Madelaine L’Engle – Der Riss im Raum

Zäher, pseudo-religiöser Fantasy-Brei

Meg Murry kann nicht schlafen: Sie macht sich Sorgen um ihren Vater, einen Wissenschaftler, denn er ist seit einem Jahr spurlos verschwunden. Und sie ist zutiefst beunruhigt, als ihr kleiner Bruder Charles Wallace von einer Schar Drachen im Garten erzählt – schließlich ist er schwer krank. Aber die Drachen gibt es wirklich. Sie sind gekommen, Charles Wallace zu retten. Doch damit das gelingt, müssen Meg und ihr Bruder es schaffen, die Echthroi zu besiegen, die alles Sein in der Welt bedrohen…(Verlagsinfo)

Der Verlag empfiehlt das Buch ab 11 Jahren, Amazon ab 10 und ich ab 12.

Die Autorin

Madelaine (sic!) L’Engle Camp Franklin, Jahrgang 1918, war zunächst Schauspielerin und Librettistin in den USA, England und der Schweiz, bevor sie sich 1945 der Schriftstellerei zuwandte. Ihr Meg-Murry-Zyklus gehört im angelsächsischen Raum bereits zu den Klassikern der phantastischen Literatur. „Die Zeitfalte“ wurde mehrfach ausgezeichnet (u. a. mit der Newbery Medal) und laut Verlag weltweit acht Millionen mal verkauft. Madeleine L’Engle starb im September 2007, also mit rund 90 Jahren.

Der Meg-Murry-Zyklus:

1) Die Zeitfalte (1962)
2) Der Riss im Raum (A Wind in the Door, 1973)
3) A Swiftly Tilting Planet (1978)
4) Many Waters (1986; Die große Flut, ersch. bei Thienemann 1989)
5) An Acceptable Time (1989)
Damit verbunden sind:
6) The Arm of the Starfish (1965)
7) The Young Unicorns (1968)

Handlung

Meg Murry und ihr sechsjähriger Bruder Charles Wallace sorgen sich, weil seine Mitschüler ihn ständig verprügeln. Obwohl er erst fünf ist, redet er nämlich in vollständigen Sätzen und befasst sich nach eigenem Bekunden mit dem, was seine Mutter gerade als Biologin erforscht: Zellbausteine, genauer: Mitochondrien und Farandolae. Kein Wunder, dass ihn die Lehrer zum Schweigen verdonnern. Sie halten ihn für einen vorlauten Angeber. Dass er ihre Gedanken lesen kann, macht die Sache für ihn auch nicht gerade besser.

Drachen?

Aber dass er nun auch noch Drachen gesehen haben will, will selbst Meg, seine ältere Schwester, nicht so recht glauben. Was würden wohl Sandy und Dennys, die beiden Zwillinge, die sie Geschwister nennen darf, davon halten? Aber bei genauerem Hinsehen sind da wirklich merkwürdig goldene Federn und Schuppen im Gras des Felshangs zu finden, wo er sie gesehen haben will.

Das erweist sich als richtig, als Meg noch einmal in der folgenden Nacht besorgt zu der Wiese am Felshang geht. Auf einmal steht ein Mann hinter ihr. Es scheint Herr Jenkins aus der Schule zu sein, mit dem sie wegen Charles Wallace gesprochen hat. Er will sich für seine brüske Ablehnung entschuldigen. Doch als sie ihn misstrauisch anschaut, steigt er auf einmal in die Höhe und löst sich in stinkende Luft auf, die in einen dunklen Riss saust, der sich über das ganze Firmament zieht…

Ein Glück, dass ihr Schulfreund Calvin O’Keefe sie gleich darauf in die Arme nimmt und ihren Schrecken vertreibt, den sie erlitten hat. Man trifft ja nicht jeden Tag auf Geister, die in die Luft steigen und Gestank zurücklassen. Calvin sieht die goldenen Federn und Schuppen auch. Da taucht auch noch Charles Wallace auf. Der Junge sollte eigentlich schon längst im Bett sein. Sein bester Freund, der Hund Fortinbras, ist bei ihm. Beide machen Meg auf einen versteckten Besucher aufmerksam.

