Mit einem größenwahnsinnigen Psychopathen sollte man sich besser nicht anlegen. Doch Jack Donovan, Spezialagent beim Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms & Explosives (AFT), nimmt die Jagd auf Alexander Gunderson, den charismatischen Führer der paramilitärisch-terroristischen „Socialist Amerikan Reconstruction Army“ nach langen Monaten längst persönlich. Stets ist ihm Gunderson, der das Spiel mit den Medien perfekt beherrscht und sich geschickt zum Volkshelden stilisiert, durch die Finger geschlüpft. Viel Blut hat die S.A.R.A. – die sogar über eine eigene Website verfügt – inzwischen vergossen, und zwischen Politik und Öffentlichkeit ist das AFT unter Druck geraten.
Endlich scheint Gunderson in der Falle zu sitzen. Mit einigen ‚Kampfgefährten“ sowie seiner hochschwangeren Gattin Sara hat er eine Bank überfallen. Die Gruppe ist umzingelt, doch das hat der Bandenchef vorausgesehen. Man sprengt sich den Weg zum Fluchtwagen frei. Donovan nimmt die Verfolgung auf und kann das Vehikel von der Straße drängen. Wieder entkommt Gunderson, doch Sara bleibt tot auf der Strecke. Der rasende Witwer schwört Donovan schreckliche Rache.
Wochen später ist Gunderson immer noch frei. Donovan nutzt die Kampfpause, um seine ihm seit der Scheidung entfremdete Tochter Jessie besser kennen zu lernen. Der Teeny ist seine einzige Schwachstelle – und genau hier setzt Gunderson an. Er kidnappt Jessie und sperrt sie in ein Erdgrab, das von außen mit Sauerstoff versorgt wird. Anschließend informiert er den Vater und weidet sich an dessen hilfloser Wut. Gunderson stellt keine Lösegeldforderung – er will Donovan quälen. Der Cop setzt Himmel und Hölle in Bewegung. Es gelingt tatsächlich, Gundersons geheimes Versteck zu finden und ihn zu stellen. Die Verhaftung endet als Desaster – Gunderson fängt sich eine Kugel ein und stirbt, ohne zu verraten, wo er Jessie begraben hat.
Knapp 48 Stunden reicht der Sauerstoff, der Jessie am Leben hält. Verzweifelt sichten Donovan und seine Kollegen die wenigen Hinweise, die auf das Erdgrab deuten. Spur für Spur verläuft im Nichts, während die Zeit erbarmungslos abläuft …
Tempo ist sicherlich das Wort, mit dem sich „Devil’s Kiss“ am besten charakterisieren lässt. Es beginnt mit einem furios geschilderten Bankraub und einer spektakulären Flucht mit katastrophalem Ende – und damit geht die Geschichte erst los. 48 Stunden Zeit zur Rettung des hilflosen Opfers, auf das der Autor zur Förderung des leserlichen Nägelbeißens immer wieder ‚umschaltet‘, und keine Hinweise, die dem ermittelnden Beamten – der auch noch der Vater besagten Opfers ist; Browne schreckt vor keinem Klischee zurück, wenn es der Spannung dienlich ist – auf die richtige Spur bringen können.
Natürlich gibt es doch einige Hinweise, die mit manchmal schwer nachvollziehbarer Logik entdeckt und ausgewertet werden. Verbrecher sind keine Supermänner, so Brownes Prämisse, und in diesem Punkt weiß er zu überzeugen, verknüpft die Professionalität der Polizei mit der Tücke des Objekts, die den Vorteil des Kriminellen, der sich an keine Vorschriften halten muss, negieren kann.
