Michael Connelly – The Gods of Guilt (Mickey Haller 5)

Achterbahnfahrt mit den Göttern der Schuld

Als ein des Mordes verdächtiger Web-Programmierer Verteidiger Mickey Haller um Hilfe bittet, beruft er sich auf eine Prostituierte, der Haller vor Jahren einmal zu einem zweiten Start verholfen hat. Diese Nutte soll der Programmierer nach Angaben des LAPD getötet haben, doch der streitet das vehement ab. Für Haller ist klar, dass er diesen Fall annimmt – er könnte ja derjenige sein, der die moralische Schuld an ihrem Tod trägt…

Der Autor

Michael Connelly, geboren 1956 in Philadelphia, studierte zunächst Journalismus und Kreatives Schreiben in Florida. Anschließend (ab 1980) arbeitete er für verschiedene Zeitungen in Fort Lauderdale und Daytona Beach, wo er sich auf Polizeireportagen spezialisierte. Nachdem 1986 eine seiner Reportagen für den Pulitzer Preis nominiert worden war, wechselte er als Polizeireporter zur „Los Angeles Times“.

Für sein Thrillerdebüt, „Schwarzes Echo“, den ersten Band der Harry-Bosch-Serie, erhielt er 1992 auf Anhieb den Edgar Award, den renommiertesten amerikanischen Krimipreis. Zahlreiche Bestseller folgten, die ihn zu einem der erfolgreichsten Thrillerautoren der USA machten. Heute lebt er mit seiner Familie wieder in Florida. (Verlagsinfo)

Zuletzt erschienen „Echo Park“„The Overlook / Kalter Tod“, „The Scarecrow“ und „Nine Dragons“ (siehe meine Berichte). „Der fünfte Zeuge“ ist Anfang 2013 bei Knaur auf Deutsch erscheinen. Der Autor lebt mit seiner Familie in Tampa, Florida.

Die Mickey-Haller-Reihe

1) The Lincoln Lawyer (Der Mandant)
2) The Brass Verdict (So wahr uns Gott helfe)
3) The Reversal (Spur der toten Mädchen)
4) The Fifth Witness (Der fünfte Zeuge)
5) The Gods of Guilt (Die Götter der Schuld)

Handlung

Mickey Haller ist ein stadtbekannter Strafverteidiger in L.A. Gerade hat einen Straßenräuber entlastet, da erhält er die SMS: „Schnellstens melden – 187“. 187 ist die Codenummer des LAPD für Mord. Und ein Mordfall ist das lukrativste Verbrechen, das ein Strafverteidiger bekommen kann. Gesendet hat die SMS seine Exfrau und jetzige Assistentin Lorna Taylor. Haller beschließt, sich den möglichen Klienten gleich persönlich anzusehen.

Andre La Cosse sieht trotz seiner orangefarbenen Häftlingskleidung aus wie ein Geschäftsmann. Und so bezeichnet er sich auch: Er programmiere und verwalte Webseiten. Zu seinen Klientinnen gehörte auch die ermordete Giselle Dallinger, die ihn an Haller verwiesen hatte. Als er sie vor sieben Jahren das letzte Mal sah, lebte sie noch, behauptet er. Und sie enthielt ihm seinen Anteil an ihrem Business vor – einen Tausender. Haller bezeichnet La Cosse als „digitalen Zuhälter“, was diesen richtig wütend macht.

Aber als Haller erfährt, dass diese Dallinger ihn einmal als „Mickey Mantle“ bezeichnet hatte, fällt ihm endlich ein, woher er sie kennen sollte: Er bewahrte „Gloria Dayton“ seinerzeit vor dem Knast. Für ihn ist schlagartig klar, dass er diesen Mordfall annehmen muss – selbst wenn die Bezahlung in Goldbarren besteht, wie La Cosse behauptet. Denn Mickey fragt sich, ob er möglicherweise selbst dazu beigetragen hat, dass die Prostituierte getötet wurde.