Blajeny

Es handelt sich um einen großen, hageren Mann, der Autorität ausstrahlt. Er bezeichnet sich Charles Wallace gegenüber als seinen „Lehrmeister“. Man solle ihn bitte mit Blajeny anreden. Als wäre das alles nicht verwunderlich genug, erscheint auch noch ein echter Drache, mit Flügeln, Federn, Schuppen und allem. „Darf ich vorstellen?“ fragt der „Lehrmeister“: „Proginoskes, seines Zeichen ein Cherubim.“ Der Drache kann sich telepathisch mit den Menschen verständigen. Den Einwand Calvins, „Cherubim“ sei eigentlich der Plural von „Cherub“, lässt er nicht gelten: „Ich bin viele.“

Drei Prüfungen

Blajeny, der Lehrmeister, sagt den Kindern, dass sie drei Prüfungen bestehen müssen, um die Welt, die durch den Riss im Raum beschädigt worden ist, vor dem Sturz ins Nichts zu bewahren. Die Widersacher namens Echthroi seien bereits auf der Erde und würden beginnen, sie zu zersetzen. Meg hat eine Ahnung, dass dies vielleicht mit den kranken Mitochondrien in Charles Wallace und unter Mutters Mikroskop zu tun haben könnte. Cherubim, der Drache, bestätigt dies.

Gleich am nächsten Tag nimmt der unsichtbare Drache Meg und Charles zur ersten Prüfung mit – in die Dorfschule, wo der zwielichtige Mr. Jenkins herrscht…

Mein Eindruck

Anders als „Die Zeitfalte“ ist dieser Roman komplex, abstrakt und zieht sich unnötig in die Länge. Es handelt sich meines Erachtens nicht um eine Fortsetzung, sondern das Buch steht völlig für sich. Natürlich tritt wieder die Murry-Familie auf, aber das restliche Personal ist komplett neu. Und was für Personal!

Dass es sich bei Blajeny um eine gottähnliche Figur handelt, wird bald auch dem letzten Leser klar. Seine Perspektive ist universal, das heißt, sie reicht vom Mikro- zum Makrokosmos. Und da Proginoskes sein Erzengel ist, verfügt auch dieser über ähnliche Kräfte. So kann „Progo“ ohne weiteres einen Körper wie den von Meg verkleinern und in eine menschliche Zelle teleportieren.

Denn auch dort, in Charles Wallace, machen sich die Widersacher inzwischen breit. Sie werden „Echthroi“ genannt und haben die besondere Fähigkeit, ein Wesen zu „exen“, also in Nichts zu befördern. Das Nichts liegt gleich hinter dem titelgebenden Riss im Weltraum und ist somit von allerlei Echthroi bevölkert. Dass diese Nichts-Wesen alles Seiende zu Ihresgleichen machen wollen, leuchtet ein. Warum sie dazu aber auch in die kleinsten Bausteine einer Zelle vordringen müssen, statt gleich den ganzen Körper zu exen, leuchtet schon weniger ein.

Wie auch immer: Dem Nichts muss Meg entgegenwirken, indem sie Wesen richtig benennt. Das klingt leichter als es sich dann erweist. Vor Meg stehen beispielsweise drei identische Ausgaben von Mr. Jenkins. Diese erste Prüfung besteht darin, den richtigen Jenkins zu benennen. Sie bewältigt die Aufgabe mit Ach und Krach, woraufhin sich die falsche Jenkinse in Nichts auflösen. Was auch sonst?

