_Die perfekte Ermittlung, mit Schwächen_
„Schlimmer geht es nicht“, denkt Chief Inspector Frank Jacobson, als in Crowby ein Drogendealer gefoltert und verbrannt aufgefunden wird. Nur 48 Stunden später gibt es einen noch grausigeren Fund: Das Oberhaupt von Crowbys „Familie des Jahres“ hat, wie es aussieht, erst seine Frau und die drei Kinder umgebracht und dann sich selbst erhängt. Nur eine hat das Blutbad überlebt: die Freundin der Jüngsten – und Tochter von Sheryl Holmes, der Geliebten des toten Drogendealers. Doch die Zehnjährige spricht nicht mehr. (Verlagsinfo)
_Der Autor_
Iain McDowall wurde in Kilmarnock, Schottland, geboren und war Universitätsdozent für Philosophie und Computerfachmann, ehe er als Autor von Kriminalromanen hervortrat. Heute lebt er im englischen Worcester, in den Midlands, wo sich seine fiktive Stadt Crowby befindet. Hier spielen McDowalls Romane um die Polizisten Jacobson und Kerr.
Weitere Crowby-Romane, die bei |dtv| erschienen, sind „Zwei Tote im Fluss“ und „Gefährliches Wiedersehen“. Für August 2009 ist „So gut wie tot“ angekündigt.
_Sprecher & Produktion_
Herbert Schäfer, 1968 in Bonn geboren, absolvierte seine Schauspielausbildung an der Otto-Falckenberg-Schule. Es folgten Engagements an den Münchner Kammerspielen, am Ulmer Theater, am Düsseldorfer Schauspielhaus sowie am Theater Freiburg. Er arbeitete mit namhaften Regisseuren zusammen und ist zudem regelmäßig in Kino- und Fernsehproduktionen zu sehen.
Schäfer liest eine von Cathrin Claußen gekürzte Textfassung. Regie führte Sebasian Reiß. Die Aufnahme erfolgte bei Acoustic Media in Freiburg.
_Handlung_
Darauf haben Charlie Taylor und Billy „Florida Boy“ Billston gewartet: Sheryl Holmes verlässt mit ihren zwei Töchtern Ann Marie und Lucy den Wohnblock, um sie zur Schule im „guten Viertel“ The Bartons zu bringen. Sie kommt aus der Sozialwohnung, in der sich noch ihr Lover David Carter befindet. Dave ist Barmann im Pub „Poet’s“ und Drogendealer. Charlies und FBs Auftrag lautet, Dave eine Abreibung zu verpassen.
Doch als sie Dave aus dem Bett zerren und mit der Drohung, ihn mit dem elektrischen Kamin zu verbrennen, gefügig machen wollen, macht der einen auf Macho und wehrt sich. Na so was! Das treibt den eh schon labilen FB zur Weißglut. Mit einem Montiereisen schlägt er Dave den Schädel ein. Au Backe, was wird wohl der Auftraggeber davon halten, fragt sich Charlie. Der will von der ganzen Geschichte nichts wissen. Sie haben’s verbockt, nun müssen sie sehen, wo sie bleiben. Tja, Probezeit ist harte Zeit. Und dass sie ihn ja nie wieder anrufen! Dabei hat ihm Charlie noch gar nicht alles gesagt, was sie angestellt haben …
Florida Boy hat sich Verbrennungen zugezogen, doch sie können damit nicht zum Arzt, ist ja logo. Deshalb muss Charlies Bekannte, die schnuckelige Lisa, ran und die Wunden behandeln. Lisa glaubt, er wolle was von ihr, und findet sich dazu bereit. Aber als Charlie mitbekommt, welchen Zinnober die Bullen wegen des Todes von Dave veranstalten, kriegt er kalte Füße: Sie müssen weg. Auch dagegen hat Lisa nix einzuwenden. Klasse, denkt Charlie mit einem Blick auf Lisas Brüste, und klaut das nächstbeste Auto.
