Huldigung an Edgar, mit Überraschungen
Dieses wunderschön aufgemachte Hörbuch bietet auf zwei CDs eine Menge Werke, die von Edgar Allan Poe stammen oder zumindest von ihm inspiriert sind. Auf der ersten CD werden seine Gedichte vorgetragen, auf der zweiten Scheibe erklingen eine Menge interessante und völlig unterschiedliche Musikkompositionen. Ein umfangreiches Booklet liefert jede Menge Informationen, nur eine nicht: Wie lang ist das Hörbuch?
Internationale Schauspieler und Bands feiern Edgar Allan Poe in Wort und Musik. Christopher Lee, L’Âme Immortelle, Iris Berben, FM Einheit, Ulrich Pleitgen, Katharina Franck, Jan Josef Liefers, Alexander Veljanov („Deine Lakaien“), Hannelore Hoger, Subway to Sally, Kai Wiesinger, Secret Discovery, Anna Thalbach, Vince Bahrdt („Orange Blue“), Gudrun Landgrebe, Die Jungen Tenöre, Dietmar Bär, Dero („Oomph!“), Mara Kim und das Berliner Filmorchester. (Verlagsinfo)
Der Autor
Edgar Allan Poe (1809-49) wurde mit zwei Jahren zur Vollwaise und wuchs bei einem reichen Kaufmann namens John Allan in Richmond, der Hauptstadt von Virginia, auf. Von 1815 bis 1820 erhielt Edgar eine Schulausbildung in England. Er trennte sich von seinem Ziehvater, um Dichter zu werden, veröffentlichte von 1827 bis 1831 insgesamt drei Gedichtbände, die finanzielle Misserfolge waren. Von der Offiziersakademie in West Point wurde er ca. 1828 verwiesen. Danach konnte er sich als Herausgeber mehrerer Herren- und Gesellschaftsmagazine, in denen er eine Plattform für seine Erzählungen und Essays fand, seinen Lebensunterhalt sichern.
1845/46 war das Doppeljahr seines größten literarischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs, dem leider bald ein ungewöhnlich starker Absturz folgte, nachdem seine Frau Virginia (1822-1847) an der Schwindsucht gestorben war. Er verfiel dem Alkohol, eventuell sogar Drogen, und wurde – nach einem allzu kurzen Liebeszwischenspiel – am 2. Oktober 1849 bewusstlos in Baltimore aufgefunden und starb am 7. Oktober im Washington College Hospital. (Das Rätsel um seinen Tod wurde jüngst von Matthew Pearl („The Dante Club“) zu einem spannenden Roman verarbeitet.)
Poe gilt als der Erfinder verschiedener literarischer Genres und Formen: Detektivgeschichte, psychologische Horrorstory, Science-Fiction, Shortstory. Neben H. P. Lovecraft gilt er als der wichtigste Autor der Gruselliteratur Nordamerikas. Er beeinflusste zahlreiche Autoren, mit seinen Gedichten und seiner Literaturtheorie insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism vorweg.
Er stellt meines Erachtens eine Brücke zwischen dem 18. Jahrhundert und den englischen Romantikern (sowie E.T.A. Hoffmann) und einer neuen Rolle von Prosa und Lyrik dar, wobei besonders seine Theorie der Shortstory („unity of effect“) immensen Einfluss auf Autoren in Amerika, Großbritannien und Frankreich hatte. Ohne Poe sind Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar Stephen King und Co. schwer vorstellbar. Insofern hat er den Kurs der Literaturentwicklung des Abendlandes maßgeblich verändert.
Die Sprecher und Musiker
Normalerweise würde ich an dieser Stelle den Leser über die Mitwirkenden und Macher informieren. Dies erweist sich angesichts der Fülle dieser Personen als unpraktikabel. Wozu einen Katalog auflisten, nur um dann die Macher bei den Stücken nochmals aufzuzählen? Na, bitte. Ich werde also die 14 Gedichte und 13 Musikstücke in chronologischer Reihenfolge inklusive aller Daten und Eindrücke vorstellen. Das vermeidet Doppelerwähnungen.
Inhalte und Eindrücke, Sprecher und Musiker
Übersicht:
CD 1 (70:29 Min.)
01 Das Berliner Filmorchester: Prelude
02 Ulrich Pleitgen: Der Rabe
03 Kai Wiesinger: Träume
04 Christopher Lee: Ein Traum in einem Traum
05 Anna Thalbach: Lenore
06 Jan Josef Liefers: Der verwunschene Palast
07 Iris Berben: Die Schläferin
08 Dietmar Bär: Die Glocken
09 Hannelore Hoger: An eine im Paradies
10 Gudrun Landgrebe: Brautballade
11 Iris Berben: Ein Traum
12 Dero: Traumland
13 Kai Wiesinger: Der Sieger Wurm
14 Christopher Lee: The Raven
CD 2 (51:42 Min.)
