Graham Masterton – Die Opferung

Das geschieht:

David Williams steckt in der Krise. Die Gattin hat ihn Danny, den siebenjährigen Sohn, verlassen. Der Schock hat den einst erfolgreichen Innenausstatter aus der englischen Küstenstadt Brighton erst gelähmt und dann in den Ruin getrieben. Nun wird das Geld knapp. Da kommt dieses Angebot gerade recht: Bryan Tarrant besitzt auf der Kanalinsel Wight Fortyfoot House, ein stattliches Anwesen, das lange leer steht und daher instandgesetzt werden soll.

Dass Tarrant bestimmte Fakten vorenthalten hat, erfährt David erst, nachdem er und Danny im kleinen Ort Bonchurch auf der Isle of Wight eingetroffen sind. Hier weiß jeder Bescheid über Fortyfood House, das angeblich keineswegs leer steht, seit hier vor einem Jahrhundert der Zaubermeister Mr. Billings und seine böse Buhle, die Hexe Kezia Mason, ihr Schreckensregiment ausgeübt haben.

Während Uneinigkeit in der Frage herrscht, was aus dem unheiligen Paar geworden ist, sind sich die meisten Bürger sicher, dass Kezias dämonischer Gehilfe, der rattenhafte Brown Jenkin, Fortyfood House nie verlassen hat. David findet auf dem Dachboden nicht nur Hinweise auf ausgedehnte Geheimgänge und -räume, sondern in der Tat besagten Brown Jenkin, dem er nur um Haaresbreite entwischen kann. Ein allzu neugieriger Kammerjäger hat später weniger Glück.

Auch Mr. Billings und Kezia Mason tauchen wieder auf: Fortyfoot House existiert nicht nur in der Gegenwart, sondern auch in der Vergangenheit und womöglich in der Zukunft. Zauberer und Hexe haben einen Weg entdeckt, frei im Strom der Zeiten zu manövrieren. Freilich hat dies seinen Preis: Jenseits der Welt, wie wir sie kennen, hausen uralte, fremde und böse Wesen, die auf ihre Chance lauern, über die Menschheit herzufallen. Brown Jenkin ist der Mittler zwischen den Dimensionen; er treibt die Opfer ein, die jene Dämonen aus dem Urschleim des Universums von denen fordern, die sich ihres unglaublichen Wissens bedienen möchten.

David, die Studentin Elizabeth und der Dorfpfarrer stellen sich dem Grauen. Viele bizarre und verstörende Abenteuer meistert das Trio, doch dann wird deutlich, Brown Jenkin sein Auge auf Danny geworfen hat …

Vom Meister der Andeutung …

Bedeutung und Prominenz eines Schriftstellers lassen sich u. a. an der Zahl der Autorenkollegen ermessen, die sich von ihrem Vorbild inspirieren lassen. Sollte dies zutreffen, muss Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) einer der Großmeister seiner Zunft gewesen sein. Zu seinen Lebzeiten wurden ihm allerdings wenige Lobeshymnen gesungen. Lovecraft schrieb schließlich ‚nur‘ Gruselgeschichten, die zudem so eigentümlich waren, dass der durchschnittliche pubertierende US-Jüngling, der als typischer Leser der billigen „Pulp“-Groschenhefte galt (Kennzeichen: Propeller auf der Baseballkappe!), wenig damit anzufangen wusste.

Auf Lovecrafts Unvermögen ein Alltagsleben zu meistern – was ihn in den „Einsiedler von Providence“, verwandelte -, soll hier nicht weiter eingegangen werden: Sie ließ ihn jedoch endgültig zu einer kaum zur Kenntnis genommenen Fußnote der unheimlichen Literatur herabsinken.

Dies änderte sich erst nach dem II. Weltkrieg allmählich. Bewunderern wie August Derleth (1909-1971) ist zu verdanken, dass Lovecraft erst zur Kenntnis genommen, dann von der Kritik als legitimer Nachfolger des großen Edgar Allan Poe gewürdigt und schließlich – heutzutage kaum zu vermeiden – zum Kultautor erhoben wurde. Längst ist nicht mehr nur im angelsächsischen Sprachraum jede der kaum fünf Dutzend Novellen und Kurzgeschichten Lovecrafts stets irgendwo im Druck, und die Kenner des Genres können sie quasi aus dem Gedächtnis zitieren.

… zum Lehrling der großen, blutigen Effekte

„Träume im Hexenhaus“ („The Dreams in the Witch-House“), 1933 ohne besondere Resonanz im Pulp-Magazin „Astounding Stories“ erschienen und eine der wenigen Storys, die Lovecraft zu Lebzeiten überhaupt verkaufen konnte, zählt zu den wohl besten und berühmtesten Erzählungen Lovecrafts, obwohl sie nicht oder nur marginal zu seiner Kernschöpfung, dem Cthulhu-Mythos, gehört. Stattdessen mischt der Autor hier puren Horror – verkörpert durch die Hexe Kezia Mason und ihren Schutzgeist Brown Jenkin – mit Elementen der Science Fiction: Lovecrafts unglücklicher Held Walter Gilman wird nicht von Dämonen aus der Hölle heimgesucht, sondern von den fremdartigen Bewohnern fremder Dimensionen, die zudem durch die Zeit(en) reisen können.

