schauspielausbildung an der Fritz-Kirchhoff-Schule führten Oliver Feld Engagements an verschiedene Berliner Bühnen, so an die Tribüne, das KAMA- und das Hansa-Theater, sowie an das Theater am Kurfürstendamm. Im TV konnte man den Schauspieler u. a. in der Krimi-Reihe „Tatort“, den Serien „Praxis Bülowbogen“, „Helicops“ oder „Unser Charly“ sehen.

Als Synchronsprecher leiht Oliver Feld seine Stimme u. a. seit zehn Jahren ‚Dr. John Carter‘ in „Emergency Room“, der Titelrolle der Sitcom „Seinfeld“, ‚Nigel‘ in „Crossing Jordan“, ‚Wesley‘ in „Buffy“ und „Angel“, ‚Dutch‘ in „Shield“, ‚Emmett‘ in „Queer as Folk“ (hier auch Buch und Regie). Er synchronisierte zudem u. a. Ben Affleck in „Der Außenseiter“ und Adrien Brody in „Summer of Sam“.

Tobias Kluckert spricht „Roderick Usher“

Im Bereich Synchron leiht der Schauspieler Tobias Kluckert u. a. Joaquin Phoenix als ‚Johnny Cash‘ in dem Film „Walk the Line“ seine Stimme. Er sprach aber auch Colin Farrell in „The New World“, 50 Cent in „Get rich or die tryin“, Patrick Swayze in „Waking up in Reno“, Tyrese Gibson in „Der Flug des Phoenix”, „Vier Brüder”, „2 Fast 2 Furious“, Adam Baldwin in „Serenity“ und der „Firefly“-TV-Serie, Eric Balfour in „O. C. California“, Brian Krause als ‚Leo‘ in „Charmed“, Michael Vartan in „Alias – Die Agentin“ u. v. a.

Claudia Urbschat-Mingues spricht „Madeline Usher“

Nach ihrem Schauspielstudium an der Hochschule für Musik und Theater in Hannover spielte Claudia Urbschat-Mingues an verschiedenen Theatern, u. a. an der Neuen Bühne Senftenberg und am Metropol Theater Berlin. Im Bereich TV und Film wirkte sie an diversen Kurz- und Fernsehfilmen mit und war in Episodenrollen in den Serien „Die Wache“ und „Verbotene Liebe“ zu sehen.

Claudia Urbschat-Mingues ist die dt. Stimme von Angelina Jolie z. B. in „Alexander“, außerdem von Lily Taylor in „Das Geisterschloss“, Jennifer Garner in „Elektra“, Denise Richards in „James Bond – Die Welt ist nicht genug“, Mira Sorvino in „The Replacement Killers“, Rachel Weisz in „Sunshine – Ein Hauch von Sonnenschein“, Vanessa Williams in „Dance with me“ u. v. a.

Kaspar Eichel spricht „Briggs“

Der gebürtige Berliner Kaspar Eichel war nach seiner Schauspielausbildung an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch u. a. am Theater Senftenberg, dem Theater am Kurfürstendamm, dem Berliner Kriminaltheater und dem Deutschen Theater in Berlin zu sehen. Im Fernsehen trat er in vielfältigen Rollen verschiedenster Serien hervor, u. a. in „Tatort“, „Polizeiruf 110“, „Alarm für Cobra 11“, „Der Hauptmann von Köpenick“, „Der letzte Zeuge“, „Im Namen des Gesetzes“. Im Bereich Synchron leiht Kaspar Eichel seine Stimme Fred Astaire in „Flammendes Inferno“, James Doohan als ‚Scotty‘ in den neuen Szenen der DVD-Veröffentlichung der „Star Trek“-Filme, Jon Voight in „Zoolander“, Ron Rifkin als ‚Arvin Sloane‘ in „Alias – Die Agentin“ u. v. a.

_Handlung_

Philip Belfield ist einer Einladung seines Jugendfreundes Roderick Usher gefolgt und nähert sich dem düsteren Gebäude, durch dessen Fassade sich ein feiner Riss zieht. Der Herrensitz ist von einem Sumpf und einem schwarzen See umgeben und nur über einen Dammweg zu erreichen. Die schwermütige Gegend verheißt nichts Gutes, aber noch ist Philip guter Dinge.

Der einzige Diener, Briggs, weiß seltsamerweise nichts von Ushers Einladung, lässt Philip aber trotzdem ein. Die Halle des Herrensitzes ist still und dunkel, nicht einmal eine Uhr tickt, und von Usher ist nichts zu sehen. Da taucht eine schöne junge Frau auf: Es ist Lady Madeline, die Zwillingsschwester Rodericks. Sie erkennt Philip zunächst nicht, denn es ist bereits 15 Jahre her, dass er ein enger Freund der Familie Usher war. Sie hofft, er werde sie wegbringen aus diesem „Haus des Todes“, in dem die Zeit nicht so vergehe, wie man es gewohnt sei. Sie warnt ihn vor Lügen und der Krankheit ihres Bruders. Dann bringt Briggs Philip nach oben …

Das Gemütsleiden Roderick Ushers, des Letzten seines Geschlechts, hat seine Sinne unglaublich verfeinert, so dass jede Sinneswahrnehmung für ihn Marter bedeutet. Daher sind alle Vorgänge zugezogen, jeder Laut ist gedämpft, und es brennt keine einzige Kerze. Erst nach einer Weile, als sich seine Augen angepasst haben, erkennt Philip in der Düsternis Rodericks ausgemergeltes Gesicht und erschrickt. Der eigentliche erst 30 Jahre alte Mann sieht aus wie der Tod. Er sagt, er freue sich aufs Sterben wie auf eine Erlösung. Aber er warnt Philip vor dem Wahnsinn seiner Schwester Madeline.