01 L’Âme Immortelle: Dein Herz
02 Alexander Veljanov: Lied für Annabel Lee
03 Matern vs. Die Jungen Tenöre: The Raven
04 Christopher Lee: Elenore
05 Katharina Franck: Ligeia
06 Vince Bahrdt: Ich seh’
07 Secret Discovery: Nur ein Traum
08 Subway to Sally: Finster, Finster
09 Mara Kim: A Dream within a Dream
10 FM Einheit: Der Eroberer Wurm
11 Edgar Allan´s Project: Ich bin nicht wahnsinnig
12 Ronald Stein: Haunted Title / Perfectly Sure End
13 Les Baxter: Popcorn Time
CD1
01 Das Berliner Filmorchester: Prelude. Es ertönt die bekannte Titelmusik der Poe-Hörspielreihe.
Das Berliner Filmorchester ist im Grunde genommen kein Orchester im klassischen Sinne, denn stets stoßen neue Musiker hinzu, und so kommt es zu einem ständigen Wechsel in der jeweiligen Besetzung. Die alleinige Intention des Berliner Filmorchesters ist es, die Produktionen, ob Filmmusik oder Hörspiel – oder wie in diesem Fall die Inszenierung der Gedichte von „Visionen“ -, mit dem Klangkörper eines Philharmonischen Orchesters zu unterstützen. Das BFO ist unter anderem auch zu hören bei den Edgar-Allan-Poe- oder Perry-Rhodan-Hörspielen, hier aber auch als musikalische Unterstützung der Titel von L’Âme Immortelle, Christopher Lee (Elenore), Mara Kim und Katharina Franck.
02 Ulrich Pleitgen: Der Rabe
Ulrich Peitgen wurde 1946 in Hannover geboren und machte dort eine Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater. Er war 20 Jahre lang einer der renommiertesten deutschen Bühnendarsteller, bevor er sich Ende der 80er Jahre ganz dem Film und Fernsehen verschrieb. 1994 wurde er mit dem Bambi ausgezeichnet. In der Edgar-Allan-Poe-Hörspielserie übernimmt Ulrich Pleitgen die Rolle des Poe.
„Der Rabe“, vorgetragen in der Fassung von Hans Wollschläger, ist Poes wichtigstes und einflussreichstes Gedicht. (Deshalb ist es hier auch in der englischen Originalfassung nochmals vertreten.) Zahlreiche Themen aus Poes Werk sind darin vertreten, z. B. die Vergänglichkeit von Liebe und Leben im Angesicht des unausweichlichen Endes.
Wir hören Glocken läuten und klagende Geigen, während Pleitgen die Situation des Ich-Erzählers, eines Studenten, zum Leben erweckt. Poe erinnert sich auflachend und heiter an die Glücksmomente mit seiner verstorbenen Lenore. Dramatisch wird’s jedoch, als ein Pochen an der Tür zu vernehmen ist und niemand dort steht. Stattdessen stolziert ein schwarzer und sehr ominöser Vogel über die Fensterbank und flattert auf die Büste von Pallas Athene über der Tür.
Doch befragt nach seinem Namen und allem anderen, spricht der Rabe nur ein einziges Wort: „Nimmermehr!“ Und dies in einem so unerbittlichen Tonfall, dass es einem kalt den Rücken hinunterläuft. Die Verkörperung des Todes negiert sämtliche Hoffnung auf Liebe, Wiedersehen im Himmel, Errettung und Befreiung von ihm selbst. Ein ewiger Schatten, unter dem Poes Seele fortan leider muss. In einem langen Ausklingen erktönen die melancholischen Streicher, ein Summ-Chor und ein Piano. Mit 14 Minuten ist Pleitgens beeindruckender Beitrag der längste der Produktion.
03 Kai Wiesinger: Träume
Kai Wiesinger wurde am 16. April 1966 in Hannover geboren. Der deutsche Schauspieler begann seine Karriere auf Theaterbühnen, bevor er zu Film und Fernsehen kam. Dort war das Multitalent in Erfolgsfilmen wie „Stadtgespräch“ und „Der bewegte Mann“ zu sehen. Internationale Filmerfahrung sammelte er unter anderem an der Seite von Robert Mitchum.
Das wehmütige Gedicht über die Vergeblichkeit und Notwendigkeit des Träumens wird begleitet von einem Piano, doch gleich darauf kommt das Geräusch von Wind und von Wellenrauschen auf und das nächste Gedicht beginnt …
04 Christopher Lee: Ein Traum in einem Traum
Christopher Lee wurde am 27. Mai 1922 in London geboren. Seine Schauspielkarriere begann 1947. Den meisten dürfte der britische Schauspieler als Dracula bekannt sein, den Lee 1958 das erste Mal verkörperte und damit weltberühmt wurde. Noch vor seiner Zeit als Schauspieler war Lee in diversen Opernhäusern zu hören – er genoss eine Ausbildung als Opernsänger. Einige seiner aktuellsten Rollen sind die des Saruman in „Herr der Ringe“ und Count Dooku in „Star Wars“. Insgesamt wirkte Lee in über 250 Filmen mit.
Lee trägt das Gedicht in deutscher Sprache vor, und zwar fehlerlos! Als ehemaliger Geheimdienstoffizier beherrscht der Mime mehrere Sprachen fließend. – Wo beginnt der eine Traum, wo hört der andere auf? Ist das Leben nur ein Traum in einem Traum? Poe steht in der Brandung des Küste und kann weder den Wellenschaum festhalten noch die Körner des Strandes. Alles ist vergeblich. Er ruft Gott an, doch der schweigt natürlich hartnäckig. Er hofft, einmal ein einziges Sandkorn festhalten zu können. „Is all that we see or seem but a dream within a dream?“Lees Vortrag berührt denjenigen, der sich auf diese melancholische Stimmung einlässt.
05 Anna Thalbach: Lenore
Anna Thalbach steht seit ihrem sechsten Lebensjahr vor der Kamera, dabei war der Weg zur Schauspielerei nicht so gerade, wie man es bei der Tochter von Katharina Thalbach annehmen könnte. Sie beginnt nach dem Abschluss der Mittleren Reife zunächst eine Hospitanz als Kostümbildnerin am Schillertheater. Doch der Hang zum Schauspiel überwiegt, und bald schon feiert sie selbst große Bühnenerfolge, so auch an der Seite ihrer Mutter in „Mutter Courage“.