Für Chief Inspector Frank Jacobson ist der Fall David Carter ein Fall wie jeder andere. In dem Sozialghetto Woodlands ist so was ja nichts Ungewöhnliches. Carter war Drogendealer und muss jemanden gelinkt haben. Der Inspektor lässt seine Untergebenen ihre Pflicht und Schuldigkeit tun und tröstet Sheryl Holmes, die von dem Verlust ihres Geliebten und ihrer abgefackelten Wohnung ganz schön erschlagen ist. Nur noch ihre persönlichen Dokumente hat sie gerettet, weil sie die stets in ihrer Handtasche mit sich herumschleppt.
Doch es gibt wenigstens einen kleinen Lichtblick. Sie kommt bei ihrer Freundin Candice unter und Ann Marie darf sogar bei den Eltern ihrer Schuldfreundin Sarah Adams übernachten. Vielleicht hat sie nochmal Glück gehabt, denn ihre neue Sozialwohnung bekommt sie sicher erst in ein paar Tagen gestellt. Und Ann Marie bekommt mal ein schönes Heim zu sehen statt der Drecklöcher, in denen sie sonst mit ihrer alleinerziehenden Mutter leben muss. Doch auch dieser Traum währt nicht lange …
Der Bauunternehmer Stephen Adams, der Vater von Sarah und ihren zwei Brüdern, weiß schon seit Monaten, dass sein Unternehmen am Abgrund steht, dazu braucht er nicht erst die Kassandrarufe seines freiberuflichen Buchhalters Alan Jones zu hören. Darauf einen Doppelten! Steve macht sich erst einmal einen schönen Abend bei einer Preisverleihung der Lokalzeitung: Die Adams‘ werden als „Familie des Jahres“ ausgezeichnet. Nach einem weiteren Doppelten wirft sich Steve auf dem WC noch eine Doppeldosis Antidepressiva ein. Gleich fühlt sich total entspannt. Der Abend wird wunderbar. Um Mitternacht beginnen die Albträume …
Als Frank Jacobson zum Haus der Adams gerufen wird, warnt ihn der Leiter der Spurensicherung vor: Es ist schlimm. In der Eingangshalle baumelt ein Mann vom Treppengeländer herab. Das war wohl mal der Herr des Hauses. „Es gibt noch mehr.“ Sie gehen nach oben. Das Zimmer der Jungs ist voll Blut, sie haben sich wohl gewehrt. Nicht so hingegen die Ehefrau Marion und die Tochter Sarah. Steve Adams hat sie wohl mit einem Kopfkissen erstickt.
Als Jacobsons Blick aus dem Fenster in den Garten fällt, eilt er hinunter ins Erdgeschoss, dann in den Garten. Er geht zu einem großen Baum, in dem er ein Baumhaus erspäht hat. Darin kauert ein kleines Mädchen und zittert am ganzen Leib. Es ist Ann Marie Holmes, wie sich herausstellt. Und sie ist unfähig, über das zu sprechen, was sie in der vergangenen Nacht im Haus gesehen hat, als der Tod sein Werk verrichtete.
_Mein Eindruck_
Natürlich hängt der Tod von Dave Carter, dem Drogen dealenden Barmann, mit dem von Steve Adams zusammen. Aber wie das genau erfolgt ist, das herauszufinden ist die Aufgabe von Chief Inspector Frank Jacobson. Zum Glück ist Jacobson sowohl ein gewiefter Bursche, der sich einen Fall nicht einfach durch die Drogenfahndung wegnehmen lässt, als auch ein energischer Fahnder, der seine Leute in alle Richtungen mit Nachdruck und Hartnäckigkeit ermitteln lässt. Von ihm könnte sich der behäbige Inspektor Barnaby noch ein Stück abschneiden, der im idyllischen Midsomer aufklärt.
