Hans Christian Andersen – Die Schneekönigin (Hörspiel)

Abwechslungsreicher Road Trip zur Erlösung

Das beliebteste Winter-Märchen überhaupt erzählt von den vielen Abenteuern, die die kleine Gerda auf der Suche nach ihrem von der Schneekönigin entführten Freund Kay erlebt. Als neue, mit vielen bekannten Stimmen besetzte Hörspiel-Version für die ganze Familie entfaltet die Version von Titania Medien Dank der dichten Atmosphäre ihren ganz eigenen Zauber – nicht nur zur Winterzeit. (Verlagsinfo)

Mit der Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski.

Der Autor

Hans Christian Andersen (* 2. April 1805 in Odense; † 4. August 1875 in Kopenhagen) ist der wohl berühmteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks.

Seine bekanntesten Märchen erschienen bereits um 1840 in unterschiedlichen deutschen Übersetzungen. Angelehnt an dänische, deutsche und griechische Sagen und historische Begebenheiten, dem Volksglauben verbunden und inspiriert von literarischen Strömungen seiner Zeit, schuf Andersen so die bedeutsamsten Kunstmärchen des Biedermeier. Andersens Märchen sind nicht nur zeitlos; sie gehören mittlerweile zur Weltliteratur.

Weniger bekannt sind viele seiner 156 weiteren Märchen. Auch die autobiografischen Texte, Novellen, Dramen, Gedichte und Reiseberichte, die von seinem Schaffensreichtum zeugen, führen ein Schattendasein. Auch als Romancier ist Andersen kaum bekannt: 1835 erschien sein erster Roman „Der Improvisator“, den er während eines Italien-Stipendiums schrieb, 1848 „Die beiden Baroninnen“, eine Waisenkind-Geschichte. (Quelle: Wikipedia)

Die Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher und ihre Rollen:

Christian Wolff: Erzähler
Malte Wetzel: Kay
Paulina Rümmelein: Gerda
Susanne Uhlen: Schneekönigin
Tommi Piper: Teufel
Tim Schwarzmaier: Schlittenfahrer
Max Felder: dito
Roman Wolko: Sonnenschein
Janina Sachau: Schwalbe
Tobias Lelle: Wache
Alexander Turrek: Wache
Monika John: Zauberin
Julia Stoepel: Rosen
Kai Taschner: Krähe
Angelika Bender: Zahme Liebste von Krähe
Annina Braunmiller: Prinzessin
Maximilian Belle: Prinz
Manfred Erdmann: Kutscher
Patrick Schröder: Räuber
Patrick Roche: Räuber
Susanne Tremper: Räuberweib
Gabrielle Pietermann: Räubermädchen
Jacqueline Belle: Taube
Christian Weygand: Rentier Bä
Ingrid van Bergen: Lappin
Doris Gallart: Finnin
Alexander Mager: Kobold
Henri Färber: Kobold
Mathis Färber: Kobold
Dagmar von Kurmin: Großmutter von Gerda

Regie führte Marc Gruppe, der auch das Drehbuch verfasste, und das Hörspiel mit Stephan Bosenius realisierte. Die Aufnahmen fand in den Titania Studios und dem Fluxx Tonstudio statt. Die Musik stammt von Tschaikowsky, die Illustration von Firuz Askin. Das Titelbild zeigt Kay beim vergeblichen Eisspiel, daneben die Titelfigur.

Handlung

PROLOG

Der Teufel, ein wahrlich böser Zauberer, hat einen ganz besonderen Spiegel erschaffen und ihn seinen Helfern, den Kobolden, gegeben. Alles Gute und Schöne, was sich darin zeigt, wird hässlich, das Böse aber tritt als wichtig und schön hervor. Die Kobolde sollen das neue Werk umgehend in die Welt transportieren. Die Kleinen stöhnen unter dem Gewicht, während ihr Dienstherr ob dieses boshaften Geniestreichs lacht. Der Einsatz wird ein voller Erfolg.

Doch als die Kobolde höher zu Gott und den Engeln fliegen, beginnt der Zerrspiegel zu vibrieren. Sie können den schweren Spiegel nicht mehr halten; er fällt zu Boden und zerbirst in Millionen kleine Scherben so groß wie Sandkörner. Vielen Menschen dringen diese Körner ins Auge, manche sogar ins Herz, doch jede Scherbe birgt die böse Kraft des Spiegels in sich. Sogar noch besser, lacht der Teufel.

