Robert Goddard – Gefangen im Licht

goddard-gefangen-im-licht-cover-kleinEine stürmische Affäre ist der tückische Köder für Fotograf Ian Jarrett, der auf der Suche nach der verschwundenen Geliebten in ein Rachekomplott stolpert, das ihn Schritt für Schritt zugrunde richten soll … – Die Rasanz des Geschehens hilft diesem über die Klippen eines überkomplizierten Plans hinweg; höchstens Schwächen in der Figurenzeichnung beeinträchtigen das Vergnügen an einem nie originellen aber unterhaltsamen Thriller.

Das geschieht:

Ian Jarrett ist unglücklich verheiratet und Berufsfotograf. Für einen Bildband reist er nach Wien und lernt er dort die junge Marion Esguard – ebenfalls Britin – kennen: für beide nicht nur eine Begegnung, sondern Liebe auf den ersten Blick. Das Paar beschließt, ein neues, gemeinsames Leben zu beginnen. Ian lässt den Worten Taten folgen – und steht vor den Scherben seines Lebens, denn Marion lässt ihn telefonisch wissen, sie werde sich nun doch nicht von ihrem Gatten trennen. Dann taucht sie unter.

Der fassungslose Liebhaber sucht sie, bleibt aber erfolglos, da die echte Marion Esguard seit über 150 Jahren tot ist … Für Klärung sorgt die Psychotherapeutin Daphne Sanger. Marion ist eigentlich Eris Moberly und hält sich für die Wiedergeburt einer präviktorianischen Powerfrau namens Marian Esguard, die 1817 die Fotografie erfand – zwei Jahrzehnte vor bekannten Pionieren wie Fox Talbot und Louis Daguerre. Eris besitzt sogar uralte Fotos zu, die dies buchstäblich abbilden. Diese Bilder sind inzwischen Millionen wert. Der zwielichtige Antiquitätenhändler Montagu Quisden-Neve kommt Eris auf die Spur und presst ihr die kostbaren Bilder ab. Jarrett, der seiner Eris/Marian weiter auf den Fersen ist, findet ihn ausgeraubt und ermordet auf. Eris hat also Grund, sich verborgen zu halten.

Ian stolpert in ein neues Rätsel, Quisden-Neve verdiente sich offenbar auch als Spitzel ein schmutziges Zubrot. Er gab Insiderwissen über illegale Machenschaften der Finanzdienstleistungsfirma Nymantex weiter – an Ians Ex-Geliebte, die Journalistin Nicole Heywood. Ian dringt zu Conrad Nyman vor, der ihm eröffnet, Eris Moberly und ihre letzte Adresse zu kennen; die Tür dort öffnet Eris‘ ehemalige Mitbewohnerin – Dawn Esguard.

Und so dreht sich das Karussell der Irrungen und Wirrungen für den armen Ian stetig weiter. Jede Antwort mündet nur in eine neue Frage und führt ihn an einen anderen Ort. Am Ende seiner Suche steht die Erkenntnis, nichts als das hilflose Opfer eines ungeheuerlichen Rachekomplotts zu sein, das die völlige Zerstörung seines Lebens zum Ziel hat …

Sämtliche Register werden gezogen

Robert Goddard ist ein fleißiger Mann. Pünktlich legt er meist einmal jährlich einen neuen Psycho-Thriller vor, der wie seine Vorgänger sauber geplottet und sorgfältig geschrieben wurde – ein verlässlicher Autor, der Unterhaltungsliteratur der gehobenen Mittelklasse produziert. Obwohl er nie das Pulver (bzw. die Tinte) neu erfand, bemüht er sich stets redlich, seinem Publikum eine an Abwechslungen reiche Geschichte zu präsentieren, was ihm meist gelingt.

„Gefangen im Licht“ ist eindeutig eines der besseren Goddard-Werke. Die üblichen Zutaten sind vorhanden: Ein etwas unbedarfter und hölzerner Durchschnittsbürger stolpert in einen mysteriösen Kriminalfall, der schon vor langer Zeit seinen Anfang nahm, und verwickelt sich heillos in das Geschehen, was er selten mit heiler Haut, aber immerhin lebendig übersteht. Nichts ist so, wie es auf den ersten (oder auch zweiten) Blick scheint, jede/r hat etwas zu verbergen, und die Auflösung sorgt noch einmal für (unangenehme) neue Überraschungen. Das Mitleid mit dem oder den Helden hält sich in Grenzen, weil diese in der Regel selbst Dreck am Stecken haben oder – wie hier Ian Jarrett – ziemlich egoistisch und begriffsstutzig auftreten.

Zudem experimentiert Goddard mit Elementen des Schauerromans. In „Gefangen im Licht“ ist er damit noch zurückhaltender als in „Das Haus der dunklen Träume“ („Set in Stone“), das er im folgenden Jahr mit einem unzweifelhaft echten Gespenst bevölkerte. Doch die mysteriöse Geschichte der Marian Esguard lässt sich nicht völlig rational auflösen; die verräterische Eris Moberly ist womöglich wirklich die wiedergeborene Wegbereiterin der Fotografie.

