Cornwell, Bernard – Bogenschütze, Der (Auf der Suche nach dem Heiligen Gral 1)

Das Mittelalter fasziniert noch immer. Auf mittelalterlichen Märkten erwacht diese Epoche noch einmal zum Leben und jedermann fühlt sich beim Besuch solcher Feste in die Vergangenheit versetzt. Zwischen Marktständen, an denen die Kaufleute laut feilschend ihre Waren anpreisen, und defilierenden Rittern und Adligen bringt diese Vergangenheit eine romantische Atmosphäre hervor.

Doch das Mittelalter war durchaus düsterer, als romantisierte Vorstellungen es uns vorgaukeln wollen, aber auch vielschichtiger und geheimnisvoller. Besonders die Kriege und die Techniken sowie Taktiken sind uns oftmals als heroische Schlachtengemälde in Film und Fernsehen gezeigt worden. Erst in den letzten Jahren können die Archäologen und Geschichtsforscher mithilfe neuester Technik das frühere Leben aber auch die Kampftechniken analysieren und erforschen.

Im Hundertjährigen Krieg zwischen England und seinem langjährigen Erzfeind Frankreich war das Zeitalter des Rittertums in seinem Niedergang begriffen, das Mittelalter ging dem Ende entgegen und zur Renaissance über. Neue Waffen wie Kanonen, Armbrüste und nicht zuletzt der englische Langbogen forderten im Krieg ihren Tribut von den schwerfällig gepanzerten Rittern aus aller Welt.

Bernard Cornwell erzählt im ersten Teil seiner Trilogie |Auf der Suche nach dem Heiligen Gral|, „Der Bogenschütze“, vom Verlauf dieses Hundertjährigen Krieges, der von 1337 bis 1453 andauerte.

_Die Geschichte_

Ostern 1342: Vier französische Schiffe überfallen das friedliche, abgelegene Dorf Hookton an der englischen Küste. Der Raubzug wird heimlich, aber mit brutaler Härte durchgeführt. Die Einwohner des Küstendorfes werden grausam niedergemetzelt, die Häuser geplündert und verbrannt. Angeführt werden die Soldaten von einem geheimnisvollen schwarzen Ritter, der sich Harlekin nennt. Sein Ziel sind nicht die dürftigen Geldwerte der Einwohner; zielgerichtet sucht und plündert er die Dorfkirche und stiehlt eine geheimnisvolle, alte Lanze. Diese soll dem heiligen Georg gehört haben – einem der Schutzheiligen – und über Gottes Kraft verfügen.

Auch der Pfarrer, der sein Gotteshaus schützen möchte, bezahlt mit seinem Leben. Sein Sohn Thomas von Hookton, einer der wenigen Überlebenden, kann fliehen und findet seinen Vater wenig später sterbend vor. Der alte Pfarrer vertraut Thomas an, dass er adligen Geblüts ist, und der Mann, der „Harlekin“, der ihn niedergestochen hat, der Sohn seines eigenen Bruders ist. Seinen wahren Namen verheimlicht er aber vor seinem Sohn und nimmt ihm das Versprechen ab, die Lanze wiederzuholen und sein eigenes Schicksal zu bestimmen.

Thomas, gerade 18 Jahre jung, geht als Bogenschütze in die Bretagne. Unter dem Befehl des Earl of Northhampton kämpft und tötet er im englischen Heer. Der Schrecken des Krieges lässt Thomas schnell erwachsen werden, und sein Geschick mit dem gefürchteten Langbogen macht ihn bald zu einem Krieger, dem man Respekt zollen muss.

Die Gräuel des Krieges sind unaussprechlich. Aber nicht nur auf dem Schlachtfeld wird gekämpft, auch die französische Zivilbevölkerung wird attackiert; Felder und Bäume, Ernten und Dörfer gezielt vernichtet, die Bevölkerung ohne Erbarmen getötet – ein Zermürbungskrieg, der auf beiden Seiten unzählige Opfer fordern wird.

Thomas wird getrieben durch seinen Schwur und verfolgt nur das eine Ziel, den Tod seines Vaters zu rächen. In Frankreich entdeckt Thomas die Flagge der französischen Schiffe, die Hookton überfallen und vernichtet haben, und er kommt so dem Mörder seines Vater näher und damit der Vergangenheit seiner Familie.

