Lehane, Dennis – Regenzauber

Hartgesottener Thriller um einen hemdsärmeligen Privatdetektiv, der es mit einem (oder zwei?) besonders skrupellosen Erpresser(n) zu tun bekommt. Nichts für schwache Nerven!

Ich bin auf dieses Buch gestoßen, weil es der Thrillerautor James Patterson in seinem Roman [„Roses are red“ 429 als Bettlektüre seines Helden Dr. Alex Cross erwähnt. Ich habe diese Empfehlung zu keiner Zeit bereut. Das Buch ist ein Hammer. Für die renommierte „New York Times“ ist es ein „Notable Book of the Year“ gewesen. Bemerkenswert ist es in vielerlei Hinsicht.

_Der Autor_

Seit 1994 veröffentlicht der 1966 geborene Bostoner Autor einen exzellenten Krimi nach dem anderen. „Streng vertraulich!“ war sein erster. Seine jüngsten tragen die Titel „Spur der Wölfe“/“Mystic River“ (http://www.buchwurm.info/book/anzeigen.php?id__book=1340 ) und [„Shutter Island“. 1150 Alle deutschen Übersetzungen erscheinen bei |Ullstein|. Geboren in Dorchester, Massachusetts, lebt Lehane heute in der Region Boston, Massachusetts.

_Seine Helden_

Bis auf die jüngsten beiden stehen in allen Romanen die zwei Privatdetektive Patrick Kenzie und Angela Gennaro im Mittelpunkt. (Gennaro hieß auch John McClanes Gattin in den Bruce-Willis-Actionkrachern „Stirb langsam I + II“, und genau wie Bonnie Bedelia stelle ich sie mir auch vor. Allerdings hat Angela den fiesen Charakter und die freche Klappe von Linda Fiorentino.) Angie hat zwölf Jahre Ehe-Hölle hinter sich, als sie ihren Mann verlässt, um bei Kenzie einzuziehen: eine taffe Frau. Sie kennt Kenzie noch aus dem Sandkasten.

Patrick Kenzie hingegen stammt aus der rein irisch-katholischen Arbeiterklasse von Boston (die Lehane eingehend in „Spur der Wölfe“ untersucht). Er hat seine Lehre bei einer der feinsten Privatdetekteien von Boston gemacht, wie wir in „In tiefer Trauer“ erfahren. Er zögert nicht, kräftig hinzulangen, wenn ihm einer blöd kommt, und trägt ständig eine Wumme bei sich. Beide Partner wissen ihre Knarren auch einzusetzen, wenn’s drauf ankommt.

_Handlung_

Als die 26 Jahre junge Karen Nichols das Büro von Privatdetektiv Patrick Kenzie (es gibt wohl kaum einen irischeren Namen) betritt, glaubt er, Barbie wäre eingetreten, so aus dem Ei gepellt und proper sieht Karen aus. Sie liebt ihren Verlobten Andrew abgöttisch und würde sich am liebsten einen Mittelklassewagen kaufen. (Aber das Geld reicht nur für einen popeligen Toyota Corolla) . Karen bittet Kenzie um Schutz vor einem Typen, Cody Falk, der sie verfolgt und ihr zusetzt.

Kenzie erledigt diesen Job gerne, doch als Karen sechs Monate später von einem Bostoner Hochhaus nackt in den Tod springt, ist er erschüttert. Sie hatte ihn um erneute Hilfe gebeten, doch er war zu beschäftigt gewesen. Er findet heraus, dass Karen Drogen nahm, in einer Absteige wohnte, sich prostituierte und einen Psychiater besuchte. Wie konnte es zu diesem rasend schnellen Absturz der vorbildlichen Barbiepuppe Karen Nichols kommen?

Cody Falk mag zwar ein Vergewaltiger sein, doch er hatte mir Karens Absturz nichts zu tun. Kenzie stößt auf die Spur eines meisterhaften Sadisten, der mit Karens Psychiaterin unter Decke steckte und daher alle Schwächen der jungen Frau kannte. Erst tötete er ihren Verlobten, doch dessen Tod sah aus wie die Folge eines Unfalls. Dann zahlten die Versicherungen nicht, so dass Karen pleite ging und anschaffen musste (= Gebete um Regen in der Wüste). Die Abwärtsspirale drehte sich weiter, bis sie sich schließlich umbrachte. Aber war das wirklich alles? Ein Besuch in Karens Elternhaus offenbart seelische Abgründe – und dass Karens Stiefvater, ein reicher Chirurg, erpresst wird.

