Ex-Agent Nathan Turner schlägt sich heute als Privatermittler in der neuenglischen Stadt Newport durch. Als eines Tages ein ihm ähnlich sehender Mann vor seiner Wohnung erschossen wird und die Nachricht von seinem Tod durch die Medien geht, tritt Turner vorsichtshalber die Flucht ins „Areal“ an. Dieses Viertel von Newport wurde sowohl von der Stadtverwaltung als auch von der Polizei aufgegeben. Verzweifelte, Verrückte und Verbrecher haben sich hier eingenistet.
Turner, der in diesem Umfeld nicht auffällt, beginnt nach denen zu suchen, die ihm an den Kragen wollen. Ihm zur Seite steht die vierzehnjährige Ghost, die ihrerseits auf der Flucht ist: Von der Sekte des selbsternannten „Areal“-Herrschers Sorrow entführt und zur Killermaschine gedrillt, hat sie sich abgesetzt und wird als Abtrünnige von den „Furien“ ihres Meisters gejagt.
Ebenfalls im „Areal“ untergetaucht ist die „Bestie von der Six Avenue“, ein geistesgestörter Mörder, der seine Opfer buchstäblich in Stücke reißt. Als er die ehemalige Polizistin Kate Friedman attackiert, weiß diese sich ihrer Haut so gut zu wehren, dass sie die Aufmerksamkeit von Lucas Thorne erregt. Er leitet eine Gruppe der Firma „Sirius Bio-Life“, die inkognito nach der „Bestie“ sucht. Diese heißt Jarred Bayle und hat sich bei einem Einbruch in die „Sirius“-Labors mit einem tödlichen Virus angesteckt. Thorne will Bayle ausschalten, ohne das Aufsehen der Medien zu erregen. Wohl oder übel schließt Friedman sich ihm an, denn Bayle hat sie infiziert. Nur wenn „Sirius“ ihn fasst, kann aus seinem Blut ein Gegenmittel hergestellt werden.
Was „Sirius“ außerdem im „Areal“ treibt, finden an anderer Stelle Turner und Ghost heraus. Sie decken auf, wie weit Thorne tatsächlich gehen will, um die Firma zu schützen. Zeugen sind unerwünscht, und so reihen sich „Sirius“-Schergen in die kopfstarke Schar derer ein, die Turner und Ghost hart auf den Fersen sind …
Feuer frei!
Möchte man ein wenig bösartig sein, könnte man den Thriller als Kriminalroman definieren, der die Handlung über den Plot stellt. Natürlich trifft dies nicht generell zu, denn es gibt Thriller-Autoren, die sehr präzise die Mechanismen einer Welt offenlegen, in der zumindest Politiker und die Vertreter globaler Konzerne Schattenherrschaften etablieren, die den geschriebenen Gesetzen Hohn sprechen. Diese werden ersetzt durch Macht und Geld, die gleichzeitig ein Bollwerk schaffen, an dem sich Weltenretter u. a. skrupulöse Spielverderben die Schädel einrennen sollen.
Sean Cregan ist nicht der erste Autor, der freudig feststellt, dass man auf das Element der Raffinesse verzichten und trotzdem einen „Thriller“ schreiben kann. Er orientiert sich am Hollywood-Film, der einerseits vereinfacht und andererseits das Spektakel fördert. „Das Areal“ ist die ideale Vorlage für ein entsprechendes Drehbuch: Gut und Böse werden durch Klischee-Figuren verkörpert, die sich hauptsächlich ober- und unterirdisch jagen und abschlachten. Das Motiv für dieses Verhalten klingt wichtig, ist aber tatsächlich unwichtig und sogar lächerlich, was im Finale ein wenig zu deutlich wird.
Hauptsache, es geschieht etwas: Die Verfolgungsjagd ersetzt und wird die Handlung. Zwischendurch ruhen die Kämpen sich aus, lecken ihre Wunden und tauschen böse Erinnerungen an eine ungerechte Welt aus, die zumindest den Leser nicht interessieren, weil er sie aus tausend ähnlichen Action-Thrillern zur Genüge bzw. bis zum Überdruss kennt.
Action braucht eine Basis
Um von der Routine abzulenken, sorgt Autor Cregan für ein neues Spielfeld: Turner & Co. balgen sich in einer apokalyptoiden Höllenstadt. Die ‚Realität‘ des „Areals“ nimmt der Leser freilich nur hin, wenn er sich herablässt, jene Weltsicht zu teilen, die Cregan für zynisch (oder modern) hält. Für ihn steht fest, dass sich die soziale Schere so weit öffnen wird, dass ganze Schichten vom Rest der Gesellschaft abgeschnitten und – hier ins „Areal“ – abgeschoben werden. Dort bleiben sie offenbar brav unter sich und lassen den Rest von Newport in Frieden, weshalb nicht einmal eine Mauer gebaut werden muss, hinter der die Bewohner des „Areals“ im eigenen Saft schmoren.
