Kepler, Lars – Hypnotiseur, Der (Lesung)

Eigentlich hatte er sich geschworen, niemanden mehr zu hypnotisieren. Doch als ein Junge schwer verletzt ein Gewaltverbrechen überlebt, muss Erik Maria Bark diesen Vorsatz nach zehn Jahren wieder aufgeben. Ein unbekannter Täter hat die Eltern und die kleine Schwester des Jungen bestialisch ermordet und den Jungen schwer verletzt. Allerdings gibt es noch eine ältere Schwester, die nicht ahnt, dass nahezu der gesamte Rest ihrer Familie ausgelöscht wurde. Da die Polizei vermuten muss, dass der Täter es nun auch auf die Schwester abgesehen hat, soll der Junge – Josef – in seinem kritischen Zustand hypnotisiert werden, um der Polizei wichtige Hinweise über den Täter und den Aufenthaltsort seiner Schwester zu geben.

Die Hypnose verläuft jedoch anders als erwartet. Als der Junge von der Bluttat berichtet, erfahren Erik Maria Bark und Kriminalkommissar Joona Linna Überraschendes, das alles über den Haufen wirft, was sie zunächst geglaubt hatten. Schnell machen sie die Schwester des Überlebenden ausfindig, die ihnen wichtige Details über ihre Familie verrät. Damit kann sich die Polizei ein schreckliches Bild von der Familie machen.

Zeitgleich kämpft Erik mit familiären Problemen. Als er eines Nachts aus dem Bett geklingelt wird und seiner Frau Simone weismacht, dass die Polizei ihn braucht, betätigt sie den Rückruf und erfährt so, dass Erik zu einer Frau gefahren ist. Schon einmal hat Erik seine Frau betrogen, nun ist es wohl wieder soweit. Simone ist am Boden zerstört. Zudem passieren in ihrer Wohnung merkwürdige Dinge: Eines Nachts erwacht sie von einem Geräusch, riecht Zigarettenqualm in der Wohnung und findet die Kühlschranktür geöffnet vor. Wer hat in der Wohnung geraucht und die Tür geöffnet? Einige Nächte später erwacht sie von einem Stich in den Oberarm. Sie kann noch einen Schatten wahrnehmen, der aus dem Schlafzimmer schleicht. Benommen schleppt Simone sich in den Flur und wird Zeugin davon, wie jemand ihren kranken Sohn Benjamin entführt. Benjamin ist Bluter und muss einmal die Woche ein wichtiges Medikament nehmen, sonst gerät er in akute Lebensgefahr. Der Wettlauf mit der Zeit hat also begonnen.

Wer hat Benjamin entführt? War es der schwer verletzte Junge, den Erik hypnotisiert hat und der aus dem Krankenhaus geflüchtet ist? Oder hat jemand aus Eriks ehemaliger Hypnosegruppe noch eine Rechnung mit ihm offen?

_Verwunschene Schlösser_

Die Geschichte beginnt rasant: Ein Junge kommt schwer verletzt ins Krankenhaus und offenbart bei der Hypnose Unglaubliches. Kurz darauf wird der kranke Sohn des Hypnotiseurs entführt. Diese zwei Handlungsstränge ziehen sich fortan parallel durch die Erzählung. Zunächst sieht es so aus, als habe Josef Benjamin entführt. Doch diese Theorie zerplatzt schnell, als Simone Bark sich daran erinnert, dass sie schon merkwürdige Dinge in ihrer Wohnung bemerkt hat, als Josef noch schwer verletzt im Krankenhaus lag. Dennoch will auch dieser mit Erik abrechnen, da er ihm in der Hypnose etwas entlockt hat, das Josef eigentlich hatte verbergen wollen.