_Meine Meinung_

Bernard Cornwell erzählt „Der Bogenschütze“ in sehr abenteuerlicher Manier. Das Ende des Rittertums wird farbenprächtig und ausschweifend, aber auch sehr, sehr blutig und brutal dargestellt. Letztlich waren die Schlachten aber sicherlich noch brutaler, als es uns Cornwell berichten kann.

Die Ritter hatten den Distanzwaffen – Bogen oder Armbrust – nichts entgegenzusetzen. Mit dem Einsatz dieser Kriegswaffen waren die Tage des Rittertums gezählt. Selbst schwere Panzerung eines Ritters konnte von einem guten Pfeil, der gezielt abgeschossen wurde, durchschlagen werden. Der ritterliche Zweikampf fand meist nur noch auf den Turnierplätzen in ganz Europa statt. Der Krieg war seit dem Einsatz der Fernwaffen nur noch ein wildes Gemetzel. Genau dieser Szenerie beschreibt der Autor recht eindrucksvoll und geschichtlich einwandfrei recherchiert.

Es bleibt wenig übrig von Ritterlichkeit, Höflichkeit oder Tapferkeit. Bernard Cornwell schreibt über Brutalität, Rach- und Mordlust. Über das Leben im späten Mittelalter erfährt der Leser hingegen nur sehr wenig. Primär geht es in diesem Roman um das Schicksal des jungen Bogenschützen Thomas, der in den verschiedenen Schlachten zu überleben versucht, um seiner Identität nachzuspüren.

Schockierende Grausamkeiten auf dem Schlachtfeld aus der Sicht eines englischen Bogenschütze bilden im Wesentlichen die Grundlage dieses Abenteuerromans. Dem historischen interessierten Leser wird eine völlig neue Sicht des Mittelalters geschildert – Strategie, Taktik, Waffentechnik und Ausrüstung werden detailliert vor ihm ausgebreitet. Hervorragend und spannend erzählt, entführt Cornwell den Leser in die Zeit dieses mehr als hundert Jahre andauernden Krieges.

Die Hauptfigur Thomas von Hookton wird in ihrer Unreife und inneren Zerrissenheit behutsam in die Geschichte eingeführt, so dass der Charakter sich wohl erst in den beiden späteren Romanen wirklich entwickeln kann. Manchmal fand ich diese Darstellung zu eindimensional, mit viel zu wenig Potenzial erzählt. Auch die weiblichen Charaktere sind nicht sonderlich gut der Geschichte eingepasst und fast schon klischeehaft in Szene gesetzt.

Bernard Cornwells Erzählung selbst birgt auch leider keine unterhaltsame oder geschickte Wendung. Bedauerlicherweise mangelt es hieran und die Geschichte wirkt daher sehr vorhersehbar. „Der Bogenschütze“ ist dennoch informativ und gut erzählt, ein unterhaltsamer historischer Roman, den ich gern gelesen habe und der mir eine militärische Sichtweise des Hundertjährigen Kriegs zwischen England und Frankreich vermitteln konnte.

Im Nachwort spricht Cornwell zwar die historische Genauigkeit des Romans an, aber vermisst habe ich dennoch ein Personenregister, aus dem man entnehmen könnte, welche Person nun wirklich lebte und wirkte, sowie eine Land- bzw. Regionskarte, um die Schlachten und deren Verlauf greifbarer werden zu lassen.

_Der Autor_

Bernard Cornwell wurde in London geboren. Aufgewachsen in Wessex, arbeitete er viele Jahre für den Fernsehsender BBC. 1980 folgte Bernard Cornwell seiner Frau in die USA und begann, Romane zu schreiben. Seine historischen Abenteuerromane sind weltweit sehr erfolgreich und erreichen immer wieder die oberen Plätze der internationalen Bestsellerlisten. Er lebt auf Cape Cod in Massachusetts, USA.

|Originaltitel: Harlequin, HarperCollins 2001
Aus dem Englischen von Claudia Feldmann
448 Seiten, gebunden 21,5 x 13,5 cm|
http://www.ullsteinbuchverlage.de/ullsteinhc/

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