Grebe, Camilla & Träff, Åsa – Therapeutin, Die

„Nr. 1-Bestseller aus Schweden“ klebt sichtbar auf dem Buchcover des Debütromans „Die Therapeutin“ der beiden Schwestern Camilla Grebe und Åsa Träff. Mit neuen Spannungsromanen aus Skandinavien wird man ja seit Henning Mankell praktisch überversorgt, doch nicht jedes Mal versteckt sich hinter diesem Label tatsächlich der versprochene packende Bestseller. Aus diesem Grund lese ich derart titulierte Bücher inzwischen mit einer gewissen Portion Skepsis – so auch bei der „Therapeutin“ – dem Auftakt zur neuen spektakulären Krimiserie aus Schweden, wie es auf dem Buchrücken versprochen wird. Doch so viel kann ich vorweg verraten: In diesem Fall war die Skepsis absolut nicht angebracht, denn dieses Debüt hebt sich ausgesprochen positiv vom Einheitsbrei ab und verdient es, in sämtliche Bücherregale eines jeden Thriller-Fans aufgenommen zu werden.

_Therapeutin im Visier_

Siri Bergman lebt seit dem Tod ihres Mannes Stefan zurückgezogen in einer kleinen Hütte. Freunde hat sie eigentlich keine. Nur ihre Kollegin Aina besucht sie ab und an und steht für Frauengespräche zur Verfügung. So bekämpft Siri ihre Einsamkeit allzu oft mit einem Gläschen Wein oder vielmehr einem Gläschen Wein zu viel … Siri hat schreckliche Angst vor der Dunkelheit. Aus diesem Grund schläft sie grundsätzlich in einem hell erleuchteten Haus. Doch eines Nachts erwacht sie und alles ist dunkel. Erschrocken greift sie nach der Taschenlampe unter ihrem Bett – doch kann sie diese dort nicht finden. So geht Siri zum Sicherungskasten und stolpert dabei über ihre Taschenlampe, die nicht angehen will. Wie ist die Lampe dorthin gekommen und wieso funktioniert sie nicht? Und ist da tatsächlich eine Fußspur unter dem Sicherungskasten? Eigentlich hätte Siri dies spanisch vorkommen müssen, doch verdrängt sie dieses Vorkommnis.

Bald darauf erhält sie einen mysteriösen Brief. Außerdem fühlt sie sich in ihrem Haus beobachtet. Eines Tages verschwindet ihr Kater spurlos. Erst als sich die mysteriösen Ereignisse weiter häufen, vertraut Siri sich ihrer Kollegin Aina an, die sprachlos ist, dass Siri dies bislang verschwiegen hat. Auch die Polizei geht von einer echten Bedrohung aus. Kurz darauf findet Siri auf ihrer täglichen Schwimmrunde die Leiche einer ihrer Patientinnen. Schnell wird klar, dass jemand es nicht auf Siris Patienten abgesehen hat, sondern auf die Therapeutin selbst. Doch wer könnte das sein?

Ein Freund Siris analysiert das Verhalten des Täters und ist sich sicher, dass jemand sich von Siri ungerecht behandelt fühlt. So geht Siri in sich und überlegt fieberhaft, wen sie eventuell dermaßen verletzt haben könnte, dass er nun ihr Leben zerstören will. Doch niemand fällt ihr ein. Der Mörder jedoch kommt ihr immer näher, die Bedrohung wird immer akuter, sodass Siri eines Tages schließlich in eine kleine Wohnung fliehen muss, weil sie in ihrem Haus nicht mehr sicher ist. Aber ihr Widersacher hat noch ein Ass im Ärmel, mit dem er sie schlussendlich doch wieder in die Einsamkeit ihres Hauses locken will …

_Einbildung oder echte Bedrohung?_

Zunächst beginnt die Geschichte ganz gemächlich: Camilla Grebe und Åsa Träff stellen uns ihre Protagonistin Siri Bergman vor, die mit zwei Kollegen eine kleine Praxis führt und sich regelmäßig mit ihren Patienten trifft. Nach und nach geschehen immer mehr mysteriöse Dinge in Siris Leben. Sie fühlt sich beobachtet und bemerkt kleine Veränderungen in ihrem Haus. Doch nie kommt sie auf die Idee, dass tatsächlich jemand in ihr beschauliches Heim eingedrungen sein könnte. Erst als es fast zu spät ist, nimmt sie die Bedrohung ernst und informiert Aina und die Polizei. Die beiden schwedischen Autorinnen bauen die Spannung nach und nach auf – erst ist sie nur als kleines Kribbeln zu spüren, doch bald wird die Geschichte so packend, dass es einem beim Lesen kalt den Rücken runter läuft und man abends das Licht am liebsten auch nicht mehr ausschalten möchte. Die Spannung schleicht sich beim Lesen von hinten an, bis sie einen gepackt hat und nicht mehr loslässt.

