Samuel R. Delany – Babel 17. SF-Roman

Classic SF: Sprache ist eine Waffe

Die ferne Zukunft. Rydra Wong, eine faszinierend schöne Frau, die als Dichterin interstellaren Ruhm erlangt hat, ist ein Sprachgenie. Aus diesem Grund wird sie vom Kommandanten der Streitkräfte der terranischen Allianz, die mitten im erbitterten Ringen mit interstellaren Invasoren stehen, aufgefordert, Babel 17 zu entschlüsseln, die für Menschen bisher unverständliche Sprache des Gegners.

Rydra Wong macht sich an die schwierige Aufgabe. Und je tiefer sie in die Materie eindringt, desto mehr erkennt sie, dass Babel 17 nicht nur eine Sprache ist, sondern auch ein Instrument, mit dem man Menschen manipulieren und programmieren kann. Babel 17 ist eine tödliche Waffe der Invasoren. (Verlagsinfo)

„Babel-17“ bekam den Nebula Award der US-amerikanischen SF-Kritiker und -Autoren. Meine besprechung würdigt die Moewig-Kurzfassung.

Der Autor

Samuel R. Delany, geboren 1942 in New Yorks armem schwarzen Stadtteil Harlem, ist seit 1988 Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität von Massachusetts und ein bekannter Literaturkritiker. Er wird zu den wichtigsten SF-Autoren überhaupt gezählt.

In den sechziger Jahren war er einer der amerikanischen Anhänger der New Wave, die eine Brücke zwischen modernen Mainstream-Erzähltechniken und der SF schlug. Die New Wave bedeutete eine Abkehr von den Naturwissenschaften und wandte sich den weichen Wissenschaften Linguistik und Soziologie zu. Mehrfach hat Delany populäre Mythen wie Moby Dick, Artus und Prometheus (in „Nova“) aufgegriffen, um sie neu zu deuten und kritikfähig zu machen. Er hat aber auch Fantasy veröffentlicht, die im erfundenen Land Nimmerya spielt.

„Babel-17“ bekam den Nebula Award der SF-Kritiker und -Autoren ebenso wie „The Einstein Intersection“ (1967).

Bibliografie

Die Türme von Toron

Die Türme von Toron, 1985, ISBN 3-404-24072-3, The Fall of the Towers, 1971 (Sammelband)

Sklaven der Flamme, 1971, ISBN 3-548-02828-4, Captives of the Flame auch: Out of the Dead City, 1963
Die Türme von Toron, 1978, ISBN 3-404-24072-3, The Towers of Toron, 1964
Stadt der tausend Sonnen, 1979, Pabel, City of a Thousand Suns, 1965

Neveryon

Geschichten aus Nimmerya, 1981, ISBN 3-942-39624-6, Tales of Neveryon, 1975
Das Land Nimmerya, 1984, ISBN 3-404-24053-7, Neveryona: or The Tale of Signs and Cities, 1983
Flucht aus Nimmerya, 1988, ISBN 3-404-24111-8, Flight from Neveryon, 1978
The Bridge of Lost Desire auch: Return to Neveryon, 1987

Einzelromane

Die Ballade von Beta-2 und andere Sagen der Zukunft, 1985, ISBN 3-404-24076-6 (Sammelband)

Die Juwelen von Aptor, The Jewels of Aptor, 1962
Die Ballade von Beta-2, The Ballad of Beta-2, 1965
Imperiums-Stern, The Empire Star, 1966
(Die deutschen Übersetzungen sind nicht einzeln erschienen, sondern nur im Sammelband)

