Thiemeyer, Thomas – David und Juna (Das verbotene Eden 1)

Das verbotene Eden

Band 1: David und Juna
Band 2: Logan und Gwen (2012)
Band 3: -geplant- (2013)

Wir schreiben das Jahr 2080 und die Welt liegt in Trümmern. Die junge Juna ist auf dem Weg zu einem Dorf, aus dem ein Notsignal kam. Doch als sie eintrifft, ist schon alles vorbei. Ein Trupp Männer aus der Stadt hat das Dorf überfallen und nicht nur den freiwilligen Tribut eingetrieben, sondern auch Frauen misshandelt und den Tempel angezündet. Und offenbar haben sie das auch noch bei weiteren Dörfern vor. Juna ist fest entschlossen, das zu verhindern. Schließlich ist ihre Mutter die Hohepriesterin. Doch sie hat nicht damit gerechnet, dass ihre Mutter ihr gesamtes Weltbild ins Wanken bringen wird … sie und ein junger Mönch namens David!

Natürlich könnte man sich darüber streiten, wie logisch oder unlogisch die Entstehung der Ausgangssituation wohl ist. Ein mutiertes Virus, das die Anziehungskraft zwischen den Geschlechtern in ihr Gegenteil verkehrt, und zwar bei allen Menschen, das klingt schon ein wenig phantastisch, vor allem, wenn man bedenkt, wie unterschiedlich verschiedene Individuen auf ein und dieselbe Person reagieren können. Auch fragte ich mich, ob die Tatsache, dass Männer und Frauen sich nicht mehr ausstehen können, wirklich gleich in einen Bürgerkrieg münden muss. Aber im Grunde geht es ja wohl eher um die Frage, wie man mit einer solchen Katastrophe, wenn sie denn einträte, umgeht, und wie man aus der Patsche wieder herauskommt, in die man geraten ist.

Bei einem solchen Szenario begibt sich der Autor naturgemäß auf gewisses Glatteis. Das Geplänkel zwischen Männlein und Weiblein hat es schon immer gegeben, auch hier und heute, in der Regel mit einem Augenzwinkern. Genau dieses Augenzwinkern passt überhaupt nicht in den Kontext dieser Geschichte, sich allerdings ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ohne dabei Klischees zu bedienen, verlangt durchaus Fingerspitzengefühl. Und man muss Thomas Thiemeyer lassen: er hat bei der Einarbeitung der unbestreitbar bestehenden, nicht-biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern jegliches Klischee und sämtliche Schwarz-Weiß-Malerei gekonnt vermieden. So entspricht die Nutzung der verbliebenen Technik – wie Autos, Feuerwaffen und Generatoren – tatsächlich eher dem männlichen Aspekt als dem weiblichen. Und obwohl auch in den Klöstern Gärten mit Kräutern und Gemüse gepflegt werden, beruht die Hauptversorgung der Männer auf den Tributzahlungen der Frauen. Die Frauen übernehmen hier eindeutig den produktiveren Part, was unter anderem daran liegt, dass sie die ländlichen Gebiete besiedeln, während die Männer in den Ruinen einer Stadt wohnen und damit weniger Raum und eingeschränkteren Zugriff auf Rohstoffe haben.

Ackerbau und Handwerk werden daher nahezu ausschließlich im Zusammenhang mit den Dörfern und der Hauptstadt der Frauen erwähnt, während die Männer sich hauptsächlich auf das verlassen, was aus der Zeit vor der Katastrophe übrig geblieben ist. Die einzige Ausnahme ist eine Klosterbibliothek, in der es Papierherstellung und Buchbinderei gibt.
Was religiöse Belange angeht, so sind die Männer noch immer Christen. Das höchste Amt innerhalb dieser neuen Kirche ist allerdings das eines Inquisitors, und der derzeitige Amtsinhaber ist ein ziemlich kriegerischer Mann, dessen Lieblingsbuch der Hexenhammer ist. Die Frauen dagegen haben sich verständlicherweise von dieser männlich dominierten Kirche abgewandt. Warum sie aus Gott allerdings nicht einfach eine Göttin gemacht haben, sondern gleich ein ganzes Pantheon davon, das ging aus der Geschichte nicht hervor. Hass und Hetze dagegen gibt es, ebenso wie Nachsicht und das Bemühen um Verständnis, auf beiden Seiten.