Haupthandlung

In der großen Stadt am Fluss leben die zwei armen Kinder Gerda und Kay. Sie sind nicht Geschwister, sondern Nachbarskinder, die sich oft auf einem Dachgarten treffen. Hier befindet sich ihr kleines Paradies, in dem Rosensträucher und Erbsenranken blühen. Als es im Winter schneit, kuscheln sie sich zu Füßen von Gerdas Großmutter, die sie vor der schrecklichen Schneekönigin warnt. Diese zaubert Eisblumen an die Fenster und nimmt Kinder mit, die nicht achtgeben. Über solche Märchen können die beiden Freunde nur lachen.

Doch es ist dieser Winter, in dem die Schneekönigin Kay zum ersten Mal besucht. Er ist erschrocken, als sie ihn lockt, doch mal herauszukommen in den Frost. Der Winter geht, der Frühling kommt, und als Kay und Gerda auf dem Dachgarten ein Lied singen, verspürt Kay auf einmal Schmerzen im Auge und im Herzen. Auf einmal erscheint ihm die Schönheit der Rosen hässlich, und er stößt seine beste Freundin von sich. Gerda ist erschrocken, doch mit Kay wird es immer schlimmer, und das macht sie sehr traurig.

Die Schneekönigin

Erneut kommt der Winter, und Kay bewundert die Schönheit der Schneeflocken und Eisblumen. Als er draußen vor der Stadt rodeln geht, erblickt er einen großen Schlitten, in dem eine weiße Frau sitzt, die in weißen Pelz gehüllt ist – die optimale Mitfahrgelegenheit, denkt er. Er lässt sich von ihrem Schlitten ziehen, steigt schließlich zu ihr ein.

Doch der Schlitten fährt immer schneller, hinaus aufs freie Feld, und es wird Kay schrecklich kalt. Sie fordert ihn auf, unter ihren wärmenden Eisbärpelz zu schlüpfen. Sie gibt ihm sogar einen lieben Kuss, und daraufhin wird es Kay warm. Ein zweiter Kuss lässt ihn vergessen, dass sein Schlitten von Gerdas Großmutter stammt. Als er an Gerda denken muss, gibt ihm die Schneekönigin einen dritten Schmatz, bis er seine Vergangenheit vollständig vergessen hat. Er merkt kaum, wie der Schlitten durch die Luft zu ihrem Schloss fliegt.

Gerdas Suche

Gerda vermisst Kay schrecklich und sucht ihn überall vergebens. Ihre Großmutter befürchtet, dass er im Fluss ertrunken sein könnte. Als der Frühling gekommen ist, klagt Gerda der Schwalbe, dem Sonnenschein und der Rose ihr Leid. Doch sie beruhigen sie, dass sie nicht an Kays Tod glauben. Da geht Gerda zum Fluss, in dem Kay ertrunken sein könnte, und fragt ihn nach Kay – keine Antwort. Im Tausch für ihre schönen Schuhe bringt er ihr allerdings ein Boot, das Gerda flussabwärts trägt.

Sie gelangt an ein kurioses Häuschen mit Strohdach, vor dem zwei Holzsoldaten sie warnen: „Fort von hier!“ Aber warum nur? Eine alte Frau kommt heraus und bittet Gerda, ihre Geschichte zu erzählen, doch als Gerda Kirschen aus dem Garten isst und dem Bann der Alten verfällt, merkt sie nicht, dass die Frau eine Zauberin ist. So vergisst Gerda Kay und ihre Suche, bis sie eines Tages merkt, dass die einzige Blume, die im Garten fehlt, die Rose ist – und die findet sie auf dem Sonnenhut der Alten. Da fällt ihr Kay wieder ein, und ein durch Gerdas Tränen erweckter Rosenstrauch rät ihr: „Such ihn!“

Da läuft Gerda fort, auf zu weiteren seltsamen Begegnungen, bis ihr Weg sie in die kälteste Gegend führt, nach Spitzbergen, wo die Schneekönigin denkt, sie könne Kay für immer behalten …

Mein Eindruck

Gerda findet weitere Helfer, und zwei weise Frauen helfen ihr, das Schloss der Schneekönigin und Kay zu finden. Eine schnarchende Räubertochter gehört ebenso zu den Helfern wie zwei nette Krähen, eine Prinzessin und ein Prinz. Alle sind von Gerdas Geschichte der liebevollen Suche gerührt, alle außer der alten Zauberin, die ihre Rosen verbirgt, weil sie nur an sich denkt.