Lady Madeline taucht nachts in Philips Zimmer und führt ihn in den Keller, um ihm etwas zu zeigen: Es sind die Katakomben des Herrensitzes. In einem riesigen Saal sieht man in Nischen in den Wänden Hunderte von Särgen liegen – Generationen von Ushers. Die Gruft liegt unterhalb der Oberfläche des Sees, der gegen ihre Mauern drückt. In zwei der Nischen stehen bereits die Särge für Madeline und Roderick bereit. Philip findet dies höchst makaber.

Das ist aber noch gar nichts. Madeline vertraut ihm an, dass alle Ushers in direkter Linie von ihren Vorfahren abstammen und dies allein durch Inzucht. Auch sie selbst hätte ihren Bruder heiraten und mit ihm Kinder haben sollen. Kein Wunder, dass sich manche Ushers im Sumpf oder im See selbst töteten, als durch Inzucht weitere Missgeburten in die Welt zu setzen. Wenn es nach Madeline geht, so soll die Linie mit ihr und Roderick aussterben. Als Roderick plötzlich erscheint, fällt Madeline in Ohnmacht. Er trägt sie nach oben.

Tage vergehen. An einem Regentag teilt Roderick seinem Jugendfreund mit, dass Madeline gestorben sei. Ohne geistlichen Beistand wird die Schönheit im vorbereiteten Sarg bestattet. Roderick ruft die Toten an, sie wohlgesinnt aufzunehmen und zu beschützen, hat es aber auf einmal sehr eilig, den Sargdeckel zu schließen. „Fort von hier! Schnell!“

Was Philip so seltsam vorkam, enthüllt sich schon bald als wohlbegründet. Als ein Sturm heraufzieht und ein irisierendes Licht über dem See liegt, bemächtigt sich Philips eine panische Beklemmung. Durch Vorlesen eines Ritterromans versucht er, diese Stimmung zu vertreiben, doch vergeblich. Auf einmal zerreißt ein grässlicher Schrei die Todesstille im Gebäude: „Roderick, ich lebe, lass mich nicht allein!“ …

_Mein Eindruck_

Die Gothic-Autoren hatten eine Vorliebe für alte Geschlechter und uralte Gebäude. Das fing schon mit dem ersten Roman an: „Die Burg von Otranto“ von Hugh Walpole aus dem Jahr 1764 trägt das Motiv sogar in seinem Titel. Doch Edgar Allan Poe war der erste Schriftsteller, der diese Vorliebe in einen direkten kausalen Zusammenhang mit den Menschen setzte. Das ‚Haus‘ Usher meint sowohl das Geschlecht der Ushers als auch ihren Stammsitz als Gebäude. Geht das eine unter, so auch das andere.

Als Roderick und Madeline sterben, beginnt auch das Gebäude zu wanken, denn wahrscheinlich bricht der See nun in die Katakomben ein. Philip sucht schleunigst das Weite, als er sieht, dass sich der Riss, der sich, wie er beim Kommen sah, durch die Fassade zieht, rasend schnell verbreitet. Mit knapper Not entkommt er über den Dammweg, als das ganze verfaulte ‚Haus‘ in die Tiefen des schwarzen Sees versinkt.

|Der Fluch|

Die Frage ist jedoch, warum die beiden letzten Angehörigen des Geschlechtes von Usher sterben müssen. Dies ist die zentrale Frage, die jeder Leser oder Hörer für sich beantworten muss. Beide fühlen die Last der vielen Generationen, die sie jeden Tag durch einen einfachen Besuch der Gruft direkt vor sich sehen können. Madeline erzählt, dass Bruder und Schwester von Kindesbeinen mit dem Tod vertraut gewesen seien. Der Tod hatte nichts Schreckliches für sie, daran kann es also nicht gelegen haben.

Es kann auch nicht der Fluch sein, den sie sich durch Generationen der Inzucht vielleicht zugezogen haben. Denn sie selbst haben den Inzest nie begangen, wenn man ihnen glauben darf, obwohl beide einander wertschätzen. Ihr Erbe ist auf Seiten Madelines eine zunehmende Hinfälligkeit – ein häufiges Motiv bei Poe – sowie wiederkehrender Starrkrampf und seitens Rodericks eine übersteigerte Verfeinerung aller Sinne. Diese „Familienkrankheit“ führte dazu, dass er sich praktisch lebendig begraben hat, um nicht mehr leiden zu müssen. Lebensfreude bedeutet für ihn Todesqualen. In einem sehr realen Sinn ist das Haus also ein gigantischer Sarg.