Da wäre zum einen Juna. Das junge Mädchen ist eine Brigantin, eine Kriegerin und Jägerin. Sie ist dazu erzogen, die Männer zu hassen, zu verabscheuen und zu verachten. Dennoch ist sie in der Lage, nicht alle über einen Kamm zu scheren, sondern diejenigen, die ihr begegnen, als Individuen zu betrachten. Zum Beispiel ist sie sich von Anfang an der Unterschiede zwischen David und Amon bewusst.

David ist ein junger Mönch, der gern allein ist und Bücher liebt. Er ist freundlich, wissbegierig und ein Romantiker, und da er sein Kloster kaum je verlassen hat, auch ein wenig naiv. Aber er ist auch mutig und hat ein ausgeprägtes Gefühl für richtig und falsch.
Amon dagegen ist zwar charmant und gutaussehend, aber auch gewalttätig und arrogant. Für ihn sind allein die Frauen schuld am Zusammenbruch der Zivilisation, andererseits ist er mit seinem Leben gar nicht so unzufrieden, denn es bietet ihm die Möglichkeit, Druck auf Schwächere auszuüben und seinen Aggressionen freien Lauf zu lassen.

Auch Junas Mutter ist der Überzeugung, dass nicht alle Männer schlecht sind, vor allem ist sie sich der Tatsache bewusst, daß Männer und Frauen einander brauchen, um nicht auszusterben. Frauen wie Edana, die miterleben musste, wie ihre Tochter vergewaltigt und umgebracht wurde, sind eher der Meinung, dass zur Fortpflanzung auch ein paar Sklaven genügen würden, und wollen die restlichen Männer am liebsten alle ausrotten.

Angenehm an dieser Charakterzeichnung ist, dass alle, selbst die größten Unsympathen und Hetzer, einen Grund für ihren Hass auf das andere Geschlecht haben. Das macht die Figuren nicht nur menschlich und nachvollziehbar. Anhand der einzelnen Personen und ihrer Schicksale wird auch deutlich, wie leicht es ist, in eine Spirale aus Gewalt zu geraten, und wie schwer, daraus wieder auszubrechen. Ein Lehrstück über die Pauschalität des Hasses und ihre Wirkung, unmittelbar anwendbar zum Beispiel auf den nahen Osten.

Ich fand das Buch durchaus faszinierend. Im Grunde passiert nicht allzu viel, und es dauert auch ein Weilchen, bis David und Juna aufeinandertreffen. Trotzdem gab es abgesehen von der Darstellung zweier verschiedener Gesellschaftsformen viele kleine Details, die auch in den ruhigeren Passagen das Interesse wachhielten, seien es nun Davids Fragen nach der Vergangenheit, das Geheimnis um seine Herkunft oder die Intrigen innerhalb des Rates der Frauen. Spannung entwickelte sich vor allem gegen Ende, wobei der Showdown sich weniger durch rasante Action als vor allem durch die Entwicklung von Davids Charakter auszeichnet. Das Ende fand ich dann ein wenig abrupt. Die Änderung von Edanas Gefühlen und ihrer Einstellung den Männern gegenüber kam mir zu plötzlich und wirkte nicht ganz glaubwürdig auf mich.

Abgesehen davon ist die Geschichte natürlich noch gar nicht zu Ende. Denn schließlich hat sich die Situation so stark verändert, dass sich die Frage stellt, wie es denn nun weitergehen soll mit David und Juna, die sich auf die Suche nach dem Ort namens Zuflucht gemacht haben. Und da sind wir wieder bei der Logik: denn bisher war der Handlungsort auf eine verfallene Stadt und ihre nähere Umgebung gerichtet, und die waren offenbar vom Rest der Welt völlig abgeschottet. In fünfundsechzig Jahren ist nicht ein einziges Mal irgendein Mensch von außerhalb in diese Zone eingedrungen. Wie merkwürdig! Vielleicht geben die Folgebände darauf eine Antwort.

Thomas Thiemeyer stammt aus Köln und arbeitete nach einem Geologie- und Kunststudium zunächst als Grafiker und Illustrator, eher er sich vermehrt dem Schreiben zuwandte. Sein Debutroman „Medusa“ erschien im Jahr 2004, seither hat er eine ganze Anzahl weiterer Romane geschrieben, nicht nur Thriller, sondern auch den Jugendbuchzyklus Die Chroniken der Weltensucher, der inzwischen aus drei Bänden besteht. Der Autor lebt und arbeitet heute in Stuttgart.

Gebundene Ausgabe: 464 Seiten
ISBN-13: 978-3426283608

http://www.thiemeyer.de/

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