Dieses Märchen ist so voller Symbole und Allegorien, dass es schon fast peinlich einfach ist, sie alle erklären zu wollen. Wer also lieber keine Erklärung der Geschichte lesen möchte, sollte den folgenden Abschnitt überspringen.

Symbole und Botschaften

Kay und Gerda leben als Kinder in aller Unschuld im Paradies der Kindheit: der Dachgarten. Das Symbol ihrer Liebe sind die Rosen, die immer wieder als Sinnbild auftauchen – und von der Zauberin und der Schneekönigin unterdrückt werden. Die Lockung der Schneekönigin, die in den kalten Tod des Herzens lockt, ist stets im Hintergrund vorhanden, wird aber immer durch menschliche Herzenswärme abgewehrt.

Erst als Kay die zwei Splitter ins Auge (die äußere Wahrnehmung) und ins Herz (die innere Wahrnehmung) bekommt, verkehrt sich seine Welt ins Gegenteil: Aus schön wird hässlich, aus gut böse, und er ist alles andere als ein angenehmer Zeitgenosse. Aber er ist stolz auf seine Klugheit, und so hat die Schneekönigin leichtes Spiel mit ihm, ganz besonders dann, als er seine Erinnerung verliert.

Die Erinnerung ist das Verbindungsstück zwischen dem Herzen und der Liebe einerseits und der Klugheit, dem Verstand andererseits. Das Schloss der Schneekönigin ist pure Allegorie: Wie ein Bienenstock beherbergt es seine Herrscherin, und in der Mitte liegt der SEE DES VERSTANDES. Hier ist alles aus Eis, selbst Kays Herz. Kay darf das Eisspiel des Verstandes mit Eisstückchen spielen, und wenn es ihm gelingt, das Wort EWIGKEIT daraus zu formen, darf er gehen – es ist sein Freibrief. Aber da er weder Erinnerung noch Liebe kennt, weiß er gar nicht, was mit EWIGKEIT gemeint sein könnte.

Die Geschichte der Prinzessin

In die Geschichte um Gerdas Suche ist die Geschichte der Prinzessin eingebettet, die zur Abwechslung einen klugen Mann heiraten wollte. Doch die Anwärter verloren jede Klugheit, als sie die wunderbare Pracht der Säle ihres Schlosses sahen. Sie werden von materiellen Dingen geblendet und verlieren die Klugheit des Herzens. Diese bewahrt nur ein einziger der Freier, und als Gerda das Paar besucht, erwacht er als Erster, um Gerda nach ihrem Begehr zu fragen.

Im Schloss gehen Träume um „wie Gottes Engel“, nicht wie die Wilde Jagd der nordischen Göttersagen. Dieses Schloss ist die Allegorie einer idealen Verbindung aus Herzensliebe und Klugheit, also völlig anders als Kays Beziehung zur Schneekönigin und zu Gerda. Diese Frauenfiguren bilden zwei Pole der menschlichen „Seele“.

Zwei Pole

Die Schneekönigin steht für kalten Verstand, für Egoismus, ohne Erinnerung und Empathie; Gerda hingegen ist pure Herzenswärme und Liebe, völlig selbstlos und bereit zu jedem Opfer (sie friert die ganze Zeit in Lapp- und Finnland). Kay ist eine Seele, die zwischen kältester Hölle und wärmstem Himmel gefangen ist, und die spannende Frage ist, ob es der Liebe gelingt, ihn aus dem Gefängnis des Verstandes zu befreien.

Nur Mitleid und Tränen, so zeigt sich, können ihn erlösen, sowohl von den Splittern der Bosheit als auch vom Eis des Verstandes. Erst nach einer Rückkehr in die alte Heimat gelangen Kay und Gerda zurück ins Paradies des Herzens, ihren rosenumkränzten Dachgarten, nun aber als Erwachsene.

Road Trip

Die Story ist also eine Kombination aus Road Trip und Erlösungsparabel. Die Welt ist von FALSCHHEIT erfüllt, und es ist die Aufgabe der Liebe, sie wieder ins Lot zu bringen. Bemerkenswert ist, dass die kalte Welt des Verstandes, die der Liebe entgegensteht, mit der falschen Wahrnehmung innen und außen verbunden wird. Schon 1846 hat Andersen bereits die üblen Auswüchse von Industrialisierung und Kapitalismus – „Das kommunistische Manifest“ von Marx & Engels erschien nur zwei Jahre später – gegeißelt. Dass er seine idealistisch-christliche Kritik der inneren Einstellung des Kapitalismus in Märchenform kleidete, erlaubte es ihm, ungleich mehr Leser auf der ganzen Welt zu erreichen, als ihm dies mit einem Pamphlet gelungen wäre. Allein im Jahr 1846 erschienen in England vier Auflagen seiner Bücher!