Schon in „Der Rabe“ ist die Rede von einer „verlorenen Lenore“ (womit Poes früh verstorbene Frau Virginia gemeint sein dürfte). Poe beklagt gegenüber einem gewissen Guy de Vere das Ableben seiner Verlobten Lenore. Der Wind klagt, die Glocke schlägt. Poe beschreibt die vergangene Schönheit des Mädchens, hofft aber, dass sie im Himmel weiterlebt, wo er sie wiedersehen könnte – wenn, ja, wenn der Rabe nicht wäre … Zimbeln deuten den Ausklang des Glockenmotivs an.
Der Übergang zum nächsten Gedicht ist ziemlich erstaunlich, erklingen doch plötzlich fröhliche Klänge mittelalterlicher Tanzmusik …
06 Jan Josef Liefers: Der verwunschene Palast
Jan Josef Liefers wurde am 8. August 1964 in Dresden geboren. Nach seiner Tischlerlehre an der Semperoper studierte er von 1983 bis 1987 an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin. Sein Bühnendebüt gab er 1987 am Deutschen Theater Berlin. 1989 dann sein erster Kinofilm: „Die Besteigung des Chimborazo“. 1999 führte Liefers das erste Mal Regie, in der SAT.1-Produktion „Jack’s Baby“, für die er auch die Musik schrieb und die im Jahr 2000 mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde.
Hierbei handelt es sich um das bekannte Gedicht, das in der Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“ zu finden ist und dort eine wichtige Symbolfunktion einnimmt, um die Bedeutung von Rodericks Wahn zu erweitern. Der titelgebende Palast steht im Land des Königs „Gedanke“ und ist zunächst wunderschön: Hier wird getanzt und gefeiert. Die Zeilen sind sehr lautmalerisch, die Musik wird schließlich majestätisch. Doch in Gestalt der Sorge erobert „wildes Volk“ den Herrschersitz und alle Schönheit und Pracht schwindet, um bizarren Anblicken Platz zu machen. Aus einem freundlichen Lächeln wird so wahnhaftes Lachen. Düstere Molltöne verebben in langsamen, melancholischen Kadenzen.
07 Iris Berben: Die Schläferin
Iris Berben (geb. am 12.08.1950 in Detmold) gehört zu den bekanntesten und profiliertesten Schauspielerinnen Deutschlands: Bereits im Alter von 18 Jahren spielte sie ihre erste Kinorolle in Rudolf Thomes „Detektive“. Mittlerweile erstreckt sich ihr Repertoire über Krimis („Rosa Roth“, ab 1994) und Komödien („Frau Rettich, die Czerni und ich“, 1998) sowie Comedy („Sketchup“ mit Diether Krebs) bis hin zu klassischen Werken („Das Fräulein von Scuderi“, 1970). Ihre Karriere begann sie 1967/68 mit einigen Kurzfilmen der Hamburger Kunsthochschule. Nach ihrem Kinodebüt sah man Iris Berben 1969 erstmals auch im Fernsehen: in Klaus Lemkes „Brandstifter“. 1970 setzte sie ihre Karriere mit „Supergirl“ und Sergio Corbuccis „Zwei Companeros“ fort. Es folgten zahlreiche weitere TV- und Kinorollen, doch landesweit bekannt wurde sie schließlich an der Seite von Diether Krebs in der Comedy-Reihe „Sketchup“ (1985). Iris Berben ist die Mutter von Produzent Oliver Berben.
Grillen zirpen, Frösche quaken im Moor, und Holzbläser beschwören das Bild einer lauen Sommernacht herauf. Doch die Idylle ist nicht von Dauer. Es war im Junimond, als die Schläferin Irene in einer Ruine am See schlummert. Durchs offene Fenster sind launische Töne einer Klarinette zu vernehmen. Sie träumt, doch Glockenschläge beschwören das Bild einer jenseitigen Welt herauf, und das lyrische Ich beschwört den Himmel, seine Geliebte zu beschützen. Denn allzu nahe sind schon die Gräber und die Gruft, und Klagelaute aus den Särgen stören die Ruhe des Sprechers.
08 Dietmar Bär: Die Glocken
Dietmar Bär wird am 5. Februar 1961 in Dortmund geboren. Bereits in jungen Jahren verdient sich Dietmar Bär sein Taschengeld als Statist beim Dortmunder Theater. Nach dem Abitur absolviert er seine Schauspielausbildung von 1982 bis 1985 an der Westfälischen Schauspielschule Bochum. In den letzten beiden Jahren seiner Ausbildung ist er in kleineren Rollen am Bochumer Schauspielhaus zu sehen und ab 1985 folgt ein Engagement ans Landestheater Tübingen. Von 1988 bis 1990 sowie von 1992 bis 1994 tritt Bär an den Wuppertaler Bühnen auf.
1984 erhält er seine erste große Hauptrolle in Dominik Grafs „Treffer“ und ist an der Seite von Götz George in der Tatort-Folge „Zweierlei Blut“ zu sehen. Bekannt wird Bär vor allem durch seine Rolle als Sportarzt Conny Knipper und als Kommissar an der Seite von Willy Millowitsch in der Klefisch-Reihe. Anfang der 90er Jahre spielte er mit Klaus J. Behrendt in „Leo und Charlotte“. Aus der Zusammenarbeit entwickelte sich eine herzliche Freundschaft, die auch bei der gemeinsamen Arbeit als Ermittlerduo Schenk/Ballauf in den Tatort-Folgen ihre Früchte trägt. Für ihre Darstellung erhielten beide im Oktober 2000 den Deutschen Fernsehpreis.