Geschwindigkeit ist für Browne auch deshalb wichtig, weil sie den Leser über diverse und oft gewaltige Plotlücken trägt; es bleibt kaum die Chance, diese zu registrieren, denn sofort geht es turbulent weiter. Das ist nur gut so, denn weicht der Verfasser von seinem Patentrezept ab, stellen sich Stirnrunzeln und Langeweile ein. Leider traut sich Browne nicht, Rasanz zum Programm zu erheben. Zwischendurch lässt er es ‚menscheln‘, lässt die komplizierte Vater-Tochter-Beziehung zwischen Donovan und Jessie Revue passieren und stellt damit vor allem unter Beweis, dass er solchen emotionalen Verwicklungen nicht gewachsen ist. Stattdessen schlägt er Opernseife auf TV-Niveau und lässt des Lesers Auge schnell zum nächsten aufregenden Zwischenfall springen, der glücklicherweise garantiert folgt.
Eine echte Überraschung erlebt der Leser nach dem ersten Drittel: Gerade hatte man sich auf ein erbittertes Duell zwischen Donovan und Gunderson eingestellt, da trifft Letzteren eine tödliche Kugel. Damit stirbt die wichtigste und womöglich einzige Spur zur irgendwo begrabenen Jessie. Der verzweifelte Vater muss den Fall völlig neu organisieren und sich auf die Jagd nach Gundersons Komplizen begeben.
Leider verlässt sich Browne nicht auf die Spannung, die aus der Suche nach dem sprichwörtlichen Strohhalm erwächst. Stattdessen schiebt er ein bizarres Kapitel ein, das Donovan nach einem Verkehrsunfall in ein fegefeuerähnliches Reich zwischen Leben und Tod führt. Dort trifft er zunächst einen verstorbenen Cop-Kumpel, der ihm bedeutet, dass seine Zeit noch nicht gekommen ist, und dann Gunderson, der vermutlich auf sein Shuttle gen Hölle wartet; jedenfalls hat er die Gestalt eines Dämons angenommen. Bis ihn der Teufel endgültig holt, kündigt der geisterhafte Terrorist die Fortsetzung seiner Rache an. Als Donovan in die Realität zurückkehrt, hat er das Zweite Gesicht und sieht immer wieder Gunderson teuflisch aus dunklen Ecken grinsen: Der Finsterling hat sich als Geist in seinem Hirn eingenistet! Dieser Weg, die Handlung auf neue Geleise zu bringen, ist zugegebenermaßen extraordinär, doch es kommt ihr nicht zugute. Im Finale geht’s zurück ins kitschige Fantasy-Fegefeuer, wo Donovan buchstäblich mit seinem Dämonen ringt und der Leser um seine Fassung, denn jetzt wird es endgültig lächerlich. Da überrascht es nicht, dass Browne sein krudes Opus mit einem langbärtigen Schlussgag krönt, der zudem eine Fortsetzung androht.
Diese Welt ist schlecht, und wer sie bevölkert, hat allemal Dreck am Stecken. „Gut“ und „Böse“ gibt es nicht, die Menschen bewegen sich juristisch oft und moralisch immer in einer Grauzone. Das ist kein Grund zum Jammern, sondern die Realität, die man gefälligst zu akzeptieren hat. Lässt man sich darauf ein, stellt sich der Alltag als Dasein dar, das weniger Gesetzen als Regeln folgt: Willkommen in Brownes sehr modernem Universum, das elegant die Klischees einer ungemütlichen Gegenwart in den Dienst möglichst spannender Unterhaltung stellt. Politiker sind stets verlogen und sorgen sich ausschließlich um ihre Macht sowie ihren Einfluss, aber keine Sorge: Konzerne oder die Medien denken und handeln ebenso, und das Volk ist so dumm, dass es völlig zu Recht belogen und betrogen wird.
Idealisten werden zu Zynikern, um nicht emotional vor die Hunde zu gehen. Spuren hinterlässt die moralische Camouflage dennoch: Jack Donovan ist als Ehemann und als Vater privat gescheitert. Als ihm die Tochter entführt wird, reagiert er eher manisch als sich auf jene Fähigkeiten zu stützen, die ihn zu einem guten Cop machen. Wie ein wütender Stier walzt er durch die Stadt und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung. Will er auf diese Weise wettmachen, was er als Vater versaubeutelt hat? Browne scheint der Ansicht zu sein, dies steigere den emotionalen Druck in dem Kessel namens „Kiss Her Goodbye“. Stattdessen wirkt Donovans Hyperaktivität lächerlich und übertrieben.