Babel-17, 1975, ISBN 3-442-25038-2, Babel-17, 1966
Einstein, Orpheus und andere, 1972, ISBN 3-404-22076-5, The Einstein Intersection, 1967
Nova, 1983, ISBN 3-453-05797-X, Nova, 1968
Äquinoktium, 1997, ISBN 3-924-95942-0, The Tides of Lust auch: Equinox, 1973
Dhalgren, Science-fiction Roman. Bastei-Verlag Lübbe 1980, Bergisch Gladbach, ISBN 3-404-24011-1.[5]
Originalausgabe: Dhalgren, Bantam Books 1975, ISBN 0-552-68554-2.
Triton, 1981, ISBN 3-404-24016-2, Triton auch: Trouble on Triton, 1976
Empire: A Visual Novel, 1978
In meinen Taschen die Sterne wie Staub, 1985, ISBN 3-404-22084-6, Stars in My Pocket Like Grains of Sand, 1984
We, in Some Strange Power’s Employ, Move on a Rigorous Line, 1990 (Novelle)
They Fly at Ciron, 1992
The Mad Man, 1994
Hogg, 1995
Phallos, 2004 (Novelle)
Dunkle Reflektionen, herausgegeben von Karlheinz Schlögl, übersetzt von Andy Hahnemann, Golkonda Verlag, Berlin 2013, ISBN 978-3-942396-29-5 (Dark Reflections, 2007)
Through the Valley of the Nest of Spiders, 2012

Storysammlungen

Aye, and Gomorrah: And Other Stories, 1967
Treibglas, 1982, ISBN 3-404-24029-4, Driftglass: Ten Tales of Speculative Fiction, 1971
Distant Stars, 1981
The Complete Nebula Award-Winning Fiction, 1986
Driftglass / Starshards, 1993
Atlantis: Three Tales, 1995

Handlung

Seit 20 Jahren bedrängen die Invasoren den besiedelten Weltraum der Terranischen Allianz. Der Raumflotte ist unklar, was sie so erfolgreich macht und kann sie nicht besiegen. Im Gegenteil. Die Flotte ist auf dem Rückzug. Deshalb wendet sich General Forrester von den terranischen Streitkräften an die Dichterin und Kapitänin Rydra Wong. Die junge Frau hat im Auftrag des terranischen Geheimdienstes die Funksendungen der Invasoren analysiert, um einen Geheimcode zu finden. Denn jeder Funksendung folgt ein Sabotageakt.

Aber sie muss den General enttäuschen: Es gebe keinen Code. Vielmehr sei Babel 17, die Zeichenkategorie der Invasoren, eine Sprache. Eine Sprache, um Gedanken zu manipulieren. Mit ihrer Gabe der tiefen Empathie weiß sie, was der General denkt. Er ist enttäuscht, aber dann sagt er, dass man Rydra nur die eine Hälfte des Funkdialogs zwischen Invasoren und Erdflotte gegeben habe. Na toll, meint Rydra, kein Wunder, dass die Unterlagen keinen Sinn ergeben. Doch mit den vollständigen Unterlagen erkennt sie „intuitiv“ das nächste Ziel der Invasoren: eine große Flottenwerft im System Armsedge.

Eigeninitiative

Sie bietet Forrester an, selbst ein Schiff auszurüsten und mit einer neuen Crew nach Armsedge zu fliegen, um den geplanten Sabotageakt zu vereiteln. In einem speziellen Fightclub rekrutiert sie die ersten Mitglieder. Diese werben wiederum ein Trio unsichtbarer Mannschaftsmitglieder an: für die Scanner. Und zu guter Letzt erwecken sie eine Tote zum Leben, die als Pilotin fungieren soll. Weil sie nur Suaheli versteht, kann nur das Sprachgenie Rydra mit ihr reden. Mit dem Raumschiff „Rimbaud“, das nach ihrem Lieblingsdichter benannt ist, bricht sie ins All auf.

Wenige Stunden später rumst es gewaltig im Schiff: Eine der Antriebsmaschinen ist ausgefallen. Der Maschinist zeigt ihr, woran es liegt: Zwei Platinen wurden entzweigebrochen und wieder an ihren vorgesehenen Platz gesteckt. Das heißt also, dass sie einen Saboteur, einen Verräter an Bord hat.

