Paul Robert Smith – Gespräch mit Igel

Tragikomödie mit englischem Don Quichotte

Es ist ein denkwürdiger Moment in Benton Kirbys Leben, als er nachts im Park mit einem Igel auf einem sitzt und über sein Leben und die Frauen nachdenkt. beispielsweise hat er seine Verlobte Georgia eine Woche vor der Hochzeit dadurch verloren, dass sie in ihr eigenes Haus einsteigen wollte und sie abstürzte, wobei sie sich das Genick brach – und anschließend erfror. Oder an jenen Moment, als er mit der süßen Cherry im Bett lag und seine zweite Verlobte Cassie nach Hause kam, so dass er sie mit einem Müllsack fesseln musste…

Der Autor

Paul Robert Smith ist ein australischer Filmregisseur und offensichtlich Drehbuchschreiber. Dies ist sein erster Roman, und dieser spielt nicht in Down Under, sondern in London.

Handlung

Da man nicht von einer linear zusammenhängenden Handlung sprechen kann, seien hier nur ein paar Highlights aus dem Leben des Ich-Erzählers Benton Kirby hervorgehoben. Möge der Leser selbst urteilen, ob er sich dieses Buch antun will.

Benton Kirby ist ein 36-jähriger Englischlehrer, Ex-Verlobter, Ex-Philosophiestudent und Ex-Wächter bei Madame Tussaud’s in London. Sein erster Bruder Ray ist Taxifahrer, der regelmäßig Gevatter Tod chauffiert, sein zweiter Bruder Truman ist etwas normaler, denn er hat eine Frau und zwei Kinder. Auch Benton war es einst vorbestimmt, diesem Zeitbomben-Parcours zu folgen, jedenfalls bis zu dem denkwürdigen Tag, als seine Verlobte Georgia ums Leben kam.

Weil sie ihre Wohnungsschlüssel bei ihrem Junggesellenabend vergessen hatte, wollte sie mit der Leiter bei sich im ersten Stock einsteigen, stürzte jedoch unglücklich und blieb schwerverletzt liegen. Das war noch nicht ihr Tod, doch Gevatter Tod ließ nicht lange auf sich warten. Als niemand kam, um ihr zu helfen, ließ er sie einfach erfrieren.

Zwei Tage später vögelte Benton schon Linda Plangton, die zur Hochzeit eingeladen gewesen war. Das hätte Benton nicht tun sollen, denn als dies bekannt wird, kommt Roger, Georgias Bruder, vorbei und haut ihm mordsmäßig in die Fresse. Der hat gut schlagen, denkt Benton, denn er weiß, dass Roger einmal mit seiner Schwester geschlafen hat, als beide stockbesoffen auf einer Party ins gleiche Bett fielen. Als Benton am nächsten Morgen neben den beiden Turteltäubchen in seiner eigenen Kotze erwachte, wurde er Zeuge eines markerschütternden Schreis, mit dem Georgia die Entdeckung ihres Bruders neben sich quittierte…

Auch im Sarg macht Georgia eine gute Figur. Dass sie alle ihre Organe der Medizin gespendet hat, sieht man ihr wirklich nicht an. Ihre Mutter jedoch findet, sie sollte durchaus ein wenig lächeln, und befiehlt Benton, sich neben das Schneewittchen im Sarg zu stellen und „Cheese!“ zu sagen. Er würde sie am liebsten als völlig pietätlos anbrüllen. Dann sagt er „Cheese“, der Wichser.

Cherry, Bentons Englischschülerin, ist eine süße Koreanerin, die Benton wirklich scharf macht. Allerdings tut sie das auch im Bett seiner Lebensgefährtin Cassie, und zwar genau dann, als diese fröhlich trällend vom Shoppen nach Hause kommt. Jetzt ist guter Rat teuer! Sicher wird die liebe Cassie, die schon Mutterfreuden entgegensieht, bald ins Schlafzimmer gerauscht kommen.

Es gibt in städtischen Wohnungen allerdings nur einen begrenzten Vorrat an Versteckmöglichkeiten, findet Benton, um nicht zu sagen, gar keinen. Deshalb schnappt er sich einen der Kleidersäcke aus dem begehbaren Kleiderschrankt, leert ihn aus und stülpt ihn der nichts Böses ahnenden Verlobten über den Kopf. Was sie nicht sieht, kann sie auch nicht heiß machen, findet er.

Doch das Unheil nimmt seinen verheerenden Lauf…

Mein Eindruck

Benton ist ein Ritter von der traurigen Gestalt, der ständig gegen Windmühlen kämpft. Diese Windmühlen haben so illustre Namen wie Schuldgefühle, Pech, Selbsttäuschung und die Mächte des Schicksals. Zu letzteren zählen der Zufall und der Tod. Dagegen lässt sich wahrlich wenig unternehmen, dafür aber umso mehr gegen die Erstgenannten. Benton wirft sich immer wieder vor, dass er zuwenig Schuldgefühle hat wegen etwas, das er nicht getan oder nicht tief genug gefühlt hat. Kein Wunder, dass ihn sein Bruder Ray ständig einen Wichser nennt.