Dieses lange Gedicht ist stark auf lautmalerische Elemente ausgerichtet. Es enthält vier Entwicklungsstufen. Geradezu unschuldig muten die „jingle bells“ eines Schlittens an. Sie entsprechen dem Lebensalter der Kindheit. Das nächste Alter entspricht der Jugend und symbolisiert Aufbruch und Dynamik, die in der Vermählung die Verheißung auf eine glückliche Zukunft enthält. Jetzt erklingen goldene Glocken.
Doch sie werden vom Klang bronzener Glocken abgelöst. Diese stehen für Alarm, Unglück, Zerstörung, Grauen und Schrecken. Dieses Dröhnen geht in das Klagen der ehernen Glocken über, die für die Trauer über das Ableben eines geliebten Menschen stehen. Die Totenglocke wird von König Tod geläutet und lockt Leichengeister herbei. Zum Schluss läuten alle Glocken misstönend und schaurig durcheinander, dass man kaum noch den Vortrag versteht. Zum Glück verfügt Bär über eine sehr kräftige Stimme und weiß sich Gehör zu verschaffen.
09 Hannelore Hoger: An eine im Paradies
Hannelore Hoger wurde am 20. August 1942 in Hamburg geboren. Sie beginnt ihre Schauspielerausbildung 1958 an der Hamburger Hochschule für Musik und spielt seit 1960 an den Bühnen in Ulm, Bremen, Stuttgart, Köln, Berlin und (1981 – 85) in Hamburg. Das Theater ist ihre eigentliche Domäne geblieben. Um sich zu verbessern, nahm die Schauspielerin später noch einige Male Unterricht bei Lee Strasberg. Ihr Fernsehdebüt mit dem Titel „Tag für Tag“ fällt ins Jahr 1965. Hannelore Hoger ist seit 1970 in gut zwei Dutzend Filmen präsent. Daneben ist sie auch in Fernsehserien gegenwärtig. Populär wird die Bühnenschauspielerin und Mutter der Schauspielerin Nina Hoger durch die Rolle der TV-Kommissarin „Bella Block“, für die sie mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wird. Die gleichnamige Krimiserie startete 1993 in loser Reihenfolge und entpuppte sich als gut gesetzter Kontrapunkt zur Männer-dominierten Krimi-Massenware.
Nach einem sonderbar jubelnden und vorwärtsdrängenden Intermezzo, das sogar von Vogelzwitschern begleitet wird, trägt die Sprecherin einen relativ traurigen Text vor. Die Geliebte ist gestorben, ihr Tod und der Verlust der Freude und Liebe wird beklagt. Doch die Hoffnung des selbst bereits schwachen lyrischen Ichs richtet sich auf ein Wiedersehen nach dem Tod – nur dass die Zeit bis dahin noch viel zu lang erscheint. Der Blick ist auf die „Ewigkeitsströme“ gerichtet.
Dann hören wir, wie eine Spieluhr aufgezogen und eine süße, fast kitschige Melodie abgespielt wird …
10 Gudrun Landgrebe: Brautballade
Gudrun Landgrebe wurde am 20. Juni 1950 in Göttingen geboren. 1971 hatte sie ihren ersten Auftritt auf der Bühne, im Stadttheater Bielefeld. Ihre erste Kinohauptrolle hatte sie 1981. Der internationale Durchbruch gelang ihr 1982 mit „Die flambierte Frau“. Neben dem Kinofilm hatte sie auch diverse Auftritte in Fernsehfilmen und -serien.
Diese Ballade ist eine recht seltsame Angelegenheit. Zunächst sind sämtliche Accessoires einer Braut an ihrem Freudentag vorhanden: der Ring, der Kranz, die Juwelen, ja sogar die Liebe des geheirateten Mannes. Doch dann treten Unrast und Unsicherheit auf den Plan, ein Traum vom Tod folgt, der Blick fällt auf den traurigen Friedhofsbaum. Die Braut scheint endlich aus ihrem Traum zu erwachen – was hat sie auf einem Friedhof zu suchen? Könnte es daran liegen, dass ihr Gemahl bereits tot ist?! Makaber mutet die jeweils letzte Strophenzeile an: „I am happy now“ (im Original). – Mit aller Macht ertönt das Leitmotiv der Poe-Serie.
11 Iris Berben: Ein Traum
Das Gedicht stellt einen „heiligen Traum“, den das lyrische Ich mit dem „gebrochenen Herzen“ hat, dem Tagesgestirn der Wahrheit gegenüber. Der Traum scheint heller, der von der hellen, erinnerten Vergangenheit genährt wird. In der Übersetzung heißt es jedoch, der Wahrheitsstern habe ihn geleitet, den Sprecher. Das scheint mir eine nicht unbedingt folgerichtige Interpretation zu sein. – Wie auch immer: Die Streicher klagen angemessen getragen.
12 Dero: Traumland
Dero wurde am 16. April 1970 in Wolfsburg geboren. In der Band Oomph!, die 1989 gegründet wurde, ist er der Mann für den Gesang, die Texte, Drums, und Kompositionen. Der Weg zur Musik sah laut eigener Aussage für Dero so aus: „Auf diversen Familienfeiern in den 70ern wurde ich ‚gezwungen‘ mit meinem Vater (Gitarrist, Sänger), alle nur erdenklichen Elvis-Songs in grauenhaftem Englisch rauf und runter zu schmettern.“ In der voraussichtlich im September 2006 startenden Hörspielserie »Schattenreich« ist Dero ebenfalls dabei.
