Alice, Alex – Siegfried 1

_Story_

Dereinst, als die Erdentage noch abzählbar waren und Göttervater Odin über die Welt herrschte, bedeutete ein kleines Stückchen Gold die vollkommene Macht. Doch um es zu erlangen, musste man der Liebe entsagen und seine Emotionen vernichten. Odin entsandte seine Tochter, um dieses verbliebene Stück Macht zu beschützen, jedoch konnte er sich nicht des intriganten Fafnirs erwehren, der seine Liebe zu jener Göttertochter aus Eifersucht und wachsendem Hass aufgab, um das zu besitzen, was selbst Odin nie besitzen konnte.

Doch mit Fafnirs Machtbestreben war auch der Untergang des Volks der Nibelungen besiegelt, die daraufhin aus der sterblichen Welt verbannt wurden. Unterdessen wird Siegfried, der Säugling, den Odins sterbende Tochter kurz vor ihrem Tod noch gebar, in die Hände des hinterhältigen Mime übergeben, der sich seiner annimmt und ihn durch seine Kindheit führt. Im Glauben, seine Eltern hätten ihn damals ausgesetzt, fügt er sich Mimes Anweisungen und verbringt ein Sklavendasein in der Behausung des schurkischen Zwerges.

Doch in Siegfrieds Visionen wird ihm immer deutlicher offenbar, dass die Wahrheit um seine Eltern nicht mit den Erzählungen übereinstimmen kann. Der junge Mann zieht aus, um in der Obhut der Wölfe heranzureifen und eines Tages die Wahrheit herauszufinden. Dabei erfährt er jedoch, dass dies nur gelingen kann, wenn er eines Tages den Drachen besiegt und aus dessen Blut die Weisheit liest …

_Persönlicher Eindruck_

Die [Nibelungensage]http://de.wikipedia.org/wiki/Nibelungensage gehört zu den wichtigsten Werken der Literatur und ist vor allem im skandinavischen Raum nach wie vor eine der wichtigsten Überlieferungen der europäischen Erzählkunst. Im vorletzten Jahrhundert gewann das gewaltige Heldenepos aber erst die Bedeutung, die ihr wegen ihres gewaltigen Inhalts auch tatsächlich zustand, bevor Richard Wagner schließlich mit dem „Ring der Nibelungen“ den wahren Wert der Materie auch in Form einer bis heute meistgeschätzten Opern aller Zeiten verarbeitete.

Während Wagners Werke im Laufe der Zeit jedoch wegen ihrer heroischen Ausstrahlung zweckentfremdet wurden, genießt die berühmte Sage bis zum heutigen Tage einen bedeutsamen, wenn auch nicht mehr makellosen Status. Dadurch bedingt, wagen sich heuer auch nur wenige Schriftsteller an das Thema heran. Und dass es nun ausgerechnet ein Comic-Autor ist, der den alten Heldenstoff nach etlichen Jahren wieder neu und ziemlich modern aufkocht, rechtfertigt dementsprechend auch den einen oder anderen skeptischen Blick. Doch gemach, werte Kritiker, denn dem Herr Alice ist völlig bewusst, an welch harten Brocken er sich da herangewagt hat.

Dennoch tut sich der Autor solch fortschrittlicher Werke wie „Das 3. Testament“ beim Aufbau seiner Story ziemlich schwer, unter anderem aber auch, weil das Original so unheimlich viel hergibt. Alice versteckt sich hierzu clevererweise ein ganzes Stück hinter der Interpretation Wagners und beginnt sein Werk mit einer stimmigen, bildgewaltigen Ouvertüre, die jedoch gleichermaßen verwirrend gestaltet ist. Rückblickend werden hier zwar elementare Teile der Story aufgegriffen, jedoch wird diese Verbindung erst nach und nach in die Handlung integriert, was angesichts der berauschenden Eindrücke des illustrativen Werks ziemlich schade ist. Lieber wäre man hier schon in voller Fahrt ins Geschehen eingestiegen.

Aber auch abseits der Rahmenerzählung, sprich im Hauptplot, agiert der Autor stellenweise sprunghaft. So mancher Dialog wird jäh unterbrochen, und auch Siegfrieds Entwicklung könnte eine Spur schlüssiger ausgearbeitet werden. Bevor man sich versieht, hat der Titelheld seine Jugend hinter sich gebracht, ohne dass dabei ein maßgeblicher Part, nämlich die kontinuierliche Entfremdung durch seinen Ziehvater Mime, ausführlich bearbeitet wird. Zudem ist die Schwerpunktverteilung an manchen Stellen ein wenig unverhältnismäßig. So wird die Vorgeschichte, quasi der Ursprung der gesamten Saga, ziemlich knapp abgearbeitet, wohingegen die Szenen, in denen Siegfried mit den Wölfen zieht, aufgrund ihrer spektakulären Zeichnungen gerne breit ausgeschmückt werden. Rein visuell ist dies sicherlich vertretbar, doch da die Nibelungensage nun mal in erster Linie von ihrer eigenwilligen Heldengeschichte lebt, sollte diese auch noch klarer eingeflochten werden.

Derartige Kritik scheint vor dem Aspekt des berauschenden, zeichnerischen Gesamtbilds und der sehr frischen Interpretation der Materie jedoch schon fast wieder bedeutungslos. Alice zeichnet im wahrsten Sinne des Wortes göttlich und beherrscht vor allem die hektischeren Szenarien aus dem Effeff. Gleich mehrfach entwirft er schier unglaubliche Panels mit vielen genialen Detailzeichnungen, erlaubt sich dabei aber auch hier und dort einige Eigenarten, bei denen er sich genügend künstlerische Freiheiten herausnimmt, um der Geschichte seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Sowohl bei den Darstellungen der Charaktere als auch im Hinblick auf die fast schon verführerischen Naturbilder ist ihm dies absolut fantastisch gelungen, bei der Inszenierung der Handlung indes noch nicht ganz so grandios, wie es die Vorlage erhoffen ließ. Allerdings ist Alice erst am Anfang einer etwas üppiger präsentierten Trilogie angelangt und hat noch alle Möglichkeiten offen, erste Ungereimtheiten in Kürze wieder auszugleichen. Vorerst bleibt daher auch in erster Linie die Macht der Bilder haften. Und dies ist für einen Comic – auch vor dem Hintergrund der hier verarbeiteten Geschichte – schließlich entscheidend!

|72 Seiten, farbig
ISBN-13: 978-3-940864-18-5|
http://www.splitter-verlag.de

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