|Familienvernichter|
Dass Jacobsons neuer Fall berührt, ist der Familientragödie um Steve Adams zu verdanken. Das Täterprofil entspricht dem des „Familienvernichters“: Wenn er schon selbst untergehen soll, dann soll auch seine Familie mit – und dran glauben. So ist es erst vor wenigen Wochen ganz real in England passierte, als der bankrotte Familienvater, ein Unternehmer, nicht nur sämtliche Angehörigen meuchelte, sondern auch die Haustiere nicht verschonte, um schließlich auch noch das Haus abzufackeln. So sollte seinen Gläubigern nichts mehr zu holen übrig bleiben.
|Bindeglied|
Im Fall Steve Adams sprechen jedoch einige Indizien und eine Zeugenaussage gegen die Vermutung, dass sich Adams auch selbst umbrachte. Der Täter ist das zweite Bindeglied zwischen dem Mord an Carter und dem an Adams. Das erste Bindeglied ist Ann Marie, die Tochter Sheryl Holmes‘. Die Genesung des Mädchens durch eine Expertin der psychologischen Betreuung ist wirklich anrührend. Erst durch Malen kann sich die wichtigste Zeugin ausdrücken. Zum Schrecken ihrer Mutter.
|Bad boys|
Diese Tragödie steht im krassen Gegensatz zu den frivolen Aktivitäten Charlie Taylors und seiner Freundin Lisa, von Florida Boy ganz zu schweigen. Hier wird ohne Fingerzeig deutlich gemacht, dass diese jungen Leute keine Hoffnung und keine Zukunft haben. Charlie hofft lediglich, noch ein paar Tage mehr in Freiheit bleiben zu können, bevor sie ihn schnappen. Er kann im Fernsehen zusehen, wie ihm die Bullen auf die Schliche kommen und sich nähern. Von einem „Getaway“ ist er jedoch weit entfernt. Hundertprozentig hat mich seine Figur nicht überzeugt: zu wenig Reflexion, zu wenig Energie. Und was er zusammen mit Lisa mit Florida Boy angestellt hat, wird zwar ganz am Schluss in einem der zahllosen inneren Monologe verraten, aber so ganz leuchtet es auch nicht ein. Warum sollte Lisa auf FB wütend sein?
|Der Sprecher|
Herbert Schäfer, den ich bislang nicht kannte, hat mich durch seine Vielseitigkeit in der stimmlichen Darstellung beeindruckt. Ihm gelingt es, sowohl weibliche wie männliche Figuren glaubhaft sprechen zu lassen, und zwar so, dass sie der Hörer leicht unterscheiden kann. So ist beispielsweise Lisa mit einer hohen Stimme versehen. Sie klingt zwar nicht wie Charleys Tante, ragt aber natürlich heraus, und man wartet schon aufs nächste Mal, dass sie wieder zu hören ist. Wesentlich glaubwürdiger ist die ungewöhnlich sanfte Stimme der Psychotherapeutin Burke, die Ann Marie betreut.
Ihr Gegenteil sind sicherlich die Tunichtgute Charlie, der Autoknacker, und Florida Boy, der labile Ausraster. Auch deren Auftraggeber Terry Shields klingt wie ein harter Bursche. Doch er beißt sich an Frank Jacobson die Zähne aus, der zudem noch viel Erfahrung mitbringt. So kann es der Chief Inspector locker nicht nur mit Typen wie Shields und Fliegengewichten wie Ray Walsh – ebenfalls eine tolle Charakterstimme – aufnehmen, sondern mit solchen aufgeblasenen Wichtigtuern wie seinem Chef DCS Greg Salter, der total arrogant und aalglatt daherkommt.
Der Abschuss ist sicherlich Alan Jones, der hochmütige Buchhalter des armen Steve Adams. Sehr interessant fand ich auch die Nebenfigur Peter Robinson (der Mann trägt den gleichen Namen wie ein erfolgreicher britischer Krimiautor). Der Pathologe wird durch seine besondere Redeweise zum Leben erweckt: Er stottert und stammelt, dass das, was er zu sagen hat, ganz besonders spannend wird. Es gibt noch andere Figuren, so etwa den mampfenden Kollegen Jacobson, der erstmal sein Mittagessen im Meeting runterwürgen muss – und währenddessen spricht. Kein schöner Klang.
