Michael Innes – Seltsame Parallelen

Als ein bisher unbekanntes Rembrandt-Gemälde auftaucht, gleich darauf wieder verschwindet und wenig später einem Antiquitätenhändler in den Kopf geschossen wird, schaltet sich Scotland-Yard-Chef Sir John Appleby persönlich in die Ermittlungen ein … – Vergnüglich verwickelter Rätsel-Krimi alter Schule, der u. a. belegt, dass der Kunstmarkt schon immer ein Haifischbecken war, in dem Betrüger und Betrogene gleichermaßen spannend zu Tode kommen können: ein lesenswerter Klassiker.

Das geschieht:

Gleich zwei Mitglieder seines Clubs fragen Sir John Appleby, Leiter von Scotland Yard, um Rat in einer ebenso künstlerischen wie kriminellen Angelegenheit. Charles Gribble wurde ein ‚wertvolles‘ Manuskript verkauft, das sich als Fälschung entpuppte. Interessanter ist die Geschichte, die der Galerist Sir Gabriel Gulliver erzählt: Ihm hat eine wunderschöne junge Frau namens Astarte Oakes ein bisher unbekanntes Werk des Malers Rembrandt präsentiert, um gleich im Anschluss mit der Kostbarkeit wieder zu verschwinden. Der pompöse Name ist falsch, Frau und Bild sind nicht aufzufinden.

Appleby hört höflich zu, sieht aber zu einem Eingreifen keinen Grund. Das ändert sich, als wenig später Jacob Trechmann, ein Antiquitätenhändler, in seinem Laden gefunden wird, wo ihm jemand eine Kugel in den Schädel geschossen hat. Es war Trechmann, der Gribble das gefälschte Manuskript beschafft hatte. Als möglichen Mörder hat die Polizei noch am Tatort des Kunstsachverständigen Jimmy Heffer verhaftet, der für Sir Gabriel Gulliver arbeitet!

Zwar kann Heffer rasch entlastet werden. Offensichtlich gibt es dennoch Verbindungen zwischen dem Manuskript-Schwindel und dem Rembrandt-Rätsel. Diese laufen bei Trechmann zusammen. Unklar ist die Rolle der schönen Frau, die der ritterliche und anscheinend verliebte Heffer zu schützen scheint. Appleby lässt ihm ein wenig Freiraum, statt ihn zu verhaften, und lässt ihn beobachten. Dieser Plan scheitert spektakulär: Auch Sir Gabriel endet mit einem Kopfschuss in seiner Galerie. Kurz vor seinem Tod hörten ihn Zeugen in einem heftigen Streit mit einer Frau, die unerkannt entkommen konnte. Hat „Astarte Oakes“ damit begonnen, potenzielle Zeugen auszuschalten? Ist Jimmy Heffer ihr Komplize? Appleby muss tief in die nur oberflächlich vornehme Welt des Kunsthandels eintauchen, in der Betrug und Täuschung zur Tagesordnung gehört, um den Fall zu lösen, bevor weitere Leichen auftauchen …

Stolz, Wissen & Täuschung

Seit der Mensch über die Fähigkeit verfügt, hübsche Dinge ohne unmittelbar lebensnotwendigen Verwendungszweck herzustellen, erregen diese das Interesse derer, die sie sich zur privaten Verwunderung in ihre Höhle stellen möchten. Nicht jeder Zeitgenosse war und ist in der Lage, selbst genug Zeit darauf zu verwenden, nach entsprechenden Stücken zu fahnden. Das übernehmen Vermittler, die sich ihre Dienste bezahlen lassen – und war gut, denn die hübschen Dinge wurden inzwischen zur „Kunst“ aufgewertet und mit einem Nimbus versehen, der sich dort niederschlägt, wo es besagte Vermittler interessiert: im Wert eines Kunstwerks.