Besonders gut gelungen ist auch der Perspektivwechsel, der der Geschichte noch mehr Tempo gibt. So sind die meisten Kapitel aus Siris Sicht in der Ich-Perspektive geschrieben, doch immer wieder streuen die beiden Autorinnen kleine Exkurse ein, in denen wir in das Gehirn des Mörders eintauchen und mehr über seine Pläne erfahren können. So wissen wir manchmal schon, was er mit Siri und ihren Patienten vorhat und dass er auch ganz am Ende noch ein wichtiges Ass im Ärmel hat – und das zu einem Zeitpunkt, an dem Siri sich bereits in Sicherheit wiegt. Dieser stete Wechsel macht die Geschichte noch bedeutend spannender als sie ohnehin schon ist.

Weitere Spannung bauen Camilla Grebe und Åsa Träff dadurch auf, dass sie uns nur häppchenweise Informationen aus Siris Vergangenheit präsentieren. So dauert es lange, bis wir erfahren, was mit ihrem Mann geschehen ist und wie er ums Leben gekommen ist.

Als schließlich klar ist, dass jemand Siris Leben zerstören möchte, geht die Suche nach dem Motiv und dem Täter (oder der Täterin?) los. Plötzlich wird praktisch jeder verdächtig, auch wenn es noch so unwahrscheinlich klingt, dass ausgerechnet dieser jemand zu einem Mord fähig wäre. Nicht nur Siri überlegt fieberhaft, wer ihr etwas Böses antun möchte, natürlich gehen auch dem Leser diese Gedanken durch den Kopf. Man selbst denkt genauso intensiv darüber nach, wer denn als Täter infrage kommt. All dies zusammen sorgt für einen absolut perfekten Spannungsbogen!

_Therapeutin mit Leichen im Keller_

Siri Bergman als Hauptfigur einer neuen Krimiserie überzeugt auf ganzer Linie. Siri arbeitet als Therapeutin, und doch hat man als Leser mehr als einmal das Gefühl, als täte ihr selbst eine Therapie auch ganz gut. Denn sie hat schreckliche Angst vor der Dunkelheit, verkriecht sich in einem einsamen Häuschen und lässt niemanden an sich heran. Sie hat den Tod ihres Mannes noch nicht wirklich verkraftet und greift daher zu häufig zur Flasche Wein. Siri ist alles andere als perfekt und genau das macht sie glaubhaft. Sie kennt die Abgründe der menschlichen Seele und doch verschließt sie oftmals den Blick vor ihren eigenen Problemen. Sie ist verletzlich und einsam und wünscht sich doch nichts sehnlicher als jemanden an ihrer Seite. Der Polizist Markus möchte diesen Platz gerne einnehmen und doch stößt Siri ihn immer wieder von sich. Sie bietet mit all ihren Eigenarten, Fehlern und ihrer Vergangenheit genügend Angriffsfläche, um auch noch in weiteren Romanen für Spannung zu sorgen. Und im Übrigen ist Siri dabei auch noch ausgesprochen sympathisch, sodass man gerne mehr von ihr lesen möchte.

Alle anderen Figuren verblassen etwas. Über sie erfahren wir oftmals nur Kleinigkeiten, sei es zum Beispiel das ausschweifende Liebesleben ihrer Kollegin Aina oder die Tatsache, dass Siris Kollege Sven mit einer Feministin verheiratet ist. Möglicherweise lernen wir sie in weiteren Büchern besser kennen, da werde ich mich überraschen lassen.

_Gelungener Auftakt_

Wie immer bin ich mit einer gewissen Portion Skepsis an die Lektüre dieses als neuer „Krimi-Hit“ angepriesenen Buches herangegangen. Doch glücklicherweise wurde ich schnell eines Besseren belehrt. Schnell hatten die beiden Autorinnen mich gefesselt, sodass ich völlig in der Geschichte versunken bin. Selten habe ich so schnell weiterlesen wollen, wie es hier der Fall war. Dazu die sympathische Hauptfigur, die hier ins Kreuzfeuer eines wahnsinnigen Mörders geraten ist, das sind die Komponenten eines wahrlich spannenden und gelungenen Auftakts zu einer neuen Krimiserie. Zwar bin ich mir unsicher, wie Grebe und Träff ihre Serie fortsetzen wollen, aber selbstverständlich werde ich auch zu ihrem zweiten Werk greifen, auf das ich bereits jetzt sehr gespannt bin. Hut ab – „Die Therapeutin“ ist endlich wieder einmal ein gelungener Thriller aus Skandinavien, der sich deutlich vom Einheitsbrei abhebt!

|Taschenbuch: 432 Seiten
Originaltitel: Någon sorts frid
ISBN-13: 978-3442741830|
[www.randomhouse.de/btb]http://www.randomhouse.de/btb/index.jsp

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