Eine Lovecraft’sche Fantasie ist diese Horrorvision, so scheint’s, aber sie wurde schon lange vor der Geburt des Meisters von Providence geschrieben. – Ein Wanderer erzählt vom Traumland, das von einer Statue namens NACHT beherrscht wird und jenseits von Zeit und Raum liegt. Es ist eine Landschaft der Imagination: kalt, abweisend, nichts hat Bestand, und Leichengeister hausen hier. Dies ist die traurige Vergangenheit, die Erinnerung an verlorene Freunde. Doch für das leidende Herz und den umschatteten Geist ist diese Region ein goldenes Eldorado voll Frieden und Besänftigung. Doch der König NACHT hat verboten, dieses Land mit offenen Augen zu schauen. – Eine Abfolge von Soundeffekten lässt die Vision ausklingen.
Der Übergang wird von einem alten Cembalo oder Spinett, dem „Klavier“ des 18. Jahrhunderts, bestritten, das zusammen mit einer Oboe so etwas wie ein Menuett spielt …
13 Kai Wiesinger: Der Sieger Wurm
Schaurig geht’s gleich weiter. Dieses Gedicht ist in der Erzählung „Ligeia“ enthalten und hat dort eine fatale Konsequenz für die Titelfigur. – Eingeleitet wird es – nach dem Menuett – von dräuenden Bässen, die nichts Gutes verheißen. Dennoch findet ein Fest statt, ein bunter Maskenball. Da taucht inmitten der Gäste ein blutig rotes Ding auf, das gierig frisst. Schreie ertönen, die Kirchenorgel schwingt sich zu einem Crescendo auf. Alle Lichter gehen aus. Die Tragödie des Festes lautet, dass der Mensch doch immer Opfer des „Siegers Wurm“ werden muss. (Eigentlich müsste es „Eroberer Wurm“ heißen.) Wieder einmal singt ein mittealterlicher Chor das bekannte „dies irae, dies illa“ (Tag des Zorns/Jüngsten Gerichts), und zwar mit aller Wucht, die man von den Orff’schen „Carmina Burana“ kennt. Die Dynamik wächst weiter, und der Chor wiederholt pausenlos „dies irae dies illa“. Das ist ganz schön heftig.
14 Christopher Lee: The Raven (12:51)
Lee trägt nun das Gedicht vor, das eingangs Pleitgen in Übersetzung vortrug. Lees sonore Stimme legt dramatische Pausen ein, der Sprecher legt aber wenig Wert auf heitere Aspekte, wie es Pleitgen tut. Er flüstert, er fleht, er ärgert sich und ängstigt sich, doch voll Schaudern vernimmt Poe stets nur dieses grässliche „Nevermore!!!“.
CD 2
01 L’Âme Immortelle: Dein Herz
L’Âme Immortelle gründeten sich 1996 und landeten mit ihrer Single »Life will never be the same« ihren ersten großen Hit. Mit Songs wie »5 Jahre« oder »Fallen Angel« erreichten die Österreicher hohe Positionierungen in den Deutschen Pop-Charts.
»Zum ersten Mal in unserer Bandgeschichte haben wir einen Song aufgenommen, der nicht aus unserer Feder stammt. Als wir »Dein Herz« allerdings zum ersten Mal hörten, waren wir sofort von Musik und Text verzaubert und konnten uns so sehr schnell in die Materie einfühlen. Die Aufnahmen zu »Dein Herz« haben viel Spaß gemacht. Die bittersüße Romantik Poes war stets ein literarischer Wegbegleiter für mich, Poes Werke nun auch musikalisch zu gestalten halte ich daher für eine wunderbare Idee. Musik ist für mich die schönste Sprache der Welt und Poes Lyrik ist wie Musik: voller Leidenschaft, Sehnsucht und Melancholie …« – Sonja, L’Âme Immortelle, Homepage: http://www.lameimmortelle.com.
Wenn man sich den Refrain anhört, könnte „Dein Herz“ auch in jedem anderen Zusammenhang erklingen: „Sei, wie du bist!“ Folge dem Ruf deines Herzens! Die Botschaft ist ebenso simpel wie beliebig. Die Instrumentierung ist edel – mit Cembalo und Streichern, ergänzt durch Drums und E-Gitarre – aber das Stück ein ganz normaler Popsong.
02 Alexander Veljanov: Lied für Annabel Lee
Alexander Veljanov studierte noch Film- und Theaterwissenschaften, als er 1985 zusammen mit Ernst Horn das Duo »Deine Lakaien« gründete. Kurze Zeit später eroberten »Deine Lakaien« die Indie-Club-Szene und es folgten denkwürdige, rein akustische Auftritte wie zum Beispiel auf der »Dokumenta« in Kassel. Nach den ersten Charterfolgen in den Folgejahren ging Alexander Veljanov auch immer wieder eigene Wege mit Alben wie »Secrets of the Silvertongue« oder »The Sweet Life«.
Mit der Ballade »Annabel Lee« liefert Veljanov seine persönliche Interpretation des gleichnamigen Gedichts, das von Poe vordergründig romantisch gezeichnet ist, jedoch mit einigen Andeutungen viel Raum für Auslegung lässt. Das lyrische Ich besingt sein einst innige Liebe zu A. Lee, die sogar so rein und tief war, dass sie den Neid der Engel erregte. Diese jedoch straften die Liebenden, indem sie einen macht- und prachtvollen Herrn (den Tod) schickten, der A. Lee in ein unerreichbares Land entführte. Nun ist das einzige Haus, das der Sänger noch kennt, der grabesnahe Strand am Meer, das Haus der Sehnsucht.