Deshalb ist es nur eine Konsequenz aus seinem Wahn, diese Disposition in die Tat umzusetzen: Er bestattet Madeline nach einem ihrer Katalepsieanfälle in ihrem für sie vorbereiteten Sarg. Doch Roderick kann mit seinem superfeinen Gehör genau ihren äußerst langsam gehenden Atem hören. Dennoch schließt er den Sargdeckel und wartet, bis seine Schwester wieder erwacht …

|Leitmotive|

Zur Erbsünde des Inzests kommt also das Verbrechen der fahrlässigen Tötung hinzu. „Diese Familie muss aufhören zu existieren“, bekräftigt er immer wieder. Er ähnelt dem Ritter Everett in dem Roman, den Philipp vorliest. Der Ritter muss einen Drachen vor einem goldenen Palast erschlagen, wohl um eine Jungfrau zu retten. Der Drache, das sind die Generationen von Ahnen, und der goldene Palast ist die Erlösung durch den Tod – oder die Unschuld, die mit der Buße einhergeht. Wer die Jungfrau ist, dürfte klar sein: Madeline. Nur dass diese, als sie an Rodericks Türschwelle erscheint, wie eine Furie erscheint, die mehr Ähnlichkeit mit einem Drachen hat. Aber das sind nur Äußerlichkeiten. Als die beiden Geschwister aufeinander treffen, bedeutet das den Tod für beide.

Das Motiv des Scheintodes und des Lebendig-begraben-werdens kommt unzählige Male bei Poe vor. Das gilt auch für das Motiv der Rückkehr aus dem Reich der Toten. Aber selten wurden beide Motive so stilistisch glänzend und dramaturgisch wirkungsvoll miteinander verbunden wie in dieser klassischen Erzählung. Es ist auch ein Plädoyer für die Befreiung von der Last der Generationen, zumal von inzestuösen Generationen. Darin deckt sich die Aussage der Story mit der Ideologie Amerikas: Befreiung von den Altlasten Europas mit seinen Monarchien und dekadenten Herrscherhäusern (Poe lebte selbst als Junge an einer englischen Privatschule!) und Aufbruch in eine neue Welt, wo ein neues Eden aufgebaut werden kann. Deshalb muss Philip, der anfangs frohgemute Außenstehende, unbedingt entkommen statt in den Untergang mitgerissen zu werden.

|Zum fehlenden Gedicht|

In dieser Hörspielfassung ist das sechsstrophige Gedicht „Das verwunschene Schloss“ (im Original „The Haunted Palace“) nicht enthalten. Es bildet innerhalb der Erzählung eine Erweiterung der Bedeutungsebenen. Der Palast steht im Land des Königs „Gedanke“ und ist zunächst wunderschön. Doch in Gestalt der Sorge erobert „wildes Volk“ den Herrschersitz und alle Schönheit und Pracht schwindet, um bizarren Anblicken Platz zu machen. Aus einem freundlichen Lächeln wird so wahnhaftes Lachen.

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Zunächst sind es die Sprecher, die über den Text den Hörer darüber aufklären, was geschieht. Dies gelingt den geübten Schauspielern ausgezeichnet, insbesondere Tobias Kluckert porträtiert Roderick Usher unnachahmlich gut. Auch „Lady Madeline“ schlägt den Zuhörer in ihren Bann, was besonders gut in der Szene in den Katakomben gelingt.

|Die Musik|

All dies würde aber nur halb so gut wirken, wenn es nicht auch die Musik und die Geräusche gäbe. Jeder, der schon einmal Alan Parsons‘ Platte [„Tales of Mystery and Imagination“]http://www.powermetal.de/review/review-11727.html gehört hat, erinnert sich sofort an die unheimlichen Klänge, die auf der zweiten Seite der Platte erklingen und die das eigentliche Grauen heraufbeschwören: die Wiederkehr der Totgeglaubten aus der Gruft. Die Ähnlichkeit der Hörspielmusik mit dem Vorbild Alan Parsons ist unverkennbar und beginnt bereits mit dem Intro, von der Hintergrundmusik ganz zu schweigen. Aber es kommen auch eigene Piano- und Oboekompositionen hinzu. Sehr schön ist der Sopran im Klagegesang für Lady Madeline.

Es wäre interessant zu erfahren, wer sich diesen tollen Score für das Hörspiel hat einfallen lassen und wer das Orchester war, das ihn eingespielt hat. Das Booklet verrät nur, dass die Aufnahme durch das Studio |AudioCue| erfolgte.

|Die Geräusche|

Die Geräusche sind ebenfalls sehr wichtig, denn sie verbürgen dem Zuhörer die Authentizität des Geschehens, so als befände man sich in einem Film. Deshalb hören wir also am Anfang das Hufgetrappel und Wiehern von Philips Pferd, das Quaken der Frösche im Sumpf und das Heulen und Stöhnen des Windes. Während draußen der See rauscht, herrscht jedoch im Schlossinneren Todesstille – bis auf einen seltsamen Laut: Nach etwas Hinhören stellt es sich als Herzschlag heraus …

Zu dieser unheimlichen Atmosphäre trägt auch das wiederkehrende Hauchen bei, das von einem Geist stammen könnte. Wir hören es erstmals in der Gruft, wenn die beiden Figuren von den Särgen der Usher-Ahnen umgeben sind. Es gibt noch weitere, nur unterschwellig wahrgenommene Geräusche, so etwa das unaufhörliche Seufzen des Windes, das Glucksen des Sees an den Mauern der Gruft und natürlich der Herzschlag. Als der Sturm heraufzieht, ist ein sehr tiefer Bass zu vernehmen, der Bedrohung verkündet. Den Höhepunkt bildet das Finale, in dem der Tonmeister sämtliche Register zieht, um maximale Wirkung zu erreichen.