Aber die Spur zu Benjamin führt über Eriks ehemalige Hypnosegruppe. Schon einmal ist nämlich jemand aus dieser Gruppe in die Wohnung des Hypnotiseurs eingedrungen. Hat diese Patientin ihre Tat wiederholt? Welche schlafenden Hunde hat Erik geweckt, als er sein Versprechen gebrochen hat, niemals wieder jemanden zu hypnotisieren? Er durchwühlt seine alten Aufzeichnungen, schaut sich Bänder an und erinnert sich an Erlebnisse aus der Hypnosegruppe, wo er die einzelnen Mitglieder in einer Gruppenhypnose zu ihren verwunschenen Schlössern geführt hat – also an den Ort, vor dem sie sich fürchten. Eine Patientin nimmt er sofort ins Visier, doch als die Polizei ihren Aufenthaltsort ausfindig machen kann und sie dort sucht, findet sie nur noch ihre Leiche. Wer ist stattdessen in Eriks Wohnung eingedrungen?

Nach und nach fügt Erik die einzelnen Puzzleteilchen zusammen. Und so entsteht ganz sukzessive ein Bild der Tat. Mit jedem kleinen Hinweis kommt nicht nur Erik der Lösung des Falles auf die Spur, sondern der Hörer grübelt immer mit, stellt eigene Theorien auf und ist natürlich begierig auf jedes neue Informationshäppchen, das einem der Lösung näher bringt. Lars Kepler – ein Pseudonym für das schwedische Autorenehepaar Alexandra und Alexander Ahndoril, das beim „Hypnotiseur“ erstmals gemeinsam geschrieben hat – baut hier eine unglaubliche Spannung auf. Besonders gut gefallen hat mir, dass Kepler seine Geschichte zunächst in zwei verschiedene Richtungen lenkt. Auf der einen Seite haben wir das schreckliche Blutbad, bei dem nahezu eine ganze Familie ausgelöscht worden ist und auf der anderen Seite begleiten wir Erik in seine eigene Vergangenheit und erfahren so nach und nach, was damals geschehen ist, das ihn zu seinem Versprechen gebracht hat, niemals wieder einen Menschen zu hypnotisieren. Und obwohl die beiden Handlungsstränge sich bald auseinander entwickeln, da klar ist, dass Josef Benjamin nicht entführt haben kann, berühren sich die beiden Handlungsstränge dann doch wieder in einer Szene, die nicht nur für neuen Grusel sorgt, sondern die auch eine wichtige Rolle bei der Suche nach Benjamin spielt – doch warum das so ist, erfahren wir erst ganz spät.

Mir persönlich hat der Spannungsbogen sehr gut gefallen. Nur die letzte halbe Stunde lässt die Spannung – leider noch mitten im Showdown – nach, da Lars Kepler sich hier in Klischees verliert und der Zuhörer schnell ahnt, wie alles ausgehen wird. Und der Nachklapp zum Finale ist mir persönlich auch etwas zu lang geraten, hier hätte Kepler ruhig etwas schneller zum Ende kommen können. Aber im Großen und Ganzen ist die Geschichte überaus spannend geraten. Zu Beginn muss man allerdings ein Detail schlucken, und zwar dass ausgerechnet Erik Maria Bark die Hypnose durchführen soll. Wie bitteschön ist die Polizei aber an einen Hypnotiseur geraten, der bereits seit zehn Jahren nicht mehr praktiziert und der in keinerlei Verbindung zur Tat oder den Opfern steht? Da hätte sich eigentlich auch jemand anderes anbieten müssen. Das muss man also hinnehmen, damit die Geschichte überhaupt funktioniert. Und auch später, als Erik beginnt, in seiner Vergangenheit zu kramen, wundert man sich doch ein wenig, warum er erst als Zweites auf die nahe liegendste Person kommt, die für den Einbruch und die Entführung infrage kommt. Zwar erfährt man irgendwann, dass Erik die Erlebnisse rund um die Hypnosegruppe verdrängt habe, doch war dieses eine Erlebnis aus seiner Vergangenheit derart einschneidend, dass ich daran nicht glaube, dass er diese eine Person vergessen haben kann, wegen der er niemals wieder jemanden hypnotisieren wollte.