Aber die Geschichte ist nicht von Engeln und Teufeln erfüllt, sondern von bunten, mitunter schrägen Gestalten. Gleich mehr dazu.

Der Sprecher/Die Inszenierung

Die Sprecher

Die Geschichte erwacht erst durch die Charaktere zum Leben, deshalb ist die Leistung der Sprecher entsprechend wichtig. Gerda, das kleine Mädchen, bleibt durchweg die gleiche, doch Kay ändert sich von einem Moment zu anderen von einem lieben Kerl zu einem boshaften Bengel. Erst am Schluss verwandelt er sich zurück. Soweit entspricht alles dem Klischee.

Das endet mit der Schneekönigin: Sie lacht charmant und verführerisch, fragt angelegentlich nach Kays Erinnerungen und knutscht ihn doch tatsächlich dreimal deutlich hörbar ab. Dass sie eine hinterlistige Herrscherin ist, merkt der junge Zuhörer aber schnell, denn nach jedem Kuss verliert Kay Erinnerungen an sein bisheriges Leben.

Noch boshafter ist selbstverständlich der Teufel. Er wird als böser Zauberer eingeführt, eine ungewöhnliche Beschreibung, die ihn außerhalb des streng-christlichen Weltbildes stellt: Er ist überall zu finden, auch unter Menschen. Manche sollen sogar ihren eigenen Fernseher mit seinem Teufelsspiegel verwechselt und es nicht mal gemerkt haben, stelle ich mir vor. Klar, dass er am liebsten boshaft lacht.

Am besten gefielen mir jedoch die beiden Krähen und die Räuber. Während die goldgierigen Räuber von einem versoffenen Räuberweib regiert werden, das im Spiel gegen seine eigene Tochter verliert (die schnarrt, lacht und gähnt), sind die beiden Krähen ein Ausbund an Zivilisiertheit. Die Waldkrähe, auf die Gerda zuerst stößt, wird wunderbar von Kai Taschner gekrächzt. Von Heiterkeit, Empörung und Stolz bis zu weinerlicher Gerührtheit legt er alle Emotionen in seinen doch relativ kurzen Auftritt. Dennoch bleibt er in Erinnerung. Die Hofkrähe, die zahme „Liebste“ der Waldkrähe, ist die freundliche Zuvorkommenheit in Person.

Ziemlich schräg kommt auch die finnische (nördlichste) Zauberin daher, die so eine Art Göttin der Winde verkörpert. Sie keckert, wenn sie lacht, und murmelt, wenn sie die Runen liest – eine echte Schamanin. Nach der Rosenzauberin und der Lappin ist sie die dritte Figur, die über positive Zaubermacht verfügt. Demgegenüber bilden die Schneekönigin und der Teufel Verkörperungen von moralischen Prinzipien bzw. Seelenkräften. Der Teufel ist „der Geist, der stets verneint“ (Goethe), und die Schneekönigin steht für die Kälte des reinen Verstandes, der von menschlichen Belangen nichts hält und weiß.

Geräusche

Alle Geräusche sind bis ins kleinste Detail recht detailgetreu eingeflochten. Sei es die tickende Uhr, die zwitschernden Vöglein, der plätschernde Fluss – jede Szene ist von Geräuschen erfüllt. Manche davon sind recht kurios, so etwa das Blubbern des Wassers in der Hütte der Finnin. Da diese „fast nackt herumläuft“, liegt der Gedanke an eine Sauna nahe. Wölfe heulen, Rentiere schnauben, der Wind pfeift – die Natur tritt ringsum auf, wenn Gerda ihren Road Trip nach Spitzbergen macht.

Musik

Die Musik stammt aus dem gleichnamigen Ballett von Tschaikowski. Wer an „Schwanensee“ oder „Nussknacker & Mausekönig“ (s. meinen Bericht) denkt, liegt nicht verkehrt. Denn die Leitmotive wechseln mit jeder Szene und Figur. Der Schneekönigin ist ein Motiv der romantischen Verführung, einer Träumerei, zugewiesen. Die Reise ist mit Dynamik verbunden, die Auftakt mit der teuflischen Zauberei mit den Klängen, die ein unheimliches Mysterium andeuten. Den Gegenpol dazu bilden verschiedene Idyllen, die mit heiteren Flöten und Harfen unterlegt sind. Für Kays Erlösung durch die Kraft der Liebe findet der Komponist triumphierende Kadenzen.