Auf diesem Plot-Fundament konstruierte Graham Masterton 1992 seine Variante der alten Lovecraft-Geschichte. Klugerweise übernahm er zwar gewisse Strukturen, ging aber ansonsten eigene Wege. Das Ergebnis kann zwar mit Lovecrafts unerhört dichter, vor Schrecken geradezu delirierender Story keineswegs mithalten, ist aber jederzeit lesenswert und legt darüber hinaus eine in der Horrorliteratur oft verschüttete Freude am altmodischen, handfesten Grusel frei.

Subtil geht Masterton dabei selten vor. Dabei versteht er es gut, eine verstörende Atmosphäre der Verunsicherung zu kreieren, als sein gar nicht heldenhafter David Williams nach und nach entdeckt, in welches Haus er da gezogen ist. Aber Masterton ist kein Stilist wie beispielsweise Peter Straub, der sich dem Phänomen Lovecraft in „Mr. X“ (dt. „Schattenbrüder“/„Mr. X“) eher literarisch nähert. Stattdessen bekommt der Leser ab dem zweiten Drittel den Horror mit der groben Kelle serviert. Detailliert geschilderte Schlachtplatten und Gekröse-Grusel wirken im sorgfältig angelegten Spannungsbogen fehl am Platze, bis man sich ‚eingelesen‘ hat und erkennt, dass Masterton mit „Die Opferung“ nicht das Prädikat „besonders wertvoll“ gewinnen, sondern einfach nur unterhalten möchte.

Die Hommage macht sich selbstständig

Mit Lovecraft hat das bald nur noch wenig zu tun. Graham Masterton war und ist ein guter Geschichtenerzähler, aber wirklich zeitlosen Horror brachte und bringt er selten zustande. Das ist kaum verwunderlich, gibt sich der Autor kaum eine Chance, es zu versuchen: Durchschnittlich drei Bücher wirft er Jahr für Jahr auf den Markt. Da bleibt für ausgefeilte Plots und tiefgründige Charaktere einfach keine Zeit. Die Figur des Brown Jenkin ist hier beispielhaft. Während Lovecraft weise genug war, diesen mysteriösen Sendboten des Grauens nie ins grelle Licht zu rücken, baut Masterton ihn nicht nur zentral in die Handlung ein, sondern sieht sich außerdem genötigt, Brown Jenkin ‚rational‘ zu erklären. Was anschließend bleibt, ist ein blutrünstiger Schlagetot, der jeden echten Schrecken verloren hat.

Mastertons Disziplinlosigkeit und seine Schlampereien sind es denn auch, die Anlass zu ernster Kritik geben. „Die Opferung“ hätte viel mehr werden können als ein turbulenter Horrorroman; die ersten einhundert Seiten machen es deutlich. Danach scheint den Autor die Lust verlassen zu haben. Das Tempo zieht an, aber leider auch die plakative Gewalt, die in ihrer maßlosen Häufung nur die im Geiste armen Kritiker schocken kann und bald langweilt. Dasselbe gilt für die pornografischen Einschübe, die an Mastertons frühe Schriftsteller-Jahre im Dienst diverser Herrenmagazine und Verfasser zahlreicher Sex-Leitfäden erinnern, ohne dadurch an Feuer zu gewinnen. Ein unerwartet originelles, das platte Happy-End meidendes Finale versöhnt schließlich mit vielen beschriebenen Mängeln.

Die über weite Strecken überwiegende Freude an der Lektüre wird unterstrichen durch die gute Übersetzung sowie die hochwertige Ausstattung der deutschen Ausgabe. Selbstverständlich ist es nicht lebenswichtig, in welcher Gestalt eine gute Geschichte den Weg zum Leser findet. Trotzdem freut sich zumindest der Sammler sogar über ein schönes Taschenbuch, das ein richtiges Cover und kein lieblos herausgekramte Stockfoto ziert.

Autor

Graham Masterton, geboren am 16. Januar 1946 im schottischen Edinburgh, ist nicht nur ein sehr fleißiger, sondern auch ein recht populärer Autor moderner Horrorgeschichten. In Deutschland ist ihm der Durchbruch seltsamerweise nie wirklich gelungen. Nur ein Bruchteil seiner phantastischen Romane und Thriller, ganz zu schweigen von seinen historischen Werken, seinen Thrillern oder den berühmt berüchtigten Sex Leitfäden, haben den Weg über den Kanal gefunden.

Besagte Leitfäden erinnern übrigens an Mastertons frühe Jahre. Seine journalistische Ausbildung trug dem kaum 20 Jährigen die die Position des Redakteurs für das britische Männer Magazin „Maifair“ ein. Nachdem er sich hier bewährt hatte, wechselte er zu Penthouse und Penthouse Forum. Dank des reichlichen Quellenmaterials verfasste Masterton selbst einige hilfreiche Werke, von denen „How to Drive Your Man Wild in Bed“ immerhin eine Weltauflage von mehr als drei Millionen Exemplaren erreichte.

Ab 1976 schrieb Masterton Unterhaltungsromane. Riss er sein Debütwerk „The Manitou“ (dt. „Der Manitou“) noch binnen einer Woche herunter, gilt er heute als kompetenter Handwerker, dem manchmal Größeres gelingt, wenn sein Geist schneller arbeitet als die Schreibhand, was freilich selten vorkommt.

Wer mehr über Leben und Werk des Graham Masterton erfahren möchte, kann dies auf seiner vorbildlichen Website tun.

Taschenbuch: 384 Seiten
Originaltitel: Prey (London : Mandarin 1992)
Übersetzung: Ralph Sander
http://www.festa-verlag.de

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