Die Rechnung geht unterhaltsam auf

Im Rahmen des Plots, dem Goddard letztlich seine Story – die Rache des Conrad Nyman – unterordnet, ist dies eigentlich unnötig. Leicht hätte der Verfasser auch die Zeugnisse für Marians Seelenwanderung als Teil der Verschwörung erklären können. Das unterlässt er jedoch; sei es, dass er glaubt, einem konventionellen Thriller durch eine Geistergeschichte zusätzliches Leben einhauchen zu können, oder sei es, dass er vermeiden wollte, die Handlung als gigantisches Schachspiel mit schon vorab festgelegten Zügen zu präsentieren, denn das hätte in der Tat arg überkonstruiert gewirkt.

Die phantastischen Elemente lenken zudem von der im Grunde hanebüchenen Ausgangsidee ab. Es fällt schwer, in Conrad Nyman mehr als einen betrügerischen Wirtschaftstycoon zu sehen. Als rächendes, überlebensgroßes Genie des Bösen wirkt er reichlich unglaubhaft. Dasselbe gilt für seinen unendlich komplizierten Racheplan, dessen Realisierung von allzu vielen Zufällen abhängt. Immerhin geht ja auch schief, was nur schiefgehen kann. Sein Hauptvergnügen zieht der Leser sowieso aus den immer neuen Hakenschlägen der Handlung, den falschen Fährten, auf die ihn der Verfasser lockt, den Sackgassen, in denen sich plötzlich doch ein Hintertürchen auftut. Solange die Geschichte rollt, denkt man nicht über sie nach, und sie funktioniert tadellos.

Ähnliches gilt für die Figurenzeichnung. Goddard bemüht sich geradezu ängstlich, auf jeden Fall aber deutlich erkennbar um Ausgewogenheit. Seine Bösewichter sind nicht durchweg böse, seine Guten nie heldenhaft. Das führt allerdings dazu, dass uns ihr Schicksal eigentlich herzlich gleichgültig ist: Goddards Menschen wie du und ich mögen realistisch sein, aber sie taugen nicht zu Identifikationsfiguren. Vor allem der übel gebeutelte Ian Jarrett kann kein Mitleid wecken, so sehr sich sein geistiger Vater auch bemüht; im Finale will Goddard die Tragik förmlich herbeizwingen und bliebt doch erfolglos. Schlimm, schlimm, denkt sich der Leser, aber es berührt ihn nicht.

Wie man es richtig macht, zeigte uns Filmregisseur David Fincher in der ganz ähnlich angelegten Schlussszene seines Meisterwerkes „Sieben“, von der sich Goddard wohl ‚inspirieren‘ ließ – DAS ist Terror in Reinkultur! Goddards Katastrophen kommen dagegen ein wenig hausbacken daher – britisch bieder, wenn man es in eine Schublade stecken möchte, was aber ungerecht wäre, da „Gefangen im Licht“ trotzdem ein spannender Roman ist, der grundsolide unterhält – nicht mehr, aber auch nie weniger.

Autor

Robert Goddard wurde 1954 in Fareham, Hampshire geboren. Als Student der Universität zu Cambridge erwarb er einen akademischen Grad als Historiker; eine Ausbildung, die ihm später nützlich war, obwohl er sich zunächst mit den in diesem Metier üblichen Beschäftigungsproblemen konfrontiert sah. Ein Versuch, als Journalist Fuß zu fassen, scheiterte recht bald, und auch als Lehrer konnte Goddard nicht glänzen. So wählte er den letzten Ausweg und ging in die Verwaltung.

Während er für das Education Department des Devon County Councils tätig war, schrieb er in seiner Freizeit einen ersten Roman. „Past Caring“ (dt. „Dein Schatten, dem ich folgte“) erschien 1986 und entwickelte sich sogleich zu einem großen Erfolg. Der gleichzeitig vertrackte und spannend entwickelte, dabei aber den Regeln des Genres stets verpflichtete und massenlesertaugliche Thriller um diverse Schatten aus ferner Vergangenheit, die in der Gegenwart zu neuem, unheilvollen Leben erwachen, wurde zur Blaupause der meisten Romane, die seither in zügigem Tempo und regelmäßig folgen. Die Leser scheint dies nicht zu stören; jedes Goddard-Werk entert die Bestsellerlisten; nicht bis zur Spitze, aber hoch genug, um dem mit seiner Gattin heute in Truro, Cornwall, lebenden Schriftsteller ein behagliches Auskommen zu garantieren.

In Deutschland war Goddard viele Jahre ebenfalls präsent, fand und findet aber offensichtlich mit seinen neueren Werken keinen Verlag mehr. Anscheinend hatte sich seine Masche doch abgenutzt.

Taschenbuch: 414 Seiten
Originaltitel: Caught in the Light (London : Bantam Press/Transworld Publishers Ltd. 1998)
Übersetzung: Elke vom Scheidt
www.randomhouse.de/goldmann

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