Ich habe den deutschen Text mit dem Original verglichen und musste mich immer wieder über erhebliche Abweichungen wundern. Es ist zwar immer noch eine Ballade über Annabel Lee, funktioniert aber im Deutschen offenbar nur in der radikalen Umdichtung. Von einem „normalen“ Beginn weg wird der Vortrag zunehmend dramatischer (Marschrhythmus), bis er nach einem Höhepunkt auf einer elegischen Note endet – inklusive Herzschlag. Das ist recht beeindruckend, denn dieser Aufbau wurde offenbar genau durchdacht und instrumentiert.
03 Matern vs. Die Jungen Tenöre: The Raven
Andy Matern ist seit 1991 DJ, freier Producer und Remixer für Bands wie Haddaway, Soultans, Bad Boys Blue, Culture Beat, La Bouche, No Mercy u. v. a.. Homepage: http://www.andymatern.de. Die jungen Tenöre haben sich 1998 zusammengefunden, mittlerweile gibt es eine lange Liste von CDs, denen immer ein Leitfaden zu Grunde liegt: Unterhaltungsmusik mit dem Glanz von großen Stimmen zu versehen.
Diese Fassung von „The Raven“ folgt der Fassung von Alan Parson’s Project aus dem Jahr 1976 ziemlich genau, legt aber noch mehr Wert auf die Tenorstimmen – das liegt wohl nahe. Schon bei Parsons spielt der Chor eine tragende Rolle. Der Ausklang ist ganz besonders gefühlvoll gestaltet. Neben den gewohnten Kombination aus Orchester und Rock-Combo ist noch ein fetziges E-Gitarren-Solo hervorzuheben.
04 Christopher Lee: Elenore
Ich wusste auch nicht, wie toll Christopher Lee singen kann – bis ich diese Aufnahme hörte. Der Gesang ist klassisch, die Orchesterbegleitung ebenso, zwei Soprane begleiten den Meister, streckenweise im Duett. Er gibt die dramatische Ballade „Elenore“, in der um die verlorene Liebste geklagt wird, zum Besten, und zwar mit viel Gefühl und Sinn fürs Dramatische. Man stelle sich eine schmissige Arie aus einem bekannten Musical vor, z. B. „Elisabeth“ – so umwerfend gut kommt das rüber. Volle Punktzahl, Mr. Lee!
05 Katharina Franck: Ligeia
Katharina Franck, Singer / Songwriter. Lebt in Berlin. Gründet 1986 die Band »Rainbirds«. Erfindet 1996 die „Gesprochenen Popsongs“. Veröffentlichte im Frühjahr 2006 ein neues Album mit dem Titel »First Take Second Skin«.
Franck hat eine dieser glasklaren, aber tiefen Frauenstimmen, denen ich stundenlang zuhören könnte. Wenn sie sänge. Leider rezitiert sie ihren Text, den sie in Marrakesch geschrieben hat, lediglich in Prosa. Immerhin ist diese Lyrik auf ihrem eigenen Mist gewachsen, und es lohnt sich, ihr zuzuhören. Der Refrain, begleitet vom Orchester und gesungen von Franck, reimt sich dann wieder: „Ligeia, komm zurück!“ Es ist ein Ausdruck purer Seelenqual, und lange will dem keiner zuhören.
06 Vince Bahrdt: Ich seh’
Vince Bahrdt ist seit 2000 Songwriter und Pianist der erfolgreichen Formation »Orange Blue«, die mit dem Titel »She’s got that light« über Nacht berühmt wurde. 2004 gründete der Hamburger die Produktionsfirma »Murdersound« und wandelt mit »Ich seh’« zum ersten Mal auf Solopfaden. Er verfügt über eine beeindruckend tiefe Stimme.
Begleitet vom Piano und einigen Streichern trägt Bahrdt eine recht unheimliche Popballade à la Poe vor: „Ich seh“. Ähnliches kennt man schon von Dutzenden Singer-Songwritern wie etwa Ludwig Hirsch, dennoch verursacht einem die letzte Zeile „Ich seh die Schwermut und das Dunkel die Angst ernähr’n“ einen Schauder über den Rücken. Bahrdts Stimme ist hier recht hoch intoniert, und wenn sie dann auch noch ein wenig kratzt, fängt der Gesang an, an den Nerven zu sägen – was durchaus Absicht gewesen sein kann. Das Lamentieren ist jedoch ebenfalls nur in Maßen, nicht in Massen erträglich.
07 Secret Discovery: Nur ein Traum
Die deutsche Rockgruppe Secret Discovery, gegründet 1989, feierte nach ihrer Auflösung im Jahre 1999 im Januar 2005 ihr Comeback mit dem Album »Pray«. Mit »Alternate« erschien im Februar 2006 das Folgealbum.
Der Sänger der Band zitiert mit seiner tiefen Stimme den Anfang und den Schluss der klassischen Poe-Erzählung „Der Untergang des Hauses Usher“; das ist also Prosa. Alles zwischen diesen beiden Punkten würde ich als Gothic Rock light bezeichnen. Recht angenehm, wenn man die Richtung mag. Der Refrain geht wie folgt:
„Ich suche mich, erkenn mich nicht, die Zeit zerbricht, ist es nur ein Traum?
Ich suche mich, erkenn mich nicht, die Zeit zerbricht, spiegelt sich in deinem Werk.“
08 Subway to Sally: Finster, finster
Subway to Sally steht seit den frühen 1990er Jahren für eine außergewöhnliche Mischung aus teils harter Rockmusik gepaart mit Folk-Einflüssen und anspruchsvollen deutschen Texten zwischen Lyrik und Minnegesang.
