Romain Sardou – Das dreizehnte Dorf

Ein Dorf in Südfrankreich, die Hauptstadt Paris und die Papstmetropole Rom sind Schauplätze dieser Geschichte, die drei Gruppen ahnungsloser Zeitgenossen auf die Spur eines uralten, europaweiten Komplotts führt … – Ein weiteres der beliebten „Verschwörung-im-Vatikan“-Garne, dieses Mal im Mittelalter angesiedelt; mächtig verwickelt, doch nur bis zur enttäuschenden Auflösung wirkungsvoll. Zuvor spielt der Verfasser geschickt mit den Klischees des „finsteren Mittelalters“, wobei er sacht Elemente des Mystery- bzw. Horrorthrillers einfließen lässt. Das Ergebnis kann mit den Ambitionen des Verfassers nicht mithalten, weiß aber zu unterhalten.

Das geschieht:

Im Januar des Jahres 1284 reist der junge Priester Henno Gui in das südfranzösische Dörflein Domines, das zur winzigen, unbedeutenden Diözese Draguan gehört, in der aktuell große Aufregung herrscht: Der alte Bischof Haquin wurde brutal ermordet. Die Dorfbewohner erinnern sich an unheimliche Vorkommnisse im Vorjahr. Der Fluss Montayon hatte Leichenteile eines Herzogs und seiner beiden Söhne angespült. Haquin hatte Nachforschungen anstellen lassen. Dabei war nicht der Täter, aber etwas Seltsames entdeckt worden: Heurteloup, das dreizehnte Dorf der Diözese, tief verborgen in Wald und Sümpfen, seit 1233 ohne jeden Kontakt zur Außenwelt …

Haquin hatte Gui nach Heurteloup schicken wollen. Dieser macht sich mit seinem Schüler Floris de Meung und dem Riesen Mardi-Gras dorthin auf. Inzwischen bringt Haquins Vikar Chuquet die Leiche seines Herrn nach Paris. Er stellt dort eigene Nachforschungen an: Haquin war ein Mann ohne Vergangenheit, aber von großem Wissen, der nicht in ein Nest wie Domines gehörte. Chuquet kommt eigentümlichen Vertuschungen auf die Spur. Offenbar war Haquin in eine Verschwörung des „Konvents von Armaggedon“ verwickelt, die mächtige Kirchenmänner aus ganz Europa eint und ihr Zentrum womöglich im Vatikan hat …

Dort bittet Ritter Enguerran du Grand-Celier Artemidore, den Kanzler Papst Martins IV., um das Leben seines Sohnes. Aymard hat den verderbten „Orden der Frommen Brüder“ gegründet, der als Kulisse für einen Kreis blasphemischer Teufelsanbeter dient, die zudem hohe Stiftungsgeldsummen veruntreuten. Der Papst fürchtet den Skandal. Deshalb wird Aymard der geheimen Gemeinschaft von Albert le Grand überstellt und dort zu einem robotergleichen Gotteskrieger dressiert, der für den Konvent in Heurteloup diverse Drecksarbeiten erledigen soll …

Fromm und verdächtig: Kirche in der Kritik

Wüste Verschwörungen in ferner Vergangenheit, die ihren Weg niemals in die Geschichtsbücher gefunden haben, sind eindeutig ‚in‘, wie der Blick auf die Bestsellerlisten zeigt. Das gilt besonders, wenn das geheimnisvolle Geschehen sich auf den Vatikan konzentriert: Die katholische Kirche, der älteste Konzern der Welt, ist nicht für seine Offenheit im Umgang mit der eigenen Geschichte bekannt. Dafür gibt es gute Gründe, haben sich doch die Päpste im angeblichen Namen des Herrn seit jeher diverser und recht monumentaler Verbrechen schuldig gemacht, die dann mehr schlecht als recht, aber unter Einsatz von Gewalt und Drohungen vertuscht werden sollten.

