Ellis, David – Im Namen der Lüge

_Story:_

Alison Pagone ist tot. Ausgerechnet in dem Moment, in dem die Mordanklage gegen die einstige Anwältin, die zuletzt als Autorin tätig war, nur noch Formsache ist, wird die Angeklagte in ihrer Wohnung ermordet. Für FBI-Agentin Jane McCoy und ihr Team beginnt die Suche nach dem Warum, gleichzeitig aber auch das Ende eines sehr schwierigen weiteren Mordfalles, für den Pagone jüngst vor Gericht gestellt wurde. Alison wird verdächtigt, ihren Liebhaber Sam Dillon mit einer Statue erschlagen zu haben – aus Eifersucht, heißt es.

Doch je weiter das FBI in die Vergangenheit eintaucht, desto komplexer wird der Fall Pagone. Ihre Tochter Jessica hatte offenbar ebenfalls Interesse an Dillon, ihr Ex-Mann Mat scheint in einen Bestechungsskandal verwickelt zu sein, der ebenfalls mit seinem Arbeitskollegen Dillon in Verbindung steht, und zuletzt deckt McCoy auch noch Verbindungen zu einer islamischen Terrororganisation auf, die auf merkwürdige Weise ebenfalls in diesen Komplex verstrickt zu sein scheint.

Doch bevor die Ermittler überhaupt das Geschehene analysieren können, gilt es erst einmal, die zwei naheliegenden Fragen zu beantworten: Wer hat Alison Pagone getötet? Und ist sie tatsächlich für den Mord an Sam Dillon verantwortlich?

_Persönlicher Eindruck:_

Mit seinem brillanten letzten Romanwerk „In Gottes Namen“ hat sich David Ellis endgültig in die Top-Liga der amerikanischen Thriller-Autoren geschrieben. Die Geschichte um den Massenmörder Terry Burgos gehörte 2008 zu den saisonalen Highlights und fand dementsprechend auch längere Zeit in den Genre-spezifischen Bestsellerlisten Eingang. „Im Namen der Lüge“ zeigt den raffiniert schreibenden Ellis nun von einer gänzlich anderen Seite. Wieder geht es um Mord und Lügen – doch in diesem Fall sind dies nur die Aufhänger für einen perfide inszenierten, bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Kriminalthriller, der von Seite zu Seite mit noch unglaublicheren Fakten daherkommt.

Der Autor verfolgt in seinem aktuellen Werk zudem einen sehr außergewöhnlichen Ansatz; er listet die Ereignisse nämlich in einer rückwärts abgespulten Chronologie auf und startet sein Buch ungewöhnlicherweise mit dem Mord, der schließlich alle Logik über den Haufen wirft. Zumindest vermittelt Ellis seinen Lesern diesen Eindruck. Und in der Tat tut sich die Story besonders in den ersten Kapiteln, die den Monat der Anklage und Alison Pagones Tod beschreiben, enorm schwer. Die Handlung kommt nur schleppend in die Gänge, was sicher damit zusammenhängt, dass die Annäherung an die tragenden Charaktere auf unkonventionelle Art und Weise bestritten werden muss.

Aber auch das strukturelle Gefüge erweist sich vorerst als hinderlich, da man ständig mit dem Gefühl lebt, schon zu viel über den eigentlichen Hergang der Dinge zu wissen, so dass die rückwärtigen Recherchearbeiten kaum mehr neue Fakten zum Vorschein bringen können. In der Mitte der erzählten Berichterstattung kommt es aber zu einigen Schlüsselszenen, die den Spieß dann zugunsten der Story umdrehen. Endlich kommt Leben in den Plot, denn mit einem Mal sind die Hintergründe der beteiligten Figuren gar nicht mehr so klar, wie es anfangs noch schien. Pagone als Hauptverdächtige rückt erstmals aus dem Fokus; der scheinbar fundamentalistisch eingestellte Ram Haroon arbeitet ebenfalls unter völlig anderen Umständen undercover; McCoy, ihres Zeichens Leiterin der Ermittlungen, ist ebenfalls in viel mehr Dinge eingeweiht, als sie in der vorgezogenen Schlusssequenz offenbart, und zuletzt sind auch die Behörden, Firmen und Organisationen in viel üblere Verstrickungen und Lügen involviert, als man überhaupt erst zu erahnen wagte – und schon nimmt die Geschichte den Schwung auf, den man über anderthalb antichronologisch erzählte Monate mehr oder weniger vermisst hatte.

Interessant ist hierbei, wie es Ellis gleich mehrfach gelingt, das Story-Konstrukt vollkommen auf den Kopf zu stellen und Dinge herauszukitzeln, die anfangs abstrakt anmuteten, dann aber geschmeidig das nächste Puzzlestück in das große Gesamtbild einfügen. Die Rollenverteilung unterliegt hierbei einem steten Wechsel, und bis zuletzt – bzw. bis an den eigentlichen Anfang der Chronologie – kann man nur vage absehen, welcher Charakter nun auch hinter welcher Person steckt. Insofern kann man nur mit Nachdruck betonen, dass sich die Mühen, die insbesondere die ersten Kapitel fordern, zum Ende hin als lohnenswert entpuppen. Dies aber eben auch zu einem (gottlob nicht zu hohen) Geduldspreis.

Dennoch: An die Intensität seines letzten Romans kommt der Autor in „Im Namen der Lüge“ nicht heran. Die Spannungskurve schlägt hierfür zu selten steil aus, aber auch das Potenzial der Story und ihrer Hintergründe ist in letzter Konsequenz nicht ganz so faszinierend wie der Komplex in „In Gottes Namen“. Da Ellis‘ Handschrift aber nichtsdestotrotz sehr erlesen ist und er dies auch in vielen Passagen seines neuen Romans wieder bestätigen kann, gehört auch „Im Namen der Lüge“ zu den stärkeren Titel des Jahres 2009.

|Originaltitel: In the Company of Liars
Übersetzung: Alexander Wagner
429 Seiten
ISBN-13: 978-3-453-43389-2|
http://www.heyne.de

|Hinweis:| Im April 2010 erscheint der nächste Thriller von David Ellis: „Der Mann im Schatten“.

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