_Unterm Strich_

Mir hat das Hörspiel sehr gut gefallen. In seiner Storyline unterscheidet es sich beträchtlich vom Hörspiel, das Lübbe Audio in seiner POE-Serie vorgelegt hat, und der Kenner findet hier eine vorlagengetreuere Fassung. Obwohl man als Poe-Fan schon weiß, wie die Geschichte ausgeht, erzielt die Inszenierung immer noch den gewünschten Effekt, nämlich zwei zentrale Gruselszenen – die erste in der Gruft, die zweite im Finale.

Es mag so manchem Neuling bizarr und surreal anmuten, wenn einer der Beteiligten im Finale aus einer Rittergeschichte zu zitieren beginnt, während das Verhängnis naht. Doch das ist ja die Crux der letzten beiden Ushers: Die Last der heroisch verklärten Vergangenheit, wie sie im Ritterepos noch hochgehalten und kolportiert wird, ist zu einem genetischen Fluch geworden, dessen Opfer sie nun – ziemlich willig sogar – werden.

Dass Roderick noch ein bisschen nachgeholfen hat, kann man nur verstehen, wenn man bedenkt, dass er eh schon seit langem lebendig begraben ist, sich aber keinesfalls von seiner innig – wenn auch hoffentlich keusch – geliebten Schwester trennen will. Mit der Ankunft des Zeugen in Gestalt von Philip ahnt Madeline bereits, was auf sie zukommt und versucht dem Zeugen klar zu machen, worin der Fluch und das Vermächtnis der Ushers besteht.

Am Schluss wird die ganze Story stark gerafft, denn in der Vorlage nimmt der Schwulst für das Empfinden des heutigen Lesers bzw. Hörers doch recht überhand. Diese Raffung auf das Notwendigste bedeutet für den Hörer, dass er ganz genau zuhören muss, was passiert und gesagt wird. Aber eine CD bietet ja die Gelegenheit, diese Szene immer wieder zu hören.

Es lohnt sich ja auch schon von der tollen Inszenierung her. Während die Musik mich an die Interpretation von Alan Parsons erinnert hat, so versuchen die Sprecher doch eine eigenständige, aber rollengerechte Interpretation ihrer Figuren. Das gelingt ihnen ausgezeichnet. Übrigens ist Lady Madeline in der Story gar nicht so prominent, sondern bleibt viel im Hintergrund, alldieweil sie ja sterbenskrank ist. (Der Arzt wurde ebenfalls gestrichen.) Man sieht also im Vergleich mit anderen Verarbeitungen dieses klassischen Stoffes, dass die |Titania|-Fassung den Hörer nicht überfordert und die Rolle der Frau im Stück den heutigen Erwartungen anpasst. Madeline bildet mit Roderick ein dynamisches Duo. Das habe ich in Poes Vorlage so überhaupt nicht gefunden, aber es wirkt sich in dem vorliegenden Hörspiel dramaturgisch vorteilhaft aus.

|Originaltitel: The Fall of the House of Usher, 1845
60 Minuten auf 1 CD|
http://www.titania-medien.de

_Das |Gruselkabinett| auf |Buchwurm.info|:_

[„Carmilla, der Vampir“ 993 (Gruselkabinett 1)
[„Das Amulett der Mumie“ 1148 (Gruselkabinett 2)
[„Die Familie des Vampirs“ 1026 (Gruselkabinett 3)
[„Das Phantom der Oper“ 1798 (Gruselkabinett 4)
[„Die Unschuldsengel“ 1383 (Gruselkabinett 5)
[„Das verfluchte Haus“ 1810 (Gruselkabinett 6)
[„Die Totenbraut“ 1854 (Gruselkabinett 7)
[„Spuk in Hill House“ 1866 (Gruselkabinett 8 & 9)
[„Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ 2349 (Gruselkabinett 10)
[„Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11)
[„Frankenstein. Teil 1 von 2“ 2960 (Gruselkabinett 12)
[„Frankenstein. Teil 2 von 2“ 2965 (Gruselkabinett 13)
[„Frankenstein. Teil 1 und 2“ 3132 (Gruselkabinett 12 & 13)
[„Die Blutbaronin“ 3032 (Gruselkabinett 14)
[„Der Freischütz“ 3038 (Gruselkabinett 15)
[„Dracula“ 3489 (Gruselkabinett 16-19)
[„Der Werwolf“ 4316 (Gruselkabinett 20)
[„Der Hexenfluch“ 4332 (Gruselkabinett 21)
[„Der fliegende Holländer“ 4358 (Gruselkabinett 22)
[„Die Bilder der Ahnen“ 4366 (Gruselkabinett 23)
[„Der Fall Charles Dexter Ward“ 4851 (Gruselkabinett 24/25)
[„Die liebende Tote“ 5021 (Gruselkabinett 26)
[„Der Leichendieb“ 5166 (Gruselkabinett 27)
[„Der Glöckner von Notre-Dame“ 5399 (Gruselkabinett 28/29)
[„Der Vampir“ 5426 (Gruselkabinett 30)
[„Die Gespenster-Rikscha“ 5505 (Gruselkabinett 31)
[„Jagd der Vampire. Teil 1 von 2“ 5730 (Gruselkabinett 32)
[„Jagd der Vampire. Teil 2 von 2“ 5752 (Gruselkabinett 33)
[„Die obere Koje“ 5804 (Gruselkabinett 34)

Edgar Allan Poe – William Wilson (Folge 32)

_Ein fiese Falle, ein perfider Doppelgänger_

Die Hörspiel-Reihe bringt unter Mitwirkung von Ulrich Pleitgen und Iris Berben, eingebettet in eine Rahmenhandlung, Erzählungen des amerikanischen Gruselspezialisten zu Gehör. Mit „Feeninsel“ beginnt die achte Staffel des großen POE-Epos. Die Vorgeschichte findet man in den vorangegangenen 31 Folgen sowie in dem Roman [„Lebendig begraben“,]http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3404156757/powermetalde-21 erschienen bei |Bastei Lübbe|.