Als der Erpresser Wind von Kenzies Ermittlungen bekommt, setzt er die Mafia auf ihn und seine Freundin an. Offenbar will er auch Kenzies Welt mit seinen Psychoterrormethoden aus den Angeln heben. Doch Kenzie und seine Freundin und Partnerin Angela Gennaro drehen den Spieß um.

_Mein Eindruck_

„Prayers for Rain“ kann hartgesottenen Autoren wie Raymond Chandler oder Dashiel Hammett absolut das Wasser reichen. Was diese beiden für L.A. und James Patterson für Washington, D.C., getan haben, das tut Lehane für die Region Boston, Massachusetts: spannende Ermittlungen zwischen verrückten und sonderlichen Kriminellen oder „Normalen“ sowie knallharte, schnelle Action ohne Zögern.

Dabei ist Lehanes Detektiv Kenzie kein feiner Junge, sondern kommt aus der Arbeiterschicht, hat aber einen Collegeabschluss. Doch einmal Arbeiterjunge, immer Arbeiterjunge. Sein bester Freund ist deshalb Bubba Rogowski, ein Waffenhändler und Ex-Marine. Bubba mag zwar verrückt sein und absolut skrupellos, doch wenn es um Kenzies Freundschaft geht, kann man auf ihn zählen. Bubba nimmt es mit der Mafia auf und lässt an Politikern kein gutes Haar, genau wie Kenzie. Dieses Paar ist erfrischend ehrlich. Das bedeutet, dass seine Sprechweise von keinem (Feigen-) Blättchen beeinträchtigt wird.

Auch in Gefühls- und Liebesdingen zeichnet sich „Regenzauber“ durch hohen Realismus aus. Die geschniegelten Achtzigerjahre sind längst vorüber, deshalb sieht erstens Karen Nichols so deplaciert und außerirdisch aus und zweitens hat Kenzie keinen Bock auf teuer gekleidete Kreditkartenträgerinnen wie Vanessa. Er steht auf ehrliche Frauen wie Angela Gennaro (auch wenn ihre Frisur neuerdings seltsam aussieht). Ange ist genauso hartgesotten wie er selbst, schnell, intelligent, einfühlsam und doch ohne Furcht.

|Die Sprache|

… ist mit das Wichtigste an diesem Roman, zumindest in der Originalfassung. Es ist die Sprache von Bostons bürgerlicher Unter- und Mittelschicht. Die Sprecher verschlucken daher zahlreiche Wörter genauso, wie sie es beim wirklichen Reden tun würden. Lediglich ihren jeweiligen Akzent gibt Lehane nicht wieder, denn lautmalende Sätze verstünde niemand. Ein, zwei Sätze genügen ihm als Andeutung. Wenn Angehörige der „gelehrten“ Stände sprechen – die Psychiaterin, der Chirurg – dann merkt das Leser sofort an ihren gestelzten Satzkonstruktionen. Es ist eine Genugtuung zu verfolgen, wie Kenzie & Gennaro mit solchen Gestalten kurzen Prozess machen.

|Interieurs|

Lehane legt ein auffälliges Interesse an Innenausstattungen von Häusern und Wohnungen an den Tag. Alle diese Beschreibungen nimmt man ihm unbesehen ab, denn die Details sind so realistisch aufgeführt und so irre komisch und treffend kommentiert, dass man weiß, dass er sie wohl das eine oder andere Mal selbst gesehen hat.

Dabei sind diese Interieurs recht unterschiedlich: hier das geschmacklose Tinnef-Zuhause eines Mafiagangsters, dort das Neuengland-Authentische des Chirurgen und zu guter Letzt die psychopathische Innenausstattung der Praxis der „Psychiaterin“. Die verräterischen Räume charakterisieren ihre jeweiligen Bewohner. Und mögen diese Bewohner auch noch so normal erscheinen – wir glauben ihnen kein Wort, nachdem wir die Raumbeschreibung gelesen haben.