Die nächsten beiden Prüfungen sind schon wesentlich kniffliger. Sie finden im Innern von Charles Wallace statt und ein Scheitern würde wohl seinen Tod bedeuten. Schon den gedanken daran kann Meg kaum ertragen. Hier unten im Mikrokosmos der Zelle muss sich Meg richtig bewähren. Es gibt viele Dinge zu verstehen, und die Geschichte zieht sich hin. Es ist eine echte Bewährungsprobe, die am Schluss Meg alles abverlangt: Sie opfert sich, indem sie sich quasi selbst ext. Doch das ist nicht das Ende.

Man sieht also, dass hier die junge Wissenschaftlerin zu einer richtigen Jesus-Figur avanciert. Sie ist zwar nicht die Heilige Dreifaltigkeit, die die Katholiken verehren (Vater, Sohn und hl. Geist), aber viel fehlt nicht mehr: Gott, Erzengel (oder hl. Geist) und Jesus sind alle bei Meg und mit ihr an einem Ort in Charles Wallace vereint. Meg hat gegenüber dem Jesus des Neuen Testaments (es gibt ja noch viele andere Evangelien) den Vorteil, dass sie einen Freund hat, den sie liebt und der ihre Liebe erwidert (rein platonisch, versteht sich). Deshalb geht die Geschichte auch gut aus. So gehört sich das einfach.

Die Übersetzung

Die Übersetzung ist in der deutschen Sprache gehalten, die man noch 1985 verstand. Es fehlen jegliche Anklänge an heutiges Umgangsdeutsch, weshalb die Figuren unwirklich erscheinen. Sie bewegen sich quasi im luftleeren Raum, und so entpuppt sich die Handlung bald als Gerüst für ein religiöses Gedankenexperiment.

S. 69: „Proginoskes stieß beleidigt ein Rauch Wölkchen aus.“ Es sollte „Rauchwölkchen“ heißen.

S. 168: „Scharf wies Proginoskes sie zurück.“ Es sollte „zurecht“ heißen, dann wird der Satz verständlich. Proginoskes korrigiert Meg nämlich. Und Avancen, die er zurückweisen könnte, wagt sie dem Drachen bestimmt nicht zu machen.

Ein Vorwort „zu diesem Buch“ stellt die wichtigsten Akteure vor und berichtet auch kurz, was im Vorgängerband geschah.

Unterm Strich

Dieses Jugendbuch ist noch schlimmer mit katholischer Symbolik befrachtet als „Die Zeitfalte“. Gott, ein Erzengel und eine kluge Schlange treten auf, um Meg Murry das größte Opfer von allen abzuverlangen: die Opferung ihrer selbst. Dazu muss sie Hass, Egozentrik und Abneigungen überwinden, um zur universalen Liebe zu gelangen. Ganz klar wird Meg auf diese Weise zu einer Jesusfigur – und die ganze Geschichte zu einer religiösen Passion (im ursprünglichen Sinne).

Weil die Handlung so abstrakt und dicht gesponnen ist, gelang es mir meist nur, zehn bis 15 Seiten zu lesen, bevor ich eine Pause machen musste, um das Gelesene erst einmal verdauen zu können. Auf diese Weise dauerte es ungefähr ein halbes Jahr, das Buch – mit vielen Pausen – zu bewältigen. Es gibt ja so viele bessere, spannendere und humorvollere Bücher zu lesen.

Ich würde dieses zäh erzählte, aber inhaltlich und emotional nicht reizlose Gedankenexperiment für theologisch beschlagene Oberschüler empfehlen, wenn diese nicht schon längst viel realistischere Kost gewöhnt wären. Vielleicht findet sich das geeignetste Publikum bei katholischen Jugendlichen, die schon einmal die Narnia- und Perelandra-Romane von C. S. Lewis gelesen haben. Stilistisch benötigt diese Übersetzung jedoch dringend ein Update.

Taschenbuch: 224 Seiten
Originaltitel: A Wind in the Door, 1973
Aus dem Englischen von Wolf Harranth
ISBN-13: 978-3570220528

www.randomhouse.de/cbj

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