Sardou, Romain – Kein Entrinnen

Viele Leute fühlen sich dazu berufen, ihr Leben niederzuschreiben, in der Hoffnung, dass sich jemand dafür interessiert. Doch nur mal angenommen, jemand würde sich ein Leben konstruieren, es nach seinen Vorstellungen nachspielen und dann aufschreiben? Das ist sicherlich eine harmlose Spinnerei – es sei denn, sie passiert in dem Thriller „Kein Entrinnen“ des Franzosen Romain Sardou.

Überraschenderweise spielt das Buch aber nicht in Frankreich, sondern in den USA, wo Sardou eine ganze Weile als Drehbuchschreiber in Los Angeles gewohnt und gearbeitet hat. Es spielt allerdings nicht in der tobenden Großstadt, sondern in einer ruhigen Gegend. Das Örtchen New Hampshire ist an und für sich sehr beschaulich, so dass Chief Inspector Stu Sheridan selten wirklich viel zu tun hat. Doch dann werden an einem Wintertag 24 Leichen auf einmal an einer Baustelle gefunden.

Alle Opfer starben auf die gleiche Art und Weise und besitzen kaum gemeinsame Merkmale, sie sind noch nicht mal aus der Gegend. Sheridan wird sehr schnell klar, dass hier etwas nicht stimmt. Ein verabredeter Massenselbstmord? Das Werk einer Sekte? Der gesetzte Gesetzeshüter schaltet das FBI ein, obwohl er deren Art, solche Fälle sofort an sich zu reißen, eigentlich nicht leiden kann. Und tatsächlich nimmt das FBI sich nicht nur dieses Falles sofort an, sondern verhängt auch noch eine Nachrichtensperre und schließt Sheridan völlig aus den Ermittlungen aus. Dieses totale Abriegeln kommt ihm dann doch etwas eigentümlich vor. Was hat das FBI zu verbergen, dass es noch nicht mal die Familien der Toten benachrichtigt? Verbotenerweise ermittelt er mit zwei Kollegen weiter.

Währenddessen zieht der junge Professor Frank Franklin an die nahe Universität, wo er Kreatives Schreiben unterrichten soll. Ihm gefällt der beschauliche Ort, doch er merkt schnell, dass das Universitätsgelände ein paar Geheimnisse verbirgt. Wenig später findet Sheridan endlich eine Gemeinsamkeit bei den Opfern des Massenmordes: Sie alle waren Fan eines Schriftstellers. Um an diesen heranzukommen, kontaktiert Sheridan Franklin und bittet ihn um seine Mithilfe, nicht ahnend, dass wesentlich mehr hinter dem Mord steckt, als er je gedacht hätte …

Der Klappentext von „Kein Entrinnen“ weist auf eine großangelegte Verschwörung hin, doch welcher Thriller schmückt sich heutzutage nicht damit, eine Verschwörung aufzudecken? Kann das Buch von Sardou so viel Neues bieten? Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn zum einen ist „Verschwörung“ ein dehnbarer Begriff geworden und zum anderen präsentiert Sardou zwar eine ausgefallene Handlung mit einigen Überraschungen, aber leider auch einigen vorhersehbaren Strecken. Das nimmt dem Buch einiges an Spannung, auch wenn es immer wieder jähe Momente gibt, die den Leser beinahe die Luft anhalten lassen. Diese Wendungen sind es, die „Kein Entrinnen“ letztendlich aus der Masse hervorstechen lassen; diese Wendungen und Sardous trockener Erzählstil.

Die Nüchternheit, mit der Sardou von den Geschehnissen berichtet, wirkt in der Perspektive von Sheridan beinahe emotionslos, während er Franklin weit mehr Freiraum in Form von Gedanken, die nicht direkt mit dem Fall in Zusammenhang stehen, gewährt. Dadurch entsteht ein leichtes Ungleichgewicht, und da der Tonfall sehr sachlich ist, wirken Franklins Gedanken manchmal ein wenig überflüssig. Trotzdem schreibt Sardou sehr angenehm, mit einem großen Wortschatz und genau dem richtigen Maß an Details und Wissensfetzen. Er schiebt immer wieder Zwischenbemerkungen ein, welche die Geschichte satter erscheinen lassen und den Leser bei Laune halten.

Der Schreibstil, der auf der einen Seite einen großen Teil der sauberen und durchdachten Unterhaltung ausmacht, wird für die Personen zur Stolperfalle. Sie können sich nicht wirklich entfalten, und das, obwohl sie eigentlich gut durchdacht sind und beispielsweise im Falle von Franklin auch eine sehr interessante Biografie vorweisen können. Doch der Funke kann nicht überspringen, was es vielleicht auch der Handlung erschwert, über weite Strecken mitreißend zu sein.

Dennoch bietet „Kein Entrinnen“ einen gut lesbaren Thriller, der sich durch überraschende Spannungsmomente und eine saubere Ausarbeitung auszeichnet. Zudem ist das Thema, das behandelt wird, interessant aufgebaut und Sardou schafft es, die eine oder andere unerwartete Wendung einzubinden, die zum Weiterlesen animiert.

http://www.heyne.de

Schreibe einen Kommentar