USA um 1850. Der Mann, der sich POE nennt und kein Gedächtnis besitzt, versucht nach den schrecklichen Erlebnissen in New York City, ein neues Leben zu beginnen. Er glaubt, er ist Poe, wer sonst? Sicher ruht auf dem Friedhof von Baltimore ein Namenloser. Nach seiner neuerlichen Gefangennahme, Verurteilung und Inhaftierung im Irrenasyl auf Blackwell’s Island ist es Poe gelungen, zurück nach Manhattan zu entkommen. Dort trifft er seine Beinahegattin Leonie Goron wieder und nimmt sich vor, seine wahre Identität von seinem Verleger Graham bestätigen zu lassen. Doch das erweist sich als schwieriger als gedacht …

Die |Edgar Allan Poe|-Serie von |STIL| bei |Lübbe Audio|:

#1: [Die Grube und das Pendel 1487
#2: [Die schwarze Katze 755
#3: [Der Untergang des Hauses Usher 761
#4: [Die Maske des roten Todes 773
#5: [Sturz in den Mahlstrom 860
#6: [Der Goldkäfer 867
#7: [Die Morde in der Rue Morgue 870
#8: [Lebendig begraben 872
#9: [Hopp-Frosch 1906
#10: [Das ovale Portrait 1913
#11: [Der entwendete Brief 1927
#12: [Eleonora 1931
#13: [Schweigen 3094
#14: [Die längliche Kiste 2510
#15: [Du hast’s getan 2518
#16: [Das Fass Amontillado 2563
#17: [Das verräterische Herz 2573
#18: [Gespräch mit einer Mumie 3178
#19: [Die Sphinx 3188
#20: [Scheherazades 1002. Erzählung 3202 (auch: Die 1002. Erzählung)
#21: [Schatten 3206 (ursprünglicher Titel: Die Scheintoten)
#22: [Berenice 4394
#23: [König Pest 4408
#24: [Der Fall Valdemar 4420
#25: [Metzengerstein 4471
#26: [Die Flaschenpost 4946
#27: [Landors Landhaus 4966
#28: [Der Mann in der Menge 5000
#29: [Der Kopf des Teufels 5089

Achte Staffel (11/2008):

#30: [Feeninsel 5540
#31: [Teer und Federn 5569
#32: William Wilson
#33: Morella

_Der Autor_

Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.

1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital.

Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten.

Mehr von und über Edgar Allan Poe auf |Buchwurm.info|:

[„Faszination des Grauens 554“]
[„Edgar Allan Poes Meistererzähler“ 4832 (Hörbuch)
[„Der Untergang des Hauses Usher“ 2347 (Gruselkabinett 11, Hörspiel)
[„Der Doppelmord in der Rue Morgue“ 2396 (Hörbuch)
[„Der Streit mit der Mumie“ 1886 (Hörbuch)
[„Die Brille“ 1885 (Hörbuch)
[„Mythos & Wahrheit: Edgar Allan Poe. Eine Spurensuche mit Musik und Geräuschen“ 2933
[„Visionen“ 2554

_Die Sprecher/Die Inszenierung_

Ulrich Pleitgen, geboren 1946 in Hannover, erhielt seine Schauspielerausbildung an der Staatlichen Hochschule für Musik und Theater in seiner Heimatstadt. Pleitgen wurde nach seinen Bühnenjahren auch mit Film- und Fernsehrollen bekannt. Er hat schon zahlreiche Hörbücher vorgelesen und versteht es, mit seinem Sprechstil Hochspannung zu erzeugen und wichtige Informationen genau herauszuarbeiten, ohne jedoch übertrieben zu wirken. In der POE-Reihe interpretiert er den Edgar Allan Poe und andere Figuren.

Iris Berben gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen hierzulande. Ihr Repertoire umfasst Krimis („Rosa Roth“) ebenso wie Komödien und klassische Werke. Für ihre Leistungen wurde sie unter anderem mit dem |Bambi| und mit der |Goldenen Kamera| ausgezeichnet. In der POE-Serie interpretiert sie die weibliche Hauptrolle Leonie Goron und andere Figuren.

Edgar Allan Poe: Ulrich Pleitgen
Leonie Goron: Iris Berben
Rick Ellis: Tilo Schmitz (Ving Rhames, Michael Clarke Duncan)
Griswold: Friedrich Georg Beckhaus (Robert Duvall, Klaus Kinski, Sir Ian Holm)
Mr. Graham: Matthias Klages (Thomas Gibson in „Chicago Hope“, John Allen Nelson in „24“)
Mr. White: Detlef Bierstedt (dt. Stimme von George Clooney)
Glendinning: Bodo Wolf (Christopher Walken, William H. Macy, Robin Williams)
Und andere.

