Lehane, Dennis – Streng vertraulich

_Coole Schreibe, harte Action_

Brisante Fotos bringen das Privatschnüfflerteam Kenzie und Gennaro schwer in die Bredouille: Sie geraten zwischen die Fronten eines Straßenbandenkrieges, und ihre Auftraggeber, zwei korrupte Politiker, wollen sie ebenfalls aufs Kreuz legen. Überlebens-Motto: Augen auf und durch!

_Der Autor_

Seit 1994 veröffentlicht der Bostoner Autor einen exzellenten Krimi nach dem anderen. „Streng vertraulich“ war sein erster. „Spur der Wölfe“ wurde 2003 als „Mystic River“ von Clint Eastwood verfilmt. Alle deutschen Übersetzungen erscheinen bei |Ullstein| und werden von Andrea Fischer besorgt.

|Seine Helden|

Zumeist stehen in den Romanen die zwei Privatdetektive Patrick Kenzie und Angela Gennaro im Mittelpunkt. (Gennaro hieß auch John McClanes Gattin in den Bruce-Willis-Actionkrachern „Stirb langsam“, und genau wie Bonnie Bedelia stelle ich sie mir auch vor. Allerdings hat Angela den fiesen Charakter und die freche Klappe von Linda Fiorentino.) Angie hat zwölf Jahre Ehe-Hölle hinter sich, als sie ihren Mann verlässt, um bei Kenzie einzuziehen: eine taffe Frau. Sie kennt Kenzie noch aus dem Sandkasten.

Patrick Kenzie hingegen stammt aus der rein irisch-katholischen Arbeiterklasse von Boston (die Lehane eingehend in „Spur der Wölfe“ untersucht). Er hat seine Lehre bei einer der feinsten Privatdetekteien von Boston gemacht, wie wir in „In tiefer Trauer“ erfahren. Er zögert nicht, kräftig hinzulangen, wenn ihm einer blöd kommt, und trägt ständig eine Wumme bei sich. Beide Partner wissen ihre Knarren auch einzusetzen, wenn’s drauf ankommt.

_Handlung_

Kenzie und Gennaro werden von zwei hochrangigen Bostoner Senatoren beauftragt, ihre verschwundene Putzfrau Jenna wiederzufinden, die vertrauliche Dokumente entwendet haben soll. Als Kenzie/Gennaro Jenna endlich bei deren Schwester auf dem Lande aufgestöbert haben, geht Kenzie mit Jenna zu einem Bankschließfach, woraufhin sie ihm einen Umschlag mit einem brisanten Foto übergibt: Es zeigt einen der obigen Senatoren mit einem schwarzen Straßenbandenführer namens Socia. Pikant: Der Senator will Straßenbanden verbieten; über den Gesetzesvorschlag soll in Kürze abgestimmt werden. Noch pikanter: Socia ist Jennas Ehemann. Und wie Jenna sagt, gibt es noch 22 weitere Bilder von diesem Treffen.

Wenige Sekunden später wird Jenna vor der Bank auf offener Straße mit einer Uzi-Maschinenpistole niedergemäht. Kenzie gelingt es, den Angreifer, einen von Socias „Soldaten“, niederzuschießen. Doch nun ist natürlich jeder hinter dem Foto und dem Leben seines derzeitigen Besitzers her.

Socia, einer der Drogenbosse der Bostoner Unterwelt, hat einen Gegenspieler, seinen Sohn Roland, der ihm den Krieg erklärt, als Jenna, Rolands Mutter, zu Grabe getragen wird. Damit er Socia schaden kann, will natürlich auch Roland an das Foto herankommen: Kenzie/Gennaro stehen genau zwischen den Fronten. Weil die Polizei sehr ungern einen Krieg in ihrer Stadt duldet, will sie natürlich auch das Foto, das zum Zankapfel geworden ist. Und die Senatoren sowieso.

Doch das Foto ist Kenzies Lebensversicherung. Erst versucht er, in mehreren nervenaufreibenden Aktionen seine nackte Haut zu retten. Sein psychopathischer Freund Bubba Rogowski, ein Beirut-geschädigter Ex-Marine, hilft ihm mit diverser Artillerie. Als Kenzie auch an die übrigen Fotos herankommt, packt ihn die kalte Wut: Die Bilder zeigen den Senator, wie er es im Beisein Socias mit dessen Sohn Roland treibt. Purer Sprengstoff!