Wo man nichts Genaues weiß, lässt sich herrlich spekulieren. Zwei Jahrtausende Geschichte bieten mehr als genug Nischen dafür, zumal die Kirche immer noch Züge einer Geheimgesellschaft aufweist. Im Mittelalter war sie sogar eine reale politische Macht, die durchaus Interesse an der Weltherrschaft zeigte – selbstverständlich nur im Dienst der göttlichen Sache …

Im 13. Jahrhundert wogte der Kampf zwischen Kirche und Welt mächtig hin und her. Auch innerhalb der Kirche gab es reichlich Ränken und Intrigen. Die zunehmende Verweltlichung, die Korruption ließ konservative Kleriker an der Kirche zweifeln. Immer wieder spalteten sich Gruppen ab, die misstrauisch beobachtet wie die Bettelorden oder gar als „Ketzer“ verfolgt wurden, wenn sie sich nicht Rom unterwerfen wollen. Ihre Zahl wurde so groß, dass der Stuhl des Papstes durchaus wackelte. Deshalb war die offizielle Kirche nervös und schlug hart zu, wo sie ihre Privilegien in Gefahr sah.

Vatikan-Munkeleien mit Horror-Elementen

Eine verheißungsvolle Kulisse für einen historischen Roman; sie wird nicht zum ersten Mal genutzt. Weil ihm die Realität als Schablone nicht ausreichend erscheint, greift Autor Romain Sardou zusätzlich auf Elemente des Mystery- und Horrorthrillers zurück. „Akte X“ selig ist Kinderkram gegen die verwuselte Story vom Komplott um die Macht auf dem europäischen Kontinent.

Kinderkram ist leider auch die Lösung, die sich der Verfasser für seine vielen Haupt- und Nebenplots einfallen ließ. Sie soll an dieser Stelle natürlich nicht verraten werden, aber eine Warnung sei gestattet: Die sorgfältig aufgebaute und kunstvoll geschürte Spannung fällt im Finale zusammen und wird sogar von Enttäuschung abgelöst: So dämlich waren auch die Menschen des Mittelalters nicht, wie Sardou es ihnen hier unterstellt! Nicht die Unwahrscheinlichkeit des Geschehens irritiert dabei – dies ist schließlich ein Unterhaltungsroman, kein Sachbuch. Es genügt, wenn die historischen Fakten halbwegs berücksichtigt werden, was dem Verfasser gelingt: Er hat seine Geschichte geschickt in diverse, historisch schlecht oder gar nicht belegte Lücken platziert oder bedient sich interpretationsfähiger Episoden der Vergangenheit.

Nein, es ist die schiere Unlogik, mit der sich der Handlungsknoten schürzen soll. Alle Stränge, die bisher weitgehend selbstständig liefen, sollen sich in Heurteloup treffen, doch das will einfach nicht klappen. Deshalb verwundert es überhaupt nicht, dass am Ende ein gigantisches Gemetzel steht: Sardou fand wohl keine andere Möglichkeit mehr, seine Geschichte zum Abschluss zu bringen. Bis sich Ernüchterung einstellt, bietet „Das dreizehnte Dorf“ freilich die angestrebte Unterhaltung. Der nüchterne Stil, die kurzen Sätze fördern den Eindruck, eine reale historische Episode zu verfolgen. Die zeitgenössischen Impressionen aus Paris oder Rom fallen auffällig zurückhaltend aus; der Verfasser ergeht sich nicht in Details, sondern ordnet den Orte stets seiner Handlung unter, zeigt sogar die großen Städte der Vergangenheit aus der Sicht seiner gehetzten, an Wichtigeres denkenden Figuren.

Die Guten, die Bösen, die Mysteriösen

Groß ist die Zahl der Figuren, die Sardou Abenteuer erleben lässt. Es verwirrt zunächst, dass sich diese höchstens zufällig über den Weg laufen, aber ansonsten isoliert agieren. Der ständige Wechsel der Schauplätze ist Stilmittel und zudem wichtig, denn Aktion muss vor allem im zweiten und dritten Teil Tiefe und erzählerische Dimension ersetzen.