Schäfer macht also auch noch aus den Nebenfiguren interessante Eindrücke. Erst so ergibt sich aus dem Gesamtbild der Figuren das Abbild einer sozialen Gemeinschaft. Und das ist genau das, was der Autor beabsichtigt hat (und was jedem Krimiautor am Herzen liegen sollte).
Geräusche und Musik gibt es nicht, weshalb ich darüber kein Wort zu verlieren brauche. Was mich jedoch geärgert hat, ist die Tatsache, dass nirgendwo auf dem Hörbuch die Längenangabe vermerkt ist. Neben dem Preis ist dies jedoch eine wichtige Größe, um das Verhältnis zwischen Preis und Leistung (= Länge der Aufnahme) abzuschätzen. Erst im Vergleich mit anderen Produkten anderer Verlage vermag der potenzielle Käufer dann dieses Preis-Leistungs-Verhältnis zu beurteilen. Wer solche Kenngrößen vorenthält, der stellt sich automatisch ins Zwielicht. Leider ist diese Unterlassungssünde bei |Hoffmann & Campe|-Hörbüchern Usus.
_Unterm Strich_
Es ist saubere Polizeiarbeit, die Jacobson den Fall aufklären lässt – so viel darf man auf jeden Fall erwarten. Dass auch in (erfundenen) Städten wie Crowby eine Zweiklassengesellschaft existiert, aber beide Klassen gleichermaßen vom Gleichmacher Heroin erfasst werden, hat man schon in Soderberghs Film „Traffic“ eindrucksvoll geschildert bekommen. Neu ist vielleicht die Botschaft , dass Drogen auch den englischen Alltag einer ländlichen Stadt längst durchdrungen haben. Und dass die Dealer nicht irgendwelche russischen Mafiosi sind, sondern brave britische Buchhalter. Etwas bizarr fand ich, dass eben dieser Buchhalter auch der Territorial Army angehört, die wohl der amerikanischen Nationalgarde entspricht, die ja auch nur eine bessere Miliz ist.
Vergleicht man Jacobsons effiziente Ermittlung, so erscheint die Flucht der Mörder Dave Carters zunehmend als überflüssiges Beiwerk, als eine Art „Getaway“-Szenario, komplett mit Gangsterliebchen Lisa. Klischeehafter geht’s nicht, aber das Leben entpuppt sich ja zunehmend als Abziehbild der Medien, so dass man schon bei manchen Szenen wie etwa einem Brand oder Autounfall allein beim Hinsehen ein Déjà-vu-Gefühl bekommt.
|Das Hörbuch|
Es kann aber auch sein, dass die Bearbeiter des Textes diesen so weit kürzten, dass die wichtigen Zwischentöne, die das Buch unverwechselbar machen, unter den Tisch fielen. Die zahlreichen inneren Monologe sind ein wichtiges Stilmittel, um die Motivation der Figuren zu verdeutlichen. In einer dramatischen Handlung dürfen sie jedoch nicht überhand nehmen, um keine Langeweile aufkommen zu lassen. In dieser Hinsicht ist das Hörbuch dem Buch unterlegen. Dies muss der Sprecher mit entsprechenden stimmlichen Mitteln des Vortrags jedoch auszugleichen wissen. In gewissen Maße gelingt dies Herbert Schäfer auf eindrucksvolle Weise.
|Originaltitel: Perfectly dead, 2003
Aus dem Englischen übersetzt von Werner Löcher-Lawrence
ca. 154 Minuten auf 2 CDs
ISBN-13: 978-3-455-30581-4|
http://www.hoca.de
http://www.dtv.de
http://www.crowby.co.uk