Der Showdown lässt nicht lange auf sich warten …

_Mein Eindruck_

Der Originaltitel des Romans lautet „A drink before the war“. Mit dem Krieg ist natürlich der stattfindende Bandenkrieg gemeint. Und den Drink nehmen Kenzie/Gennaro mit einem abgetakelten Polizisten namens Devine in einer Kneipe ein, dem einzigen weißen in einem schwarzen Viertel. Natürlich kommt es dort zu einer recht hässlichen Szene mit den anderen Kneipenbesuchern.

|Heiße Eisen|

Der Autor packt mit dem Thema „Rassismus“ ein heißes Eisen an. Aber als sei das noch nicht genug, kritisiert er die korrupten Politiker einen nach dem anderen, wobei sich einer von denen als Pädophiler und Unterweltfreund herausstellt. Der Autor stellt sich jedoch nicht auf eine bestimmte Seite: sowohl Schwarze wie Weiße, Arbeiterklasse wie auch herrschende Klasse haben gleichermaßen Dreck am Stecken. Keiner kommt ungeschoren davon, nicht einmal Kenzie selbst. Und auch Gennaro, seine berufliche Partnerin, hat kein blütenreines Gewissen: Im Zorn bringt sie beinahe ihren gewalttätigen Ehemann Phil um.

|Eine Stadt am Abgrund|

Neben der actionreichen Handlung bleibt den abgehetzten Hauptfiguren noch genügend Zeit, sich über den Niedergang ihrer Stadt Gedanken zu machen. Im Grunde ist Boston noch wesentlich besser dran als etwa Washington, L.A. oder New York City, doch was seinen gesellschaftlichen Niedergang angeht, so ist auch dieser offenbar unabwendbar. Die wichtigsten Werte wie etwa Kinder- und Mutterliebe wurden bereits verraten, von Werten wie Schutz des Eigentums und des Lebens ganz abgesehen. Verlautbarungen von Politikern vergleicht der Autor mit Weihnachtsmärchen: Die Wähler wollen ja unbedingt daran glauben, um die deprimierende Realität, die das Märchen widerlegt, aushalten zu können.

|“Fear is the mother of violence“| (Peter Gabriel)

Dieser Roman spielt auf keinen Empfängen oder Partys – Kenzie/Gennaro halten das für etwas unangebracht, wenn sie mitten in einem Straßenkrieg versuchen, ihre nackte Haut zu retten. Schauplätze sind in der Regel das heiße Pflaster, ausgebrannte Straßenzüge, irgendwelche Kneipen, Polizeireviere usw. Nicht gerade Beverly Hills.

Und doch: Als Kenzie seine Auftraggeber trifft, so findet das Gespräch in einer feinen Hotel-Lobby statt, aber was dort geredet wird, möchte man nicht in einer Klatschkolumne lesen. Hier wird mit harten Bandagen gekämpft. Kaum wieder daheim, reißt sich Kenzie den elenden Anzug vom Leib und schlüpft in seine Jeans. Er ist eben kein James Bond.

|Cooler Humor|

Ich musste beim Lesen mehrmals laut auflachen: Unsere beiden Helden lassen sich erstens von absolut gar nichts beeindrucken und führen zweitens ein geschliffenes Mundwerk, für das sie einen Waffenschein beantragen müssten. Selten so coole, harte Sprüche gelesen! Und das gilt auch für Miss Gennaro.

_Unterm Strich_

Ein kleiner, aber feiner Hard-boiled-Krimi, der jedem Raymond Chandler oder Ross MacDonald Ehre gemacht hätte. (Stephen King brauchte diese Krimis angeblich zum Überleben – nun ja.) Für jeden Krimifan sind Lehanes Bücher Pflicht, auch wenn man bei Amazon.de verschiedentlich anderes lesen kann. Leute mit zartem Gemüt sollen sich das neueste Schneewittchenabenteuer besorgen. (Obwohl Schneewittchen in der Urfassung auch ganz schön brutal ist – und die ist sicher nicht von den Brüdern Grimm!)

|Dennis Lehane bei Buchwurm.info:|
[Kein Kinderspiel 1433
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