Aber Realismus ist Brownes Anliegen ohnehin nicht. Jeder Figur hat er aus bewährten Klischees sorgfältig eine stromlinienförmige Persönlichkeit konstruiert – ein Vorgehen, das er während seiner Tätigkeit als Drehbuchautor in Hollywood erlernt und perfektioniert hat. Also treten weiterhin auf: karrieregeile Schlipsträger, treue Kumpel, eine still vor sich hin schmachtende Donovan-Verehrerin, die pubertierende Tochter von einem fremden Planeten – und natürlich Lumpen, die es offenbar ausschließlich um des Effekts willen finster treiben. Alex Gunderson könnte sich als Schurke für einen „Stirb langsam“-Streifen casten lassen, denn er spielt das kriminelle Superhirn mit Wonne, ohne sich echte Gedanken über den Sinn seiner Streiche zu machen. An seiner Seite stehen Schießbudenfiguren, die aus Leibeskräften so ‚böse‘ sind, dass es die reine Wonne ist, sie unschöne, aber detailfreudig beschriebene Tode sterben zu ’sehen‘.
Lässt man sich auf die ebenso dreisten wie offensichtlichen Manipulationen eines Verfassers ein, der sich seinen Job möglichst einfach macht, indem er den Faktor Originalität vollständig ausklammert, macht die Lektüre freilich auf einer anderen Ebene Spaß. „Devil’s Kiss“ ist Trash der gut gemachten Art. Brownes Stil ist simpel, sein Wortschatz begrenzt. Gleichzeitig verfügt er über einen manchmal zynischen, in der Regel aber trockenen Witz und ein Gespür für die Inszenierung absurder Zwischenfälle. (Obwohl die deutsche Übersetzung offenbar unter Zeitdruck entstand – gleich zwei Übersetzer brachten das Werk ins Deutsche -, liest sie sich flüssig und weiß den leichten Ton zu wahren.) Ohne Brownes Willen zum buchstäblich außerirdischen Plotknaller wäre „Devil’s Kiss“ feines Lesefutter für müde Leserhirne. So reicht der Spaß nur bis zum Hirnriss.
Bevor Robert Gregory Browne (geb. 1955 in Baltimore) sich als ‚richtiger‘ Schriftsteller versuchte, verbrachte er einige Jahre in Hollywood. Ein Stipendium der „Academy of Motion Picture Arts & Sciences“ sicherte ihm den Start in eine verheißungsvolle Zukunft als Drehbuchautor.
Die Wirklichkeit sah anders aus. Brownes Drehbücher wurden ausgiebig durch die Mahlwerke der Hollywood-Maschine gedreht und in der berüchtigten „development hell“ geröstet, ohne dass sie je zur filmischen Umsetzung kamen. Was schließlich nach seinen Büchern gedreht wurde, waren diverse Folgen der TV-Zeichentrickserien „Diabolik“ und „Spider-Man Unlimited“ – für den ehrgeizigen Browne kein Ausgleich für viele Jahre der Frustration.
Browne kehrte der Filmmetropole schließlich den Rücken und setzte sein Wissen um den Aufbau einer vor allem spannenden und rasant erzählten Geschichte in seinem ersten Roman „Kiss Her Goodbye“ um, der vom Verlag |St. Martin’s Press| angekauft und veröffentlicht wurde. Dieser wurde umgehend so erfolgreich, dass Browne sogleich einen weiteren Buchvertrag erhielt.
Robert Gregory Browne hat eine Website (www.robertgregorybrowne.com). Auf http://murderati.typepad.com/murderati/paul__guyot/index.html („Murderati – Mysteries, Murder and Marketing“) führt er (neben vielen anderen Krimi-Kollegen) einen Blog, in dem er sich informativ und humorvoll über Gott & die Welt und seine noch junge Schriftstellerkarriere (sowie ihre Tücken) äußert.
http://www.knaur.de/
|Siehe ergänzend dazu die [Rezension 4083 von Maren Strauß zum Buch.|