_Familienbande_

Personell führt Lars Kepler zahlreiche Charaktere ins Feld. Da wäre zum einen die Familie Ek, die bereits in der Eingangsszene einem Mörder zum Opfer fällt. Was sich in dieser Familie abgespielt hat, ist schier unglaublich und lässt einem beim Zuhören das Blut in den Adern gefrieren, denn auch wenn die ältere Tochter überlebt hat, so ist sie doch aus anderen Gründen längst innerlich gestorben. Die andere Familie, die bald in den Mittelpunkt der Geschichte gerät, ist die Familie Bark. Und auch in deren Haus verbergen sich einige Leichen im Keller. Der Vater Erik Maria hat seinen Job an den Nagel gehängt, nachdem etwas Einschneidendes in seinem Leben geschehen ist. Von seiner Frau Simone erfahren wir nicht viel mehr, als dass sie ziemlich eifersüchtig ist und ihren kranken Sohn wie ihren Augapfel hütet. Benjamin muss aufgrund seiner Krankheit jede Woche zur gleichen Zeit ein lebenswichtiges Medikament nehmen, doch da seine Entführung immer länger andauert, gerät er alleine schon aufgrund des Zeitfaktors in Lebensgefahr. Umso wichtiger ist es, dass Erik Maria schnell den Schuldigen aus seiner alten Hypnosegruppe findet, der für die Entführung infrage kommt. In der Rolle des sorgenden Vaters und gescheiterten Hypnotiseurs gefällt er sehr gut. Daneben verblasst Kriminalkommissar Joona Linna ein wenig, da er irgendwie immer nur „mitläuft“. Möglicherweise sind seine starken Szenen allerdings auch der für das Hörbuch erfolgten Kürzungen zum Opfer gefallen?!

_Beim Hören hypnotisiert_

Als Hörbuch funktioniert „Der Hypnotiseur“ sehr gut. Wolfram Koch agiert souverän als Sprecher und schlüpft gekonnt in männliche wie weibliche Rollen. Durch Atempausen und verschiedene Tonlagen bemerkt man eigentlich immer den Wechsel der einzelnen Figuren und weiß, wer gerade etwas zu sagen hat. Zwar beherrscht Koch nicht wie beispielsweise Harry Rowohlt oder Rufus Beck zig verschiedene Stimmen, dennoch überzeugte er mich mit seinem Vortrag. Zu spannenden und düsteren Geschichten gehören meiner Ansicht nach tiefe Männerstimmen, und da passt Wolfram Koch mit seiner dunklen Stimme natürlich gut ins „Beuteschema“. An einzelnen Stellen sorgen zudem softe Klavierklänge für eine düstere Atmosphäre, mit der Musik hätte man ruhig noch mehr spielen können.

Insgesamt gefiel mir das Hörbuch zum „Hypnotiseur“ sehr gut. Die Geschichte birgt zwar den einen oder anderen kleinen Logikfehler, dennoch baut sich kontinuierlich immer mehr Spannung auf, bis man schließlich völlig in der Erzählung versunken ist und die Welt um sich herum vergessen hat. Zum Ende hin schwächelt der Spannungsbogen etwas, doch kann man angesichts des ansonsten überzeugenden Debüts ganz gut darüber hinweg sehen. Von dem schwedischen Autorenehepaar wird man hoffentlich bald mal wieder etwas lesen bzw. hören.

|Download-Version mit 7:35 h Spieldauer|
[www.audible.de]http://www.audible.de

auch erschienen als:

|6 Audio-CDs mit 454 Minuten Spieldauer
Sprecher: Wolfram Koch
Originaltitel: Hypnotisören
ISBN-13: 978-3-7857-4373-7|
[www.luebbe.de/Hoerbuecher]http://www.luebbe.de/Hoerbuecher

_Unsere Rezension zur Buchfassung:_
[„Der Hypnotiseur“ 6797

Schreibe einen Kommentar