„Finster, finster“ – diese Doppelung eines ausgefallenen Wortes ist an sich schon ironisch zu verstehen. Unterstrichen wird dieser Eindruck von dem Motiv, das wie eine Jahrmarktsdrehorgel klingt (aber nicht ist) und am Anfang und Schluss zu hören ist. Der Text von Eric Fish greift auf Motive aus „Der Rabe“, „Traumland“, „Die Grube und das Pendel“ sowie „Die Maske des Roten Todes“ zurück. So viel habe ich zumindest herausgehört. Recht reizvoll finde ich den Kontrast zwischen akustischer spanischer Gitarre (passt zu „Grube & Pendel“) und Orchesterbegleitung – so etwas hört man nicht oft, wohl auch weil die Tonabstimmung knifflig ist. Dieser Beitrag hinterließ bei mir einen recht positiven Eindruck, weil er das Thema nicht so ernst nimmt.
09 Mara Kim: A Dream within a Dream
Die Sängerin Mara Kim wurde unter anderem mit dem Hessischen Songpreis sowie bei den Berliner Festspielen ausgezeichnet. Die erste Veröffentlichung »Infinite Possibilities« erschien 2003 auf der Frankfurt Lounge CD mit dem Produzententeam »Superflausch«. Die 21-jährige Künstlerin, die sich auch selbst am Klavier begleitet, schreibt ihre Texte in verschiedenen Sprachen und arbeitet zurzeit an ihrem ersten Soloalbum.
Diese elegische Ballade, die schon auf der ersten CD zu hören ist, wird nun in Englisch vorgetragen, und zwar mit so viel Intensität, dass sie einen starken Eindruck hinterlässt. Natürlich wird der klassische Gesang von einem Piano und den obligaten Streichern (gutes Cello) begleitet, insofern alles wie gehabt. Dennoch einer der Höhepunkte der 2. CD!
10 FM Einheit: Der Eroberer Wurm
Statement: »Meine erste Begegnung mit Edgar Allan Poe trug sich zu im Alter von 12 Jahren. Seit zwei Jahren ging ich zum Gymnasium in Bochum und erster Widerstand gegen das Fremdbestimmte erwachte: Blau machen. Glücklicherweise gab es dieses verruchte Bahnhofskino »Bali«, in dem ständiger Einlass war. Neben der Leinwand gab es eine große fluoreszierend Bahnhofsuhr, die mir anzeigte, wie lange ich mich noch ’rumtreiben musste, bis die Schule vorbei war. Gespielt wurde »Die Schlangengrube und das Pendel«. Mit einem wohligen Schauer, während sich das Pendel senkte, tickte die Uhr gegen das Ende der Schulstunden. So tauschte ich das Phantasie anregende Pendel gegen das Grauen der Latein- und Religionsstunde. Thanks, Mr. Poe. Hochachtungsvoll Ihr ergebener Eroberer Wurm. – FM Einheit«
FM Einheit bleibt nachhaltig auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen und hat standardisierte Hörgewohnheiten immer wieder herausgefordert. Ob als „Drummer“ der »Einstürzenden Neubauten«, als Hörspielmacher oder Filmregisseur. Eine Leistung, die ihn längst auch international zu einem der renommiertesten deutschen Künstler hat aufsteigen lassen. (Verlagsinfo)
Das Stück beginnt mit disharmonischen Soundeffekten und Klangproben. Mit sehr tiefer Stimme rezitiert der Sänger den Text des auf CD 1 schon einmal vorgetragenen Gedichts aus „Ligeia“, aber derart langsam und unkonventionell, dass es sich wie ein ganz anderer Text anhört und als ob jemand ein schreckliches Ereignis in der Prosa einer Reportage wiedergäbe. „Mensch heißt das trübselige Stück, der Eroberer Wurm ist sein Held.“ Erst jetzt, in der radikalen Verlangsamung, entfaltet sich eigentliche Horror des Geschehens. Muss man mehrmals hören. Und ja, nur falls man sich wundert: Es ist wirklich die Rede von Kondorschwingen …
11 Edgar Allan’s Project: Ich bin nicht wahnsinnig
Edgar Allan’s Project „Ich bin nicht wahnsinnig“ ist ein Remix aus der Hörspielserie mit Originalauszügen und angereichert mit der Musik, die das Berliner Filmorchester für Visionen und auch für die Hörspielserie eingespielt hat. Produziert von Simon Bertling und Christian Hagitte (Stil).
Jetzt kommen die Rausschmeißer! (So nennt man die letzten Tracks eines Musikwerks, mit denen das Publikum entlassen wird.) Den Anfang macht ein gewohnt schauerliches Zitat, wie es jedem der Poe-Hörspiele vorangestellt ist: „Ich bin nicht wahnsinnig“. Weitere Zitate stammen aus „Die Grube und das Pendel“ sowie aus „Usher“. Die Instrumentierung ist wie gehabt: Drums, Bass und – sehr dezent – Orchester. Die Sprecher sind schwer zu identifizieren, aber es könnte sich um die Originalsprecher der Hörspiele handeln, nur etwas verzerrt.