Aber Benton hat eine ziemlich gute Zeit, wenn er sowohl Cassie als auch Cherry lieben kann. Was ihm natürlich wieder Schuldgefühle verursacht, als habe er zuviel Philip Roth („Portnoys Beschwerden“) gelesen. Aber andererseits ist er genügend Opportunist, um die Vorzüge dieser Doppelliebschaft auszukosten. Bis dann das Unheil zuschlägt. Als Ritter von der traurigen Gestalt, der keinen Sancho Pansa als Verkörperung von gesundem Menschenverstand als Berater hat, endet er nachts im Park auf einem Baum, aber mit einem Igel, den er vor einem großen Hund gerettet hat. Dieser Igel ist ein offensichtlicher Ersatz für das Baby, das Ben gezeugt, aber das Cherry wieder abgetrieben hat. Höchste Zeit für eine Lebensbeichte – voilà, jetzt haben wir den Salat bzw. den Roman.

Das kann der Leser, sofern er sich durchs Dickicht der Erzählung schlägt, lustig finden. Der Autor stellt es ziemlich clever an: Erst ködert er uns mit der Komik und gaukelt uns das Leben als Komödie vor. Doch schon bald erweist es sich, dass die Komödie nur die eine Seite der Medaille ist, die andere Seite aber aus Tragödien besteht. Was die beiden Seiten der Medaille verbindet, ist die Substanz: intensive Gefühle. Schon bald lesen wir vom Gevatter Tod als Beifahrer, von verunglückten Verlobten, abgetriebenen Babies, betrogenen Lebensgefährtinnen und anderen traurigen Dingen mehr.

Doch wie sang schon Monty Python’s Flying Circus in „Das Leben des Brian“? „Always look on the bright side of life“. Mit dem lakonischen Witz von Nick Hornby und der epischen Perspektive von John Irving bekommen wir peu à peu das ganze tragikomische Leben des Benton Kirbys verklickert. Und wir wollen nicht einmal aufhören, dieses verrückte Zeug, das er selbst als „völligen Quatsch“ bezeichnet, weiter und weiter zu lesen. Die kurzen Kapitel und die großzügige Seitenaufteilung laden ebenfalls dazu ein, die Seiten im Laufschritt zu bewältigen.

Schwächen

Natürlich kamen mir hin und wieder Zweifel hinsichtlich der Plausibilität mancher Details und der Darstellung. So ist Sartre nicht durchgehend niederschmetternd, sondern vertrat eine Philosophie der Freiheit, Selbstbestimmung und des Kampfes. Nicht umsonst war am Pariser Mai 68 beteiligt. Von Camus scheint der Autor noch nichts gehört zu haben, obwohl bei ihm Sisyphus durchaus vorkommt.

Die Übersetzung

Eva Bauche-Eppers ist eine zuverlässige Veteranin aus dem Lübbe-Stall von Übersetzern und hat stets – auch in der Fantasy- und SF-Reihe – erstklassige Arbeit abgeliefert. So auch hier. Erstens fand ich keinen einzigen Druckfehler, zweitens bewunderte ich wiederholt ihre Sicherheit in der Wahl des richtigen Ausdrucks. Das macht sich besonders bei umgangssprachlichen Ausdrücken bemerkbar, die wir zwar stets benutzen, über die wir uns aber (normalerweise) keine Gedanken machen. Und der Autor benutzt jede Menge Jargon, so dass sein Ich-Erzähler klingt wie Otto Normal, ein Jedermann, mit dem man sich identifizieren kann. Zumindest als Mann.

Unterm Strich

Seit Filmen wir „Short Cuts“ und „Liebe…tatsächlich“ wissen wir, dass das Leben ein tragikomisches Durcheinander ist, das eh kaum einer auf die Reihe kriegt. Benton ist deshalb ein Opportunist geworden, der das Beste vom Durcheinander zu erhaschen hofft, weil er selbst keine Peilung hat. Zudem ist er nicht willens, auf der bürgerlichen Schiene zu fahren und eine Familie zu gründen. Kein Wunder also, wenn er sich nicht entscheiden kann, einer seiner beiden Freundinnen den Laufpass zu geben. Wie sich herausstellt, tun sie das für ihn.

Er ist ein Ritter von der traurigen Gestalt. Man mag einen Opportunisten für witzig halten oder nicht, sicher ist, dass er seine Story so attraktiv als Komödie verkauft, dass kaum auffällt, dass es sich um die Tragödie eines Planlosen handelt. Aber er kann immer sagen, dass er vergeblich gegen Windmühlen gekämpft habe. Manchmal kommt sein Witz gezwungen her, so etwa in den Szenen bei Madama Tussaud’s, und so mancher Angabe und Darstellung kann ich mich nicht anschließen. Aber ich habe das Buch in nur drei vier Tagen verschlungen, was zumindest für seinen Unterhaltungswert spricht.

Taschenbuch: 237 Seiten
Originaltitel: Up a tree in the park at night with hedgehog, 2009;
Aus dem Englischen von Eva Bauche-Eppers
ISBN-13: 9783453012070

www.luebbe.de

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