Bekanntlich muss der Besitz von Geld keineswegs mit (Sach-) Verstand einhergehen. Tatsächlich hat die Mehrheit jener, die sich für Kunstwissen und Geschmack feiern lassen, keine Ahnung – wozu auch, gibt es doch Spezialisten, die ihnen versichern, genau das Richtige = Gute = (womöglich künstlerisch) Wertvolle erworben zu haben. Selbst Galerien und Museen stützen sich gern auf derartige Urteile, woraus sich eine interessante Gelegenheit ergibt: Wenn genug Fachleute die Echtheit eines Werkes bestätigen, lässt sich auch gefälschte Kunst zu Preisen handeln, die denen der Originale entsprechen. Betrüger profitieren von der fragwürdigen Tatsache, dass Geschäfte mit Kunst als Zusammenkunft gebildeter Ästheten zelebriert werden, bei der nur nebenbei viel Geld die Fließrichtung wechselt.

Wie sich den aktuellen Medien entnehmen lässt, schöpfen kriminelle Elementen dieses Potenzial mit Wonne aus. Zur Nonchalance in der Frage, woher das begehrte Objekt eigentlich stammt, gesellt sich ein altbekanntes Paar namens Gier und Dummheit. So ist und so war es schon früher, wie Michael Innes im 17. Band seiner Krimi-Serie um den Scotland-Yard-Ermittler John Appleby belegt.

Sammler, Händler – und Mörder

Appleby muss dieses Mal tief in das Milieu des Kunsthandels eintauchen, wie es sich ihm um 1960 darbietet. Bemerkenswert ist dabei die Tatsache, dass der Leser dies bald vergisst: Zu bekannt klingt, was sich in dieser Mikro-Welt abspielt. Was immer Betrüger und Betrogene zur Begründung ihres Tuns vorbringen, erzählen uns auch ihre Nachfahren im 21. Jahrhundert. Auf diese Weise erfährt „Seltsame Parallelen“ eine Ebene von Zeitlosigkeit jenseits der Abwesenheit moderner CSI-Wunder.

Innes schlägt humoristisches Kapital aus dem scheinheiligen Tanz, den der Kunsthandel faktisch darstellt. Zur klassischen britischen Krimi-Kunst gehörte bekanntlich stets ein trockener Humor, der die langweilige Realität fernhielt, die nach Ansicht entsprechend polarisierter Autoren und Leser nur dosiert in die primär entspannende Feierabend-Lektüre einfließen sollte; ein Prinzip, das man sich in einer Krimi-Gegenwart, die von pseudopsychologischen Abschweifungen oft regelrecht erstickt wird, wieder stärker zu eigen machen sollte.

Dieser Humor ist betont trocken und durchaus nicht ohne Widerhaken. [Applebys] Gedanken waren eben wieder bei einem jungen Burschen … gewesen, den eine schlechte Umgebung dazu verleitet hatte, sich ein völlig falsches Bild von den normalen Funktionen der Fußbekleidung zu machen“, heißt es an einer Stelle. Einige Seiten zuvor konnten wir erfahren, dass ein ertappter Einbrecher einen Ladeninhaber zu Tode getreten hatte; ein deprimierender Fall, der Appleby nicht aus dem Kopf gehen will, zumal er gleichzeitig zugeben muss, dass er die entsprechenden Ermittlungen seinen Untergebenen überlässt, weil für ihn, Appleby, die Jagd nach einem kunstfälschenden Mörder viel aufregender ist.

Zwei Verbrechen, zwei Täter, ein Fall

Fast rhetorisch mutet die Bestätigung an, dass Innes ein Garn spinnt, das so verwirrend und spannend ist, wie wir es von einem Rätsel-Krimi britischer Schule erwarten. Nicht grundlos gehörte Innes zur Oberklasse seiner Zunft, was sich auch daran erkennen lässt, dass er die Muster des Genres keineswegs einsetzt, ohne darüber die Gegenwart zu ignorieren. „Seltsame Parallelen“ erschien 1961 und damit in einer Zeit, die dem Whodunit primär nostalgisch gewogen war. Innes ist so klug, jene Form, die er vor Jahrzehnten mitentwickelt und perfektioniert hat, gleichzeitig zu bewahren, sanft zu parodieren und nur dort zu modernisieren, wo es nicht zum Selbstzweck wird.