Der deutsche Prolog wird von Heinz Rudolf Kunze vorgetragen, der englische von Giuliana Ertl, die Ansage erledigt André Sander. Die deutsche Hörspielfassung stammt von Melchior Hala nach einer Idee von Marc Sieper, Dicky Hank und Thomas Weigelt. Für Regie, Musik und Ton waren Christian Hagitte und Simon Bertling vom |STIL|-Studio verantwortlich.

_Vorgeschichte_

Ein Mensch ohne Namen. Und ohne jeden Hinweis auf seine Identität. Das ist der Fremde, der nach einem schweren Unfall bewusstlos in die Nervenheilanstalt des Dr. Templeton eingeliefert und mittlerweile entlassen wurde. Diagnose: unheilbarer Gedächtnisverlust. Er begibt sich auf eine Reise zu sich selbst. Es wird eine Reise in sein Unterbewusstsein, aus dem schaurige Dinge aus der Vergangenheit aufsteigen. Woher kommen sie? Was ist passiert? Was hat er getan?

Schon 31 Stationen hat der Fremde durchwandert, stets begleitet von Alpträumen. Nach einem Aufenthalt in einem Gasthaus begibt sich der Fremde ohne Gedächtnis auf eine Seereise, die ihn zunächst nach New Orleans führt. Aus einem Schiffswrack rettet er eine schöne Landsmännin, Leonie Goron. Sie weist ihn darauf hin, dass man ihm möglicherweise nach dem Leben trachtet. Nur zu wahr, denn auf der letzten Station vor dem Ziel New Orleans muss sie ihm das Leben retten. Selbst in der großen Stadt bleibt Poe nicht von Alpträumen nicht verschont. Doch er findet etwas über seine und Leonies Vergangenheit heraus und welche finstere Rolle Dr. Templeton als Francis Baker darin spielt.

_Handlung_

Nachdem er von Blackwell’s Island – wieder einmal – entkommen ist, besucht Poe seine alte Anlaufstelle, den Wirt Rick Ellis im Gasthaus Madame Lovells. Rick verarbeitet zwar Menschenfleisch zu seinen hervorragenden Pasteten, doch Poe lässt Nachsicht gelten: Rick soll ihm ein Versteck besorgen, denn garantiert werden ihn die Behörden suchen. Rick weiß das optimale Etablissement: eine Gruft auf dem Friedhof von Kingstead. Gerade noch rechtzeitig kann sich Poe vor dem Journalisten Griswold verbergen, mit dem er schon negative Bekanntschaft geschlossen hat („Die Flaschenpost“). Der Typ hielt Poe für einen Hochstapler.

|Griswold|

Die Gruft ist „hübsch“ und hält sogar eines von Poes eigenen Werken bereit, das sein Vorgänger hier vergessen hat. In diesem Buch findet Poe seine eigene Kurzbiografie abgedruckt. Da kommt ihm die zündende Idee: Wenn er doch jemanden braucht, der ihm seine wahre Identität als Poe bestätigen kann, dann doch sein Verleger, Mr. Graham! Wieder bei Rick, trägt er seine Idee vor, doch diesmal wird er von Griswold entdeckt. Dieser bietet wider Erwarten seine Hilfe bei dem Unterfangen an und will den Verleger, den er persönlich kenne, mit Poe zusammenbringen.

|Mr. White|

Am nächsten Morgen trifft Poe vor dem Verlagshaus allerdings keinen Griswold. Auch Mr. Graham sei schon weg, lügt die Pförtnerin. Doch der Cheflektor, Mr. White, werde Poe sicher empfangen. Mr. White ist ein freundlicher und großherziger Mann, wie Poe erfreut feststellt. Vielleicht wendet sich doch noch alles zum Guten. White führt einige Prüfungen durch, darunter der Vergleich von Poes Profil mit einem der Schattenrisse, die White seinerzeit selbst angefertigt hat. Die Schattenrisse der Autoren hängen in Whites geheimem Privatraum, der hinter einem Regal versteckt ist. Als White verspricht, Poe mit Graham zusammenzubringen, geht Poe wie auf Wolken der Glückseligkeit zurück zu Rick. Es wird gefeiert.

|Das Versteck|

Am nächsten Morgen erscheint Poe zur verabredeten Zeit in Grahams Büro und stellt sich der Gestalt, die in einem Stuhl am Fenster sitzt, als Edgar Allan Poe vor. Doch die Gestalt, die abgewandt dasitzt, rührt sich nicht und sagt nichts. Es ist der tote Mr. White! Als er Stimmen kommen hört, versteckt sich Poe flugs in Whites Geheimzimmer hinter dem Bücherregal. Es ist tatsächlich Mr. Graham, allerdings auch Mr. Griswold. Poe zögert, sich aus seinem Versteck hervor zu wagen. Zu seinem Glück. Denn was die zwei sauberen Gentlemen sich zu sagen haben, lässt Poe das Blut in den Adern gefrieren: Er ist in eine teuflische Falle getappt …

_Mein Eindruck_

So weit also die vordergründige Story, die die Suche um Poes Identität wirklich eine gutes Stück weiterbringt. Typisch ist wieder mal der vehemente Stimmungsumschwung zwischen Glückseligkeit und tiefstem Unglück. Unter diesen Wechselfällen des Schicksals hatte Poe ja schon viele Male zu leiden. Dennoch lässt er es sich nicht nehmen, immer wieder von Neuem an sein Glück zu glauben.