Im Zentrum des Geschehens stehen ‚gute‘ und ‚böse‘ Kirchenmänner. Die Fronten sind klar, sie wurden vor allem in der Gegenwart gesteckt: ‚Gut‘ sind Männer wie Henno Gui oder Chuquet, die sich den alten Idealen der Kirche und den Menschen verpflichtet fühlen. Auf der Gegenseite stehen die Mitglieder des „Konvents“, die vor allem die Macht lieben und zu allen Schandtaten bereit sind, um der Sache der Kirche, wie sie diese interpretieren, und natürlich dem eigenen Vorteil zu dienen.

Leider fällt Sardou in dieser Hinsicht wenig Neues ein. Er zeichnet uns Pfaffenbilder, die wir kennen. Höchstens Chuquet macht einen Wandel durch, entwickelt sich vom kritiklosen Jasager zum Kämpfer für das Recht. Der Papst ist dieses Mal nicht der Böse, sondern eher der Dumme. Den Rest der Welt vermittelt uns der Verfasser als Spielball der Kirche. Dass dem in der Realität längst nicht so war und sich die Könige, Herzöge oder Grafen ihrer Haut zu wehren wussten, deutet er zwar an, negiert es freilich um der Story willen.

Spielereien am Rande

Die Bewohner des „dreizehnten Dorfes“ stellen nach dem Willen Sardous Ratten in einem Versuchslabor dar. Als solche mimen sie als moderne Wilde die üblichen Bewohner einer vergessenen Welt. Sie können niemals Profil gewinnen, bleiben exotische Statisten, deren Schicksal kaltlässt. Der Verfasser muss zu viele Bälle gleichzeitig jonglieren. Nur selten bleibt ihm die Zeit, konturstarke Protagonisten für sein Spiel zu schnitzen.

Er verzettelt sich gern, manchmal witzig (Bischof Haquin blättert im „Necronomicon“, dem fiktiven Buch des absoluten Bösen, das Phantastik-Klassiker H. P. Lovecraft erfand), dann verwirrend (Elfen treten als Gaststars auf), manchmal sogar ärgerlich (Irgendwo in Asien hat der „Konvent“ – wahrscheinlich durch Vermittlung Quentin Tarantinos – einen weisen Chinamann angeheuert, der die geheime Kunst der fernöstlichen Gehirnwäsche beherrscht). Anders ausgedrückt: „Das dreizehnte Dorf“ ist ein wenig zu sichtbar auf den Effekt hin inszeniert.

Es bleibt ein historischer Roman, der mit Vorschusslorbeeren bedacht wurde (s. u.), die er so nicht verdient – ein interessanter Bucherstling, der stark beginnt, doch im wichtigen Schlussteil arge Schwächen an den Tag legt, lesenswert, aber auch enttäuschend: ein Retorten-Bestseller halt.

Autor

Romain Sardou (geboren am 6. Januar 1974) trägt in seiner französischen Heimat einen großen Namen: Sein Vater ist der Chansonier Michel Sardou, und seine Vorfahren waren Sänger, Schauspieler und Autoren, was sicherlich hilfreich war, als es darum ging, für das Manuskript von „Das dreizehnte Dorf“ einen Verlag zu finden und das fertige Werk zu vermarkten.

Für seinen Erstling konnte Sardou jr. auf einschlägige Erfahrungen im modernen Unterhaltungsgewerbe zurückgreifen. Er arbeitete in der (Kinder-) Filmindustrie von Hollywood, wo er offenkundig lernte, ein öffentlichkeitswirksames Garn zu spinnen. Der „Traum vom großen historischen Roman“ – so pompös der Klappentext – trieb ihn zurück nach Paris.

‚Groß‘ ist „Das dreizehnte Dorf“ tatsächlich geworden – zwar nicht ob seiner literarischen Qualitäten, aber als Produkt: Gleich in zwölf Ländern wurde das Buch mit viel Mediendonner auf den Buchmarkt gebracht und entwickelte sich planmäßig zum Verkaufsschlager. Nach einem produktiven Jahrzehnt hat sich Sardou offenbar als Schriftsteller zurückgezogen.

Taschenbuch: 416 Seiten
Originaltitel: Pardonnes nos offenses (Paris : Editions XO 2002)
Übersetzung: Karin Meddekis
http://www.randomhouse.de/heyne

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