Das Überwachungsvideo des Hotels, in dem Gloria Dayton alias Giselle Dallinger ihren letzten Kunden treffen sollte, zeigt einen mysteriösen Mann, der ihr erst bis zu den Aufzügen und dann wieder hinaus auf die Straße folgt. Das bedeutet, er wusste, dass sie kommen würde und wohin sie wollte. Leider verdeckt sein Hut sein Gesicht, was darauf hinweist, dass er wusste, dass in allen öffentlichen Bereichen (nicht aber auf den Zimmerkorridoren) Kameras Aufnahmen machten.

Glorias gefloppter Termin im Hotel führte dazu, dass sie ihrem digitalen Zuhälter La Cosse seinen Anteil verweigerte. Es kam zu einem lautstarken Streit um Mitternacht, wie ihre Nachbarn bezeugen könne. Hallers Ermittler Cisco, der Biker, hat erstklassige O-Töne gesammelt, aber wer hat denn nun Gloria wirklich erdrosselt?

Wenn La Cosse wirklich unschuldig ist, kommt allenfalls der Mann mit dem Hut infrage – oder ihr verflossener Freund Hector Montoya, den Haller vor sieben Jahren für den Rest seines Lebens hinter Gitter schickte. Wegen Rauschgiftbesitzes sitzt Montoya in einem Bundesgefängnis. Will er über die Ermordung von Gloria, die Mickey wirklich etwas bedeutete, an seinen Peiniger herankommen, um sich zu rächen?

Von November bis April muss Mickey Haller warten, bis die ersten Fragen beantwortet werden – und der Gegner sich zu erkennen gibt…

Mein Eindruck

Diesen Justizthriller zu lesen ist wie das Betrachten eines Dramas in drei Akten. Tatsächlich ist das Buch in drei Teile und einen Epilog aufgeteilt. Der erste Akt etabliert die bekannten Figuren, nämlich das Team Haller, wie es der Connelly-Leser schon aus „The Fifth Witness“ und „The Reversal“ (s. o.) kennt. Der neue Fall, dessen sich Mickey annimmt, führt zu einer Art „Gloria Dayton reloaded“: Die von Mickey gerettete Klientin ist nach L.A. zurückgekehrt und gleich ermordet worden. Die Tat wird ihrem digitalen Zuhälter angehängt – aber von wem? Das ist die spannende Frage.

Ernste Warnung

Während im zweiten Akt Ciscos Ermittlung den Leser immer weiter in die Vergangenheit entführt, entspinnt sich der erste Konflikt mit dem oder den Tätern. Diese Phase endet in einer brutalen Tat und einer Katastrophe. So dauert es vom Anfang im November über April bis zum Juni, bis es endlich zur Gerichtsverhandlung kommt. Mickey hat seinen Schlachtplan namens „Marco Polo“ (ein sehr doppeldeutiges Wortspiel) aufgestellt, aber die Frage ist, ob sein Klient La Cosse überhaupt die zwei Wochen der Verhandlung überlebt. Er hat die miese Gefängniskost verweigert, ist abgemagert, hat Krankheiten und steht insgesamt kurz vorm Kollaps. Das SYSTEM ist so eingerichtet, dass es alle, die es verschluckt, umbringt. Eine der bitteren Einsichten, die Mickey gewinnt.

Finale in Rot

Der dritte Akt findet fast ausschließlich im Gerichtssaal statt. Mickey will nicht nur den „Mann mit dem Hut“ entlarven, der auf dem Überwachungsvideo Gloria beschattet, sondern auch dessen Boss und Auftraggeber: einen Agenten der Drogenfahndung DEA. Die Bezeichnung „Marco Polo“ weist auf dessen Namen hin. Doch bevor es zu einem Verhör dieses Agenten kommen kann, ereignet sich vor den Augen der entsetzten Schöffen eine Bluttat, die selbst Mickey nicht erwartet hat.