Das Booklet

Das Booklet listet auf der letzten Seite aller Mitwirkenden (s.o.) auf. Auf der Innenseite sind Angaben zu sämtlichen 20 Hörspielen der mehrteiligen ANNE-Reihe zu finden („Green Gables“, „Avonlea“, „Kingsport“, „Windy Poplars“ und „Four Winds“, jeweils 4 Folgen). Die vierfarbige Version dieser Cover findet man im zweiten Booklet, dem Gesamtkatalog von Titania Medien für 2012/2013. Er deckt die Zeit bis Mai 2013 ab.

Unterm Strich

Kay und Gerda wachsen zwar in Armut auf, doch sie haben einander. Dass sie entzweit werden, führt zu einer Falschheit in der Welt, die Gerda durch einen Leidensweg, der eines Jesus würdig wäre, wieder zu korrigieren sucht. Tatsächlich bringt sie große Opfer, um zu Kay im äußersten Norden zu gelangen. Erst ihre Tränen der Liebe und des Mitleids erlösen ihren Freund aus dem Gefängnis des Verstandes, worauf ihrer Wiedervereinigung im Paradies des Herzens nichts im Wege steht. (Die Konstellation ist etwas komplexer; mehr dazu oben.)

Die Allegorie ist unübersehbar, und Prof. Tolkien würde sagen, dass dies ein Fehler ist. Prof. Lewis würde ihm widersprechen, wie seine Narnia-Chroniken belegen. Der junge Hörer kann die Geschichte auch lediglich als schönes Märchen über die Macht der Liebe wahrnehmen. Das funktioniert genauso gut.

Was ein wenig zu kurz kommt, ist die Motivierung von Gerdas Helfern. Warum sollte sich etwa die Zauberin der Winde mit der Schneekönigin anlegen? Was bringt die Räubertochter dazu, Gerda die Fausthandschuhe ihrer Mutter mitzugeben? Es ist gerade so, als sei die gesamte Welt des GUTEN verpflichtet, der Sucherin beizustehen. Aber eine Räubertochter steht diesbezüglich wohl eher in einer Grauzone. Man merkt also, dass hier ordentlich gekürzt wurde. Wer mehr Tiefe und Plausibilität möchte, sollte also zur Buchvorlage greifen.

Das Hörspiel

Das Weihnachts-Hörspiel von Titania Medien ist wieder mal unglaublich aufwendig inszeniert worden. Eine Armada von Sprechern wird von vielfältigen Geräuschen und der bekannten Ballettmusik Pjotr Tschaikowskis unterstützt. Da kann eigentlich nichts schiefgehen. Die Hintergrundmusik hält sich diesmal auch ordentlich zurück, untermalt lediglich die Stimmung. Die Geräusche „malen“ nur den realistischen Hintergrund, denn im Vordergrund stehen stets die Dialoge der Sprecher.

Rosen, Wachen, Krähen und Rentiere, ja, sogar den Sonnenschein sprechen zu lassen, ist nicht alle Tage üblich, aber es passt zur verzauberten Welt, in der sich Gerda die ganze Zeit bewegt. Im Gegensatz zu Kay, der nur am Anfang die Schneekönigin sieht und hört, dann aber in der kalten Realität agiert, und zwar ziemlich ruppig und rüpelhaft. Er hat jedes Mitgefühl verloren.

Am besten gefielen mir die beiden Krähen, die ziemlich kernigen und unkultivierten Räuber sowie die diversen Zauberinnen, denen Gerda auf ihrem Road Trip begegnet. Die beste Leistung bietet Kai Taschner als Waldkrähe, ein sprachkünstlerisches Kleinod. Auch die Altstars seien nicht vergessen: Tommi Piper als der Teufel, Susanne Uhlen als titelgebende Schneekönigin – mit besonders wildem Lachen – und Dagmar von Kurmin als Großmutter.

Dagmar von Kurmin ist als Oma die ultimative moralische Instanz der Geschichte. Und wenn die alte Märchenerzählerin vor der Verlockung durch die Schneekönigin warnt, die Eisblumen malt, wissen wir, dass Gefahr droht. Christian Wolf als Erzähler ist in dieser Hinsicht ihr männlicher Kompagnon: mit tiefer, sympathischer Stimme.

Audio-CD mit 79 Minuten Spieldauer
ISBN-13: 9783785745281
www.titania-medien.de