12 Ronald Stein: Haunted Title / Perfectly Sure End
Hierbei handelt es sich um die Original-Filmmusik aus dem Film „The Haunted Palace“ („Der verwunschene Palast“) nach dem gleichnamigen Gedicht von Edgar Allan Poe – eine Aufnahme aus dem Jahr 1962. In einem Wort: stilecht. Die Musik ist zunächst sowohl dramatisch als auch sehnsuchtsvoll, und verblüffend ist die Ähnlichkeit des Leitmotivs mit dem aus der Filmmusik zu „Der Wüstenplanet“ (von Brian Eno). Dann erklingen die Trompeten schriller, als der Wahnsinn beginnt. Diesem folgt ein Zusammenbruch, der durch sehr tiefe Bläser verdeutlicht wird. Schließlich die schreckliche Erkenntnis des unausweichlichen Schicksals: die tiefen Bläser zelebrieren einen grotesken Marsch. Alles gipfelt in einem umfassenden und schrecklichen Schlussakkord. Danach: Stille …
13 Les Baxter: Popcorn Time
„Popcorn Time“ ist eine Szene aus der Original-Filmmusik zu dem Film „The Raven“. Poes gleichnamige Schauerballade lieferte Regisseur Roger Corman die literarische Vorlage dazu. Die Hauptrollen besetzte er mit den Horror-Altstars Vincent Price, Peter Lorre und Boris Karloff. Neben ihnen glänzt der junge Jack Nicholson in einer seiner ersten Rollen. Unter diesen idealen Voraussetzungen entstand ein Klassiker seines Genres. (Verlagsinfo)
Das Stück ist entsprechend seinem Titel sehr flott und klingt zunächst recht fröhlich und unbeschwert. Doch allmählich fallen dem Zuhörer sonderbare Untertöne auf, die von einer Orgel stammen könnten (oder einem Theremin) und die den Gedanken nahe legen, hier könnten eventuell Geister oder anderes unirdisches Gesocks auftreten. Der Frohsinn klingt zunehmend angestrengter, bis es zu einer Art Zusammenbruch kommt. Dennoch: Wieder erklingt das Popcorn-Motiv, aber längst nicht mehr so fröhlich und zuversichtlich wie zu Beginn.
Diese zwei Filmmusiken vermitteln einen nostalgischen Eindruck von dem, was man aus Poes Vorlagen in Hollywood machte – inzwischen natürlich „Kult“.
Das Booklet
Die erste Doppelseite des 12-seitigen Booklets klärt den Leser bzw. Hörer über den Autor Edgar Allan Poe, dessen Werk und über die Poe-Hörspielserie auf. Stefan Bauer (eigentlich für die Bücher zuständiger Herausgeber) und Marc Sieper (zuständiger Produzent der Hörspielserie) begründen auch, warum sie „Visionen“ machen wollten und berufen sich dabei ausdrücklich auf „Tales of Mystery and Imagination“ von Alan Parson’s Project aus dem Jahr 1976. Dessen Stück „The Raven“ wird ja hier neu aufgeführt – übrigens die einzige Cover-Version, soweit mir bekannt ist. Alle Künstler konnten ohne Einschränkungen ihre individuelle Interpretation und musikalische Umsetzung verwirklichen.
Die nächste Doppelseite listet die Credits für die Beiträge auf, doch Track-Längen sind nur für die Musikaufnahmen angegeben.Die nächsten vier Doppelseiten stellen die musikalischen Künstler vor: mit den oben von mir zitierten Biografien und jeweils einem Statement. Die nächste Seite (10) stellt die Sprecher in Fotos vor. Außerdem gibt es einen Hinweis auf einen Gratis-Download von Deros Band „Oomph!“. Seite 11: Das Ganze ist „für Edgar“.
Die letzte Seite enthält eine Danksagung, listet die Credits für das Booklet und zeigt das gleiche Motiv wie die Vorderseite des Booklets: Tisch und Lehnstuhl vor Fenster und Kamin – ein Schriftstellerarbeitsplatz des frühen 19. Jahrhunderts. Ursprünglich sollte dieses Foto auch das Cover der Schachtel zieren, wie man an der Abbildung bei Amazon.de sieht, aber davon haben die Macher Abstand genommen und sich für ein schlichtes Silber entschieden. Sieht auch viel edler aus und ist vor allem zeitlos.
Unterm Strich
Da es sich um zwei völlig verschiedene Ausdrucksformen pro CD handelt, sollen sie separat bewertet werden.
Die erste CD bietet fast durchweg – mit Ausnahme von Wiesinger – hochkarätige Sprecher auf, um selten gehörte Poe-Texte vorzutragen. Besonders ragen unter diesen Stücken natürlich die beiden Interpretationen von „Der Rabe / The Raven“ heraus. Erstaunlich, wie verschieden der gleiche Text interpretiert werden kann. Eine echte Überraschung ist der in Deutsch gehaltene Vortrag eines Gedichts durch Christopher Lee – wer dachte, er könne nur Englisch, sieht sich positiv überrascht.
Die zweite CD bietet eine Menge recht eigenständiger Musikstücke, aber wer sich diese CD nach dem Vorbild eines Samplers zu einem Kinofilm „reinziehen“ möchte, der wird erhebliche Schwierigkeiten haben, dieses Vorhaben umzusetzen. Dafür sind manche Stücke einfach zu sehr sprachorientiert: langsamer Rezitativ zu mehr oder weniger dezenter Musikbegleitung. Herausragend sind auf jeden Christophers Lees Vortrag von „Elenore“ und Mara Kims wunderschöne Elegie „A dream within a dream“. Zwei Filmmusiken unterstreichen den Anspruch, dass Poe schon in den Sechzigern Kult war und es wert ist, von einer neuen Generation wiederentdeckt zu werden. Er hat uns viel zu sagen.
www.luebbe-audio.de
www.visionen.tv