Hannes Nygaard – TATORT: Erntedank

Begeisterte die TATORT-Serie über Jahrzehnte hinweg ein Millionenpublikum vor dem Fernseher, läutete der Emons-Verlag eine neue Ära ein: Die beliebteste deutsche Krimiserie schaffte im Herbst 2009 auch den Sprung in die Literatur. Basierend auf Drehbüchern bereits gesendeter Folgen, werden seither eine ganze Reihe Fälle ausgewählter und beliebter Ermittler auch als Roman angeboten. Erfolgreich. Der ersten Welle von Veröffentlichungen folgten unlängst weitere. Mittlerweile hat sich lediglich das Cover Design etwas geändert. „Erntedank“ (Der Buchtitel wurde gegenüber der TV-Fassung um das angehängte ‚e. V.‘ gekürzt) gehört zur zweiten Tranche des Frühjahrs 2010 und präsentiert einen Fall mit Charlotte Lindholm, vom LKA Hannover, in Romanform.

Zur Story

Hauptkommissarin Lindholm befindet sich in der Elternzeit, was nicht heißt, dass sie die Hände in den Schoß legt. Zwar ermittelt sie – sehr zu ihrem Leidwesen – derzeit nicht, doch um nicht einzurosten beschäftigt sie sich mit allerlei Literatur zum menschlichen Gehirn und dessen Funktionen – speziell das Gedächtnis hat es ihr angetan. Immer mit dabei: Sohn David. Der kleine Fratz hat Charlottes Leben ganz schön durcheinander gewirbelt, auch das von ihrem Dauermitbewohner, dem Kriminalschriftsteller Martin Felser. Der ist frisch unter die Laubenpieper gegangen und hat eine nette, kleine Parzelle des Kleingartenvereins „Erntedank e. V.“ ergattert. Sehr zur Belustigung Charlottes, die grade erst eine Abfuhr ihres Chefs Bitomski eingefahren hat, als sie ihm vorschlug, ja halbtags wieder in den Polizeidienst einsteigen zu können.

Ein paar Tage Ruhe in der idyllischen Laubenkolonie tun sicher gut. Das verkündet der über-enthusiastische Martin jedenfalls. Nach Ruhe steht Charlotte allerdings überhaupt nicht der Sinn. Wie gut, dass just bei ihrer Ankunft einer der Laubenbesitzer einem tödlichen Herzanfall erleidet. Trotz des weder unerwarteten noch fremdverschuldeten Todes, scheint irgendein dunkles Geheimnis über der spießigen Kleingartenanlage zu liegen, welches direkt oder indirekt mit dem Toten in Zusammenhang steht. Eines, welches Charlottes kriminalistische Instinkte sofort weckt. Hier stimmt was nicht. Die alteingesessene Gemeinschaft verhält sich seltsam, und das nicht nur, weil Martin und Charlotte Neuzugänge sind, denen ohnehin schon aus Prinzip misstrauisch gegenübergetreten wird.

Martin hält das für Unsinn („Sind doch alle nett hier!“) und schiebt es auf Charlottes Sucht nach Verbrechen. Die zieht es erst einmal vor, die Leutchen im Glauben zu lassen „Frau Felser“ zu sein und auch ihren Beruf besser zu verschweigen – quasi als „eine von ihnen“ kann man sie am ehesten auszuhorchen und ein wenig herumschnüffeln. Das aufgesetzte Heile-Welt-Getue ist ihr ohnehin zuwider. Nach und nach verdichten sich tatsächlich die Indizien, dass hier vor Jahren ein handfestes Verbrechen ungesühnt blieb. Allein die Beweise fehlen ihr. Von einem Opfer ganz zu schweigen. Nachforschungen über den – wenig begeisterten – Bitomski und inoffizielle Kontakte zur Gerichtsmedizin führen zunächst ins Nichts. Bis sie die sterblichen Überreste eines angeblich nach Kanada ausgewanderten Parzellenbesitzers buchstäblich ausbuddelt …

