Lynch, Scott – Sturm über Roten Wassern (Gentleman Bastards 2)

Gentleman Bastards:

1 „Die Lügen des Locke Lamora“
2 „Sturm über roten Wassern“
3 „Die Republik der Diebe“ (August 2013)

Nach den Ereignissen des ersten Bandes sind Locke und Jean in Tal Verrar gelandet. Wie alle Städte verfügt auch diese über eine unermesslich reiche und dekadente Oberschicht, allerdings besteht sie hier aus Kaufleuten, nicht aus Adligen. Kein Grund für Locke, hier keinen großen Coup durchzuziehen. Bis er feststellen muss, dass die Soldmagier auf die Verstümmelung eines der ihren genauso rachsüchtig reagieren wie auf seinen Tod …

Bedingt durch den Ortswechsel sind natürlich außer Locke und Jean sämtliche Charaktere neu.

Requin ist Chef des Sündenturms, des exclusivsten Spielcasinos der Stadt, abgesehen davon verfügt er über Spitzel und Schlägerbanden überall in der Stadt. Obwohl er sich im Grunde nicht in Politik einmischt, ist es kein Geheimnis, dass er mit den Stadträten, den Priori, sympathisiert. Abgesehen davon ist er dafür bekannt, ein Liebhaber von Antiquitäten zu sein.

Stragos ist der Archont, der militärische Oberbefehlshaber von Tal Verrar, und der politische Rivale der Priori, ein ehrgeiziger, rücksichtsloser Mistkerl, der es für ein erstrebenswertes Ziel hält, selbst die Natur durch ausgeklügelte Maschinen der Kunsthandwerker aus Tal Verrar zu ersetzen.

Und dann wäre da noch Zamira Drakasha, die Kapitänin der |Giftorchidee|, intelligent, tough und eine hervorragende Anführerin. Sie hat bereits eine schmerzhafte Niederlage gegen Stragos‘ Marine einstecken müssen, und obwohl sie sich seither von Tal Verrar fernhält, heißt das nicht, dass sie es ihm nicht liebend gerne heimzahlen würde.

Die Charakterzeichnung war schon im ersten Band nicht allzu tiefschürfend, das hat sich hier nicht geändert. Die genannten Personen sind kaum detaillierter oder intensiver dargestellt als Nebenfiguren wie Caldris oder Selendrí. Trotzdem besitzt jede von ihnen genug eigenes Profil, um nicht zweidimensional zu wirken.

Auch die Entwicklung der Handlung entspricht dem Vorgänger. Scott Lynch läßt sich Zeit mit der Entwicklung seines Plots. Einhundertfünfzig Seiten vergehen, ehe der Leser überhaupt eine Ahnung davon entwickelt, was für einen Coup Locke und Jean geplant haben. Gerade als es interessant zu werden beginnt, und der Leser sich zurücklehnt, um genüsslich zuzusehen, wie die beiden ihren Plan immer weiter in die Tat umsetzen, kommt ihnen wieder die Politik dazwischen. Locke braucht all sein schauspielerisches Geschick und all seinen Einfallsreichtum, um zwischen seinen beiden Gegnern – dem geschäftlichen und dem politischen – so zu lavieren, dass er sich und Jean nicht den Hals bricht. Bei all dem ist er nicht mehr in der Lage, die Ereignisse noch in die Richtung zu lenken, die er gerne hätte.

Und so finden die beiden Gentleman-Gauner sich schließlich ganz gegen ihren Willen auf einem Schiff wieder, das Richtung Süden segelt, um dort eine Horde Piraten zum Krieg aufzustacheln. Natürlich kann ein solches Unternehmen unter dem Kommando zweier so ausgemachter Landratten nur schiefgehen!

Trotz des steigenden Drucks auf Locke und Jean verläuft die Geschichte erstaunlich spannungsarm. Da es die beiden ungefähr bei der Hälfte des Buches aufs Meer verschlägt, müssen erneut Charaktere eingeführt und eine neue Umgebung anschaulich gemacht werden. Abgesehen davon passiert auf einer Schiffsreise in der Regel ziemlich wenig. So bleiben der Sturm und das Entern eines kleinen Kauffahrers eher kurze Actionepisoden, Teil eines durchgehenden Spannungsbogens sind sie nicht.

Dennoch wird es nie langweilig. Ob der Autor nun ausführlich beschreibt, wie Locke und Jean zwei reiche Damen im Spielcasino ausnehmen, oder wie sich der Alltag auf einem Piratenschiff abspielt, die Darstellung wirkt stets lebendig und einfallsreich. Manche Szenen waren für den eigentlichen Verlauf der Handlung nicht wirklich relevant, so zum Beispiel die Durchfahrt durch die Salon-Passage, oder Drakashas Konfrontation mit Rance, sie verliehen der Geschichte jedoch Flair und Abwechslung.

Gegen Ende schließlich wird es dann doch spannend. Abgesehen von der Seeschlacht schlägt der Autor noch einige Haken, die für Überraschungen sorgen, ohne die Logik zu verbiegen, und wartet mit einem gemeinen kleinen Schlusstrick auf.

Mir hat der zweite Band genauso gut gefallen wie der erste. Scott Lynch hat ein Händchen für die richtige Mischung aus Gaunerei, Charme, Lügen, Intrigen, Action, Humor und Dramatik, wobei letztere dankenswerterweise jegliches Pathos vermissen lässt. Seine Protagonisten sind hervorragende Sympathieträger, der Plot hintersinnig und gut durchdacht, sein Setting ist stimmungsvoll und lebendig.

Da stört es mich nicht im geringsten, dass diesmal ein Faden der Handlung nicht abgeschlossen ist. Ich werde den nächsten Band sowieso auf jeden Fall lesen.

Scott Lynchs beruflichen Werdegang, bevor er seinen ersten Roman veröffentlichte, könnte man salopp mit über-Wasser-halten umschreiben, als Tellerwäscher, Kellner und dergleichen. Nachdem die ersten beiden Bände über Locke Lamora innerhalb relativ kurzer Zeit erschienen sind, hat der Dritte nun doch etwas länger gedauert. Grund dafür könnte das Prequel „Bastards and Knifes“ sein, das 2011 veröffentlicht wurde, bisher aber nur auf Englisch erhältlich ist. Die Fortsetzung „The Republic of Thieves“ erscheint nun voraussichtlich im März diesen Jahres, die Herausgabe der deutschen Übersetzung unter dem Titel „Die Republik der Diebe“ ist für August geplant.

Taschenbuch: 944 Seiten
Originaltitel: Red Seas under Red Skies
Deutsch von Ingrid Herrmann-Nytko
ISBN-13: 978-3453531130

http://www.scottlynch.us/
http://www.lockelamora.co.uk/
http://www.heyne.de

Der Autor vergibt: (5.0/5) Ihr vergebt: SchrecklichNa jaGeht soGutSuper (No Ratings Yet)

Schreibe einen Kommentar