Graf Verdorco

Auf der großen Werft Armsedge lebt der Waffenmeister Graf Verdorco, der sich über die Ankunft der weltberühmten Dichterin sehr freut. Bevor er mit ihr zum Abendessen geht, zeigt er ihr seine Sammlung erlesener alter und neuer Waffen. Dazu gehört auch ein Android mit der Modellbezeichnung TW-55. Er steht starr in der Halle, aber vielleicht schläft er auch nur. Er sei bestens getarnt und könne als Mensch auf jeder Menschen-Gala auftreten, ohne aufzufallen, versichert der Graf. Natürlich beherrsche er sämtliche Nahkampf- und Kampfsporttechniken, sonst würde er ja als Agent nichts taugen.

Der Anschlag

Vor dem Abendessen mit der Gräfin wird Rydra von einem unbekannten Mann angesprochen, der sie ausfragt, nur um gleich darauf zu verschwinden. Was sind das für seltsame Manieren, fragt sie sich. Einer ihrer Mitarbeiter warnt sie, Funksendungen in Babel 17 abgefangen zu haben. Etwas geht vor sich. Dann ruft die Gräfin zum Abendessen, und Rydra kann das nicht ablehnen. Als der Unbekannte sich an den Tisch setzt und mit einer Pistole um sich schießt, bricht Chaos aus. Rydra flüchtet an Bord der „Rimbaud“.

Zu ihrer Freude sind alle gesund und lebendig, die Crew ist vollzählig. Sie versucht einen Notstart, denn dieser Ort ist offensichtlich nicht sicher. Doch erneut kommt es zu einer unvorhergesehenen Reaktionen der Motoren: Sie zünden mit vollem Schub. Während der Tower des Raumflughafen eine Startfreigabe erteilt, die Rydra gar nicht verlangt hat, jagt die „Rimbaud“ mit voller Kraft in die Richtung einer Supernova. Rydra verliert das Bewusstsein…

Mein Eindruck

Die Sprache Babel 17 ist hinterlistiger, als sich Rydra hätte vorstellen können. Schon die Entschlüsselung der Sprache führt zu einer Art geistiger Infektion, von der der Infizierte zunächst nichts merkt: Das ist echte Selbstüberlistung. In dem Leben des so Infizierten kommt es daher immer wieder zu Überraschungen. Das bedeutet aber auch, dass man den Roman nicht zweimal lesen kann, weil man die Überraschungen dann ja schon kennt.

Verliebt

Rydra landet unter den Weltraumpiraten, die ihr Amok laufendes Schiff abgefangen haben. Hier lernt sie den Mann kennen, der von allen als „der Schlächter“ bezeichnet wird, aber trotzdem ihr Herz zu erobern weiß. Es sieht ganz danach aus, als sei auch er ein Opfer von Babel 17 geworden: Er kann sich an einige Jahre seines Lebens, bevor er Verbrecher wurde, nicht erinnern. Und er spricht von sich nie als „ich“. Für Rydra sind das untrügliche Anzeichen für eine Babel-Infektion. Als sie schließlich doch noch aufdeckt, wer er in Wahrheit ist, kommt das auch für den Leser überraschend.

Supermensch

Das Beste an dieser Wendung: Rydra erkennt die Vorteile von Babel 17 für sich und ihren Liebsten: Sie kann nicht nur sich selbst programmieren, indem sie einen kompakteren „Code“ verwenden, sondern auch ihre menschliche Umgebung. Die witzige Pointe am Schluss hat mir deshalb sehr gut gefallen: Wenn sie den „Schlächter“ vor Gericht verteidigen würde, hätte sie den normalsterblichen Richtern einiges voraus. Denn ganz nebenbei ist Rydra inzwischen ein Supermensch geworden. Schlachtschiffe zu übernehmen, ist für sie ein Kinderspiel.

Kurzfassung

Ich halte nicht viel von so stark gekürzten Version preisgekrönter SF-Klassiker, aber ausnahmsweise trägt die Kurzfassung dazu bei, durch viel Action den leser bei Laune zu halten. Es gibt hier kaum linguistische Exkursionen. Wer die Langfassung sucht, der wird bei Goldmann (1997, Nr. 25038) fündig. Dort ist der Roman rund 100 Seiten länger.