Der deutsche Titel deutet die Besonderheit eines Plots an, der zwei zunächst separate Verbrechen verknüpft, um sie kunstvoll nach und nach miteinander zu verknüpfen. Moderne Polizeiarbeit bleibt weitgehend ausgeschlossen; obwohl er als Chef von Scotland Yard über einen eindrucksvollen Mitarbeiterbestand und neueste Ermittlungstechnik gebietet, zieht es Appleby vor, allein in den Kampf gegen Schurken zu ziehen, die dies zu schätzen wissen, da sie buchstäblich theatralisch statt raffiniert vorgehen und einer organisiert vorgehenden Polizei schnell ins Netz gehen würden.

Obwohl Innes das Figurenpersonal des klassischen Rätsel-Krimis behutsam entstaubt hat, trifft man bekannte Gestalten wie den stocksteifen Hochadligen, das lautstarke Unterschichten-Weib oder den denkschwachen Normal-Polizisten, der stets den Falschen festnimmt. Natürlich gibt es auch einen jugendlichen Helden, der dumm aber galant einer schönen Frau beisteht und sich lieber verhaften lässt, als diese der Polizei auszuliefern. Appleby selbst ist eine vergleichsweise unscheinbare Figur; ein stiller Beobachter, der seine Schlüsse zieht, die hier schon vor dem Finale offenbart werden. Innes schließt dem eine turbulente Verfolgungsjagd auf die flüchtigen Lumpen an, die nicht langweilig im Gefängnis enden, sondern eine deutlich plakativere Strafe erleiden. Damit ist der Gerechtigkeit viel unterhaltsamer Genüge getan, und der Leser klappt einen weiteren Kriminalroman von Michael Innes zufrieden zu.

Autor

Michael Innes wurde am 30. September 1906 als John Innes MackIntosh Stewart geboren. Er studierte Englische Literatur an der Edinburgh Academy und am Oriel College zu Oxford, wo er 1928 graduierte. 1930 ging er als Lektor an die University of Leeds, 1935 als Englischprofessor an die University of Adelaide. Steward kehrte nach dem II. Weltkrieg nach England zurück. Bis zu seiner Pensionierung 1973 lehrte er an verschiedenen Universitäten in Oxford.

Seit 1936 schrieb Stewart Kriminalromane – ‚getarnt‘ als Michael Innes, denn als Gelehrter musste er auf seinen Ruf achten. Er erwies sich als fähiger und vor allem schneller Autor. In nur sechs Wochen soll er seinen beachtlichen Erstling „Death at the President’s Lodging“ (dt. „Zuviel Licht im Dunkel“) zu Papier gebracht haben. Dies war auch der erste Roman um Inspector John Appleby, einen Gentleman-Ermittler der alten Schule. Diesen Appleby ließ Innes im Laufe der Jahre altern. Wir lernen ihn am Anfang einer bemerkenswerten Karriere kennen; bei seiner Pensionierung ist er Leiter der Metropolitan Police von London und trägt einen Adelstitel. Im Ruhestand setzt Appleby seine Tätigkeit als Ermittler fort.

Innes nahm das Krimi-Genre nie bierernst. Wie sein Kollege Edmund Crispin liebte er es, mit den Regeln zu spielen. Als Sprachwissenschaftler durchsetzt er seine Werke mit klassischen Zitaten, Poesie, Anspielungen auf literarische Meisterwerke und andere Elemente einer höheren Bildung, während der (oft absurde) Plot hinter Innes’ Prosa manchmal zurücktritt.

Als Autor war Innes äußerst produktiv. In einem halben Jahrhundert verfasste er 45 Romane. Er verabschiedete sich 1986 stilecht mit einem Appleby-Krimi, gefolgt 1987 von der Autobiografie „Myself and Michael Innes“. Am 12. November 1994 ist J. I. M. Stewart im hohen Alter von 88 Jahren verstorben.

Taschenbuch: 160 Seiten
Originaltitel: Silence Observed (London : Victor Gollancz 1961)
Übersetzung: (Christine u.) Erwin Schuhmacher

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