Das unvermittelte, erneuerte Auftauchen Griswolds sollte uns stutzig machen. Was hat er hier in New York City zu suchen? Zuletzt sahen ihn Poe und Leonie draußen an der Küste in einem einsamen Gasthof (in „Die Flaschenpost“). Könnte es sich bei Griswold um jenen Schatten handeln, der von Dr. Templeton dabei beobachtet wurde, wie er ihr und ihrem Diener nachschlich (in „Feeninsel“)? Das würde Griswold ein weitaus größere Bedeutung zuweisen, als bislang deutlich geworden ist.

|Der Traum|

Der Grund, warum diese Folge „William Wilson“ betitelt ist, hat jedoch offenbar nichts mit Poes Besuch im Verlag zu tun, sondern vielmehr mit seinem Traum von einem Doppelgänger, eben jenem titelgebenden William Wilson. Der Träumer lernt ihn im Internat kennen und wundert sich: Der Junge heißt genauso wie er selbst. Während des Studiums treibt sich der Träumer in Lasterhöhlen herum, doch der andere Wilson taucht immer wieder auf, um ihm Streiche zu spielen.

Der Träumer entwickelt sich zu einem Meister im Ecarté-Spiel und droht in einem entscheidenden Spiel, Lord Glendinning zu ruinieren. Da taucht der Andere erneut auf, wenn auch vermummt bis über die Nase, und entlarvt das „Original“ als Falschspieler. Doch selbst als der Träumer bis nach Venedig reist und sich beim Karneval an eine liebliche Signorina heranmacht, kann er seinem Doppelgänger nicht entgehen, der sich auch diesmal wieder als Spielverderber zu betätigen versucht. Es kommt zu einem Degenduell, das über Leben und Tod entscheidet. Wer siegt, soll hier nicht verraten werden.

Einen Traum als Plot-Device zu verwenden, ist den Machern der Serie schon etliche Male eingefallen, doch in letzter Zeit haben sie selten zu diesem Stilmittel gegriffen. Umso mehr überrascht es nun und wirkt ein wenig wie die Holzhammermethode, um bei der Hauptfigur die epochale Erkenntnis herbeizuführen, dass ja auch seine Familie über seine Identität Zeugnis ablegen könnte. Potztausend, warum ist er nicht schon früher darauf gekommen? Das fragt sich allerdings auch der Hörer und wundert sich.

_Die Inszenierung_

|Die Sprecher|

Pleitgen spielt die Hauptfigur, ist also in jeder Szene präsent. Er moduliert seine Stimme ausgezeichnet, um das richtige Maß an Entsetzen, Erstaunen oder Neugier darzustellen. Aber Poe kann auch sehr pragmatisch agieren, und Pleitgen weiß die scharfe Beobachtungsgabe seiner Hauptfigur wie auch dessen Hinterlist ebenso glaubwürdig darzustellen. Sein Poe ist kein hilflos durch die Gassen torkelnder Somnambuler, sondern ein hellwacher Geist, der nur ab und zu unter ein paar Bewusstseinstrübungen leidet, die ihn in Gestalt von Träumen heimsuchen. Diese Träume, so erkennt er schließlich, sind Erinnerungen an seine eigenen Erzählungen.

Die Nebenfiguren sind wenig bemerkenswert, bis auf den Sprecher des Mr. White vielleicht. Detlef Bierstedt, sonst als deutsche Stimmbandvertretung von George Clooney im Einsatz, verleiht Mr. White eine flexible und glaubwürdige Erscheinung. Denn es gilt ja, eine ganze Menge Fragen zu beantworten und Mr. White in kürzester Zeit zu charakterisieren. Wie kann es sich dieser Lektor leisten, in seinen Büroräumen ein Geheimzimmer einzurichten und vor seinem Chef zu verbergen? Warum fertigt er von seinen Autoren Scherenschnitte an und keine Fotos? (Es gab damals ja bereits Daguerreotypien – vielleicht waren sie noch zu teuer.)

Sehr gut gefiel mir Tilo Schmitz in der Rolle des Wirtes Rick. Sein Name gemahnt ja an Rick’s Café in dem Filmklassiker „Casablanca“. Kein Wunder, dass bei ihm alle möglichen Flüchtlinge vorbeischauen, so etwa auch Poe. Rick hat seine eigenen Geheimnisse, so etwa seine berühmt-berüchtigten Fleischpasteten aus menschlichem Ursprungsmaterial. (Siehe dazu Folge 21 „Schatten“).

|Geräusche|

Der Sound liegt im Format PCM-Stereo vor, wie mir mein DVD-Spieler angezeigt hat, und klingt glasklar. Mindestens ebenso wichtig wie die Sprecher sind bei den POE-Produktionen auch die Geräusche und die Musik. Hut ab vor so viel Professionalität! Die Arbeit des Tonmeisters beim Mischen aller Geräusche ist so effektvoll, dass man sich – wie in einem teuren Spielfilm – mitten im Geschehen wähnt.

Die Geräuschkulissen sind entsprechend lebensecht und detailliert gestaltet. Aber sie werden nur ganz gezielt dort eingesetzt, wo sie einen Sinn ergeben. Wiederholt ist eine Glocke zu hören, sei es nun von einer Turmuhr (bitte die Schläge zählen – ein wichtiger Hinweis), oder auf dem Friedhof.