Eindrücke

Die TV-Episode gehört sicher zu den sehenswerteren Folgen der Serie. Nicht leicht da Schritt zu halten, schließlich kann man das Drehbuch nicht einfach nur abschreiben, um plötzlich einen Roman draus zu machen. Schon gar keinen guten. Beide Medien unterscheiden sich zu stark in der Wahl ihrer Mittel und gerade der Hannoveraner TATORT baut – zusammen mit einigen anderen – sehr stark auf die Präsenz seiner Darsteller. Hier im Besonderen Maria Furtwängler (Charlotte Lindholm) und Ingo Naujoks (Martin Felser). Ein hartes Stück Brot für Hannes Nygaard also, die Vorlage von Angelina Maccarone zwischen zwei Buchdeckel zu pressen und dabei den richtigen Ton des Screenplays zu treffen. So ganz gelingt ihm das nicht, da etwas selbst Sehen und etwas erzählt bekommen bzw. Lesen nun einmal zwei verschiedene Paar Schuhe sind.

Während Hauptkommissarin Lindholm noch recht gut charakterisiert ist, will der auf dem Bildschirm so hibbelige, hypochondrische und zwanghafte Martin im Buch nicht funktionieren. Er ist schlichtweg zu „normal“ – außerdem fehlt Naujoks stets etwas nölig-nasale Stimme. Zudem werden hier zu viele Einblicke in die recht ungewöhnliche Beziehung der beiden, die eigentlich ja gar keine ist, gewährt. Im Fernsehen werden etwa kleine Eifersüchteleien meist nur zart angedeutet, hier wird das Kind klar beim Namen genannt, was einen Teil der gewohnten TV-Atmosphäre (zer-)stört. Auf der anderen Seite mag man argumentieren, dass genau das der Vorteil eines Romans ist: Man kann die Figuren eben halt mit mehr Background und somit auch mehr Tiefe ausstatten. Eine Gratwanderung und zu einem Gutteil sicherlich auch Geschmacksache.

Handwerklich gibt es hingegen nichts wirklich zu bemängeln. Für den Kenner der TV-Folge sind nur Kleinigkeiten auffällig, manche Dialoge finden zeitlich und inhaltlich etwas anders aus. Mag sein, dass das Drehbuch während des Drehs angepasst wurde, Hannes Nygaard jedoch die Urfassung zur Verfügung stand. Das macht aber nichts, der Plot geht trotzdem auf. Der Fall ist überaus spannend aufgezogen und bleibt auch bis zum Schluss schön undurchsichtig. Das Dauerthema von Charlottes Privat- respektive Liebeslebens – nicht nur im Bezug auf Martin, sondern auch was ihr Alter und ihre Mutterrolle angeht – ist interessant sowie recht realistisch umgesetzt. Der junge, freche Gerichtsmedizin-Praktikant Edgar Strelow und die überambitionierte Kollegin Schmit-Rohrbach sorgen obendrein für einige heitere Momente in der Geschichte.

Fazit

Interessante Charaktere, ein lange zurückliegender Mord, gewürzt mit einer leichten Prise norddeutsch-trockenem Humor: Fertig ist ein recht flotter, schnell herunter gelesener TATORT-Fall. Der wurde routiniert adaptiert, kann aber nicht alle Figuren völlig zufriedenstellend in die Novelle herüber retten. Speziell Martin Felser bleibt im Buch leider nur ein schwaches Abziehbild seiner – quod erat demonstrandum – unnachahmlichen Fernsehvorlage. „Erntedank“ ist dennoch eine solide, nicht unspannende, Geschichte in gewohnter Lindholm-Manier – mit leichtem Vorteil für die Fernsehfassung, die nicht zuletzt aufgrund ihrer audio-visuellen Möglichkeiten einen Tick runder wirkt.

Taschenbuch: 176 Seiten
Kriminalroman zur gleichnamigen ARD-Serie „Tatort“
Nach dem Drehbuch von Angelina Maccarone
ISBN 978-3-89705-659-6
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