Wann es soweit ist, verrät uns Cregan nicht. Ohnehin spielt seine Geschichte in einer Gegenwart, die er mit Getto-Fetischen aufpolstert, die seit den 1980er Jahren und vor allem dank der „Mad-Max“-Filme Gemeingut geworden sind. Verliebt hat sich Cregan dabei vor allem in Graffitis, die er deshalb in jede Ortsbeschreibung einfließen lässt. Auch sonst bedient er sich gern der Klischees, dass von der Gesellschaft ausgeschlossene Gruppen zu Retro-Barbaren degenerieren, sich in Lumpen kleiden, in den Trümmern der Zivilisation hausen und Ratten fressen.
Buchstäblich auf die Spitze treibt es der Verfasser mit dem „Sanctuary Tower“. Der langsam in sein Fundament einsinkende Wohnturm dient der „Sorrow“-Truppe als Hauptquartier. Mit der Schilderung daraus resultierender Cyberpunk-Exotik, versucht Cregan besonders bizarr zu sein. Stattdessen verliert er sich in unfreiwillig witzigen Scheußlichkeiten, die sich nicht einmal die Ausgestoßenen des „Areals“ freiwillig zumuten würden.
Was treibt Turner überhaupt im „Tower“? Die Handlung hat dort überhaupt nichts verloren. Plötzlich benötigt Ghost eine Droge, die es nur im Turm gibt. Es kommt zu einer Handlungsepisode, die der eigentlichen Geschichte so offensichtlich angeflanscht wurde, dass selbst der unaufmerksame Leser es merkt, obwohl Cregan sich bemüht, die schurkische „Sirius“-Brut auch im Turm präsent zu halten.
An die Zukunft denken!
Solche merkwürdigen Abschweifungen finden wir oft. Figuren wie der nach allen Seiten offene holländische ‚Informationsvermittler‘ Cees Van Troest oder der mysteriöse „Türke“ werden aufwändig eingeführt und bleiben doch Statisten: Hier sorgt der Verfasser für die Zukunft vor. Das „Areal“ ist als Schauplatz viel zu schade für einen Einzel-Roman. Warum nicht für eine Serie planen? Tatsächlich ist mit „The Razor Gate“ bereits ein zweiter Teil erschienen.
Vor allem auf Serientauglichkeit getrimmt sind auch die Hauptfiguren. Da haben wir den im Kampf gestählten Ex-Agenten Turner, der die CIA verließ, weil er deren moralisch verwerflichen Schachzüge nicht mehr mittragen konnte. Jetzt ist er der typische, d. h. ehrliche und deshalb besonders erfolgsarme Detektiv, mit dem man sich dennoch besser nicht anlegt, weil er nicht verlernt hat, sich seiner Haut zu wehren.
Als weibliche Heldin und zukünftiges „love interest“ kommt die ebenso integere und wehrhafte aber darüber hinaus natürlich hübsche Kate Friedman ins Spiel. An seine jüngeren Leser denkt Cregan mit der „Kick-Ass“-Amazone Ghost, deren tragisches Schicksal kein Auge trocken lässt (vor Lachen). Die Schurken tragen ganz oben Schlips und weiter unten Kampfmonturen, die ihnen regelmäßig gar nichts nützen, weil sie dennoch niedergemacht werden. Für Stirnrunzeln sorgt Cregans Entscheidung, im großen Finale den bisher favorisierten Ober-Drecksack Thorne quasi fallenzulassen und gegen die bisher nur namentlich erwähnten, gänzlich charismafreien Ober-Ober-Schufte Kirchberg und Lieber auszutauschen.
Vielleicht ist dies zu streng über ein Garn geurteilt, das einfach unterhalten soll. Freilich hat sich Autor Cregan selbst und eigentlich grundlos über Bord gelehnt, um nach Tiefsinn zu fischen. Den gibt es nicht, und wo Cregan ihn nicht konstruiert, kann „Das Areal“ seinen Job als Feierabend-Lektüre erfüllen.
Autor
„Sean Cregan“ ist das Pseudonym des englischen Schriftstellers John Rickards. Er wurde am 7. Januar 1978 in Barnet, einer Vorstadt nördlich von London geboren. An der University of Cardiff studierte Rickards Umwelttechnik, anschließend arbeitete er als Journalist für Magazine, die über Neuigkeiten auf dem Gebiet der Transportschifffahrt berichten.
Bereits 2002 gelang Rickards die Veröffentlichung eines ersten Romans. „Winter’s End“ („Die Tote im Regen“) erschien unter seinem Geburtsnamen und wurde Start einer weiterhin fortgesetzten Serie über den ehemaligen FBI-Agenten Alex Rourke: Obwohl gebürtiger Engländer (und inzwischen in Eastbourne an der Südküste der Insel ansässig), schreibt Rickards Romane, die in den USA spielen. Dies gilt auch für eine 2010 begonnene zweite Serie, die Rickards actionbetont anlegte und die er als „Sean Cregan“ veröffentlicht. Unter diesem Namen verfasst er zudem Science-Fiction-Storys, die sich dem Cyberpunk zuordnen lassen.
Website von John Rickards/Sean Cregan.
Taschenbuch: 382 Seiten
Originaltitel: The Levels (London : Headline Publishing Group/Hachette UK Company 2010)
Übersetzung: Norbert Stöbe
www.randomhouse.de/goldmann
eBook: 474 KB
ISBN-13: 978-3-641-08653-4
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