Diese untere Schicht von Geräuschen wird von der Musik ergänzt, die eine emotionale Schicht einzieht. Darüber erst erklingen die Stimmen der Sprechen: Dialoge, aber auch Rufe und sogar Schreie. Durch diese Klang-Architektur stören sich die akustischen Ebenen nicht gegenseitig, sind leichter aufzunehmen und abzumischen. Das Ergebnis ist ein klares Klangbild, das den Zuhörer nicht von den Informationen, die es ihm liefert, ablenkt.

|Musik|

Die Musik erhält eine wichtige Bedeutung: Sie hat die Aufgabe, die emotionale Lage der jeweiligen Hauptfigur und ihres Ambientes darzustellen. Allenthalben ist Poes musikalisches Leitmotiv zu hören sowie der Chor „Dies illa, dies irae“, der das Verhängnis – „jenen Tag des Zorns“ – ankündigt. Hinzukommen sehr tiefe, unheilvoll und bedrohliche wirkende Bässe. Sie werden von diversen elektronisch erzeugten Sounds ergänzt, die ich einfach mal der Musik zuschlage. Zur Abwechslung gibt es ein paar flotte Passagen, so etwa in der finalen Fechtszene des Traums.

Ein Streichquartett und Musiker des Filmorchesters Berlin wirken zusammen, um eine wirklich gelungene Filmmusik zu den Szenen zu schaffen. Das Booklet führt die einzelnen Teilnehmer detailliert auf, so dass sich niemand übergangen zu fühlen braucht. An der Musik gibt es absolut nicht auszusetzen. Für die jüngere Generation mag sie aber zu klassisch orientiert sein. Rockige Klänge finden Jüngere eher in |LPL|s „Offenbarung 23“ oder „Jack Slaughter“.

|Der Song|

Jede Folge der Serie wird mit einem Song abgeschlossen, und in jeder Staffel gibt es einen neuen Song. Diese Staffel enthält den Song „You see“ von der deutschen Gruppe |[Elane.]http://www.powermetal.de/review/review-12848.html |Die Stilrichtung entspricht einem weiterentwickelten Celtic Folk Rock, wie er von der Gruppe |Clannad| in den siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts entwickelt wurde. Auch bei |Elane| wird englische mit gälischer Sprache kombiniert.

Die Musik verbindet Romantik und sehnsuchtsvolle Mystik, was einerseits durch die Instrumentierung, zum anderen durch den mehrstimmigen Frauengesang betont wird. Zu den Instrumenten, die für Folk Rock obligatorisch sind, gehören die akustische Gitarre, die Harfe und die Flöte. Dass Drums, E-Gitarre und E-Bass eine elektrisch verstärkte Rhythmusgruppe bilden, wurde schon von |Clannad| als Standard etabliert. Besonders interessant bei |Elane| ist die Mehrstimmigkeit.

Ich konnte zwei tiefe Frauenstimmen ausmachen und eine hohe Frauenstimme, also Alt und Sopran. Die Überlagerungen machen die Harmonien zu einer kniffligen Angelegenheit der gegenseitigen Abstimmung, sonst können leicht Disharmonien oder gar Rhythmusstörungen entstehen. Soweit ich hören könnte, gelingt die Polyharmonie jedoch durchweg einwandfrei – Applaus.

_Unterm Strich_

Auf diese Folge habe ich schon lange gewartet. Sie beruht auf einer frühen Erzählung Poes, und nur wenige Male hat er sich überhaupt mit dem romantischen Thema des Doppelgängers beschäftigt. Umso wichtiger also ist diese Story.

Doch wie enttäuscht war ich von ihrer Umsetzung in dem Hörspiel. Zunächst wird sie als Traum sozusagen ausgelagert, statt in Poes Suche nach Identität eingebettet zu werden. Vielleicht wäre das den Machern zu kompliziert geworden. Das Stilmittel des Traums ist sowohl Poe als auch uns sattsam bekannt, so etwa aus „Das verräterische Herz“. Auch in der nächste Episode „Morella“ wird es eingesetzt, allerdings wesentlich raffinierter, weil der Schläfer nicht zwischen Traum und Wachtraum/Einflüsterung zu unterscheiden vermag.

Diese Episode dient dazu, wieder mal eine Hoffnung Poes auf Bestätigung seiner Identität zu bestätigen und zugleich zu zerschlagen. Und sie lässt Mr. Griswold, den perfiden Nachlassverwalter des historischen Poe, ein weiteres Mal in einer ominösen Rolle auftreten. Ob zwischen ihm und Poe bzw. Leonie eine schicksalhafte Verbindung besteht, muss sich noch erweisen. Aber ich würde nicht darauf wetten. Auf jeden Fall trägt er zu einer spannenden Handlung bei, indem er die Widersacher Poes repräsentiert, die dessen Auferstehung verhindern wollen. Ein toter Dichter ist eben viel lukrativer als ein lebender.

|Das Hörspiel|

Die akustische Umsetzung ist vom Feinsten, und man merkt in jeder Szene, wie viel Sorgfalt die Mitwirkenden und Macher aufgewendet haben, um die Episode reizvoll und stimmungsvoll zu gestalten. Ein Highlight ist für mich die Szene in Mr. Whites Geheimzimmer, in dem Poe von der grausamen Falle erfährt, in die er gelockt worden ist.

|57 Minuten auf 1 CD
ISBN-13: 978-3-7857-3688-3|
http://www.poe.phantastische-hoerspiele.de
http://www.luebbe-audio.de
http://www.elane-music.de