Unterm Strich

Dies ist m.E. einer der schwächeren Mickey-Haller-Thriller. Sicher, die Erzählweise ist so gekonnt routiniert und stimmig wie eh und je, doch die Spannung versandet doch quasi auf halber Strecke, ganz besonders vor dem Ende des zweiten Aktes, als die erste „ernste Warnung“ unseren wackeren Justizhelden trifft. Natürlich macht er jetzt erst recht weiter – pro bono, also kostenlos, für den eigenen guten Ruf.

Es ist ein sehr bitter gewordener, dem Alkohol ergebener Mickey Haller, der hier auftritt. Seine Frau hat sich scheiden lassen (Lorna Taylor), seine Tochter Hayley will nicht mehr mit ihm reden, die Presse hasst ihn, die Cops sowieso, denn er arbeitet für „die dunkle Seite“. Als er dann auch noch seinen Fahrer durch einen Anschlag verliert, erwartet der Leser, dass Mickey, der doch sonst nicht aufs Maul gefallen ist, aufgibt und die Waffen streckt. Ein Glück, dass es an diesem Tiefpunkt mehrere gute Nachrichten gibt.

Alles in allem geht es um die Machenschaften, die zwischen der US-amerikanischen Drogenfahndung und den mexikanischen Drogenkartellen stattfinden. Wie schon in Steven Soderberghs OSCAR-gekröntem Drama „Traffic“ üben die Kartelle eine schreckliche Herrschaft auch jenseits der mexikanischen Grenze aus, und so mancher Drogenfahnder kann ihrem Geld nicht widerstehen. Der wiederum bringt andere Leute dazu, für ihn zu arbeiten. Er macht Huren wie Gloria Dayton zu Spitzeln, die unter anderem Beweisstücke fingieren und Tatorte manipulieren.

Es ist eines der Meisterstücke in Mickeys Strategie, dass es ihm gelingt, den einsitzenden Kartell-Killer Hector Montoya auf seine Seite zu ziehen. Nun bekommt er zwei Leibwächter für sich und seine Crew – er wird sie dringend brauchen. Und er setzt den Drogenfahnder unter Druck. Das Irrwitzige an dem Tod von Gloria Dayton ist, dass sie sterben musste, weil ein unfähiger Anwalt auf der Montoya-Seite eine Vorladung schickte – und die Zustellung fotografieren ließ. Der nachfolgende Mord an Gloria war sozusagen ein Kollateralschaden.

Obwohl im Finale quasi die Bombe vor versammelter Jury platzt und es somit an Spannung nicht mangelt, musste ich doch sehr lange warten, bis die Handlung richtig in die Gänge kam. Der Auto legt sehr viel Wert auf Realismus und zieht dafür jede Menge Details heran. Außerdem zeichnet er das Privatleben seines Helden Mickey Haller in düsteren und helleren Farben.

Mickey hält sich für besonders schlau – und muss für seinen Hochmut regelmäßig bezahlen. Er wird demütig. Aber er wird mit der Liebe einer früheren Hure bezahlt, die jetzt „raus ist aus dem Milieu“. Und er hat viel zu lachen, wenn ein ahnungsloser Anwalt ihm eine Vorladung schickt. Der Roman nimmt den Leser mit auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Wohl dem, der sich darauf einlässt.

Andererseits sind mit die vergleichsweise geradlinigen Harry-Bosch-Fälle wesentlich lieber, so etwa in „Black Box“, „The Burning Room“ und „The Crossing“ (vergleiche meine Rezensionen). Vielleicht braucht Mickey in Harry, seinem Halbbruder, wirklich einen kompetenten Ermittler, der ihm wieder auf die Beine hilft. Früher oder später dürfte Bosch auch in der gleichnamigen TV-Serie mit „Mickey Haller“ zu tun bekommen – von da na dürfte besonders spannend werden.

Taschenbuch: 433 Seiten
Sprache: Englisch

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