Wir schreiben das Jahr 1260 in Köln, der Kölner Dom befindet sich noch im Bau unter der Leitung des genialen, visionären Baumeisters Gerhard Mortat. Doch eine dunkle Verschwörung, von der Gerhard Kenntnis haben muss, wird ihm zum Verhängnis. Schon zu Beginn der Geschichte werden wir Zeuge, wie ein gewisser Mathias und ein gewisser Heinrich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion den gedungenen Killer Uruqhart anheuern, der den Baumeister erledigen und eine weitere – bislang unbekannte – Aufgabe übernehmen soll. Uruqhart tut, wie ihm geheißen, kauft sich zwei Zeugen, die den Mord später als einen Unfall bekunden, und als sich die Gelegenheit bietet, schubst er Gerhard dezent vom Baugerüst des Doms.
Allerdings hat er nicht mit einem richtigen Zeugen gerechnet, der sich gerade an bzw. in den erzbischöflichen Apfelbäumen gütlich tut: Jacop, genannt „Der Fuchs“, seines Zeichens ein kleiner, unbedeutender Dieb. Eigentlich wollte Jacop nur (illegal) seinen Hunger stillen, fällt aber vor lauter Schreck über die schattenhafte Gestalt und die Tat aus dem Baum – mehr noch: Da der Baumeister sich noch bewegt, überkommt ihn der irrige Gedanke, ihm vielleicht helfen zu können. Alle Vorsicht vergessend, setzt Jacop im Schweinsgalopp herüber zum Gestürzten und dieser lebt tatsächlich noch lang genug, um dem Tagedieb ein paar Worte ins Ohr zu flüstern, bevor er sich endgültig aufmacht, vor seinen Schöpfer zu treten.
Jetzt heißt es: nichts wie weg! Jacop hockt hier mitten auf dem Domplatz wie auf dem Präsentierteller, der Mörder hat ihn unter Garantie gesehen, sodass ein Rückzug mehr als angebracht erscheint – keine leichte Aufgabe für jemanden, der mit seinem leuchtenden Rotschopf auffällt wie eine Knackwurst in der Maibowle. Dennoch schafft er es dank der unerwarteten Hilfe der (soeben kennen gelernten) Färberstochter Richmodis und eigener Pfiffigkeit, den kaltblütigen Attentäter abzuschütteln. Denkt er. Doch als er seine unglaubliche Story zweien seiner engsten Freunde erzählt, werden diese etwas später von ungewöhnlichen Armbrustbolzen durchbohrt von ihm aufgefunden.
Der Killer hat seine Witterung also doch nicht verloren und beseitigt nun alle, die das Geheimnis kennen könnten. In seiner Not und auch leicht verletzt sucht Jacop Richmodis nochmals auf – ihr Onkel Jaspar Rodenkirchen ist Physikus (Arzt), hatte sie beiläufig erwähnt. Der ist von Jacops Geschichte derart fasziniert, dass er beschließt weiterzuforschen, was den Stein erst richtig ins Rollen bringt. Jacop ist nämlich unfreiwillig in eine Fehde zwischen dem Erzbischof und einigen reichen Patrizierfamilien geschlittert, und die dulden bei ihrem Komplott nun mal keine Mitwisser. Jetzt befinden sich außer Jacop zu allem Überfluss auch noch seine neu gewonnenen Freunde und Helfer Richmodis, ihr Vater Goddert von Weiden und ihr Onkel Jaspar in höchster Todesgefahr und somit auf der Abschussliste des Killers …
_Meinung_
Die Basis des Plots steht auf wahren Begebenheiten, tatsächlich ist Gerhard Mortat in besagtem Jahr unter ungeklärten und mysteriösen Umständen vom Baugerüst des Kölner Doms zu Tode gestürzt. Desweiteren sind auch die Patrizier, wie die Overstolzens, die Weisens und die Kohns historisch korrekt, Gleiches gilt natürlich auch für Erzbischof Konrad. Auch wenn Schätzing behauptet: „die Hälfte der Figuren spielt sich selbst“, so ist die Handlung als solche frei erfunden und bedient sich lediglich der Personen, um diesen mittelalterlichen Kriminalfall realistischer erscheinen zu lassen.