Die Übersetzung

Der Übersetzer der Moewig-Fassung war Walter Brumm, die Bastei-Lübbe- und die identische Goldmann-Fassung – sozusagen der Director’s Cut – stammt von Barbara Heidkamp. Heidkamp wird von mir als suboptimal bewertet, seit sie Robert Holdstocks Roman „Tallis im Mythenwald“ unangemessen ins Deutsche übertrug und dabei kräftig kürzte (siehe meine Besprechung von „Lavondyss“).

S. 12: (in) zwei extraterristischen Sprachen…“: Korrekt lautet der Ausdruck „extraterrestrischen“.

S. 19: „Was regte sich so auf?“ Statt „sich“ sollte es hier „dich“ heißen.

S. 41: „Kondenzwasser“ statt „Kondenswasser“ .

S. 54: „auf molekulare[r] Basis“: Das R fehlt.

S. 56: „totale zerebrale Atrop[h]ie“: Das H fehlt. „Atrophie“ bedeutet „Lähmung“.

S. 77: „Die ‚Dschebel Tarik‘ ist ein[es].“ Gemeint ist ein getarntes Schattenschiff. Dschebel Tarik ist der ursprünglich arabische Name für Gibraltar, benannt nach dem Feldherrn Tarik, der im 8. Jahrhundert die iberische Halbinsel eroberte.

S. 90: „in der radiogestörten Zone“: eine Zone, in der der Funkverkehr gestört ist. Der Übersetzer setzt „Radio“ mit „Funk“ gleich.

S. 140: dito auf S. 140: „Radio“ = „Funk“.

S. 143: „was soll ich mit den schizioden Spionen machen?“ Korrekt wäre „schizoiden“.

Unterm Strich

In diesem preisgekrönten SF-Klassiker geht es um die Macht der Sprache, folgerichtig ist seine Protagonistin eine Dichterin. Nicht zufällig stammen (in der Langfassung!) die den Kapiteln und Buchteilen vorangestellten lyrischen Texte von einer Poetin. Deren wahre Urheberin war seinerzeit Delanys Frau Marilyn Hacker (geboren 1942).

Der Autor glaubt nicht zu Unrecht, dass unsere Wahrnehmung der Realität zum Teil von unseren Sprachen geprägt ist. Darin folgt er der Theorie von Edward Sapir und Benjamin Whorf, der in seinem Buch „Sprache – Denken – Wirklichkeit“ (deutsch bei Rowohlt), gestützt auch ethnologische Forschung die entsprechende Theorie darlegt. Warum haben beispielsweise manche Indianerstämme keine Form für die Zukunft, die Inuit haben aber hunderte von Wörtern für Schnee?

Mit neuen Denk- und Sprachmustern gelingt es Delany, neue, fremdartige Gesellschaftsformen zu erfinden, darunter die sogenannten Invasoren, die im Roman natürlich ebenfalls auftreten, so etwa als schwangere Soldatinnen. Eine weitere Kultur sind die Weltraumpiraten, die von den Vertretern der terranischen Allianz gejagt werden. In einer der Raumschlachten wird das Schiff der Ciribianer in den Kampf hineingezogen, die so etwas wie die neutralen Schweizer der Galaxis sind. Insgesamt kennt dieses Universum fast ein Dutzend Alien-Spezies.

Der Roman ist intensive, aber auch unterhaltsame Lektüre und beeindruckt vor allem durch Delanys große, straff geführte Vorstellungskraft. Die vielen Kürzungen haben mich weniger beeindruckt, obwohl ich auf Gedichte durchaus verzichten kann.

Taschenbuch: 145 bzw. 231 bzw. 251 Seiten
Originaltitel: Babel 17
Aus dem Englischen von Walter Brumm bzw. Barbara Heidkamp.
ISBN-13: 9783404240357

www.luebbe.de

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