Mystery sucht man vergebens, denn schon auf den ersten Seiten wird klar, dass es sich um ein Komplott handelt und mindestens drei (Mit-)Täter sind dem Leser sogar schon mal namentlich bekannt, peu à peu zieht die Verschwörung dann immer weitere Kreise, wobei man sich schon bald denken kann, worauf das Ganze im Endeffekt hinausläuft. Hauptaugenmerk liegt demnach darauf, wie es Jacop und seine Freunde schaffen, die Verschwörung aufzudecken und von dem eiskalten Profi-Meuchler Uruqhart dabei nicht abgemurkst zu werden.
Der Schreibstil Schätzings ist locker und flockig, auch wenn er gerne auf archaische Begriffe zurückgreift, die man damals nun einmal benutzte; so mischt er immer wieder kleinere moderne Worte mit hinein, um ein wenig Witz in die Sache zu bringen. Witzig ist das Werk stellenweise wirklich, gerade die Wortgefechte zwischen Jaspar und Goddert sind herzerfrischend komisch – doch auch sonst spielt der Autor geschickt mit Sprache und Figuren. Leider gibt es, wo Licht ist, auch Schatten. So fallen die ausholenden und dozierenden Erklärungen Jaspars zur Geschichte Kölns und der politischen Situation manchmal etwas arg lang und unrealistisch aus. Wenn man Zeit genug hat zu philosophieren, kann die Gefahr, in der man grade schwebt, doch nicht allzu groß sein.
Trotzdem ist das Bild, das Schätzing vom mittelalterlichen Köln und seinen Akteuren zeichnet, lebendig und recht glaubhaft, allerdings ein wenig mit Klischee behaftet und überzeichnet. Die Atmosphäre an sich ist jedoch stimmig und weiß zu gefallen und mitzureißen, da kann ich über minimale Schwächen generös hinwegschauen.
Waren die Erklär-Passagen Jaspars noch sehr weit ausholend, so kommt die Action dennoch nicht zu kurz. Wenngleich manche Ereignisse durchaus vorhersehbar sind, gelingt Schätzing doch die eine oder andere interessante Überraschung. Sehr zu meinem Bedauern geht es am Schluss zu sehr hopplahop dem Ende der Geschichte zu. Hat sich Schätzing vorher noch beinahe akribisch seinen Figuren und der Handlung gewidmet, so geht’s nun einen Tick zu rasant zu, um die Handlung zu einem logischen und befriedigenden Abschluss zu bringen.
Meiner bescheidenen Meinung nach hätte er entweder im Mittelteil die ellenlangen Geschichtsstunden etwas einkürzen und dafür das Ende pfiffiger und ausführlicher gestalten können (wenn er schon eine bestimmte Seitenzahl erreichen musste/sollte) oder er hätte gleich weitere zwanzig bis dreißig Seiten für einen anständigen Showdown drangehängt. Das Ende jedenfalls ist ein ziemlich abrupter Stilbruch und zudem ein veritabler Cliffhanger – Wozu macht er sich die Mühe, die Beziehungen der Charaktere untereinander zunächst tief auszubauen, um dann mit aller Macht auf die Bremse zu treten?
Spekuliert(e) Schätzing gar auf eine eventuelle Fortsetzung und wollte den Erfolg seines ersten Buches erstmal abwarten? Ich bin versucht, genau das anzunehmen, ohne etwas unterstellen zu wollen, doch irgendwie ist mir der Stimmungswechsel am Ende |zu| augenfällig. Bislang jedoch hat sich in diese Richtung nichts entwickelt, keine Fortsetzung in Sicht – vielleicht kommt ja doch noch eine, wenn der Hype um [„Der Schwarm“ 731 ein wenig abgeebbt ist.
_Fazit_
Die Idee, ein Komplott bzw. eine Mordserie ins finstere Mittelalter zu verfrachten, ist auch nicht besonders neu, da hat Umberto Eco mit „Der Name der Rose“ einen Meilenstein geschaffen, der schwerlich zu toppen ist. Eine empfehlenswerte Lektüre für Zwischendurch ohne großen Anspruch; wer mit dem vielen Latein und einigen Begriffen des Mittelalters Probleme hat, bekommt sogar im Anhang ein kleines, nützliches Lexikon geboten. Bis auf die unfreiwilligen, aber trotzdem recht interessanten Geschichtsstunden ein sehr kurzweiliges Buch mit Witz und Charme. Freunde des mysteriösen Thrillers werden wohl ein wenig enttäuscht sein, denn es ist ein Krimi – nicht mehr, nicht weniger -, bei dem die Täter zu Beginn bekannt sind und auch das Motiv selbst dem weniger aufmerksamen Leser relativ schnell klar wird.